160 Quadratmeter für fünf Personen, natürlich ist jede Ecke Instagram-tauglich: Ricarda Nieswandt hat ihr 100 Jahre altes Haus am Stadtrand bei Köln liebevoll gestaltet – kein Wunder, dass sie mit ihrem Interior- und Lifestyle Blog „23QM Stil“ viele Menschen begeistert. Wir haben die 46-Jährige in ihrem tollen Zuhause besucht und mit ihr über ihren Einrichtungsstil, die manchmal verrückte Influencer-Welt und die Chancen, heute noch erfolgreich einen Blog zu starten, gesprochen. Mit im Gepäck hatten wir dabei hübsche Wintersträuße von „Blume2000.de“.
Ricarda Nieswandt: Ich entdeckte damals andere Blogs und fand das total spannend. Seit dem Einzug in unser Haus im Jahr 2000 habe ich mich außerdem sehr für Interior interessiert und ich schreibe gerne – also habe ich einfach losgelegt. Damals hat man einfach gebloggt, weil man sich für ein Thema begeistert hat und sich mit Gleichgesinnten vernetzen wollte. Da ging es noch nicht darum, Geld damit zu verdienen oder ein Business daraus zu machen.
Ich finde, dass es inzwischen zu viele Blogger und Instagrammer gibt und ich glaube, dass oft verkannt wird, wie viel Arbeit dahintersteckt.
Ich habe schon ziemlich schnell eine Anfrage zu einer Produktvorstellung erhalten – das war damals noch etwas völlig Neues. Aber die ersten Jahre habe ich nur aus Interesse gebloggt und hatte keine weiteren Absichten. Ab 2012 kamen immer mehr Kooperationsanfragen und Reiseangebote.
Eigentlich finde ich es super, dass es eine immer größere Akzeptanz für Blogs gibt. Am Anfang waren viele Menschen skeptisch, wenn ich zum Beispiel in einem Laden etwas fotografieren wollte – heute ist das ganz normal. Aber ich finde auch, dass es inzwischen zu viele Blogger und Instagrammer gibt und ich glaube, dass oft verkannt wird, wie viel Arbeit dahintersteckt. Viele scheinen zu denken: Damit werde ich schnell und einfach berühmt, bekomme alles umsonst und kann überall hinreisen. Aber so funktioniert es nicht. Man muss sich sehr anstrengen, viel Arbeit in Texte und Fotos investieren. Und dann kommen bei Kooperationen natürlich noch steuerliche Aspekte dazu, die viele Leute unterschätzen.
Wenn man Bock hat, dann sollte man einfach loslegen. Nicht so lange darüber nachdenken, sondern Dinge ausprobieren und auch mal Fehler machen.
Es ist wahrscheinlich schwieriger geworden. Ich beschäftige mich superviel mit der Branche, auch als Mitorganisatorin der BLOGST-Konferenz bin ich sehr nah an all diesen Themen und Social-Media-Entwicklungen dran. Ich glaube, um erfolgreich zu sein, braucht man eine Nische. Man muss sich auf ein Thema spezialisieren. Mit einer bunten Mischung – wie ich selbst sie ja auch habe – wird es heute schwierig. Ich persönlich blogge neben Interior total gern über Reisethemen und Food. Aber ich merke, dass sich die meisten Leser vor allem für die Interior-Themen interessieren – und diese auch von mir erwarten.
Wenn man Bock hat, dann sollte man einfach loslegen. Nicht lange nachdenken, sondern Dinge ausprobieren und auch mal Fehler machen. Ich habe den Eindruck, viele wollen schon von Anfang an verkrampft perfekt sein: Da gibt es schon nach drei Beiträgen einen großen Button für Kooperationen auf der Seite. Inhaltlich ist es heutzutage so, dass alles einen Mehrwert haben muss. Früher konnte man auch im Blog einfach nur schreiben, dass man einen schönen Tag hatte – und trotzdem gab es 100 Kommentare. Dieses Mikroblogging findet ja heute bei Instagram statt, auf einem Blog reicht das nicht mehr.
Irgendwie hatten alle Blogger das Gefühl: Es gibt ja tatsächlich Menschen, die das Gleiche tun wie ich.
Ich habe vor einigen Jahren eine Social-Media-Ausbildung gemacht, weil ich eigentlich in dem Bereich als Beraterin arbeiten wollte – das hat sich dann aber durch viele andere Projekte nicht mehr ergeben. Ich fand aber die Idee spannend, mein erlangtes Wissen weiterzugeben. Und es schloss sich auch der Kreis zu meiner Ausbildung: Ich bin eigentlich Diplom-Bibliothekarin und habe nach dem Abschluss Mitarbeiter in öffentlichen Bibliotheken im Umgang mit dem Internet geschult. Ich mochte es schon immer, als Dozentin zu arbeiten und Wissen zu vermitteln. Dann habe ich auf einer europäischen Blogger-Konferenz die Interior Stylistin Clara von „Tastesheriff“, die in Hamburg lebt, persönlich kennengelernt – und dort entstand die Idee, ein Netzwerk in Deutschland aufzuziehen.
Ja, das ist total eingeschlagen. Irgendwie hatten alle Blogger das Gefühl: Es gibt ja tatsächlich Menschen, die das Gleiche tun wie ich. Am Anfang haben wir Workshops zu verschiedenen Themen gegeben, seit 2012 findet die „BLOGST“-Konferenz jährlich statt. Sie war auch in diesem Jahr mit 200 Teilnehmern ausverkauft und eine total schöne Veranstaltung.
Natürlich war in diesem Jahr die DSGVO (Anm. d. Redaktion: Datenschutz-Grundverordnung) total wichtig und nach wie vor ist die Kennzeichnungspflicht ein großes Thema. Mittlerweile muss ja alles und jedes als Anzeige gekennzeichnet werden – auch wenn teilweise überhaupt nicht ersichtlich ist, warum ein Beitrag Werbung sein könnte. Aktuell verschwimmt die Grenze total und kein Leser weiß, ob der Blogger jetzt wirklich Geld bekommen hat oder nicht. Das ist für die Transparenz überhaupt nicht förderlich und ich hoffe sehr, dass es bald einheitliche Regelungen und Urteile gibt.
Ich glaube, da entsteht gerade eine riesige Blase. Es ist natürlich super, wenn du nur dein Gesicht in die Kamera halten musst und damit viel Geld verdienst. Aber es gab in letzter Zeit so viele Fälle, die durch den Kakao gezogen wurden, weil sie einfach nicht glaubwürdig waren. Natürlich gibt es auch viele Menschen, die es wirklich gut machen – aber es muss authentisch sein. Wenn ich in ein Land eingeladen werde, für das mein Herz sowieso schlägt, warum soll ich dann nicht Werbung dafür machen? Dann funktioniert es auch, weil die Leute einem vertrauen wie einer Freundin. Aber das wird gerade oft überstrapaziert.
Ich bewundere alle, die ihren Blog und Kooperationen professionell durchziehen, aber es gibt inzwischen leider auch viele Menschen, die nur den großen Ruhm wittern und die Branche etwas kaputt machen.
Ich bewundere alle, die ihren Blog und Kooperationen professionell durchziehen, aber es gibt inzwischen leider auch viele Menschen, die nur den großen Ruhm wittern und die Branche etwas kaputt machen. Am Anfang haben wir bei BLOGST gesagt: „Ihr habt eine Stimme, lasst euch nicht ausnutzen.“ Inzwischen muss man fast eher sagen: „Ja, ihr habt eine Stimme, aber bleibt auf dem Teppich“. Und diese Entwicklung finde ich etwas schade.
Ich halte es für superwichtig, dass man sich gegenseitig unterstützt. Und wenn man wachsen und wahrgenommen werden will, dann halte ich es für das Allerwichtigste, sich eine Community aufzubauen – wenn du die nicht hast, für wen schreibst du dann? Es gibt ja dieses Zitat: „If you want to go fast, go alone. If you want to go far, go together.” Das trifft aus meiner Sicht total zu. Wir brauchen auch online eine Gemeinschaft und keine Ellenbogenmentalität.
Wir haben versucht, nicht zu viel von dem alten Charme zu zerstören, sondern möglichst viel zu erhalten – dem Charakter des Hauses gerecht zu werden.
Ganz klassisch über eine Zeitungsannonce. Wir hatten uns in anderthalb Jahren 35 Häuser angeguckt, die alle nichts für uns waren. Dann haben wir die Anzeige an einem Mittwoch entdeckt und dort stand, man dürfe erst am Samstag anrufen. Ich wollte aber nicht so lange warten, habe mich sofort gemeldet – und es war tatsächlich ein Druckfehler. Wir haben das Haus am nächsten Tag besichtigt, und als wir das Treppenhaus gesehen haben, waren wir sofort verliebt. Damals hatten wir drei kleine Kinder und konnten nicht direkt alles so umgestalten, wie wir es gern getan hätten. Aber das haben wir dann in den letzten Jahren nachgeholt.
Wir haben versucht, nicht zu viel von dem alten Charme zu zerstören, sondern möglichst viel zu erhalten – dem Charakter des Hauses gerecht zu werden. Zum Beispiel sind die Heizungen alle neu, aber das sind solche Röhren-Heizkörper, wie sie früher in alten Häusern standen. Der Parkettboden ist überall das Original von 1918, den haben wir in allen Etagen abschleifen und aufarbeiten lassen.
Ich frage mich manchmal: Was würden wir mitnehmen, wenn wir auswandern?
Grundsätzlich ziemlich klar und skandinavisch. Minimalistisch wäre übertrieben, aber ich miste gerade sehr viel aus. Ich frage mich manchmal: Was würden wir mitnehmen, wenn wir auswandern? Alles, was nicht so wichtig ist, das braucht man auch nicht unbedingt. Ehrlich gesagt hält mich das nicht davon ab, auch neue Dinge zu kaufen – aber ich versuche, eine klare Basis zu erhalten. Ich wohne hier mit einem Mann und drei erwachsenen Kindern, da liegt natürlich immer etwas herum. Deshalb finde ich es wichtig, nicht zusätzlich noch so viele Dinge zu haben, die herumstehen oder stören.
Ich tendiere zu Designklassikern, aber ich kaufe auch mal was in Läden wie Ikea, Granit oder Søstrene Grene – dort findet man immer tolle Accessoires. Ich versuche zunehmend zu gucken, was es von lokalen Anbietern gibt. Die großen Brands sind allgegenwärtig, aber vielleicht wäre es auch spannend, etwas zu finden, das nicht von einer so bekannten Marke ist. Und dann mag ich Stücke aus dem Vintage-Bereich und mixe sie gerne mit modernen Elementen.
Auch ich zweifle oft an meinen Möbelstücken oder finde eine graue Couch plötzlich langweilig.
Ja, da finde ich ganz viele neue Ideen. Wenn ich etwas Schönes sehe, dann versuche ich meistens auch selbst herauszufinden, woher es ist – da kommt vielleicht die Bibliothekarin in mir durch. Ich kann viel Zeit damit verbringen, Möbel und Accessoires von Instagram in Onlineshops zu suchen. Aber manchmal finde ich es nicht heraus, dann frage ich einfach nach. Ich bin aber auch sehr anfällig dafür, dass ich denke, bei den Anderen ist es immer viel schöner oder hübscher oder größer oder besser…
Das ist natürlich Jammern auf hohem Niveau. Aber auch ich zweifle oft an meinen Möbelstücken oder finde eine graue Couch plötzlich langweilig. Das legt sich meistens nach ein paar Tagen wieder, aber wenn man genug Zeit hat, dann denkt man ständig darüber nach, dass man dies oder das gerne noch hätte oder umgestalten möchte.
Ich kaufe regelmäßig frische Blumen und finde es super, wie schön man in ihnen die Jahreszeit spiegeln kann.
Sehr wichtig. Ich kaufe regelmäßig frische Blumen und finde es super, wie schön man in ihnen die Jahreszeit spiegeln kann. Zum Beispiel finde ich es Anfang des Jahres immer toll, wenn ich die Weihnachtsdekoration entferne und stattdessen weiße Tulpen bei mir einziehen.
Im Januar und Februar sind es Tulpen, ansonsten mag ich Hortensien und Pfingstrosen sehr gerne. Und natürlich ist Eukalyptus gerade eine Trendpflanze, den kann man immer gut einzeln hinstellen oder in einen bunten Blumenstrauß mischen. Ich stelle mir manchmal gerne selbst Sträuße zusammen. Es gibt aber auch Anbieter, die schon superschöne Sträuße anbieten, die gut zu mir passen – daran freue ich mich dann auch.
Natürlich herrscht bei uns auch mal Chaos und es gibt Ecken, die ich nicht unbedingt online zeige. Es gibt ja diesen Hashtag #fürmehrrealitätaufinstagram und grundsätzlich finde ich das super – aber vor allem im Interiorbereich geht es meiner Meinung nicht darum, die komplette Realität abzubilden. Da möchte ich selbst auch inspiriert werden und es interessiert mich in dem Moment nicht, welche Unordnung bei anderen Bloggern auch mal herrscht. In meinen Augen ist das so ähnlich, wie wenn Besuch kommt: Da räume ich auch vorher auf – und genauso ist es, wenn ich Fotos für den Blog oder Instagram mache.
Fotos: Annika Eliane
Text: Julia Felicitas Allmann
Layout: Carolina Moscato
-Werbung: Diese Story ist in Zusammenarbeit mit „Blume2000.de“ entstanden –
Ein Kommentar
Zuersteinmal, Ricarda ist toll.
Ich mag ihre Sicht auf Dinge und das sie alles im Blick hat und ausspricht.
Ich empfinde es aber tatsächlich als etwas schwierig, dass ihr genau diese Zitate die doch am provokantesten sind auch in die Zwischenüberschriften genommen habt. Es geht ja nicht um ein Gegeneinander, sondern um ein Miteinander. Klar sind es viele Blogger, doch hey, es waren schon immer viele, die Art auf sich aufmerksam zu machen hat sich nur geändert.
Ricarda hat selbst Kinder, ihr wird es bestimmt täglich vor Augen geführt, ich empfinde diese Art der Selbstdarstellung von Instagrammern oder Bloggern nicht als eine, die nur ihnen zuzuschreiben ist. Es ist viel mehr der aktuelle Zeitgeist. Jugendliche heute sind ganz anders selbstbewusst als ich es vor zwanzig Jahren als Teenie war. Vielleicht ist vieles nur Darstellung nach Außen und sie haben im Inneren noch mehr Zweifel, doch es ist kein Phänomen was nur denen zuzuschreiben ist, die sich online dafür entscheiden zu versuchen damit „Geld“ zu machen.
Was definitv verloren gegangen ist, das man es „einfach nur so“ anfängt. Hab ich seit Jahren nicht mehr gehört. Immer nur den Spruch „Oha, ich werde auch Blogger!“ / „Ich sollte auch Blogger werden!“ / „Blogger müsste man sein!“ ….
Tollstes Treppengeländer übrigens 🙂 Liebe Grüße nach Köln.