Franziska Kronfoth und Julia Lwowski machen Oper anders machen – mit allen Formen der Kunst, von Orchester bis Video, interaktiv und überraschend. Zusammen betreiben die beiden das Lwowski Kronfoth Musiktheaterkollektiv, eine Gruppe von Kreativen, die sich in Berlin gefunden hat. In den Räumen der Berliner Galerina Steiner entwickelten sie ihren Stil, der so anders ist als Oper wie die meisten Menschen sie kennen. Wir treffen Franziska und Julia während der Proben für ihr neues Stück „Orpheus“ in der Hamburger opera stabile.
Femtastics: Für alle, die nicht so vertraut mit der griechischen Mythologie sind: Worum geht es bei der Geschichte Orpheus in euren Worten?
Franziska Kronfoth: Der Mythos hat mehrere Teile und der erste Teil ist der bekanntere. Es geht um das Liebespaar Orpheus und Eurydice. Als Eurydice von einer Schlange gebissen wird und stirbt, reist Orpheus in die Unterwelt, um sie zurückzuholen. Er schafft es zunächst, weil er so gut singen kann. Aber er macht einen Fehler und kehrt ohne seine Geliebte zurück ins Leben. Dort geht der Mythos weiter.
Julia Lwowski: Wir haben unseren Sängern erzählt: Weil Orpheus so verzweifelt war, hat er schrecklich rumkrakelt, er hat so schlimm gesungen und geschrien, dass er die ganze Welt ins Ungleichgewicht gebracht hat.
Was hat euch an dem Stück fasziniert?
Franziska: Der wichtigste Zugang ist das Wandern zwischen der Welt der Lebenden und der Welt der Toten, was für uns symbolisch zu verstehen ist. Wir leben heute in einer Zeit, in der der Tod keinen Platz mehr hat und das Leben in Unendlichkeit verlängert werden soll. Wir glauben aber, dass der Tod der Grenzüberschritt in eine andere Welt ist.
Die Orpheus-Geschichte steht für die Idee, dass man versucht, in seinem Leben zu sterben, um sich zu erneuern.
Julia: Die Orpheus-Geschichte steht für die Idee, dass man versucht, in seinem Leben zu sterben, um sich zu erneuern. Bei uns geht es um die Metapher des Todes.
Das ist euer zentrales Thema?
Julia: Außerdem geht es um die Kunst als Waffe. Orpheus setzt seine Stimme als Waffe ein, weil er so toll singen kann. Wir wollen uns darauf zurückbesinnen, dass Kunst tatsächlich etwas bewegen kann. Wir versuchen mit unserem Stück zu zeigen, dass Kunst dazu mehr als fähig ist und mehr denn je als Mittel dienen kann, Denkweisen zu verändern und Grenzen aufzulösen. Kunst kann Menschen näher zusammenbringen.
Wir verlangen dem Zuschauer Einiges ab – vor allem Offenheit.
Was erwartet den Zuschauer?
Julia: Richtig viel. Es erwartet den Zuschauer richtig richtig viel. Darauf sollte man vorbereitet sein. Wir verlangen dem Zuschauer Einiges ab – vor allem eine Offenheit für viele Bilder, für Videos, tolle Kostüme und ein dezentrales Bühnenbild, das den ganzen Raum einnimmt, für eine sehr detaillierte Interpretation und dafür, dass alle Zuschauer involviert werden. Die Zuschauer sind Teil des Geschehens. Die Grenze zwischen Zuschauer und Darsteller, zwischen Kunst und Kunstbetrachtung schaffen wir soweit es geht ab. Wenn man es negativ ausdrücken will, ist es eine Art Überforderung. Aber es ist auch eine Explosion von Bildern und Oper.
Unsere Inszenierung verführt dazu, sich auf Oper einzulassen, auch wenn man sonst keine Oper mag. Die Oper ist bei uns ganz nah dran und lebendig.
Denkt ihr, dass ihr das Publikum, das eher klassische Oper kennt, überfordern werdet?
Franziska: Ich denke, unser Stück kann für alle Arten von Publikum gleichermaßen wirken. Wenn man mit dem klassischen Stoff vertraut ist und ein gewisses Hintergrundwissen hat, dann kann einem das nur helfen. Aber das Stück ist immer auch ohne Hintergrundwissen lesbar. Ohne Kenntnis von Oper. Und unsere Inszenierung verführt dazu, sich auf Oper einzulassen, auch wenn man sonst keine Oper mag. Die Oper ist bei uns ganz nah dran und lebendig. Alles ist auf Dialog ausgelegt.
Wie habt ihr diesen Stil entwickelt?
Julia: Er entstand dadurch, dass wir, als wir angefangen haben zusammen zu arbeiten, in einem geschlossenen Raum arbeiten konnten.
Franziska: Wie in einem Labor. Wir konnten in einer Galerie in Berlin, der Galerina Steiner, unabhängig von allen möglichen Theaterauflagen arbeiten und unsere Sprache entwickeln. Die Stücke kamen immer im Moment der Aufführung zusammen, als das Publikum und die Darsteller ganz dicht zusammen waren. Man kam gar nicht umhin, das Publikum zu involvieren.
Julia: Die Galerie war ein Raum, der nur 40 bis 50 Quadratmeter groß war und die Zuschauer standen mit den Darstellern zusammen. So hat sich dieser Stil zwangsläufig ergeben. Was für uns jetzt selbstverständlich ist, ist für die Sänger zum Teil ganz neu.
Wie habt ihr euch gefunden?
Julia: Franzi und ich haben schon zusammen studiert, an der Hanns Eisler Musikhochschule in Berlin. Ich habe damals die Galeristen der Galerina Steiner kennengelernt. Sie haben uns angeboten, dass wir ihre Galerieräume nutzen können, um da Oper zu machen. Wir haben gesagt: Na gut, machen wir! Es war erschwertes Arbeiten, weil die Galerie in einem unbearbeiteten Keller liegt. Es hat einerseits den Charme des Berliner Undergrounds, aber es ist nicht hipsteresque. Das wollten wir auch nie. Wir wollten experimentelles Musiktheater machen. Alle Formen der Kunst sind bei uns erlaubt, das ist die Religion von Franzi und mir.
Franziska: Es ist toll, dass wir die Galerie hatten, um das auszuleben und uns frei zu entfalten. In einem normalen Stadttheater wäre das nicht möglich gewesen.
Und wie ist euer Kollektiv entstanden?
Franziska: Wir haben beide immer Künstler mitgebracht, mit denen wir zusammengearbeitet haben. So ist das Kollektiv gewachsen. Da sind Bühnenbildner dabei, Videokünstler, Musiker, Opernsänger, Schauspieler, … Es ist schön, langfristig mit Gleichgesinnten an einer Theatersprache zu arbeiten.
Julia: Es hat sich eine kleine Familie gebildet.
Zu der gehören auch viele Frauen. Habt ihr noch den Eindruck, dass es wenig weibliche Regisseure gibt?
Julia: Das hat sich geändert. Als wir studiert haben, waren im Studiengang fast nur Frauen.
Franziska: Aber was man sieht, ist, dass die Männer schneller und leichter ihren Weg gehen.
Julia: Das ist etwas Anderes (lacht).
Woran liegt das?
Julia: Woran liegt das, verdammte Kacke? Das ist ein bisschen frustrierend, das Thema. Aber wir wollen nicht jammern, sondern daran arbeiten, das zu ändern.
Wie?
Julia: Bei uns spielt zum Beispiel eine Frau den Orpheus. Wir möchten damit zeigen: Die Kunst gehört nicht dem Mann. Bei uns sagt die Figur: „Ich bin die eifersüchtige, blöde Königin und nach dem ersten Akt abgespielt! Was soll das? Ich gehe jetzt einfach mit in den zweiten Akt und spiele in der Hölle den Orpheus!“ Das Publikum soll sich fragen: Warum spielt ein Mann die Hauptrolle? Muss das heute auch noch so sein? Warum inszenieren zwei Frauen das Stück, aber auf der Bühne stehen fünf Männer und ein Mann spielt die Hauptrolle des krassen Künstlers? Das sind Fragen, die man nicht ignorieren kann.
Uns ist total wichtig, Frauenfiguren mit einer Selbstverständlichkeit anders zu zeigen als es Tradition ist.
Franziska: Uns ist total wichtig, diese Frauenfiguren mit einer Selbstverständlichkeit anders zu zeigen als es Tradition ist. Dass man ihnen ein intellektuelles Bewusstsein zuspricht, dass man sie fernab von Eifersuchtsklischees und Hysterie zeigt.
Julia: Dass man sie mündig macht.
Also muss vorhandener Stoff für die heutige Zeit öfters umgeschrieben werden?
Franziska: Ich denke, man muss bestimmte Aspekte betonen und andere absichtlich weglassen. Wir haben zum Beispiel den Aspekt der Eifersucht ausgelassen. Was soll er sagen?
Julia: Da hatten wir keinen Bock drauf.
Franziska: Andere Dinge muss man hinzufügen, um seine Aussage zuzuspitzen. Manche Dinge muss man in Worten ausdrücken. Um das zu erreichen, ergänzen wir Texte, die wir finden oder selbst schreiben, die Humor in die Inszenierung bringen und unsere Botschaft verstärken.
Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg mit den Aufführungen!
Fotos: Sophia Mahnert