„Rübbelberg“ – das klingt irgendwie nach einem neuen Wes Anderson-Charakter in Cordlatzhosen und karierter Schiebermütze – nicht aus dieser Zeit und doch so 2020. Nur, dass „Rübbelberg“ kein Arthouse-Blockbuster, sondern das Erfolgsrezept der drei Berliner Sebastian Tigges, Christopher Leidinger und Philipp Nagel ist, die ihrer Liebe zu Eierlikör Tribut zollen. Die Geschichte könnte dann aber doch wieder aus Andersons Feder stammen: Angefangen hat alles vor zwei Jahren als ein Spaß unter Freunden. Daraus wurde schnell mehr und auf dem Weg zum Erfolg haben die drei Quereinsteiger so manche skurrile Erfahrung gemacht. Neben ausgewählten Bio-Zutaten steckt in „Rübbelberg“ Eierlikör vor allem eines: ganz viel Herzblut. Wir haben mit Sebastian über die großen und kleinen Herausforderungen des Gründens, warum es manchmal besser ist, langsam zu wachsen, und natürlich über Eierlikör gesprochen.
Wir hatten unsere eigenen Vorstellungen, wie Eierlikör schmecken soll: Wir haben Vanille drin, Limette und viel weniger Zucker als üblich.
Sebastian Tigges: Das ist ein Zufallsprodukt. Im Sommer vor zwei Jahren saßen wir drei beim Mittagessen zusammen – wir sind schon lange befreundet – und haben uns unterhalten. Es war ein sehr heißer Sommertag und Fernet-Branca hatte gerade eine Werbeaktion unter dem Motto „Life is bitter“ gestartet, um dieses ja etwas altbacken anmutende Getränk wieder cool zu machen. Ich bin darauf gekommen, dass meine Oma das immer getrunken hat und das führte irgendwie zum Eierlikör. Wir haben tatsächlich alle drei gesagt, dass wir Eierlikör echt gern mögen, er aber immer nur so richtig geil schmeckt, wenn er selbst gemacht ist. Der Eierlikör, den man so kaufen kann, da waren wir uns einig, schmeckt immer ein bisschen ranzig. Und so war die Idee geboren, unseren eigenen Eierlikör zu machen – ohne dass es zu dem Zeitpunkt darauf ausgelegt war, ein Business zu starten.
Wir haben ein paar Wochenenden in der Küche verbracht und experimentiert. Christopher war gerade Vater geworden, also waren wir immer bei ihm, konnten dabei die Tochter hüten und haben irgendwann, nach etlichem Probieren, mal eine Flasche abgefüllt. Wir hatten unsere eigenen Vorstellungen, wie Eierlikör schmecken soll: Wir haben Vanille drin, Limette und viel weniger Zucker als üblich. Diese erste Flasche haben wir zu Dinner-Parties mitgebracht und das kam gut an. Alle haben gesagt: „Ah, witzig Eierlikör!“ Jeder konnte etwas damit anfangen, aber die meisten haben es auch schon länger nicht mehr getrunken. Die Resonanz war so groß, dass wir angefangen haben, uns regelmäßiger zu treffen und immer ein paar Flaschen abzufüllen und sie zu verschenken. Als wir immer mehr Nachfragen bekamen und das immer größere Kreise zog, haben wir gesagt: „Okay das macht Bock, lasst uns das semi-professionell machen.“
(Lacht) Du ahnst es schon: Nein, nicht so wirklich. Unsere geniale Idee war dann, dass wir uns selbst Maschinen kaufen und alles selbst abfüllen und destillieren. Nach ein paar Recherchen sind wir aber ziemlich schnell an den Punkt gekommen, dass wir das auf keinen Fall machen können, weil die gesetzlichen Anforderungen in Deutschland ziemlich krass sind. Das hätten wir kosten-, aufwands- und platzmäßig gar nicht stemmen können. Dazu eine kleine Anekdote: Wir hatten gerade ein Gewerbe angemeldet – der Firmensitz war anfangs noch meine Adresse – und eines Tages rief ganz aufgeregt einer vom Gewerbeamt an und meinte: „Ich habe sie jetzt nicht angetroffen, aber ich stehe vor ihrem Haus, das ist ja ein Wohnhaus, sie werden doch hier wohl nicht Eierlikör herstellen?“ Dann musste ich ihn erstmal beruhigen und ihm sagen, dass wir das natürlich nicht selbst machen.
Genau. Leicht war das nicht, vor allem, weil unsere Vorstellungen auch echt absurd waren. Wir dachten, wir finden jemanden, der uns für den Anfang mal 100 Flaschen abfüllt. Einen sogenannten Lohnabfüller, der unser Rezept in Flaschen abfüllt und dann verschickt. Auch hier haben wir relativ schnell gemerkt, dass das ausgeschlossen ist. Wir wurden ausgelacht und haben eine Absage nach der anderen bekommen, oft mit dem Kommentar, wer denn jetzt noch Eierlikör haben wolle. Schließlich haben wir jemanden gefunden, der unsere Idee doch irgendwie lustig fand und der gerade in dritter Generation die Brennerei von seinem Vater übernommen hat. Er hat zugestimmt, unter der Bedingung, dass wir mindestens knapp 2000 Flaschen kaufen.
Genau, so nahm es seinen Lauf, weil die Flaschen dann natürlich nicht mehr nur für Freunde waren – so viele Freunde haben wir dann doch nicht (lacht).
Der Grundstein war der Entschluss, das durchzuziehen. Wir haben unser ganzes Erspartes zusammengekratzt und das jetzt fertige Rezept entwickelt – auf Grundlage dessen, was wir schon hatten, aber natürlich ging es jetzt darum, die richtigen Mengen auszumachen. Das war tatsächlich nicht so einfach. Der Unterschied zur Eigenherstellung zuhause ist, dass man in der eigenen Küche zwar Alkohol ohne Ende reinschüttet, man am Ende den Alkoholgehalt aber trotzdem überschätzt. Eierlikör muss mindestens 14% haben, damit er konserviert und keine Schadstoffe bilden kann.
2017 hatten wir die Idee und bis das Produkt fertig war – wir also wussten, wie der Eierlikör aussehen, heißen und schmecken sollte – ist ein Jahr vergangen. Die erste Flasche verkauft haben wir im August 2018 in der „Markthalle Neun“ in Kreuzberg, wo wir seitdem regelmäßig stehen.
Ganz ehrlich: oft! Zumindest gab es immer wieder Momente, in denen einer von uns gesagt hat, dass er keinen Bock mehr hat, weil wir ja echt überhaupt keine Vorstellung davon hatten, was das für ein Aufwand ist und was man alles beachten muss. Da kam es uns natürlich zugute, dass wir zu dritt und befreundet sind, weil mindestens einer immer gesagt hat: „Ach komm, den Schritt gehen wir jetzt auch noch!“ und wir uns so gegenseitig immer motiviert haben. Die Dynamik hat echt geholfen.
Das klingt immer so „cheesy“, aber für uns ist es ehrlich immer noch absurd, wenn wir samstags in der „Markthalle Neun“ stehen und jemand unseren Eierlikör kaufen will.
Das klingt immer so „cheesy“, aber für uns ist es ehrlich immer noch absurd, wenn wir samstags in der „Markthalle Neun“ stehen und jemand unseren Eierlikör kaufen will. Wir haben ja vorher noch nie so etwas gemacht, das ist immer ein ganz komisches Gefühl. Und wenn Medien berichten möchten, ist das auch immer noch irgendwie nicht real. Aber es macht super viel Spaß und uns extrem glücklich, vor allem, weil es ein echtes Nischenprodukt ist.
Stimmt. Ich bin Anwalt, Philipp ist Unternehmens-Jurist und Christopher hat seine eigene Marketingagentur. Am Anfang war die Vereinbarkeit ehrlich gesagt ein ziemlicher Kampf. Gar nicht so sehr während der Entwicklung, sondern in der ersten Zeit, nachdem wir auf den Markt gegangen sind. Wir waren am Wochenende in der Markthalle, montags wieder regulär im Job. Dann kam aber das Weihnachtsgeschäft letztes Jahr und der Onlineverkauf ging sowas von durch die Decke und wir hatten niemanden, der uns hilft. Ende 2018 waren wir ausverkauft. Das war eine sehr intensive Zeit und auch persönlich nicht immer ganz leicht – unsere Freundinnen mussten viel Akzeptanz mitbringen.
Ja. Im Frühjahr 2019 haben wir entschieden, dass wir das nicht nochmal machen können und jetzt haben wir jemanden, der die Flaschen lagernd hat und Onlineverkäufe verschickt. Das ist nur ein Beispiel, wie wir versuchen, unsere knappen Ressourcen zu nutzen und Dinge abzugeben. Vor allem das, was andere vielleicht einfach besser machen können. In der Markthalle haben wir jetzt auch immer Hilfe. Nächstes Jahr wird noch etwas spannender, weil wir vorhaben, zu expandieren. Und dahingehend steht schon die Frage im Raum, ob das noch Sinn hat, dass wir alle drei weitere Jobs haben, oder ob sich nicht einer voll auf „Rübbelberg“ konzentrieren sollte …
Ich bin Anwalt, Philipp ist Unternehmens-Jurist und Christopher hat seine eigene Marketingagentur. Am Anfang war die Vereinbarkeit von „Rübbelberg“ und unseren Jobs ehrlich gesagt ein ziemlicher Kampf.
Dass nicht sofort alles Bio sein konnte. Manchmal muss man sich entscheiden: Bio oder regional? Manche Bauern können sich gar nicht leisten, die Bio-Zertifizierung zu bekommen. Am Ende sind wir aber froh, dran geblieben zu sein und jetzt wirklich nur Bio-Lieferanten zu haben. Zudem war uns wichtig, dass die Menschen, die in die Produktion involviert sind, auch davon leben können. Die Vanille kommt zum Beispiel aus Madagaskar, das war ein riesiges Problem. Madagaskar ist einer der Hauptproduzenten von Vanille und da herrschen teilweise schlimme Umstände bei den Bauern. Wir haben lange suchen müssen, um einen Händler zu finden, der faire Arbeitsbedingungen nachweisen kann. Wir schauen aber auch immer nach neuen Möglichkeiten, um uns stets zu verbessern.
Ich muss nicht groß um den heißen Brei herumreden: Deine Mutmaßung stimmt (lacht). Wir hatten echt absurde Ideen, die ich jetzt nicht nennen will. Wir wollten etwas Traditionelles, Gutes, das aufzeigt, dass wir ein etwas angestaubtes Produkt mit einem Augenzwinkern neu beleben möchten. Es sollte etwas mit „Ü“ sein und ein bisschen so klingen, als wäre es althergebracht und doch zeitgemäß. „Rübbelberg“ war ein Name, der auf Anhieb für alle gepasst hat.
Beim Packaging hatten wir Hilfe von Freunden, die sich in der Zeit mit einer eigenen Design-Agentur selbstständig gemacht haben. Wir wollten dem Design noch einen Gag verleihen, mit einem Maskottchen. Wir kamen von der Vanille – die ja doch recht außerordentlich ist, weil sie nicht oft in Eierlikör vorkommt – auf Madagaskar und dann auf dortige Tiere. So kam das Chamäleon ins Spiel, unser „Rübi“.
Als wir unseren Eltern gesagt haben, wir machen jetzt Eierlikör, haben die nur gelacht.
Meine Eltern fanden das super lustig. Als wir ihnen gesagt haben, wir machen jetzt Eierlikör, haben die nur gelacht. Bis heute sind immer alle sehr erstaunt, wenn ich erzähle, dass wir jetzt zum Beispiel auch im „KaDeWe“ angeboten werden. Aber sie unterstützen uns natürlich und gehören zu unseren besten Kunden (lacht).
Der Schokobecher, da waren wir uns von Anfang an einig, den gibt es bei uns nicht (lacht). Wir hatten aber zum Beispiel letzten Sommer eine Launch-Party, da haben wir „Rübbelberg“ auf Eis mit Sekt und einem Schuss Grenadine gemixt. Das schmeckt echt überraschend geil und weil wir keine Milchprodukte drin haben, flockt da auch nichts. Richtig gut ist zum Beispiel auch, als Alternative zu einem Espresso-Martini, ein „Espresso-Rübbelberg“ mit Wodka.
Layout: Kaja Paradiek