Der Boden ist rosa gestrichen, Thonet-Stühle stehen an den mattschwarzen runden Tischen und serviert wird instagramable Filterkaffee und Smørrebrød. Das „Teikei Café“ in Hamburg sieht auf den ersten Blick wie ein netter Coffee-Place-To-Be aus, ist allerdings deutlich vielschichtiger. Hinter dem „Teikei Coffee“, der hier angeboten wird, steckt das Konzept der solidarischen Landwirtschaft. Verbraucher*innen in Deutschland und der Schweiz finanzieren den Bäuerinnen und Bauern in Mexiko den Kaffeeanbaubetrieb und teilen sich im Gegenzug die Ernte, importiert wird nach Hamburg klimaneutral per Segelschiff. Hinter der Idee stecken Aaron Küppers (29), sein Vater Hermann Pohlmann und ein Team, das der industrialisierten Landwirtschaft einen Gegenentwurf bieten will. Wir sprechen mit Aaron über die Entstehungsgeschichte von „Teikei“, seinen Weg vom Designer zum Café-Besitzer und Social Entrepreneur, große Zukunftspläne für das Netzwerk und seinen persönlichen nachhaltigen Lebensstil.
Aaron Küppers: Mein Vater hat die Idee aus Brasilien mitgebracht. Es geht um solidarische Landwirtschaft. Wir haben uns die Frage gestellt, ob sich dieses Konzept auf den Import übertragen lässt. Wie kommen Leute, die saisonale Produkte direkt vom Hof beziehen, an Importprodukte wie Kaffee, Tee oder Kakao? Wir haben ein Businessmodell geschrieben, das in Übersee funktioniert.
Letztlich funktioniert es genau wie die solidarische Landwirtschaft, nur eben nicht mit Bauern aus der Region sondern aus Mexiko. Mexiko aus dem Grund, weil die Schiffe unserer Partner Häfen in der Karibik ansegeln. Wegen der Abhängigkeit vom Wind können wir keinen großen Radius fahren, also laufen wir erstmal den mexikanischen Hafen Veracruz an und bekommen Kaffee aus der Region Chiapas. Darüber hinaus sind wir jetzt mit neuen Kooperationen in Mexiko City im Gespräch.
Um einen Bauern schert sich eine Verbrauchergemeinschaft von circa 200 Familien, je nachdem, was er erwirtschaften kann. Das Schöne für den Bauern ist, dass er klar kalkulieren kann. Es fallen keine Werbekosten an, denn er muss nicht mehr auf den Markt fahren. Er braucht keine Angst haben, dass Produkte nicht genommen werden, es entsteht kaum Abfall. Der Verbraucher bezieht frische Produkte direkt, es muss nichts unreif geerntet werden, um dann nachzureifen. So ergibt das viel weniger Kosten auf Produzentenseite und ein qualitativ höherwertiges Produkt, das zu einem günstigeren Preis angeboten werden kann. Es gibt nicht viel, was mehr Sinn macht in der Wirtschaft!
Das auf In- und Exportprodukte umzuwälzen hat genauso viel Sinn, denn gerade da ist der Bezug zum Produzenten noch stärker verloren gegangen als hier vor Ort. Wir haben eine viel weitere Kette zum Produzenten, das macht es anonymer. Dazu kommen hohe Profitmargen durch die Händler usw.
Ich bin nach dem Studium nach Hamburg gekommen, um in einer Agentur zu arbeiten. Mir war aber klar, dass das nicht mein Hauptberuf wird. Das Projekt „Teikei“ habe ich nebenher mit meinem Vater und einem Team gestartet und es entwickelte sich gut. Ich bin dann in die Kaffeeszene gegangen und habe zunächst in einem anderen Café gearbeitet, um mich zu orientieren, gleichzeitig habe ich mich auf die Suche nach einer Immobilie für eine eigene Rösterei gemacht. Damals haben wir noch in Süddeutschland geröstet, was aber nicht viel Sinn ergeben hat, weil das Segelschiff mit unserem Kaffee hier in Hamburg ankommt. Wir wollten lieber direkt in Hamburg rösten. Mir wurde dann diese Immobilie angeboten. Totales Glück, ich konnte nicht nein sagen, aber die Räumlichkeiten wären für eine Rösterei zu klein gewesen. Im Team haben wir die Frage gestellt, ob wir ein Café eröffnen wollen und wer Kapazitäten hat. Wir waren alle ausgelastet, aber da ich sowieso in einem Café arbeitete, habe ich entschieden, das Café alleine zu eröffnen.
Ich habe dann noch Arnd mit reingenommen. Er ist ausgebildeter Gastronom. Bis September 2019 haben wir den Raum ausgebaut und jetzt seit sechs Monaten geöffnet. Es läuft total gut an. Wir entwickeln uns allerdings mehr und mehr zum Biorestaurant, sehr viele Leute kommen zum Essen her. Wir sind alles keine gelernten Köche, bilden aber alle Mitarbeiter so aus, dass sie alles können, vom Brotbacken bis zum Anrichten des Essens. Das es so gut angenommen wird, hat sicherlich auch damit zu tun, dass wir hier mit dem Laden ein Teil einer solidarischen Landwirtschaft sind. Wir beziehen alles direkt vom Hof beziehungsweise das, was er erwirtschaftet. Alle anderen Produkte kommen vom Biogroßhändler. Zu Beginn haben wir mit dem Buschberghof gearbeitet, das ist der älteste CSA Hof Deutschlands oder sogar Europas. Aktuell beziehen wir vom Kattendorfer Hof, die beliefern auch andere Läden hier im Karoviertel.
Anfang des Jahres waren es ungefähr 500 Mitglieder. Man kann als Gemeinschaft bestellen, aber auch hier im Laden Kaffee holen, für alle, die gelegentlich vorbeikommen oder noch keine eigene Verbrauchergemeinschaft haben. Wir haben hier im Regal 250 Gramm oder 1 Kilogramm Verpackungen, man kann den Kaffee aber auch unverpackt bekommen.
Genau. Man muss das nicht als Gemeinschaft machen, obwohl das immer am schönsten ist. Wir haben auch online eine Karte, wo bereits bestehende Verbrauchergemeinschaften verzeichnet sind, denen kann man sich anschließen. Wenn du dich dafür entscheidest, solltest du erstmal überlegen, welchen Kaffeebedarf du hast. Wieviel Kaffee konsumiere ich im Monat, und welcher Zyklus hat Sinn. Du bekommst eine ganz hohe Produktqualität zu einem viel günstigeren Preis. Im Supermarkt gibt es kaum so eine Qualität und du weißt nie, wie lange der schon steht.
Das ist Geschmacksache. Nach unserer Erfahrung ist unser Kaffee nicht so empfindlich, was langes Stehen angeht. Der Nerd verbraucht seinen Kaffee innerhalb einer Woche, anderen schmeckt er nach einem Monat immer noch gut. Das hat auch viel mit der Zubereitungsart, der Geschmacksschulung und dem Anspruch an deinen Kaffee zu tun. Wenn du mit einer Siebträgermaschine arbeitest oder per Hand Brew, schmeckst du die Unterschiede ganz schnell raus. Wenn du zuhause deine Espressokanne verwendest, schmeckst du den Unterschied, wie lange er auf ist, nicht so schnell.
Wir machen so wenig Werbung wie möglich. Wir wollen nicht plakatieren und flyern, außer bei Veranstaltungen hier im Laden. Ansonsten nur via Facebook und Instagram, außerdem halten wir verschiedene Vorträge. Wir werden mittlerweile oft zu Nachhaltigkeits-Veranstaltungen eingeladen, deutschlandweit.
Am Anfang war unser Erfolgsrezept, dass wir in einer solidarischen Landwirtschaft arbeiten und so auf bestehende regional arbeitende Verbrauchergemeinschaften zugehen konnten mit der Frage: Wo bekommt ihr euren Kaffee her? Wenn man zehn Gemeinschaften anspricht und 50 Prozent der Kaffeetrinker dafür sind, kann man schnell hochrechnen, wieviel Abnehmer*innen man hat. Das ist viel erfolgreicher als im Einzelhandel.
Genau. Wir sehen uns nicht als Händler, sondern als Brückenbauer zwischen Produzenten und Verbrauchern. Sowohl im Projekt als auch hier im Laden. Aber Non-Profit darf man nicht falsch verstehen, natürlich müssen wir auch davon leben können. Aktuell können das noch nicht alle, aber das ist normal bei einem Projektaufbau. Am Ende geht es darum, dass wir Wirtschaft auf Augenhöhe hinbekommen, bedarfsorientierte Löhne nicht nur auf unserer Seite, sondern an alle zahlen können. Das bedeutet, dass wir sowohl mit den Seglern als auch Röstern und Bauern ins Gespräch gehen und fragen, wie viel sie zum Leben brauchen. Daran errechnet sich unser Produktpreis, und nicht gemessen an Vorgaben wie Fairtrade und dergleichen.
Was wir heute in der Wirtschaft machen, ist total absurd: Wenn man etwas Gutes macht, muss man Geld dafür bezahlen, um es zu zeigen. Obwohl es doch andersherum sein müsste, wenn wir da Scheiße drauf tun, muss das Geld kosten! Das ist nicht fair!
Genau, und zwar ganz gezielt. Das kostet und ist total absurd. Wir haben das EU-Biosiegel, aber mehr aus Zufall. Siegel sind für uns nicht von Wert. Wir arbeiten super transparent, legen alles offen, alle Zahlen können eingesehen werden. Das ist wichtig, und nicht, dass wir besiegelt sind. Wir wollen unserer Verbrauchergemeinschaft zeigen, wie wir arbeiten. In der solidarischen Landwirtschaft wie im Direktbezug kann man Vertrauen aufbauen, dann ist es Wirtschaften auf Augenhöhe, vom Erzeuger bis zum Verbraucher. Klar sind Siegel wichtig und es werden immer Leute danach fragen und ab einer bestimmten Größe werden wir da nicht drum herumkommen. Im Idealfall kommen wir irgendwann dahin, dass Produzenten, die gespritzte Lebensmittel verkaufen, sich kostenpflichtig besiegeln müssen. Was wir heute in der Wirtschaft machen, ist total absurd: Wenn man etwas Gutes macht, muss man Geld dafür bezahlen, um es zu zeigen. Obwohl es doch andersherum sein müsste, wenn wir da Scheiße drauf tun, muss das Geld kosten! Das ist nicht fair!
Wenn wir uns Fairtrade siegeln lassen würden, würde uns das nicht nur Geld kosten, sondern unsere Standards runterschrauben, wir würden uns als etwas Schlechteres verkaufen, als wir sind. Genauso ist Direct Trade – wenn auf einer Rewe-Packung ein Direct Trade Siegel drauf ist, stimmt das nicht, das ist ja kein direkter Handel. Das gleiche gilt für Bioanbau, wie kann ein EU Bio-Siegel draufstehen, wenn nur ein geringer Prozentsatz biologisch sein muss und der Rest egal ist? Das ist doch kein biologisches Produkt! Da arbeiten wir viel hochrangiger und versuchen dahin zu kommen, dass wir nach Demeter-Norm arbeiten. Das ist nicht das absolute Muss, aber dass alle Bauern, mit denen wir zusammenarbeiten, biodynamisch anbauen, ist schon wichtig. Wir bilden in dem Bereich auch aus.
So konsequent wie wir arbeiten über die gesamte Produktkette vom Erzeuger bis zum Verbraucher kenne ich weltweit keins. Es gibt immer Teile davon, sicherlich gibt es innerhalb Mexikos Projekte, die das so machen, aber die segeln ihre Produkte nicht oder legen nicht so viel Wert auf Transparenz.
Ich selbst konnte noch nicht mitsegeln, aber drei Leute aus unserem Team haben das schon gemacht. Die Timbercoast–Reederei mit Cornelius Bockermann ist der Initiator des Segelprojekts. Er ist etwa ein Jahr vor uns an den Markt gegangen mit der Idee, Ware zu segeln, und hat mit vielen freiwilligen Händen das Segelschiff zurückgebaut. Das ist ein historischer Frachtensegler, der zum Binnenschiff umgebaut wurde und wieder zurück. Es fasst 100 Tonnen. Das nächste Schiff ist in Planung, das wesentlich wirtschaftlicher fahren wird, mit 350 Tonnen. Das Segelschiff fährt einmal im Jahr, weil es windabhängig ist es. Es gibt Zeiten im Jahr, wo es einfach zu gefährlich ist rüberzusegeln. Im Regelfall fahren wir im Herbst los und kommen dann im Sommer wieder, sind also gut neun Monate unterwegs.
Je mehr Mitglieder und je mehr Produzenten wir aufnehmen, desto stärker sind wir und desto mehr können wir zeigen, dass diese äußerst nachhaltige Art zu wirtschaften funktioniert.
Aktuell streben wir an, dass wir 500 Bauern abdecken, was relativ viel ist. Wir haben mit 500 kg gesegeltem Kaffee angefangen, im darauffolgenden Jahr erhöhten wir auf 11 Tonnen, ein riesiges Wachstum. Wenn alles gut geht, kommt unser Segelschiff am 1. Juli 2020 mit 30 Tonnen in Hamburg an. Je mehr Mitglieder und je mehr Produzenten wir aufnehmen, desto stärker sind wir und desto mehr können wir zeigen, dass diese äußerst nachhaltige Art zu wirtschaften funktioniert. Aber auch Agieren auf Augenhöhe wollen wir in den Vordergrund stellen, solidarisch miteinander umgehen, was wir aktuell in der Wirtschaft überhaupt nicht haben.
Teikei Coffee war der Start eines Netzwerks, einer Form des gemeinschaftsgetragenen Wirtschaftens. Neben „Teikei Olive“ und „Teikei Hanf“ startet dieses Jahr auch „Teikei Chili“.
Was Hamburg betrifft ist ein kurzfristiges Ziel die erste eigene Rösterei zu eröffnen, da arbeiten wir mit Hochdruck daran, den Businessplan fertig zu kriegen und wir schauen uns gerade Immobilien an.
Mir gibt es nichts mehr, neue Sachen zu kaufen, eher umgekehrt, ich habe eher ein schlechtes Gefühl dadurch. Nein sagen gibt mir mehr Befriedigung als etwas Neues zu erwerben.
Auf jeden Fall! Eigentlich in allen Bereichen. Schon in meinem Designstudium ging es mir darum zu schauen, wie Produktionen heutzutage aufgebaut sind, wie viel Nachhaltigkeit steckt da drinnen und was bedeutet eigentlich nachhaltig. Ich lege sehr viel Wert auf meine Ernährung, kaufe wenig neue Klamotten und wenn im Second-Hand-Laden. Ich mache das aus Überzeugung. Mir gibt es nichts mehr, neue Sachen zu kaufen, eher umgekehrt, ich habe eher ein schlechtes Gefühl dadurch. Nein sagen gibt mir mehr Befriedigung als etwas Neues zu erwerben. Das macht in meinen Augen gar keinen Sinn mehr, wir brauchen das nicht.
Marktstraße 25, Hamburg