Der Schmuckpapst: Jonathan Johnson

Es gibt Goldschmiede und es gibt Jonathan Johnson. Unter seinem Label fertigt der Hamburger Goldschmied alles, was seinem ästhetischen Universum entspricht: Von der Fine Jewelry Sonderanfertigung bis hin zum Ghetto Schmuck für die Massen. Zu seinen Kunden zählen betuchte Luxemburger Damen ebenso wie Hamburger Hip-Hop-Größen. Mit dem finnischen Label des Illustrators Tom of Finland hat er eine „Flying Cock“ Fine Jewelry Kollaboration designt, mit der italienischen Schauspielerin Asia Argento setzt er die sieben Todsünden schmucktechnisch in Szene.

Das Zentrum seines kreativen Schaffens liegt in der Hamburger Neustadt: Jonathan Johnsons Laden mit integrierter Werkstatt befindet sich unweit seiner Wohnung. Hier besuchen wir ihn zum Gespräch über Leben, Tod, Geschlechter und natürlich über Wippo, seinen Pomeranian Spitz mit Star-Appeal, der immer an seiner Seite weilt.

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Das Jonathan Johnson Headquarter mit Laden und Werkstatt befindet sich in der Hamburger Neustadt.

Wenn ich mich über einen DHL-Mann aufrege, schaue ich Wippo an und alles ist wieder gut.

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Rechts: Ein Prototyp aus der Jonathan Johnson x Tom of Finland Kollektion.

homtastics: Mal ehrlich Jonathan, wie viel Anteil hat dein Hund Wippo an deinem Erfolg?

Jonathan Johnson: Wippo hat hundert Prozent Anteil an allem, da ich 24 Stunden am Tag mit ihm zusammen bin. Er ist mein Symbiont und über die Jahre habe ich gemerkt, dass es gut für mich ist, einen Hund zu haben. Ich habe Verantwortung für ihn und somit schützt er mich vor mir selbst. Ich war früher kein Kind von Traurigkeit, habe viel Party gemacht.

Das geht mit einem Hund natürlich weniger gut.

Und das ist auch gut so. Ich bin wesentlich gelassener geworden. Wenn ich mich über einen DHL-Mann aufrege, schaue ich Wippo an und alles ist wieder gut. Er ist mein Ruhepol.

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Wippo ist mein Symbiont.

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Ist er auch der Funke deiner Inspiration? Zieht er die Fäden im Hintergrund?

Er ist meine Muse, klar. Ein Spitz ist sich seiner Puscheligkeit durchaus bewusst, lässt das aber nicht raushängen. Er ist ein absolut feiner Kerl, obwohl er Superstar-Status genießt. Aber er ist auch Drama und Komödie in einem: Ich liebe ihn so sehr und er mich auch. Wir sind aufeinander angewiesen, er kann nicht ohne mich. Gleichzeitig weiß ich, dass Hunde nicht so alt werden wie Menschen.

Wie alt werden Spitze denn?

So zehn bis fünfzehn Jahre. Ich werde also das komplette Dasein mit ihm durchspielen und auch den Schluss miterleben, also etwas beenden und loslassen. Das ist bei all den schönen Momenten als kleiner Wermutstropfen immer mit dabei. Allerdings: Wenn ich vor ihm gehen würde, wüsste ich auch nicht, was das mit ihm machen würde.

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Wenn ich eine Ideologie hätte, dann wäre es der Zen Buddhismus.

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Glaubst du an ein Leben nach dem Tod?

Ich glaube nicht an ein Leben nach dem Tode im Sinne eines christlich naiven Gedankens, also, dass man nach dem Tod im Himmel sitzt. Das ist ein Wunschtraum, der wichtig ist und an dem ich mich ebenfalls festhalte. Also, wenn Wippo mal nicht ist, denke ich auch, dass wir uns irgendwo in irgendeiner Form wiedersehen werden.

Also glaubst du an Wiedergeburt?

Der Gedanke von Wiedergeburt ist schon ganz geil, wenn er bedeutet, dass ich alles, was ich heute in den Science Fiction Filmen sehe, dann auch im realen Leben sehen kann.

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Das heißt, du würdest lieber in der Zukunft als in der Vergangenheit leben?

Nein. Wenn ich eine Ideologie hätte, dann wäre es der Zen Buddhismus. Das ist eine Lehre des Hier und Jetzt. Es geht um das Anerkennen der Gegenwart und darum, dass man diesen Zustand nicht ändern kann. Wasser fließt immer abwärts. Die Vergangenheit hilft uns dabei, Recherche zu machen und Schlüsse zu ziehen. Ich kann über das, was ich eben in der Vergangenheit gesagt habe, nachdenken und etwas für die Zukunft ändern. Martin Scorsese sagt: Mach aus jedem Tag das Beste, denn man hat jeden Tag eine neue Chance.

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Mach aus jedem Tag das Beste, denn man hat jeden Tag eine neue Chance.

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Rechts: Prototypen für „Anal“-Ringe.

Du bist prinzipiell kein lethargischer Mensch, der in der Vergangenheit ruht?

Ich kenne meine Vergangenheit und habe beispielsweise zwölf Jahre in Karlsruhe gelebt, wo ich eine sehr intensive Zeit hatte. Ich war über Silvester gerade da und habe alte Freunde getroffen. Das war total spannend, durch die Straßen zu gehen, auf dem Nachhall deiner eigenen Spuren.

Was Stile betrifft, haben viele Menschen einen kleinen Fehler im System.

In deiner Arbeit wiederum lässt sich Hypermodernität ebenso wie der Stil vergangener Epochen erkennen.

Was Stile betrifft, haben viele Menschen einen kleinen Fehler im System. Menschen, die sich anziehen wie in den 20er Jahren und feiern wie in den 20er Jahren, weil sie eventuell das Moderne nicht interessiert, lassen außer Acht, dass in den 20ern die Leute eben genau das waren, was heute beispielsweise der Techno- oder sagen wir der Trap-Typ macht.

Und was in den Neunzigerjahren genau los war, lässt sich erst zwanzig oder dreißig Jahre später sagen – nicht in den Neunzigerjahren selbst.

Das funktioniert in Intervallen. Und was Epochen angeht: Es war nicht immer so, dass Stile in Zehner-Jahresschritten entstanden sind. Die Edo-Zeit bei den Japanern zog sich über 400 Jahre hin. Alte Meister haben zum Teil ein Leben lang an einem Bild gemalt.

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Das Lilien-Collier ist eine Sonderanfertigung, den L.A.-Zombie Ring gibt es in größerer Auflage.

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Wie gehst du bei der Ideen-Entwicklung vor: Gibst du einen bestimmten Stil vor oder folgst du dem Kundenwunsch?

Das manifestiert sich immer mehr in meiner Ikonographie. Als Selbständiger durchläufst du eine Sturm-und-Drang-Phase und möchtest Dinge erstmal anders machen. Du möchtest eine eigene Handschrift hinterlassen. Mittlerweile lasse ich mich bei den Kollaborationen auf die Vorstellungen des Kollaborationspartners wie beispielsweise BruceLaBruce ein, der seine Kunstform schon mitbringt. Das ist wie ein geistiger USB Stick, den ich bei mir einschiebe. Da werden Stereotype oder Gegensätze zusammengebracht, um eine Auflösung oder eine Klärung herbeizuführen.

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Außerdem fertigst du extrem aufwendige Unikate und Sonderanfertigungen an.

Die Einzelstücke mache ich in erster Linie, um mir zu zeigen, was ich handwerklich kann. Es gibt schönes Schmuckhandwerk und eben echte Juwelierskunst und da stehe ich mit dem, was ich tue, in einer Tradition, die seit Menschengedenken besteht. Mode und Kunst waren schon immer Teil des Menschen.

Du sprichst somit komplett verschiedene Zielgruppen an. Eine Herausforderung?

Mittlerweile befruchtet es sich, aber anfangs war das ein Problem. Es sind sehr unterschiedliche Preisspannen. Aber Menschen, die sehr viel Geld haben, sind unter Umständen nicht die flippigsten Leute. Dennoch möchte ich auch zeitgeistigen Schmuck für eine jüngere Zielgruppe anbieten.

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Auch bei Jonathan Johnson erhältlich: Die „Ass Trays“ von Rocko Schamoni.

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Wie schaffst du den Spagat?

Wenn ich nach Schönheit suche, was oftmals ein Antrieb für Schmuckdesign ist, dann überzeichne ich alles – selbst das kleinste Bewegungselement eines Schmuckstücks soll verziert sein. Mit Blumen kannst du nicht viel falsch machen, alle finden Blumen schön – außer vielleicht blumenhassende Emo-Kids. Aber was ist das am wenigsten geschätzte Abfallprodukt? Was ist am weitesten davon weg? So kommst du dann auf die Scheiße-Kollektion. Scheiße ist lebensnotwendig – gut zu sehen am Beispiel Wippos: Ich bin immer froh, wenn er guten Stuhlgang hat. Ansonsten gerate ich in Panik.

In unserer Gesellschaft wird es aber immer ideologischer und verrückter: Man denkt immer, alles müsse mit gesundem Menschenverstand beworben werden. Alles soll freundlich sein und lachen. Das steigert sich gerade zu einer Hysterie: Aufräumen ist wichtig und Sauberkeit ist gut. Aber wenn dahinter nichts ist und das das einzige ist, was man tut, dann ist das Leben leer. Generell herrscht in der Gesellschaft eine Hilflosigkeit vor und es werden Naherholungsgebiete gesucht, in denen dann das aktuelle Weltgeschehen ausgesessen wird.

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Dabei sind die Probleme ja trotzdem da und verschwinden nicht. Ziehst du dir alle Infos rein oder geht die Arbeit immer vor?

Ich bin ein Ganzkörperillusionist. Ich arbeite ständig und rede ständig über meine Arbeit. Ich kann ja nicht sagen: Ich gehe jetzt in eine Kneipe und da kommt mir gefälligst keine Idee! Ich mache viel Recherche für meine Kollektionen und nutze Facebook und Instagram als Kommunikationsmittel. Aber Benachrichtigungen habe ich komplett ausgeschaltet. Es ist wichtig, dass man sich da eine Bremse setzt, sonst rennt man den Dingen hinterher.

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Die Werkstatt befindet sich im hinteren Teil des Ladens.

Du beschäftigst dich viel mit Geschlechterrollen. Was ist hier deine Utopie, die vielleicht gar nicht so utopisch ist?

Die Kollaboration mit Tom of Finland beispielsweise hat mir einen Einblick in eine Welt gegeben, die ich total faszinierend finde. Sexualität unterliegt dort innerhalb der gleichgeschlechtlichen Liebe diesem hedonistischen Ansatz. Drastisch gesagt: Der, der fickt und der, der gefickt wird, das unterteilt sich nicht mehr in oben und unten, sondern beides dient dem Lustgewinn. Das wiederum sollte normal sein, was es biologisch ja auch ist.

Aber in der konservativ heterosexuellen Welt – und das ist auch das Problem am Patriarchat und an der aktuellen Debatte – wird zum Beispiel gesagt: „Ich wurde von der Polizei gefickt.“ Gefickt zu werden, bedeutet in diesem Kontext etwas Schlechtes und der Penis, die Erektion steht für Stärke und Macht, während das weiche Geschlecht der Vagina in ein unterwürfiges Rollenverhältnis gedrängt wird. Dabei gibt es hier keinen Besseren und keinen Schlechteren in dem Sinne.

Wobei das eine Geschlechtsteil eben eindringt und das andere Geschlechtsteil aufnimmt. Das ist schon ein Unterschied.

In Männer kann genauso eingedrungen werden. Aber Männer haben ganz große Probleme mit ihrem Analbereich, die gucken da noch nicht mal hin. Männer müssen sich hier echt mal locker machen und darüber nachdenken, wie es denn ist, gefickt zu werden. Sie werden merken, dass es gar nicht schlimm ist.

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Nach der Arbeit führt uns Oli in seinen blauen Salon einige Häuser weiter. R2D2 und C-3PO warten schon auf uns.

Es ist gerade nicht die beste Zeit, sich als Mann locker zu machen, oder?

Der Mann ist gerade das Unwesen, das Problem. Aber es kann nicht die Lösung sein, ihn zu dem Problem zu machen. Das wird nur dazu führen, dass sich die Problemmänner, die es schon gibt, noch weiter in Gruppierungen zusammenschließen.

Du wirst nicht als Frau geboren, du wirst sie. Wie ist das bei den Männern?

Als Mann wirst du in eine Welt geboren, die immer nur von Gewalt geprägt ist. Im Kindergarten ging es schon los mit irgendwelchen Banden, der Stärkste ist der Bandenchef. Ich wollte da nie mitmachen, musste es aber. In der Schule geht das immer so weiter, dann kommt der Wehrdienst – den gibt es zum Glück heute nicht mehr. Dann ist interessant, was die Industrie aus den Männern macht und diktiert. Meistens gibt es den graumelierten, rationalen Businesstypen, der auf sein Technikwunder am Arm reduziert wird. An dem darf nichts Feminines sein.

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Ich möchte dem heterosexuellen Mann die Möglichkeit geben, etwas zu kaufen, was ihn in seiner Männlichkeit nicht kompromittiert.

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Das möchtest du ändern?

Schmuckkauf ist bei Männern eine Grundsatzentscheidung. Ich möchte dem heterosexuellen Mann die Möglichkeit geben, etwas zu kaufen, was ihn in seiner Männlichkeit nicht kompromittiert. Er darf weich werden und sich vorsichtig öffnen. Den Frauen im Umkehrschluss möchte ich ebenfalls die Möglichkeit geben, durch den Schmuck männliche Attribute anzunehmen.

Macht absolut Sinn. Vielen Dank für das Gespräch!

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Hier findet ihr Jonathan Johnson:

Laden in Hamburg: Poolstraße 11

Fotos: Pelle Buys

Layout: Carolina Moscato

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