E-Scooter sind gerade allgegenwärtig: auf Großstadtstraßen, in Partygesprächen, in den Medien. Einer, der schon vor über zehn Jahren an diese Fahrzeuge geglaubt hat, ist Florian Walberg. Der 45-jährige gebürtige Hamburger ist Gründer von „Walberg Urban Electrics“, einem Hersteller von E-Scootern in Hamburg. Seine Firma gründete er 2011 und setzte schon damals alles auf eine Karte. In den 90ern war Florian mit der Boygroup „Bed & Breakfast“ erfolgreich, danach hinter den Kulissen in der Musikbranche, bis er sich entschied, Musik gegen E-Scooter zu tauschen. Jahrelang kämpfte Florian für die TÜV-Zulassung seiner Roller, initiierte sogar eine Brüsseler Arbeitsgruppe. Jetzt sind E-Scooter für die deutschen Straßen zugelassen – und Florians Unternehmen sieht plötzlich gar nicht mehr so wahnwitzig aus. Wir treffen ihn in seinem Büro in der Hamburger Speicherstadt und sprechen über das Potential der Roller und über die Mobilität der Zukunft.
Florian Walberg: Ich wusste natürlich damals schon, was ich tue. Aber es ist nicht leicht, über deine unternehmerischen Ziele zu sprechen, wenn du dafür die Gesetze ändern musst. Letztlich habe nicht ich die Gesetze geändert, aber ich habe es losgetreten. Dass jetzt alles so gekommen ist wie ich es schon vor Jahren vorhergesagt habe, ist schön, aber das war riskant. Es hätte auch nach hinten losgehen können.
Es war für mich immer klar, dass E-Scooter kommen. Dass sie nicht legal waren, war historisch zu begründen, weil sie vorher einfach niemand hergestellt hat und sich niemand für sie eingesetzt hat.
Es war für mich immer klar, dass das kommt. Ich habe alles darauf gewettet. Warum? Weil es die allereinfachste Form der kompakten Mobilität ist. Wenn du ein möglichst simples Fahrzeug bauen willst, nach dem Prinzip „form follows function“, dann brauchst du zwei Räder, einen Lenker, einen Motor und einen Akku. Was kommt dabei raus? Ein Roller. Dass sie nicht legal waren, war historisch zu begründen, weil sie vorher einfach niemand hergestellt hat und sich niemand für sie eingesetzt hat.
Es ist eine technische Arbeitsgruppe, die die technischen Richtlinien für diese Fahrzeuge definiert. Diese sind wichtig für den TÜV, der muss sich ja an Kriterien orientieren. Diese Kriterien können am besten die Leute definieren, die sich mit den Fahrzeugen auskennen. Und dafür gibt es diese Arbeitsgruppen. Inzwischen sind viele Leute involviert, ich habe es nur ursprünglich initiiert. Mir war es wichtig, das anzustoßen, aber jetzt habe ich mich zurückgezogen, weil es zeitlich zu aufwändig ist, permanent in irgendwelchen technischen Gremien zu sitzen.
(lacht) Das war tierisch. Die Bundesratsitzung haben wir mit dem gesamten Team auf den Bildschirmen verfolgt. Wir standen hier mit der Champagnerflasche und haben auf den Moment gewartet. Dann wurde der Antrag verlesen, zugestimmt, „Ok, damit ist der Antrag durch. Nächster Punkt.“ – und wir dachten: Was? Das war der Moment? Krass. Das war unwirklich.
Wir haben den Traffic live getrackt – er ist explosionsartig angestiegen.
Aktuell sehen wir noch eine homöopathische Menge an E-Scootern, im Vergleich zu dem, was wir in naher Zukunft erleben werden. Was ich da aber direkt klarstellen möchte: E-Scooter ist nicht gleich Sharing. Im Moment siehst du überall die Sharing-Anbieter. Die Unternehmen gehen gerade international durch die Decke. Wie bewerte ich das? Ich freue mich riesig, dass dieses Mobilitätskonzept jetzt bei der Masse ankommt und so für jeden zugänglich wird. Das vereinfacht nicht nur urbane Mobilität, sondern regt auch zu einem Umdenken an. Diese Roller haben einen unglaublichen Einfluss auf unsere Denke. Auf einmal kann jeder E-Scooter ausprobieren – selbst, wenn jemand gegen E-Scooter ist, kann er sie trotzdem mal testen.
Die Medien suchen natürlich immer dramatische, möglichst schlimme, große Geschichten. Ein Unfall mit dem Scooter? Die Industrie tötet uns alle. Ein Elektroroller wurde ins Wasser geworfen? Die machen die komplette Umwelt kaputt. Sascha Lobo hatte dazu neulich einen schönen Vergleich: Wenn sich jemand mit einem Kreuzworträtsel in den Tigerkäfig setzt und vom Tiger zerfleischt wird, dann macht man doch auch nicht die Kreuzworträtsel verantwortlich.
Ja, es gibt diese negative Berichterstattung. Das hängt erstens mit der Natur der Medien zusammen. Zweitens gibt es Unfälle, weil es mehr Fahrzeuge gibt, diese neu sind, sich alle erst daran gewöhnen müssen, und dann eben etwas passieren kann. Drittens, und das ist vielleicht der wichtigste Punkt, ist das eine sehr deutsche Denkweise. The German Angst. Der Dramaknopf, den wir bei Innovationen drücken, ist etwas, was tief in uns Deutschen drin steckt. Das spielt sicherlich auch eine Rolle. Ich würde mir mehr Reife von den Medien wünschen. Wir befinden uns gerade in einem ganz fragilen, besonderen Moment. Man muss diese kleine Pflanze vorsichtig nähren. Man kann sie aber auch abknicken.
Auf alle Fälle sind E-Scooter ein Teil der Mobilität der Zukunft, ganz klar. Sie werden Brücken schlagen, zum Teil werden sie das Autofahren ersetzen, zum Teil das Fahrradfahren, zum Teil das Motorradfahren, zum Teil das Zufußgehen. Ich wohne im Stadtteil Winterhude und muss zur nächsten Bahnstation rund 15 Minuten gehen. Also was habe ich gemacht? Ich habe mich ins Auto gesetzt. Aber jetzt kann ich mit einem E-Scooter zur Bahn fahren. Aber das ist erst der Anfang von allem. Es gibt Studien, die besagen, dass in den nächsten drei Jahren 30% aller Deutschen in der relevanten Zielgruppe einen E-Scooter werden besitzen wollen. Besitzen.
Was wir jetzt sehen, das ist der allererste Schwung. Die Fahrzeuge stecken noch in den Kinderschuhen, sie sind zum Beispiel noch relativ schwer. Wenn wir es mit der Mobiltelefonie vergleichen, dann sind wir jetzt in der Zeit, in der man ein C-Netz-Telefon herumgeschleppt hat. Diese Scooter haben das Potential, das iPhone der Mobilität zu werden. Das ist ein Stück Mobilität, das du dir kaufen kannst, und du kaufst dir damit auch ein Image. In Zukunft werden die Roller mit dem Smartphone connected sein, um dir zu sagen, wann der Akku geladen werden muss, welche Geschwindigkeitsbeschränkung herrscht, wann die Versicherungsplakette abläuft und so weiter.
Aktuell sehen wir noch eine homöopathische Menge an E-Scootern, im Vergleich zu dem, was wir in naher Zukunft erleben werden.
Ich komme aus der Musikbranche, früher habe ich selbst Musik gemacht, dann bin ich hinter die Kulissen gegangen und war für Tour-Leitung und Tour-Management extrem viel unterwegs. Ich habe viele große Touren begleitet – und wenn du in diesen riesigen Hallen arbeitest, rennst du als Tour-Leiter nur von A nach B. Dafür hatte ich einen E-Scooter – das war derbe praktisch und ich war überglücklich damit. Weil der Roller aber öfters kaputt war, kam ich in Kontakt mit dem Hersteller. Der war auch aus Hamburg und ließ mich seine Werkstatt nutzen. Das fand ich richtig gut, aus einem persönlichen Grund: In der Musikbranche ist deine Arbeit sehr flüchtig – du machst eine Veranstaltung, dann ist sie vorbei. Es ist schwierig, da eine emotionale Konstante zu haben. Das war bei dem Roller anders. Du machst etwas mit deinen Händen, das Bestand hat.
Irgendwann war ich in China in der Fabrik des Produzenten und habe die Produkte weiterentwickelt. Ich habe gemerkt, dass mir die Sache mit den Rollern total viel Spaß macht – auch, weil sie weniger Ich-bezogen ist als die Arbeit in der Musikbranche. Es geht nicht um mich persönlich, es geht um die Roller. Ich hatte einen eigenen Verlag, den habe ich geschlossen. Ich hatte ein Label, das habe ich geschlossen. Mein Management habe ich geschlossen. Ich habe bewusst alle Firmen dicht gemacht und entschieden: Ich mache jetzt Roller.
Ich bin total glücklich damit. Der Wunsch, eine Bühne zu haben, steckt bestimmt irgendwie in mir drin, aber ich kann mich hier auf eine sehr gute Art und Weise austoben und habe hier auch meine Bühne.
Wenn wir es mit der Mobiltelefonie vergleichen, dann sind wir jetzt in der Zeit, in der man ein C-Netz-Telefon herumgeschleppt hat. Diese Scooter haben das Potential, das iPhone der Mobilität zu werden.
Du musst Sharing-Anbieter und Endkunden komplett trennen. Es geht zwar immer um elektrische Roller, aber es sind komplett andere Geschäftsmodelle. Unsere Kunden unterscheiden sich in Endnutzer und Vertrieb. Die Endnutzer sind „Urban Commuters“, Pendler, aber auch Camper, Menschen, die beruflich viel auf Messen unterwegs sind, Logistiker, Veranstalter, … alle möglichen Menschen. Die Vertriebskunden sind Händler wie zum Beispiel Fahrradgeschäfte.
Das erste Produkt war der Roller „Egret One“, den ich in verschiedenen Ausführungen zusammen mit einer Fabrik in China entwickelt habe. Danach bin ich zu anderen Reifengrößen übergegangen, die sich auch für unebenes Terrain eignen. Der „Egret Eight“ hat Acht-Zoll- und der „Egret-Ten“ hat Zehn-Zoll-Räder – das sind unsere wichtigsten Produkte.
Diese E-Bikes im Retro-Look machen Freunde von mir aus Kalifornien. Das sind nicht unsere eigenen Produkte, die verkaufen wir in Deutschland nur exklusiv. Sie haben eine ultracoole Brand und ein richtig gutes Marketing. Das habe ich zum Spaß mit aufgenommen.
Der „Egret-Ten“. Er hat die größten Räder und ist Testsieger in allen Tests, an denen er teilgenommen hat.
Ich fahre alle. Aber ich fahre auch ziemlich viele Konkurrenzprodukte, um zu sehen, was die so machen.
Fotos: Sarah Buth