Carolin Schuster von „Studio Artisan“: Dieses Teppichlabel ist fair und voller Frauenpower

Handgemachte Teppiche aus Marokko, die fair produziert werden und gleichzeitig Frauen unterstützen: Das ist die Idee hinter „Studio Artisan“. Carolin Schuster aus Köln hat das nachhaltige Teppichlabel vor gut zwei Jahren gegründet und steckt seitdem jede Menge Zeit und Herzblut in das Projekt. Wir haben die 39-Jährige in ihrem schönen Zuhause besucht, in dem sie mit Freund Jan und Dackel Jean-Luc lebt. Im Interview spricht Carolin über wirklich vertrauenswürdige Frauenkooperativen, die Schwierigkeiten eines nachhaltigen Labels und die für die Gründung nötige Furchtlosigkeit.

 

femtastics: Wie bist du auf die Idee gekommen, „Studio Artisan“ zu gründen?

Carolin Schuster: Ich habe viele Jahre als Modedesignerin gearbeitet und war von der ganzen Modebranche so müde und enttäuscht. Für mich war klar, dass ich etwas Anderes tun muss – und auf jeden Fall sollte das fairer und nachhaltiger sein als die Branche, in der ich bislang tätig war. Auch wenn ich nur die kleine Designerin war, die im Büro sitzt und ihre Designs macht – letztlich habe ich trotzdem einen Teil dazu beigetragen, dass alles so läuft, wie es nun mal läuft. Und das ist eben nicht fair und nachhaltig.

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Carolin und ihr Freund Jan leben auf 170 Quadratmetern in Köln Lindenthal, sie haben beide auch ihre Büros dort und vereinen so Wohnen und Arbeiten.

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Das Interview führt femtastics-Autorin Julia Allmann.

War dir von Anfang an klar, dass du mit deinem neuen Projekt auch Frauen unterstützen möchtest?

Ja, das Frauenthema ist mir persönlich sehr wichtig. Das läuft einem als berufstätige Frau immer wieder über den Weg. Sogar in Unternehmen in der Modebranche, wo etwa 80 bis 85 Prozent der Mitarbeiter Frauen sind, sind es dann überraschenderweise doch immer wieder die Männer, die oben sitzen. Es war die Kombination aus alldem, die mir die Idee für den Neustart gegeben hat.

Und wie bist du auf die Teppiche gekommen?

Ich habe mich schon immer für Interior Design interessiert. Auf einer Reise in Marokko habe ich die Liebe zu diesen Teppichen entdeckt. Man kann in Marrakesch in den Souks ganz tolle Teppiche kaufen, aber wenn man sich näher damit beschäftigt, merkt man, dass oft traurige Geschichten dahinter stecken. Auch dort ist es natürlich so, viel mehr noch als bei uns, dass Frauen weniger Rechte haben. Dass Männer im Atlasgebirge bei den Frauen die Teppiche für sehr, sehr wenig Geld einkaufen und die Frauen damit oft gerade mal ihre Kosten decken können. Die Teppiche werden für mehrere hundert oder tausend Euro verkauft und am Ende ist es doch wieder der Mann, der das Geschäft macht. Das war also meine Idee: Die Teppiche, die ich so toll finde, zu kombinieren mit der Idee, dass gleichzeitig Frauen unterstützt werden.

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Wir haben relativ viel ausgesiebt und jetzt arbeiten wir ausschließlich mit Frauen zusammen.

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Wie bist du vorgegangen, um diese Idee umzusetzen?

Zunächst war sehr viel Recherchearbeit nötig. Vor allem ging es darum, vertrauenswürdige Frauenkooperativen zu finden, was nicht leicht ist. Viele Frauen sprechen kein Französisch, teilweise nicht einmal Arabisch, sondern nur Berber. Die Suche war extrem aufwendig und mit vielen Reisen nach Marokko verbunden, auch mit viel Recherche im Internet, mit E-Mails und Gesprächen. Ich musste leider feststellen, dass nicht alle Kooperativen seriös sind.

Was ist vorgefallen?

Es kommt sehr gut an bei Touristen, wenn etwas unter dem Deckmantel von Frauenkooperativen verkauft wird – und das wissen die Marokkaner. Deshalb habe ich zwei oder drei Kooperativen abgesagt. Es steckte doch wieder irgendein Mann dahinter, der das Geld einsackte. Wir haben relativ viel ausgesiebt und jetzt arbeiten wir ausschließlich mit Frauen zusammen. Das soll nicht sexistisch klingen, aber wenn irgendwo in einer Kooperative ein Mann involviert ist, dann bin ich mittlerweile skeptisch. Jetzt habe ich zum Glück zwei Kooperativen, von denen ich überzeugt bin.

Wie läuft denn die Zusammenarbeit genau ab?

Sie basiert zu 100 Prozent auf Vertrauen – das muss sie auch. Ich kaufe vor Ort die Teppiche und lasse viel Geld dort. Das war beim ersten Mal sehr aufregend, weil die Teppiche erst einmal dort blieben, bis mein Lieferant kam und die Teppiche einsammelte. Umgekehrt ist es genauso: Es kann sein, dass mein Lieferant gerade in Marokko ist, die Teppiche mitnimmt und ich noch nicht bezahlt habe. Darüber sprechen wir aber gar nicht, weil es so selbstverständlich ist, dass wir einander vertrauen.

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Mir ist der persönliche Kontakt sehr wichtig, denn nur so kann ich garantieren, dass das Geld auch wirklich bei den Frauen ankommt.

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Kennst du die Frauen selbst, die die Teppiche herstellen?

Ja, ich kenne sie und sie kennen mich auch. Ich arbeite mit zwei Kooperativen zusammen, in der einen sind es 25 bis 30 Frauen, in der anderen etwa 15. Das ist immer ein großes Hallo und ein Fest, wenn wir vor Ort sind. Wir werden toll bekocht und von den Familien eingeladen, dadurch bekommen wir einen ganz anderen Blick aufs Land. Mir ist dieser persönliche Kontakt sehr wichtig, denn nur so kann ich garantieren, dass das Geld auch wirklich bei den Frauen ankommt.

Du sagst häufig „Wir“ – ist noch jemand an „Studio Artisan“ beteiligt?

Ursprünglich habe ich „Studio Artisan“ gemeinsam mit meinem Vater gegründet, der auch aus der Modebranche kommt und die Idee gut fand, etwas Nachhaltiges zu organisieren. Er hat sich jetzt aber langsam herausgezogen. Ansonsten ist mein Freund Jan viel dabei, auch wenn er nicht offiziell ein Teil von „Studio Artisan“ ist. Aber er ist trotzdem stark involviert und wir verbinden die Reisen nach Marokko oft mit Urlauben.

Wie läuft es ab, wenn man einen Teppich bei dir kauft?

Man bestellt den Teppich im Online-Shop und bekommt ein handgemachtes Produkt, das wirklich mit ganz viel Liebe und Passion hergestellt wurde. Und vor allem unterstützt man die Frauen, die es hergestellt haben. Da sitzen oft zwei oder drei Frauen gleichzeitig am Webstuhl, während eine andere auf die Kinder aufpasst. Die Teppiche sind eine gute Möglichkeit für die Frauen, Geld für die Familien zu verdienen. Außerdem werden mit Hilfe der Kooperativen Schulen gegründet – gerade in den ländlichen Gebieten haben Frauen oft keine Schulbildung.

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Die Teppiche sind eine gute Möglichkeit für die Frauen, Geld für die Familien zu verdienen. Außerdem werden mit Hilfe der Kooperativen Schulen gegründet.

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Stellen die Frauen die Teppiche nach ihren Vorstellungen her? Oder bist du als Designerin involviert?

Aktuell ist es so, dass die Teppiche zu 100 Prozent nach dem Design der Frauen gewebt werden. Das ist ein sehr schöner Prozess und gerade für mich als Designerin spannend. Ich kenne selbst nur dieses sehr strukturiert ablaufende Design – in Marokko sitzt aber niemand und erstellt vorher ein Moodboard oder überlegt, welche Farben jetzt gut passen. Das hat ganz viel mit Tradition und Intuition zu tun. Ich arbeite aber gerade mit den Frauen ein Konzept aus, damit es konfektionierte Teppiche für „Studio Artisan“ geben kann.

Wie wird das aussehen?

Ich möchte mich langfristig gerne als Designerin einbringen, vielleicht auch in Kooperation mit anderen Designern. So hätten Kunden die Möglichkeit, aus drei oder vier Designs zu wählen, die sie in einer bestimmten Größe bestellen können. Dann wird der Teppich vor Ort hergestellt und nach Deutschland geschickt. Aktuell ist es anders: Die Teppiche liegen bei mir und wenn jemand einen bestellt, dann schicke ich ihn raus.

In deinem Online-Shop sind viele Modelle ausverkauft. Gilt aktuell: Was weg ist, ist weg?

Ja, im Prinzip schon. Es handelt sich immer um Unikate, darauf legen wir viel Wert – auch wenn sich die Designs natürlich ein bisschen wiederholen. Es gibt die Möglichkeit, dass wir einen Teppich noch einmal machen lassen. Aber auch da verweise ich immer darauf, dass alles handgemacht ist und dass nicht jeder Zentimeter genauso aussieht wie vorher. So bleibt jeder Teppich ein Unikat.

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Wie lange arbeiten die Frauen an den Teppichen?

Das ist sehr unterschiedlich und hängt vor allem von der Größe und dem Muster ab. Je nachdem, wie aufwändig das Muster und die Farbänderungen sind: zwischen zwei und sechs Wochen. Teilweise immer mit mehreren Frauen, das ist echte Teamarbeit.

Das klingt wirklich nach viel Arbeit. Kannst du sagen, wie viel Geld von dem Verkaufspreis später bei den Frauen ankommt?

Auch das ist sehr unterschiedlich, prozentual kann ich es schwer einschätzen. Die Frauen legen den Preis fest, den sie für einen Teppich haben wollen und da verhandle ich auch nicht. Das ist mir auch sehr wichtig: Ich zahle den Preis, den sie nennen. Da kommt kein Buying-Team vorbei, dass die Preise drücken will.

Und du gehst dann in Vorkasse? War das nicht am Anfang eine große Hürde?

Ich war von Anfang an total überzeugt von der Idee und ich habe eine gewisse Furchtlosigkeit in mir – vermutlich braucht man die für ein solches Projekt. Ich habe mir immer gedacht: Den Einkaufspreis werde ich schon irgendwann wieder reinbekommen, wie groß kann der Verlust also sein? Auch wenn mir klar war, dass ich eventuell keinen Cent damit verdiene. Das tue ich jetzt übrigens auch noch nicht: Alles, was ich verdiene, fließt sofort wieder in neue Teppiche, in den Einkauf oder irgendwelche Aktionen, die ich plane.

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Die Frauen leben im hohen Atlasgebirge. Wenn wir dorthin fahren, starten wir von Marrakesch aus und sind mehrere Tage im Atlasgebirge unterwegs.

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Ein neues Label zu gründen, ist immer ein Risiko. Ist es mit dem Fokus auf Nachhaltigkeit noch einmal schwieriger?

Klar, anders wäre es viel einfacher gewesen. Ich hätte nach Marrakesch fliegen, zwei Tage locker durch die Souks gehen und dort die schönsten Teppiche kaufen können. Das wäre eine sehr einfache Situation gewesen. Jetzt ist die Reise natürlich viel beschwerlicher. Die Frauen leben im hohen Atlasgebirge. Wenn wir dorthin fahren, starten wir von Marrakesch aus und sind mehrere Tage im Atlasgebirge unterwegs. Das ist natürlich nicht so bequem wie eine Shoppingtour in der Stadt.

Wie lange braucht ihr für die Tour von Marrakesch zu den Frauen, die eure Teppiche herstellen?

Dadurch, dass man Serpentinen fährt, braucht man selbst für zehn Kilometer mal eine Stunde. Es sind meistens so fünf bis sechs Stunden, beim ersten Mal war es aber viel länger. Da war sowieso alles sehr aufregend, die ganzen Schotterpisten und Serpentinen – dann hatten wir verrückterweise den einen Tag in der Woche erwischt, an dem alle Marokkaner aus dem Atlasgebirge runter ins Tal fahren, um dort ihre Waren zu verkaufen und andere Dinge einzukaufen. Wir waren natürlich antizyklisch unterwegs und alle kamen uns entgegen. Das war wirklich kein Spaß, weil ich alle paar Meter rückwärtsfahren musste. Mittlerweile sind wir aber schlauer geworden und suchen uns einen anderen Tag aus.

Das klingt sehr aufwändig. Trotzdem betreibst du „Studio Artisan“ nicht hauptberuflich, oder?

Nein, ich arbeite festangestellt und in Vollzeit als Grafikdesignerin und betreibe „Studio Artisan“ momentan nebenher – wobei das natürlich nicht einfach alles nebenher passiert. Da gehen die Wochenenden und viele Abende für drauf, aber es macht mir sehr viel Spaß. Und irgendwann soll es vielleicht mal die Vollzeittätigkeit werden, das wäre ein Traum.

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Läuft der Vertrieb deiner Teppiche nur online oder kann man sie auch in Shops kaufen?

Wir haben in der Vergangenheit einen Pop-up-Verkauf zusammen mit dem Interior-Shop „Grünblaugrau“ hier in Köln gemacht und ich habe auf einem Designmarkt verkauft. Aber es funktioniert nicht, dass man meine Teppiche in einem Geschäft kaufen kann – dafür ist die Marge zu klein. Es ist mir wichtiger, dass das Geld woanders landet und nicht in irgendwelchen Vertriebswegen. Außerdem gehört die Geschichte dazu und mir ist es sehr wichtig, dass unser Onlineshop repräsentiert, was dahintersteckt. Das kann ich nicht mehr garantieren, wenn die Teppiche in irgendeinem Shop liegen.

Wie kommt die Idee an?

Wenn ich in direktem Kontakt bin, dann sehr gut. Die Geschichte ist es, was die Leute zu „Studio Artisan“ bringt. Mal ehrlich: Wir wissen alle, dass es Berberteppiche auch woanders zu kaufen gibt, vielleicht auch günstiger. Aber wir wollen nicht die Masse ansprechen, sondern Menschen, denen Nachhaltigkeit wichtig ist und die bereit sind, ein paar Euro mehr zu zahlen, wenn die Teppiche fair produziert werden.

Wie sind denn deine weiteren Pläne? Hast du eine Vision für „Studio Artisan“?

Ursprünglich war die Vision, dass ich auch andere Produkte aufnehmen. Eigentlich wollte ich schnell etwas neues launchen, aber ich habe gemerkt, dass die Vorarbeit extrem viel Zeit in Anspruch nimmt – und die ist auch nötig. Man muss erst einmal Vertrauen aufbauen und die richtigen Partner finden. Ich habe gemerkt, dass ich mich verzetteln würde, wenn ich noch ein Produkt und dann noch ein Produkt auf den Markt bringen würde.

Ich möchte das ja nicht mal eben raushauen, sondern bei allen neuen Ideen soll der oberste Gedanke sein, dass wir ein faires und nachhaltiges Produkt verkaufen und damit ein Handwerk unterstützen. Deshalb machen wir jetzt Babyschritte – und ich glaube, dass das der viel gesündere Weg ist.

Dann wünschen wir dir ganz viel Erfolg dabei! Vielen Dank für das spannende Interview!

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Frauen im Atlasgebirge in Marokko, die Teppiche für „Studio Artisan“ herstellen. Foto: Studio Artisan

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Alle Teppiche werden von den Frauen von Hand gemacht. Foto: Studio Artisan

 

Hier findet ihr Studio Artisan:

 

Layout: Kaja Paradiek

Ein Kommentar

  • Ilse Hoeger sagt:

    Hallo Frau Caroline,
    welch eine grossartige Idee wirklich mit den Frauen zusammenzuarbeiten ohne „schlauem “ Zwischenhändler,
    Ich liebe Marokko und auch seine Produkte, ganz besonders die Teppiche. Vor vielen Jahren habe ich mich mit Weberei beschäftigt, so als 2. Standbein neben meiner Arbeit in einer PR Agentur( Mode) und habe auch einen Abschluss gemacht. Eine sehr interessante Erfahrung. Lange her. Ich habe mich nun auf die schreibende Zunft verlegt, auch sehr spannend. Von den Marokko Reisen haben wir natürlich auch Teppiche mitgebracht. Vor vielen Jahren fanden mein Mann und ich noch einen antiken Boujaad, später dann nochmals einen Boujaad, weil ich diese besondeers attraktiv finde, dieses Mal aber etwas anders im Stil. Wenn man wieder uneingeschränkt reisen kann werde ich nochmals nach Marokko fliegen, weil ich das Land so faszinierend finde. Mein Mann war Grafik Designer in Düsseldorf und später München. Frage sind künstlerisch begabte Menschen besonders von diesem Land fasziniert?Ich lebe in Südfrankreich, sollte ich wider einmal ins Rheinland kommen, Ihr Shop würde mich sehr interessieren. Derweil studiere ich die Geschichte der Berber und die der Teppiche. Viele Grüsse Ilse Höger

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