Unerwartete Blickwinkel und Liebe zum Detail: Die Zweizimmerwohnung von Theresa Gross im Berliner Stadtteil Neukölln spiegelt ihre kreative Persönlichkeit zu 100% wider. Die 31-jährige Modestylistin hat bereits Kunden wie „Nike“, „Kenzo“ und „Louis Vuitton“ mit ihrem konträren Stilmix überzeugt. In unserem Interview verrät Theresa, wie sie die Arbeit als Stylistin für sich entdeckt hat, wann sie merkt, dass ein Look funktioniert und warum ein Auto für ihren Job unerlässlich ist.
Theresa Gross: Tief in mir wusste ich das eigentlich schon immer. Ich komme aus Bremen, was zwar keine Kleinstadt ist, aber trotzdem gab es dort keine Stylist*innen, zu denen ich hätte aufschauen können. Damals gab es auch noch kein Instagram. Deshalb hatte ich diese klassischen Berufszweige im Kopf. Ich wollte etwas mit Mode machen, also habe ich mit einem Modedesign-Studium angefangen. Es gibt so viele Berufe in der Mode, aber wenn man jung ist und keinen Zugang dazu hat, weiß man nicht, welche Möglichkeiten tatsächlich existieren. Modedesign hat allerdings mit Styling nichts zu tun. Ich weiß noch wie ich in meiner ersten Vorlesung saß und mein Dozent zu mir sagte: „Du bist keine Designerin, du bist Stylistin.“
Ich weiß noch wie ich in meiner ersten Vorlesung saß und mein Dozent zu mir sagte: „Du bist keine Designerin, du bist Stylistin.“
Damals habe ich im Laden von „Wald Berlin“ gearbeitet – mittlerweile machen die beiden Gründerinnen Schmuck – und meine Chefin war Stylistin. Ich habe ihr bei verschiedenen Musikvideos assistiert, woraufhin Leute auf mich zugekommen sind und mich gefragt haben, ob ich ihr Styling machen möchte. Eigentlich haben mich also andere Menschen dazu gebracht, hauptberuflich als Stylistin zu arbeiten.
Stil ist subjektiv, jede*r hat seinen bzw. ihren eigenen. Für mich hat Stil nicht nur mit Kleidung zu tun. Stil ist die Art und Weise, wie man sich benimmt und wie man mit anderen Menschen umgeht. Es ist ein ganzheitliches Konzept. Die Freude an schönen Klamotten und Möbeln, aber auch an Essen, Kunst und Kultur. Stil ist nicht kategorisierbar, sondern der Grundgedanke, dass man an schöngeistigen Sachen interessiert ist.
Ja, auf jeden Fall. Aber auch Ästhetik ist subjektiv. Was für mich ästhetisch ist, ist für jemand Anderen vielleicht gar nicht ästhetisch. Auch Kleidungsstil ist nicht wirklich bewertbar. Kleidung, die bestimmten Körpertypen schmeichelt, hingegen schon.
Ästhetik ist subjektiv. Was für mich ästhetisch ist, ist für jemand Anderen vielleicht gar nicht ästhetisch.
Intuitiv. Man kann das nicht lernen. Natürlich kann sich der eigene Stil über die Jahre entwickeln, abhängig von dem, was man konsumiert oder mit welchen Leuten man sich umgibt. Ich sehe manchmal Instagram Ads mit Werbung für Stylist*innen-Ausbildungen und denke mir immer, dass das völliger Bullshit ist. Wenn man als Stylistin arbeiten will, sollte man lieber damit beginnen, anderen Stylist*innen zu assistieren.
Überall: Bücher, Filme, Musik, Leute auf der Straße, Reisen. Auf Instagram natürlich auch. Ich kaufe mir immer noch viele Magazine, wie das „Pop Magazin“, „Self Service“, „i-D“ und „Interview Magazine“. Ich liebe Print.
Mich interessieren Trends nicht. Natürlich gibt es immer mal Sachen, die ich unterbewusst – gerade, weil sie auf Instagram trenden – auch cool finde. Aber im Grunde interessiert mich das nicht. Ich würde niemals beim Styling Trends berücksichtigen. Ich mache nur das, was ich gut finde.
Sicherlich werden bei Jobs manchmal Trends gefordert. Ich habe gerade eine Kampagne zum Thema Gen Z gestylt. Dabei habe ich natürlich mit dieser Thematik gespielt. Aber grundsätzlich versuche ich, nicht trendorientiert zu arbeiten, sondern solide und zeitlos, sodass es mir auch Jahre später noch gefällt.
Ich würde niemals beim Styling Trends berücksichtigen. Ich mache nur das, was ich gut finde.
Für mich ist es wichtig, dass Elemente in einem Look gemischt werden. Bei meinen Looks soll nicht alles perfekt zusammenpassen und ausgewogen sein. Ich mag es, Unerwartetes zu kombinieren. Wenn es auf den ersten Blick schon fast nicht zusammenpasst, finde ich es gut. Das ist auch der Moment, in dem ich merke, dass es richtig ist. Das hat mit verschiedenen Stilen zu tun oder mit verschiedenen Stofflichkeiten, die zusammen gemixt werden. Oder auch mit Sachen, die man eigentlich nie zusammenbringen würde, weil sie konträr sind. Dann stimmt es für meine persönliche Ästhetik.
Sehr viel über Instagram. Ich gehe allerdings auch gerne in Läden und zum Vintage-Shoppen. Ich konsumiere alles nebenbei. Es ist meine Leidenschaft, genau das zu recherchieren, weshalb ich auch während meiner Freizeit nach Kleidung und Designer*innen suche. Deshalb kann man bei meinem Beruf Freizeit und Privates nicht voneinander trennen. Ich beschäftige mich konstant mit diesem Thema. Das ist mein Traumjob.
Ich mag es, Unerwartetes zu kombinieren. Wenn es auf den ersten Blick schon fast nicht zusammenpasst, finde ich es gut.
Ich mag besonders kleine „Instagram-Brands“, die noch keine große Bekanntheit haben, aber tolle Arbeit machen. Gerade habe ich eine Knitwear-Designerin gefunden, die alles per Hand strickt. Ich habe direkt ein paar Teile bestellt. Das finde ich richtig cool. Ich hatte früher ein Poster von Andy Warhol mit der Quote: „In the future, everyone will be world-famous for 15 minutes.“ Gerade mit dieser Social-Media-Welt ist das mittlerweile die Wahrheit geworden. Alle haben die Möglichkeit auf einen Moment und ihre 15 Minuten Ruhm.
Woran wir Stylist*innen uns gerne bedienen, ist Layering. Das macht ein Outfit spannender als die Kombination aus T-Shirt und Hose. Viele verschiedene Elemente werden in einen Look gebracht. Man kann sich alles genauer ansehen und entdeckt immer etwas Neues. Kleinigkeiten und die Liebe zum Detail machen ein Outfit spannend. Viele Stylist*innen, denen ich folge, haben diese Ästhetik. So werden die Looks einzigartig.
Ich habe gerade eine Stylistin entdeckt, bei der ich schockiert bin, dass ich nicht früher auf sie gestoßen bin: Jamie-Maree Shipton alias „Air to my earth“ kommt aus London und ist für mich gerade die absolute Inspiration. Außerdem folge ich Celestine Cooney, die für „Acne Studios“ stylt, und aus Berlin Niki Pauls. Es ist schön, anderen Stylist*innen zu folgen. Man sieht deren Arbeiten und versteht, wie sie denken. Inspiration pur. Deshalb lese ich auch so viele Magazine. Man kann so viel lernen.
Man hat mit so vielen Menschen zu tun. Leute einzukleiden ist etwas sehr Persönliches.
Sehr viel. Das ist die Grundlage, auf der ich arbeite. Natürlich versetze ich mich auch in andere, aber ich versuche immer, Sachen zu machen, die ich selbst tragen würde.
Allerdings wird einem oft in den Job reingeredet. Das war am Anfang schwierig für mich, weil es einfach deprimierend ist. Ich habe mich nicht richtig gesehen gefühlt, was mich sogar traurig gemacht hat. Aber nach und nach habe ich das akzeptiert. Trotzdem ist es teilweise immer noch ein bisschen frustrierend. Das muss ich ehrlich gestehen. Es gibt Momente, in denen ich mich frage, warum Kund*innen mich gebucht haben, wenn sie am Ende doch nur wieder T-Shirt und Jeans wollen. Man darf natürlich aber auch nicht vergessen, dass der Großteil der Stylings für den Mainstream gemacht wird.
In Berlin? Ein Auto. Das ist die Grundvoraussetzung. Ich habe teilweise an einem Tag in jedem Stadtteil Berlins Termine. Früher bin ich viel Fahrrad gefahren, bepackt mit „Ikea“-Tüten. Wenn ich den ganzen Tag unterwegs war, bin ich abends schweißgebadet mit Tüten beladen zu Hause angekommen. Irgendwann habe ich eingesehen, dass es mit dem Auto einfacher ist.
Organisation ist auch wichtig. Anders geht es nicht. Man muss sich seine Zeit gut einteilen und gut vernetzt sein. Unerlässlich ist auch, dass man sozial ist. Man hat mit so vielen Menschen zu tun. Leute einzukleiden ist etwas sehr Persönliches. Jede*r lässt sich gerne einkleiden und ist auch offen für neue Ideen, wenn man eine Connection mit der Stylist*in hat. Man muss sich also sozial an verschiedene Situationen anpassen können. Das ist das Allerwichtigste.
Layout: Kaja Paradiek