Leidenschaft für Kunst besaß Lila Nettsträter schon immer, mit der Gründung von „Kunst100“ im Jahr 2019 machte sie diese Leidenschaft auch zum Beruf. In ihrer Online-Galerie verkauft die Wahlberlinerin, zusammen mit ihrer Co-Gründerin Lisa Kostenko, unter dem Leitspruch „Echte Kunst muss nicht teuer sein“ künstlerische Arbeiten zu erschwinglichen Preisen. Wir besuchen die 30-Jährige in ihrer Zweizimmerwohnung in Wilmersdorf, wo sie mit ihrem Mann und Hund Milos lebt, und sprechen mit ihr über die Männerdominanz in der Kunstszene, ihre liebsten Kunstwerke und warum virtuelle Ausstellungen physische Ausstellungen niemals ersetzen können.
Lila Nettsträter: Die Online-Galerie möchte Menschen zusammenbringen, die Kunstwerke suchen, aber traditionelle Galerien zu teuer finden. Es geht darum vergessene Kunstwerke und Prozesskunst aus der ganzen Welt zu sammeln, die eigentlich nicht verkauft oder gezeigt werden sollten. Wir wollen die Menschen, die Kunst produzieren und in dem Sinne Künstler und Künstlerinnen sind, fördern.
Am liebsten alle! Aber aus Marketingsicht sind es die 25- bis 40-Jährigen, die vielleicht schon in der zweiten Wohnung sind und die die Geschichte und den Menschen hinter dem Bild wertschätzen. Vielleicht kann man das mit Tattoos vergleichen: Es gibt Momente in deinem Leben, an denen du dich tätowieren lässt, um etwas festzuhalten. Das Tattoo ist dann für immer ein Teil von dir. Mit Kunstwerken habe ich manchmal ein ähnliches Gefühl. Man sieht ein Kunstwerk, versteht es und es gehört dann zu dir. Und die Menschen, denen es ähnlich wie mir geht, sollen sich das Kunstwerk dann auch leisten können.
Das ging hauptsächlich von den Künstlern und Künstlerinnen aus. Ich war eher das Medium zwischen Kunstschaffenden und Kunstinteressierten. Wir haben schon in der ersten privaten Ausstellung 40 Kunstwerke verkauft. Dann sind wir aus dem Wohnzimmer raus, nach Friedrichshain in eine Fabrikhalle auf dem RAW-Gelände. Es entwickelte sich sehr organisch, ohne dass ich etwas erzwungen habe.
Es gibt Momente in deinem Leben, an denen du dich tätowieren lässt, um etwas festzuhalten. Das Tattoo ist dann für immer ein Teil von dir. Mit Kunstwerken habe ich manchmal ein ähnliches Gefühl. Man sieht ein Kunstwerk, versteht es und es gehört dann zu dir.
2018 kam Lisa [Kostenko, Anm. d. Red.] auf mich zu und meinte, wenn ich Unterstützung bräuchte, solle ich ihr Bescheid geben. Kurz darauf haben wir den ersten „Kunst100“ Online-Shop gelauncht. Das war schwer, denn unser Anspruch war, dass der Online-Shop das kann, was auch die Offline-Galerie kann. Das hat aber nicht funktioniert und wir mussten akzeptieren, dass erstmal die Funktionalität im Fokus stehen muss. 2019 haben wir mit einem neuen Team gestartet und möchten der sehr stabilen funktionalen Website jetzt den Charme, den eine Offline-Galerie hat, hinzufügen.
Es gab keine aktive bewusste Entscheidung. Kunst zog mich schon immer an. Aber gerade mit meinen jetzigen Erfahrungen, vielleicht auch mit dem Alter, merke ich, was Kunst alles kann und weshalb ich mich unterbewusst dafür entschieden habe. Kunst ist eine Sprache, die jeder sprechen kann und die nicht erlernt werden muss. Es gibt das Kunstwerk mit seiner Bildsprache an sich, die Betrachtenden, die interagieren, und die Künstler*innen, die etwas ausdrücken. Schon immer haben sich Menschen durch Skulpturen und Bilder ausgedrückt. Auch heutzutage kann man Kunst noch mehr zelebrieren und in den Alltag einbinden.
Kunst ist eine Sprache, die jeder sprechen kann und die nicht erlernt werden muss.
In meinem Umfeld, in meiner kleinen Berliner Blase wird aufgewacht. Ich habe heute eine SMS bekommen, in der das Wort „jemensch“ anstatt „jemand“ verwendet wurde. Das hat auch viel mit Berlin zu tun, dass unsere Sprache ganz bewusst analysiert und im Alltag geändert wird. Neulich wurde ich gefragt, wie ich mich als Gründerin sehe. Meine erste Antwort war: Ich sehe mich nicht als Gründerin, aber auch nicht als Gründer. Am liebsten würde ich eine neutrale Formulierung verwenden. Es wurde etwas gegründet und ich bin der Mensch, der das getan hat. „Gründmensch“ vielleicht. Ich würde gerne schon den nächsten Schritt gehen. Emanzipation und Aktivismus müssen sein, diese Themen müssen besprochen und gehört werden. In meinem Umfeld fühlen wir uns einfach als Menschen. Ich bewege mich in der kreativen künstlerischen Szene und habe weniger mit der noch sehr männerdominierten Business-Domäne zu tun. Ich habe mit vielen sehr reflektierten Männern Kontakt. Vor allem viele Künstler, die sich einfach als Organismen dieses Universums sehen. Es ist sehr angenehm, in dieser Welt zu leben, im Gegensatz zu dieser sehr anstrengenden Welt, in der man als Frau seine eigene Meinung immer wieder verteidigen muss. Da verliert man schnell die Kraft, auch auf andere wichtige Themen hinzuweisen.
Es gibt mehrere Faktoren. Einer davon ist Handwerk, aber Handwerk besitzt ein breites Spektrum. Ein Ölfleck auf einer Holzplatte ist für mich Handwerk pur, für andere aber nicht. Genauso gehe ich alle Faktoren an: Bildsprache, Ausdruck, Motiv. Was ist ein gutes Motiv? Was ist überhaupt gut? Ich gehe auf jeden Fall nach meiner Intuition. Mein Geschmack ist breit gefächert, ein Vorteil in diesem Beruf. Aber es gibt viele verschiedene Trichter, die Teile der gesamten Kunst abdecken. Während ich mich in einem Trichter bewege, deckt eine andere Kuration einen anderen Trichter ab.
Emanzipation und Aktivismus müssen sein, diese Themen müssen besprochen und gehört werden. In meinem Umfeld fühlen wir uns einfach als Menschen.
Ich habe ganz viele Lieblingsarbeiten. In alle Arbeiten, die hier hängen, verliebe ich mich immer wieder neu. Machmal kann ich auch gar nicht im Raum sein mit so vielen Kunstwerken, dann brauche ich eine weiße Wand.
Viele ja, aber es gibt auch welche von Freunden. „Community Field“ von Patrick Gardinger, das hatte es mir total angetan, sobald ich es digital im Portfolio gesehen habe. Das kann man auch auf „Kunst100“ kaufen. So wie „Erosion“ von Louis Hein. Das ist eine Augenblickaufnahme des sehr jungen Fotografen. Da ist nichts gestellt, collagiert oder farblich verändert. Ein weiterer absoluter Favorit ist die Fotografie „Pfau“ von Sarah Zak. Die Künstlerin fotografiert am liebsten Frauen, aber auf meine Nachfrage hin hat sie mir etwas Anderes, nämlich dieses Bild, geschickt und ich habe mich sofort verliebt.
Wir haben Unikate, also Werke, die es nur einmal auf der Welt gibt, und Limitierungen, bei denen es mehrere Exemplare vom gleichen Motiv in der gleichen Größe gibt, aber maximal auf 100 Stück limitiert. Dann gibt es noch Editionen, die ausschließlich von den Kunstschaffenden selbst gedruckt werden. Editionen sind meistens nur in einer sehr kleinen Auflage erhältlich, in der Regel werden nur zwei bis drei Editionen gedruckt.
Ich bin dagegen, Kunst als Investment zu betrachten. Ich nehme bei Kunst immer den Weg des Liebens und da gibt es keine Regeln. Wenn du das Kunstwerk liebst, kann es auch zu einem monetären Investment werden. Weil du etwas spürst, was andere auch spüren. Es kann immer sein, dass der Künstler oder die Künstlerin richtig bekannt wird.
Nachhaltigkeit begleitet uns bei jeder Entscheidung. Manchmal sind uns die Hände gebunden, aber wir versuchen immer nachhaltig zu handeln. Das größte Thema ist bei uns Verpackung. Seit Kurzem verpacken wir unsere Kunstwerke in Polsterkissen mit Füllmaterial aus Mais- oder Kartoffelstärke, die sind kompostierbar. Du könntest also im Prinzip unser gesamtes Paket ins Altpapier packen oder die Kissen öffnen und das Füllmaterial kompostieren. Das ist super und fühlt sich auch richtig gut an.
Wegen des Erlebnisses. Das können selbst Online-Ausstellungen, die Virtual Reality und Augmented Reality beinhalten, nicht wiedergeben. Es ist dieses Haptische. Du darfst zwar die Kunst nicht anfassen, aber es gibt irgendetwas in einem Raum, das online niemals abgebildet werden kann. Online werden andere Kunstwerke gekauft als offline, weil die Arbeiten anders wirken. Auch wenn die Realität online immer besser abgebildet werden kann – wir arbeiten für die Zukunft schon an einer virtuellen Galerie, die mit einer Virtual Reality-Brille erfahrbar sein wird – wird es immer Faktoren geben, die nur physisch im Raum erfahren werden können. Und deshalb wird es auch immer Ausstellungen von uns geben.
Ich bin dagegen, Kunst als Investment zu betrachten. Ich nehme bei Kunst immer den Weg des Liebens und da gibt es keine Regeln.
Im Ausführen von Ausstellungen sind wir sehr geübt. Bei „No Touching“ war aber der Umgang mit der Technik schwierig. Auf einmal mussten wir die Ausstellung, die normalerweise über mehrere Tage zu sehen ist, auf eine halbe Stunde reduzieren. Die fehlende Interaktion war eine große Herausforderung während des Live Streams. Für gewöhnlich sehe ich, wo die Menschen hinschauen, wo sie stehenbleiben oder Fragen stellen – und das fiel komplett flach. Ich habe mir dann jemanden vorgestellt, der sich die Ausstellung anguckt und der „Kunst100“ noch nicht kennt. Es war schwer, alle gleichzeitig gut zu bedienen.
Instagram ist ein wichtiges Tool für uns. Ich habe diesen Spleen mit der Website, das sie funktional und einfach ist, aber gleichzeitig viele Informationen bietet. Diese ganzen Informationen kann man am besten über Instagram spielen und dem Kunden zugänglich machen. Über Instagram können wir außerdem unseren Charakter abbilden und formen und mit Bildern spielen.
Es wird bestimmt noch viel digitalisiert in der Kunstwelt. Aber ein großer Teil von Kunst ist eben, dass sie physisch ist.
Ich glaube nicht, dass sie abgelöst werden, eher, dass sie Hand in Hand gehen. Es wird bestimmt noch viel digitalisiert in der Kunstwelt. Aber ein großer Teil von Kunst ist eben, dass sie physisch ist. Einen digitalen Bilderrahmen mit digitaler Kunst würde ich nicht mit einem physischen Bilderrahmen mit physischer Kunst vergleichen. Deswegen sind das zwei getrennte Welten, die sich gegenseitig ergänzen. Zum Beispiel funktioniert es virtuell, in Kunstwerke einzutauchen, was physisch unmöglich ist. Das virtuelle „in den Bildern Laufen“ ist komplett neu. Wenige Künstler haben das bisher für sich entdeckt, es fehlt der Markt und die Möglichkeit dieses Erlebnis zu verkaufen. Aber das wird kommen und richtig Spaß machen!
Wir werden parallel physisch und digital existieren, und werden hoffentlich viele Menschen dazu bringen, sich in Kunstwerke zu verlieben. „Kunst100“ steht nicht zwischen Kunstliebhaber*innen und Kunstschaffenden, sondern verbindet sie.
Layout: Kaja Paradiek
3 Kommentare
Schöne Bilder und interessant! Aber den Satz: „Das hat auch viel mit Berlin zu tun, dass unsere Sprache ganz bewusst analysiert und im Alltag geändert wird“ kann ich nicht verstehen. Hat sicher was mit den Kontexten zutun in denen man sich bewegt, aber es ist absolut kein Berlin-Thing zu gendern … zum Glück! Also: auch andere Städte, Kleinstädte whatever werden von Leuten bewohnt die sich kritisch mit Sprache und Gender beschäftigen.
Liebe Maike,
da hast du völlig recht! Das habe ich einfach nicht gut formuliert. Natürlich ist es kein Berlin-Thing zu gendern. Und das zum Glück, wie du schon sagtest=)!
Ganz liebe Grüße!
Lila