Deutschland um 1980: Wie die 80er-Jahre uns heute noch prägen

25. Oktober 2024
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Das Hamburger „Altonaer Museum“ präsentiert derzeit die fesselnde Ausstellung „Deutschland um 1980 – Fotografien aus einem fernen Land“. Im Zuge dieser Ausstellung haben wir mit Dr. Fabian Ludovico, dem Fachbereichsleiter für Ausstellungen, und Lisa Miller, der wissenschaftlichen Volontärin des Museums, über die prägenden politischen Umbrüche dieser Zeit gesprochen.

Gemeinsam werfen wir einen Blick auf die gesellschaftlichen Veränderungen, die das Land in den 1980er-Jahren nachhaltig beeinflussten, und reflektieren, wie relevant die Themen für unsere heutige Zeit immer noch sind.

femtastics: Welche Ereignisse und Umbrüche haben die 1980er-Jahre besonders geprägt?

Dr. Fabian Ludovico: Unsere Ausstellung geht über die 1980er-Jahre hinaus und beleuchtet eigentlich die Zeit „um 1980“. Viele der prägenden Ereignisse dieser Ära haben schon vor 1980 begonnen, weshalb wir uns auf den Zeitraum von etwa 1975 bis 1985 konzentrieren. In dieser Phase entstanden bedeutende gesellschaftliche Bewegungen, wie die Bürgerrechts- und Protestbewegungen, die Friedensbewegung sowie die Umwelt- und Anti-Atomkraftbewegungen. Ihren Ursprung haben diese tatsächlich schon früher, aber sie erstarken in dieser Zeit und organisieren sich stärker.

Diese Entwicklungen wurden stark von den gesellschaftlichen Umbrüchen der 68er-Bewegung beeinflusst, die in den 70ern nachwirkten und bis in die 80er-Jahre hinein strahlten. Besonders bemerkenswert ist, dass diese Zeit relativ nah an unserer Gegenwart liegt: Viele Menschen haben sie selbst erlebt oder kennen sie aus den Erzählungen ihrer Eltern oder Großeltern, was eine persönliche Verbindung schafft.

In dieser Phase entstanden bedeutende gesellschaftliche Bewegungen, wie die Bürgerrechts- und Protestbewegungen, die Friedensbewegung sowie die Umwelt- und Anti-Atomkraftbewegungen.

Fotos aus der Ausstellung „Deutschland um 1980“: Barbara Klemm (Wolf Biermann, Konzert vor Ausbürgerung aus der DDR, Köln, 13. November 1976, Stiftung F.C. Gundlach Hamburg; Bruderkuss – Leonid Breschnew und Erich Honecker beim 30. Jahrestag der DDR, Ost-Berlin, 1979, Stiftung F.C. Gundlach; Helmut Kohl nach seiner Vereidigung, Bonn, 1982, Stiftung F.C. Gundlach Hamburg)

Welche gesellschaftlichen und politischen Themen sind in der Ausstellung besonders sichtbar?

Ein zentrales Thema ist der „Deutsche Herbst“ und die Frage des Terrorismus in den 1970er-Jahren, insbesondere im Zusammenhang mit der “RAF”. Diese Ereignisse hatten massive politische Auswirkungen, auf die auch wieder politisch reagiert wurde.

Ein weiterer einschneidender Moment war die Wahl von Helmut Kohl zum Bundeskanzler, der mit seiner „geistig moralischen Wende“ einen politisch konservativen Kurs einschlug. Diese konservative Strömung war nicht nur national spürbar, sondern auch international, etwa durch die Wahl Ronald Reagans in den USA und Margaret Thatchers in Großbritannien. Beide setzten auf wirtschaftliche Liberalisierung und vertraten gleichzeitig traditionelle gesellschaftliche Werte, was 1980 weltweit eine große Rolle spielte.

Fotos: Angela Neuke (ohne Titel, aus der Serie McDonalds 1980, LVR-LandesMuseum Bonn), Christian von Alvensleben (Neue Deutsche Welle, Extrabreit, 1983, Stiftung F.C. Gundlach Hamburg), Gerd Danigel (Zwei Punker, Erlöserkirche Berlin-Lichtenberg, 1983, Deutsche Fotothek Dresden)

Wie sieht es mit den Schwerpunkten Genderrollen oder sozialen Bewegungen aus?

Die Frauenemanzipation hat in dieser Zeit großen Aufschwung erlebt. Leider ist dieses Thema in unserer Ausstellung nicht so stark vertreten wie wir es uns gewünscht hätten. Ähnlich verhält es sich mit der Anzahl der Fotografinnen – wir zeigen nur zwei. Damit sind wir unserem eigenen Anspruch nicht ganz gerecht geworden. Das lag nicht daran, dass es keine Fotografinnen gab, sondern daran, dass ihre Arbeiten oft nicht in Archiven oder Sammlungen aufgenommen wurden und somit nicht Teil des Kanons wurden.

Dieses Problem zieht sich durch viele Bereiche der Museen, nicht nur in der Fotografie, sondern auch bei Künstlerinnen oder Grafikerinnen. Unser Ziel war es, mehr Vielfalt zu zeigen, aber die Realität hat uns da Grenzen gesetzt. Wir haben versucht, das auszugleichen, indem wir uns auf Themen abseits des Mainstreams konzentriert haben, um eine breitere Perspektive auf diese Zeit zu bieten.

Warum hat das „Altonaer Museum“ beschlossen, diese Ausstellung zu zeigen?

Die Ausstellung ist tatsächlich eine Übernahme – sie wurde bereits 2022 im LVR-Landesmuseum in Bonn unter demselben Titel gezeigt. Schon damals war die “Stiftung F.C. Gundlach” beteiligt, mit der wir bereits mehrere Projekte realisiert haben. Es war schnell klar, dass wir die Ausstellung übernehmen wollten, aber uns war wichtig, sie für unser Haus und für Hamburg anzupassen. Daher haben wir den ursprünglichen sieben Fotograf*innen drei weitere hinzugefügt, die speziell Hamburger Themen aufgreifen oder die Perspektive von Hamburger Fotograf*innen darstellen, um die lokale Verankerung zu stärken. So können wir auch einen kulturhistorischen Blick auf die Dinge werfen. Mit den drei zusätzlichen Fotograf*innen haben wir versucht, Themen zu vertiefen, die gut zu unserem Haus passen. Ich finde, das ist uns gelungen.

Gibt es eine spezifisch weibliche Perspektive in den ausgestellten Fotografien?

Lisa Miller: Ich finde nicht unbedingt, dass es eine klar erkennbare weibliche Perspektive gibt. Es zeigt eher, wie schade es ist, dass so wenige Fotografinnen in die Archive aufgenommen wurden, obwohl ihre Arbeit genauso wichtig und dokumentarisch wertvoll ist wie die ihrer männlichen Kollegen. Es mag Positionen geben, bei denen eine geschlechtsspezifische Sichtweise erkennbar ist, aber bei den beiden gezeigten Fotografinnen sehe ich das nicht zwingend. Beide haben ikonische Fotos geschaffen, die wir heute noch kennen, und ihre Bildsprachen sind von sich aus schon extrem individuell.

Dr. Fabian Ludovico: Ich denke auch, dass die Fotos so individuell sind, dass man kaum unterscheiden kann, ob es eine weibliche oder männliche Sichtweise ist.

Fotos: Martin Langer (Chaostage Hannover, 1984, Deutsche Fotothek Dresden), Mahmoud Dabdoub (Karl-Marx-Platz, Leipzig, 1985, Deutsche Fotothek Dresden), Gerd Danigel (Zwei Punker, Erlöserkirche Berlin-Lichtenberg, 1983, Deutsche Fotothek Dresden)

Subkulturen waren ein großer Teil der Zeit – Jugendgangs, die Punk-Bewegung. Da ist unglaublich viel passiert und viele Grenzen wurden aufgebrochen.

Welche Entwicklung aus den 1980er-Jahren findet ihr persönlich besonders spannend?

Lisa Miller: Ich habe eine große Vorliebe für die Goth- und Punk-Bewegung und allgemein für Jugendbewegungen. Diese Subkulturen waren ein großer Teil der Zeit – Jugendgangs, die Punk-Bewegung – und ein Teil von mir wünscht sich, das selbst miterlebt zu haben. Da ist unglaublich viel passiert und viele Grenzen wurden aufgebrochen. Gleichzeitig finde ich das Thema rund um die „RAF“ spannend, besonders in Bezug auf die deutsche Erinnerungskultur, die ja auch heute noch sehr relevant ist. Die Frage, wie wir mit unserer deutschen Vergangenheit umgehen, bleibt super wichtig.

Dr. Fabian Ludovico: Aus persönlichem Interesse ziehen mich eher die ästhetischen Themen an. Deshalb war es mir wichtig, dass wir Mode und Design in die Ausstellung aufnehmen. Ich habe mich viel mit der Postmoderne beschäftigt und damit, was diese Zeit von der Nachkriegsmoderne unterscheidet. Viele dieser Themen sind heute wieder sehr aktuell. Interessant ist, wie oft man sich irrt, wenn man versucht, die Dinge zeitlich einzuordnen.

Einige Werke, wie die von von Alvensleben aus den 70ern, wirken ästhetisch viel älter, während andere sehr zeitnah wirken. Unser Bild der Vergangenheit ist oft verzerrt – ich bin manchmal überzeugt, dass TV-Ausschnitte aus den frühen 90ern aus den 80ern stammen, weil sie jünger aussehen. Diese Jahrzehntgrenzen sind letztlich ziemlich willkürlich.

Fotos: Christian von Alvensleben (Neue Deutsche Welle, Peter Schilling, 1983, Stiftung F.C. Gundlach Hamburg) , Ingolf Thiel (ohne Titel, aus der Serie Modedesign, 1982, Deutsche Fotothek Dresden), Christian von Alvensleben (Claudia Skoda im Brunnen mit Lederjacke von Dieter Spieß, 1976, Stiftung F.C. Gundlach Hamburg)

Wenn ihr eine Zeitreise in die 1980er machen könntet, was würdet ihr dort gerne erleben?

Lisa Miller: Ich finde das Thema Technik und das Aufkommen von Computern sowie die erste E-Mail unglaublich spannend. Dieser ganze Optimismus und die Euphorie gegenüber neuen Technologien fasziniert mich. Ich hätte diesen Technik-Optimismus gerne miterlebt – die Möglichkeit, aktiv mitzugestalten und zu beeinflussen, wohin sich alles entwickelt, das wäre ein Zeitsprung, den ich gerne gemacht hätte.

Und natürlich auch die sozialen Bewegungen und Friedensbewegungen: Mit Hunderttausenden Menschen in Bonn zusammenzukommen, um etwas zu bewirken, muss eine unglaubliche Erfahrung gewesen sein. Solche Momente gibt es heute nicht mehr so oft. Ich glaube, auch das war Teil dieses Optimismus, der in den Friedens- und feministischen Bewegungen so viel Kraft hatte.

Dr. Fabian Ludovico: Eine Kollegin von uns erzählte mal, wie wütend sie damals war – und wie sehr diese Wut sie angetrieben hat. Sie vermisst das manchmal, weil sie dieses starke Gefühl heute nicht mehr so oft sieht.

Eine Zeitreise in die Technik-Welt muss ich persönlich nicht unbedingt machen, aber ich wäre wahnsinnig gerne bei den Modenschauen dieser Zeit dabei gewesen. Das stelle ich mir richtig cool vor, ich hätte sicher eine tolle Zeit gehabt!

Vielen Dank für das Gespräch!

Bis zum 3. März 2025 kann man in der Ausstellung „Deutschland um 1980“ im Hamburger „Altonaer Museum“ die beeindruckenden Fotografien und bewegenden Geschichten der Fotograf*innen entdecken und geht auf Zeitreise in eine aufregende, nostalgische und emotionale Zeit, die zum Nachdenken anregt und Erinnerungen weckt. Ein Besuch lohnt sich!



– Werbung: In Zusammenarbeit mit der „Stiftung Historische Museen Hamburg“ – 

Aufmacher-Foto: Martin Langer, Chaostage Hannover, 1984, Deutsche Fotothek Dresden

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