Die Farbe hat sich über jeden einzelnen Fingernagel einen Weg in das Herz und die Wohnung von Sarah Hartmann gebahnt. „Während meines Grafikdesignstudiums habe ich nur Schwarz getragen“, erinnert sich die 28-Jährige heute. „Erst durch meinen Job bei der Nagellackfirma „Gitti“ habe ich meine Leidenschaft für Farbkombinationen wiederentdeckt und gemerkt, dass man nicht nur seine Fingernägel lackieren kann.“ Ein Glücksfall. Denn mittlerweile ist sie bekannt für ihre farbenfrohen Upcycling-Projekte, bei denen es selbst DIY-Muffel in den Fingerspitzen juckt.
Dafür gewährt Sarah Hartmann ihren 181.000 Follower*innen auf „Instagram“ regelmäßig Einblick in ihre 72 Quadratmeter große Zwei-Zimmer-Wohnung in Berlin Reinickendorf. Dort haben wir mit ihr über ihre leidenschaftliche Schatzsuche nach Vintage-Funden, Farbexperimente und ihre neue Selbstständigkeit gesprochen. Denn: Aus Sarahs Hobby ist mittlerweile ihr neuer Job geworden.
Sarah Hartmann: Du müsstest die Frage andersherum stellen: Das Einzige, das ich noch nicht verändert habe, ist die Küche. Sie hat ihren eigenen 70ies-Charme und schon ein paar Jahrzehnte hinter sich. Am Anfang habe ich sie gehasst: Sie ist nicht modern, hat rote Griffe und abgerockte Arbeitsplatten. Aber: Sie passt hier total rein und mittlerweile habe ich mich mit ihr angefreundet. Für die anderen Räume habe ich mir 2021 direkt eine Carte Blanche von meinem Vermieter geholt, damit ich machen kann, was ich will.
Tatsächlich habe ich für diese Wohnung fast alles neu gefunden. Es gibt zwar ein paar Sachen, die ich niemals weggeben könnte, weil ich so glücklich über den Fund bin oder eine schöne Erinnerung damit verbinde, aber ich habe auch viele Stücke verkauft, als ich umgezogen bin.
Mein Stil ist sehr von den Siebzigerjahren, Space Age und den Filmen von Wes Anderson inspiriert.
Zuerst habe ich nach Key Pieces gesucht. Für das Wohnzimmer war das zum Beispiel meine cognacfarbene Samtcouch – in meiner Welt eine neutrale Farbe. Sie hat die Stimmung für den gesamten Raum gesetzt. Mein Stil ist sehr von den Siebzigerjahren, Space Age und den Filmen von Wes Anderson inspiriert. Diese Farbwelt und Komposition versuche ich in meiner Wohnung widerzuspiegeln. Daran angelehnt habe ich mein Moodboard für das Wohnzimmer aus verschiedenen Pinterest-Pins gebaut. Ich plane meistens um zwei oder drei größere Möbelstücke herum, der Rest ergibt sich von selbst.
Irgendwas tut sich jeden Tag in meiner Wohnung und sei es nur ein Kerzenständer, der seinen Platz wechselt. Meine Mutter und ich haben DIY-Finger, wir müssen immer irgendwas machen. Auf meinem Handy gibt es eine Liste mit allen Ideen, die ich gerne noch ausprobieren möchte. Bis ich sie umsetze, dauert es aber meistens ein bisschen. Ich muss Materialien besorgen und recherchieren, ob das, was ich vorhabe, wirklich funktioniert.
Die Kunst ist es dann, Projekte, die sich teilweise über mehrere Wochen ziehen, kurz und knackig für „Instagram“ oder „Tiktok“ zusammenzuschneiden und es einfach aussehen zu lassen. Meine ganzen Wutanfälle und die viele Arbeit sieht man nicht.
Ich plane meistens um zwei oder drei größere Möbelstücke herum, der Rest ergibt sich von selbst.
Ich liebe es, einen kleinen Anschubser zum Trauen zu geben. Oft werde ich von meinen Follower*innen gefragt, in welcher Farbe sie Möbel oder Wände streichen sollen, weil sie mit der Auswahl unsicher sind. Ich versuche den Menschen immer zu erklären, dass sie alle Optionen haben. Egal ob die Kommode pink oder grau wird, man kann sie innerhalb eines halben Tages auch wieder umstreichen. Es lohnt sich, einfach mal mutig zu sein.
Meine roten Esszimmerstühle. Sie sind aus den Fünfzigerjahren und waren mal knallrot. Doch nach Jahrzehnten im Garten waren sie ausgebleicht und rissig. Also habe ich sie sauber gemacht, abgeschliffen, – das ist immer die größte Arbeit – ein paar neue Farbschichten aufgetragen und sie versiegelt. Es war tatsächlich das erste Mal, dass ich Stühle repariert habe.
Egal ob die Kommode pink oder grau wird, man kann sie innerhalb eines halben Tages auch wieder umstreichen. Es lohnt sich, einfach mal mutig zu sein.
Bei mir ist alles Learning by doing und viel Trial and Error. Am Anfang habe ich viele „Youtube“-Videos geguckt, aber es ist eigentlich immer der gleiche Prozess mit unterschiedlichen Werkstoffen: Säubern, abschleifen, grundieren, streichen, versiegeln. Bei den Stühlen war es etwas kniffliger, weil ich erst herausfinden musste, welchen Kleber ich verwenden kann, um die Risse zu fixen. Ich hatte Sekundenkleber zu Hause und habe es einfach probiert. Damit bin ich gescheitert. Gott sei Dank habe ich die Reise auf „Tiktok“ begleitet und einige Follower*innen haben mir einen speziellen Kleber empfohlen. Also bin ich losgestapft, habe ihn gekauft und es hat tatsächlich funktioniert. Jetzt kann ich den Tipp guten Gewissens weitergeben.
Von diesem Gedanken sollte man sich lösen. Möbel sind doch dafür da, gebraucht zu werden. Klar sollen sie gut aussehen, aber sie müssen auch funktionieren. Da gehören Macken, die mit der Zeit entstehen, dazu. Bei meinem lilafarbenen Tisch zum Beispiel ist an einigen Stellen schon die Farbe abgegangen. Dann frische ich sie eben wieder auf – und habe neue Freude daran.
Möbel sind doch dafür da, gebraucht zu werden. Klar sollen sie gut aussehen, aber sie müssen auch funktionieren. Da gehören Macken, die mit der Zeit entstehen, dazu.
95 Prozent meiner Secondhand-Möbel finde ich über „Ebay Kleinanzeigen“. Außerdem bin ich ein großer Fan der „Nochmall“ in Berlin. Man muss zur richtigen Zeit am richtigen Tag sein, aber dort kann man tolle Schnäppchen machen. Ein paar Sachen, die mir über Monate und Jahre nicht aus dem Kopf gegangen sind, habe ich ersteigert. Zum Beispiel mein Magazinständer im Schlafzimmer. Ich kaufe mir lieber ein schönes Möbelstück als eine Designer-Handtasche.
Für „Ebay Kleinanzeigen“ habe ich ein paar Key-Suchbegriffen, die ich fast jeden Tag abklappere. Zum Beispiel suche ich sehr generell nach Siebzigerjahre– und scrolle dann um mein Leben. Je unspezifischer der Suchbegriff, desto größer die Chance, ein Schnäppchen zu finden. Was immer funktioniert – auch für Inspiration – ist der Begriff Space Age. Das sind oft teurere Sachen, die man als Inspiration oder Ausgangspunkt für eine neue Recherche nehmen kann.
Genauso bin ich ein großer Fan vom Suchbegriff „alt Ikea“. Das Möbelhaus hatte in den Siebzigern tolle, hochwertige Sachen, die jetzt wieder im Trend sind. Midcentury, Pantone, Bauhaus Midcentury. Die meisten Sachen habe ich aber durch zufälliges Scrollen über Stunden gefunden.
Ich kann mir gerade nichts Besseres vorstellen und versuche jeden Moment zu genießen.
Wenn man Glück hat, gibt es einen Stempel oder einen Aufdruck, auf dem man die Marke erkennt. Damit kann man im Internet suchen, aus welchem Jahr das Möbelstück ist und ob man es reparieren kann oder ob es reif für den Sperrmüll ist. So war es bei meinen rissigen Esszimmerstühlen. Der Anbieter hatte bei dem Inserat direkt die Firma mit angegeben, sodass ich einfach nachschauen konnte, aus welchem Material sie sind. Am liebsten kaufe ich Möbel aus Vollholz. Reparieren, abschleifen und streichen ist da kein Problem. Deswegen bin ich auch ein großer Fan von Fiberglas.
Unbedingt die Maße! Die Bilder täuschen häufig und Sachen können sehr viel kleiner oder größer ausfallen. Das musste ich auch schon lernen. Und es macht mich happy, wenn ein Möbelstück gut zu transportieren ist. Am wichtigsten sind aber das Material, Qualität und ob es veränderbar ist.
Womit ich angefangen habe – und was ich weiterempfehlen kann – sind kleine Holzarbeiten: einfach einen Nachttisch oder ein kleines Holzregal abschleifen, farbig anstreichen, versiegeln. So kann man den ganzen Prozess einmal ausprobieren und sehen, ob einem das Leben in Farbe gefällt. Dafür muss man sich auch nicht direkt ein elektrisches Schleifgerät oder die tollste Farbrolle kaufen. Einfach anfangen und ausprobieren.
Als ich vor zwei Jahren meine Leidenschaft für DIY entdeckt habe, war ich in Vollzeit für das Visual Design der Berliner Nagellackmarke „Gitti“ verantwortlich. Ich war im Home-Office und habe immer versucht, in meinen Mittagspausen Projekte fertigzustellen oder schnell zum Baumarkt zu huschen. Damit war ich sehr glücklich, aber irgendwann war Social Media einfach ein zweiter Vollzeitjob. So unter Stress war ich noch nie in meinem Leben. Dabei war es sogar positiver Stress, weil ich ja eigentlich meinem Hobby nachgehen konnte.
Trotzdem habe ich lange überlegt, mich selbstständig zu machen. Ich bin ein großer Sicherheitsmensch und war sehr zufrieden angestellt zu sein, jeden Monat mein festes Gehalt zu bekommen. Deswegen habe ich ein Jahr lang Geld zur Seite gelegt, um selbst im Worst Case noch für eine gewisse Zeit meine Miete bezahlen zu können. Erst mit dieser Sicherheit konnte ich meine Kündigung einreichen. Aber das war es wert. Ich kann mir gerade nichts Besseres vorstellen und versuche jeden Moment zu genießen.
Ich bin sehr dankbar, schon seit Beginn einen Steuerberater zu haben. Sonst wäre mir viel mehr die Düse gegangen. Und: Bleibt immer mit euren Versicherungen in Kontakt.
Persönlich mit Leuten zu sprechen, kann viel Stress und Ärger ersparen. Ruft die Leute an und wartet nicht, bis sich die Versicherung bei euch meldet, denn dann ist es oft zu spät. Es kostet mich immer noch Überwindung anzurufen, aber persönlich mit den Leuten zu sprechen und offen zu sagen, dass man keine Ahnung hat oder Hilfe braucht, kann viele schlaflose Nächte ersparen.
In letzter Zeit hatte ich manchmal das Gefühl, in einer Werkstatt oder auf einem Filmset zu wohnen. Überall standen Werkzeuge und Farbeimer herum, weil ich alle DIY-Projekte in meinem Wohnzimmer umgesetzt habe. Aber seit zwei Wochen habe ich mit einem befreundeten Künstler ein eigenes Studio in Hohenschönhausen angemietet. Ein Space, an dem wir beide arbeiten können.
Dort möchten wir zum Beispiel auch Workshops veranstalten. Ich bin selbst sehr gespannt, wo die Reise hingehen wird und hoffe einfach, es läuft weiter so gut. Ansonsten arbeite ich schon seit einem halben Jahr an meinem ersten eigenen Möbelstück. Es wird wahrscheinlich noch ein längerer Prozess, aber ich habe richtig Bock aus dem Internet in die reale Welt zu treten. Tatsächlich steht das gute Stück schon hier in der Wohnung und wurde sogar fotografiert – aber was genau es ist, verrate ich euch nicht!
Ein Kommentar
Sooo inspirierend liebe Sarah. Erinnern uns noch als wir im Sommer gemeinsam auf ein Eis getroffen hast und du deine Gedanken mit uns geteilt hast. Wir wünschen dir von Herzem ganz viel Erfolg bei allem was du umsetzt 🙂