Die Sonne scheint durch die Fenster der Berliner Altbauwohnung, als Vreni Frost uns in ihr buntes Wohnzimmer einlädt, wo ihre Katzen Flip, Willi und Suri sorgenfrei auf dem Boden fläzen. Genauso wie ihre Katzen strahlt auch Vreni, die vor mehr als zehn Jahren eines der ersten Modeblogs Deutschlands gegründet hat, eine unbestechliche Ruhe aus.
Mittlerweile hat sie sich aus der Influencer-Bubble zurückgezogen, doch ihre To-Do-Liste ist noch immer lang, sehr lang. Sie moderiert Podcasts und Panel Talks, schreibt Bücher, malt und gibt auf „Instagram“ sehr intime Einblicke in ihr Leben mit Borderline. Darüber, über ihre Leidenschaft für so viele unterschiedliche Themen und ihre eigenen Grenzen hat die 40-Jährige mit uns gesprochen.
Vreni Frost: Ich lebe hier mit meinen drei Katzen Flip, Willi, Suri und seit einem Jahr wohnt auch Ivanna aus der Ukraine hier mit mir. Vielleicht kommt sie später auch noch dazu.
Oft gar nicht. Vor Kurzem saß ich in meiner Küche und habe vor Erschöpfung geweint, weil ich so überfordert war. Morgens habe ich einen Panel Talk moderiert, dann musste ich mein neues Buch fertig schreiben und auch privat habe ich gerade ziemlich viel zu verarbeiten.
Meine Assistentin und eine Freundin haben mir dann geholfen, alles auf die Reihe zu bekommen. Meistens nehme ich mir zu viel vor. Deshalb muss ich manchmal auch kurzfristig Events absagen. Das fühlt sich schlecht an, aber ich will immer bei allem dabei sein. Nicht weil ich Fomo habe, sondern weil ich alles was ich mache, so geil finde. Ich freue mich total aufs Malen, wenn das Buch abgegeben ist, aber genauso viel Bock habe ich auf die Frauen*- und Gesundheitsthemen.
Ich kann sehr gut Prioritäten setzen, würde aber gerne lernen, meine Grenzen besser einzuschätzen. Das ist für mich schon eine jahrelange Aufgabe. Mich zu erinnern: Vreni Frost, organisier dich! Das hilft nämlich auch deiner Mental Health.
Geil, oder? Es hat mir einfach keinen Spaß mehr gemacht. Als ich angefangen habe, waren wir noch unter uns. Es waren nicht 100.000, sondern vielleicht 50 Influencer*innen. Man kannte sich. Dann hatte ich ja diesen Schleichwerbungsprozess, den ich öffentlich gemacht habe, weil ich es so unfair fand. Aber auch die ganze Medienaufmerksamkeit, die ich ja wollte, hat mich irgendwann komplett überfordert. Dass dich auf einmal Menschen beurteilen, die dich gar nicht kennen. Das war hart auszuhalten.
Früher habe ich 90 Prozent meiner Einkünfte durch das Blog und „Instagram“ erzielt, jetzt sind es vielleicht noch 10 Prozent.
Früher habe ich 90 Prozent meiner Einkünfte durch das Blog und „Instagram“ erzielt, jetzt sind es vielleicht noch 10 Prozent. Das meiste verdiene ich mit meinen Moderationen, Podcasts und indem ich Unternehmen berate. Zum Beispiel bin ich dieses Jahr Botschafterin für „Entschieden gegen Krebs“. Seitdem ich nicht mehr davon leben muss, macht mir „Instagram“ auch wieder Spaß. Es interessiert mich nicht mehr, wie viele Likes irgendwer bekommt.
Indem man sich frei macht von Konventionen. Ständig sagen dir Leute, dass du nicht mit Geld umgehen kannst. Und es stimmt: Ich konnte mit meinem Geld nicht umgehen. Im Studium bin ich knapp einem Schufa-Eintrag von der Schippe gesprungen – bis ich durch meine Selbstständigkeit auf das Thema Geld gekommen bin und zum ersten Mal mit meinem Vater meine Steuererklärung gemacht habe. Das war furchtbar, aber erst damals habe ich begriffen, wie viel mir nach der Steuer eigentlich übrigbleibt, was ich zahlen muss. Das hat mich angefixt.
Total. Mit Mitte 30 habe ich mehr verdient, war das erste Mal dauerhaft raus aus dem Minus und habe angefangen, mich mit Geld zu beschäftigen. Natürlich könnte man jetzt sagen, dass es zu spät war. Aber genau das ist Coin Stress: Es ist jetzt halt so. Genau dasselbe, wenn du sagst: „Ich würde mich gerne mit Geld beschäftigen, aber ich habe gar keins!“. Dann mach dir keinen Stress. Guck erst mal, was dein Status quo ist und welche Mittel dir zur Verfügung stehen. Ganz viele haben dasselbe Problem wie ich. Sie müssen erst mal dauerhaft raus dem Minus. Deswegen habe ich dem Thema ein ganzes Kapitel in meinem Buch gewidmet.
Ganz viele haben dasselbe Problem wie ich. Sie müssen erst mal dauerhaft raus dem Minus.
Frauen* machen sich oft noch immer zu abhängig von ihren Partner*innen und das führt im Endeffekt zu Altersarmut, obwohl sie jahrelang Care Arbeit geleistet haben. Ich finde, wenn in einer Partnerschaft einer zuhause bleibt, sollte man sich ein Modell überlegen, damit die Frau* einen Teil vom Gehalt der arbeitenden Partei bekommt. Das klingt mega unromantisch, aber das verdienst du. Und: Der oder die Partner*in sollte für dich eine Altersvorsorge bezahlen.
Keine Familienaltersvorsorge, sondern was Eigenes. Was viele auch nicht klären, ist, was passiert, wenn man sich trennt. Sie denken, das kriegt man schon hin, weil ihr euch jetzt gut versteht. Die Statistik sagt was ganz Anderes: Ihr trennt euch und dann redet ihr nicht mehr miteinander. Das sind Themen, mit denen man sich nicht beschäftigen will, die in einer Partnerschaft aber unbedingt geregelt sein sollten.
Ich habe meinen Notgroschen auf der Bank, den ich immer wieder auffülle, wenn ich ihn angerührt habe.
Ich habe meinen Notgroschen auf der Bank, den ich immer wieder auffülle, wenn ich ihn angerührt habe. Dann habe ich verschiedene ETFs und Aktien-Sparpläne. Ich habe einfach geschaut, bei welchen Unternehmen ich denke, dass sie in Zukunft erfolgreich sein werden.
Deshalb habe ich mir vor einem halben Jahr „Crocs“-Aktien gekauft. Die sind, seit ich sie habe, um 140 Prozent gestiegen. Alles andere fällt in den Keller, aber „Crocs“ steigen. Mit dem, was ich in den letzten Monaten verdient habe, habe ich meine „Balenciaga-Crocs“ wieder drin. Außerdem sammle ich Kunst, ich habe mir eine Eigentumswohnung gekauft und ich habe eine private Altersvorsorge.
Das Wichtigste ist, sich breit aufzustellen. Es ist nie zu spät, etwas an seiner persönlichen Situation zu verändern.
Das Wichtigste ist, sich breit aufzustellen. Es ist nie zu spät, etwas an seiner persönlichen Situation zu verändern. Man kann im Rentenalter vielleicht keine Millionen mehr verdienen, aber darum soll es in meinem Buch auch gar nicht gehen. Reichtum kann etwas ganz Anderes sein.
Mir geht es darum, eine Zufriedenheit und Freiheit durch Geld zu erreichen. Dafür hat jede*r ganz andere Voraussetzungen und Vorstellungen. Ich haue mein ganzes Geld in die Wohnung, andere lieben Autos und andere sparen einfach gerne. Ich muss nicht reich werden, sondern finde mich schon total reich. Alles, was ich habe, ist großartig, und ich hätte nie gedacht, dass ich mal so lebe und mir das leisten kann.
Ivanna: Ich komme eigentlich aus Kiew und bin letztes Jahr mit einer Freundin nach Berlin gekommen. Wir wollten eigentlich nur zwei Tage bei Vreni bleiben und hatten keinen Plan für danach. Vreni meinte: Ihr könnt auch für eine Woche bleiben. Einen Monat. Ein halbes Jahr.
Mittlerweile bin ich seit einem Jahr hier. Wir wissen nicht, wie lange ich bleiben werde. Aber wir lieben es, zusammen zu wohnen und sind ein eingespieltes Team.
Vreni: Ivanna und ich haben uns auf Anhieb gut verstanden, ich habe Platz und es ist Krieg. Es ist völlig unnötig, dass sie auszieht, wenn sie bleiben möchte. Da kann ich mein Privileg, alleine in einer so großen Wohnung zu leben, mal ausnutzen. Bevor Ivanna hier war, habe ich nie gefrühstückt. Jetzt bereitet Ivanna Frühstück vor und ich liebe es. In der Ukraine isst man auch viele Salate in der Früh. Manchmal erinnert mich Ivanna in ihren Reaktionen oder Blicken an eine junge Vreni.
Ivanna und ich haben uns auf Anhieb gut verstanden, ich habe Platz und es ist Krieg.
Vreni: Am Anfang war es hart für Ivanna. Ich bin etwas chaotisch und liebe es, Dinge umzustellen. Diese Veränderungen waren etwas schwer.
Ivanna: Normalerweise mag ich es gerne, wenn mein Zimmer super leer und minimalistisch ist, aber jetzt stelle ich es mit immer mehr Dingen aus Vrenis Wohnung voll. Besonders schön war aber, dass du mich immer mit einem „Willkommen Zuhause“ begrüßt hast, wenn ich wieder in die Wohnung kam. Das hat mir sehr geholfen, mich einzuleben.
Vreni: Ich wollte immer, dass Ivanna das Gefühl hat, nach Hause zu kommen und nicht komplett lost zu sein. Man kann sich nicht vorstellen, was die Menschen aus der Ukraine gerade durchmachen, was sie mit sich rumschleppen. Als Mensch mit Depressionen und mentalen Erkrankungen weiß ich, wie wichtig ein Zuhause ist. Ich hätte nicht gedacht, dass ich mal wieder in einer WG wohnen werde.
Das Buch soll eigentlich „Coin Stress“ für den weiblichen Körper sein; ein liebevoller Rundschlag zum Thema Frauen*gesundheit. Wir beschäftigen uns mit der Vagina, unseren Brüsten, Menstruation und den wichtigsten Erkrankungen bei Frauen. Genau wie im Podcast lassen wir unsere Community zu Wort kommen. Zum Beispiel beim Kapitel über Mutterschaft. Das habe ich geschrieben, aber weil ich selbst keine Mutter bin und auch keine sein möchte, ist es besonders schön, dass sich so viele Frauen* öffnen und anderen zeigen, dass sie mit ihren Themen nicht alleine sind.
Frauen sollen fuckable, schön und eine gute Mutter sein. Entsprechen sie dieser Norm nicht, sollen sie am besten unsichtbar sein.
Frauen sollen fuckable, schön und eine gute Mutter sein. Entsprechen sie dieser Norm nicht, sollen sie am besten unsichtbar sein. Das betrifft auch das Körperliche. Man muss nicht besprechen, was nicht fuckable ist, weil das ist ja eklig. Menstruation – wäh. Blut – pfui. Da müssen wir von weg, weil es ist völlig normal.
Ich hatte letztes Jahr einen Ausschlag von einer Schmerzsalbe und habe ein Bild davon gepostet. Daraufhin schrieb mir eine Frau, ich hätte ruhig eine Triggerwarnung vor das Bild setzen können. Das hat mich wahnsinnig wütend gemacht. Sollen Leute mit Neurodermitis oder Akne das auch machen? Es gibt keine Triggerwarnung für etwas, das kein Trauma ist. Nichts, was unseren Körper betrifft, sollte mit Scham oder Ekel verbunden sein. Mittlerweile reden wir im Podcast über alles – von A wie Analfissur bis Z wie Zervixschleim.
Es gibt Themen, mit denen wir persönliche Verknüpfungen haben und über die wir nicht im Podcast sprechen wollen, weil wir noch nicht bereit sind. Wir wollen mit unseren Gesprächen Leute bestärken und kein Mitleid. Deshalb versuche ich zum Beispiel auch in meinen depressiven Phasen nicht zu viel darüber zu erzählen. Ich spreche lieber darüber, wenn ich sie wieder überwunden habe und anderen Mut machen kann.
Es war krass, sich zu öffnen, aber es kam ganz natürlich. Je mehr wir uns bewusst machen, dass wir alle von bestimmten Themen betroffen sind und man sich nicht verstecken muss, desto mehr hilft es uns im Alltag liebevoller miteinander umzugehen. Besonders während Corona hat die mentale Gesundheit von viele gelitten.
Einmal saß ein Freund in meinem Wohnzimmer – Single, keine Haustiere, eigene Wohnung – und meinte: Mich hat seit Monaten keiner mehr in den Arm genommen. Das ist hart für die Psyche. Man braucht acht Umarmungen am Tag, um gesund zu bleiben. Ivanna und ich machen deshalb, seitdem sie hier ist, morgens immer den „first hug of the day“.
Je mehr wir uns bewusst machen, dass wir alle von bestimmten Themen betroffen sind und man sich nicht verstecken muss, desto mehr hilft es uns im Alltag liebevoller miteinander umzugehen.
Eigentlich wusste ich seitdem ich 16 bin, dass ich Borderline habe. Aber ich habe mich nie getraut, dass bei meinen Psycholog*innen oder Psychiater*innen anzusprechen. Ich hatte ja schon eine Diagnose und manchmal denkt man nicht daran, dass da ganz viel dranhängt.
Das ist das blöde bei psychischen Erkrankungen, meistens kommt eine nicht alleine. Ich habe auch eine Panikstörung, die ich durch Medikamente mittlerweile super im Griff habe. Würde ich sie nicht nehmen, wäre ich aber komplett ausgeknockt, ich wäre nicht lebensfähig. So schlimm war es das letzte Mal 2019, als ich wieder mal versucht habe, meine Medikamente nach zwei Jahren auszuschleichen.
Man denkt ja, es geht einem gut und ich brauche die nicht mehr. Ich war wie gelähmt vor Panik, konnte nicht alleine aufs Klo gehen, weil ich Angst hatte, auf dem Weg umzufallen. Mittlerweile bin ich fein damit, sie mein Leben lang nehmen zu müssen. So viele Menschen nehmen jeden Tag Tabletten und meine helfen mir, ein gutes Leben zu führen. Endlich die Diagnose zu bekommen, hat viel ausgemacht. Ich habe endlich verstanden, woher die emotionalen Ausbrüche kamen.
Meine Psychologin hat mich dann für ein Jahr zu einer Gruppentherapie für Borderliner*innen geschickt und seitdem sage ich: Ich bin quasi geheilt, weil ich noch mal so viel über mich gelernt habe. Ich kann meine Gefühlsausbrüche besser einschätzen und ich fahre mittlerweile auf sehr ruhigem Gewässer. Ich hätte nie gedacht, dass ich das schaffe.
Heute stehe ich an einem Punkt in meinem Leben, an dem ich echt stolz bin auf mich, weil ich ein Leben führe, dass ich mir nie so ausgemalt hätte. Ich hätte nie gedacht, dass ich mal so in mir ruhen würde und mich traue, wichtige Entscheidungen zu treffen, die mich in meinem Leben voranbringen. Ich hoffe einfach, dass ich weiter in dieser bunten Welt wohnen darf, mit einem unfassbaren tollen, kleinen Kreis an Lieblingsmenschen, ich meinen Lebensstandard halten kann und weiter so viele tolle beruflichen Projekten umsetzen kann. Das ist so viel wert.