New Work als feministische Praxis: Warum Selbstwirksamkeit der Schlüssel zur Veränderung ist

Marion King über alte Arbeitssysteme, Privilegien und den Mut zur Veränderung

New Work ist in aller Munde und dennoch versucht der Großteil der Arbeitnehmenden immer noch, die Zusammenarbeit nach einer Idee zu managen, die über 100 Jahre alt ist. Warum ist das so? Marion King ist Organisationsberaterin, Autorin und Gründerin der Beratungsagentur „les enfants terribles“. Sie verfolgt einen anderen Ansatz – mittels dem Selbstwirksamkeitsprinzip ermutigt sie Menschen zum Selberdenken und Selbermachen. In ihrem neuen Buch „Gute Arbeit! Eine Anstiftung zur Selbstwirksamkeit“ teilt sie Ideen, Konzepte, Lösungsvorschläge und Erfahrungen aus ihrer Praxis. Im Interview spricht sie über den Zustand unserer Arbeitswelt, langsame Veränderung, Privilegien und über die elementare Bedeutung von Selbstwirksamkeit.

Wir können immer etwas verändern und unser Leben in die Hand nehmen.

femtastics: Was hat es mit der Selbstwirksamkeit auf sich – wo kommt der Begriff im Jobkontext her?

Marion King: Der kanadische Psychologe und Lernforscher Albert Bandura gilt als Entwickler der sozial-kognitiven Lerntheorie. Er hat den Begriff der Selbstwirksamkeit geprägt, der besagt, dass wir alle jederzeit selbstwirksam sind. Wir können immer etwas verändern und unser Leben in die Hand nehmen. Es ist nichts, was wir lernen müssen. Es ist eine Fähigkeit, die wir alle haben. Das ist ein total schöner Gedanke und das in den Menschen (wieder) zu wecken, ist mein Hauptantrieb. Wir alle können etwas bewegen. Das möchte ich gerne freilegen und Menschen dazu ermutigen und unterstützen, sich auf den Weg zu machen. 

Warum ist Selbstwirksamkeit aktuell so ein großes und wichtiges Thema – und warum wolltest du ein Buch zu dem Thema schreiben?

Das Buch basiert auf meinen Erfahrungen als Organisationsentwicklerin, Führungskraft und Personalchefin aus den letzten 30 Jahren. Veränderung fängt an, wenn Menschen sich selbst auf den Weg machen. Das habe ich oft erlebt. Immer dann, wenn Menschen in ihre Selbstwirksamkeit kommen, verändern sich auch die Organisationen. Wenn das ganz oben im Management passiert, dann ist es am effektivsten und umfassendsten. 

Viel mehr ist machbar, als wir denken – und zwar in unserem eigenen Wirkkreis. Wenn Menschen bei sich selbst anfangen würden, hätte das große Auswirkungen. Was will ich denn eigentlich? Was brauche ich? Wenn sie dann in ihrem Wirkkreis anfangen, anders miteinander umzugehen, beginnt Veränderung.

Veränderung fängt an, wenn Menschen sich selbst auf den Weg machen.

Hast du dafür ein konkretes Beispiel aus deiner Erfahrung?

Vor Kurzem war ich in einem großen Change Projekt involviert. Ein Mitarbeitender sagte nach den ersten Wochen im Projekt, dass er damit angefangen hat, seine Tür im Büro aufzulassen und dass dort jetzt jede*r, die*der vorbeikommt, “Hallo” sagt. Alleine dadurch hat sich die Kommunikation untereinander verändert. Das ist total gut. Solche kleinen Dinge helfen schon, eine Organisation in Bewegung zu bringen.

Wir alle zusammen sind “die Arbeit”. Um diesen Gedanken geht es im Buch. Wenn wir diese Kraft der Selbstwirksamkeit nutzen und uns zusammentun, dann passiert etwas.

Es geht darum, einen realistischen Blick auf das eigene Leben zu haben.

Inwiefern ist Selbstwirksamkeit eine Frage von Privilegien? Es hat auch mit Ressourcen und Kraftreserven zu tun, wie selbstwirksam man sein kann. 

Das ist ein wichtiges Thema. Das Selbstwirksamkeitsprinzip sagt, dass es Momente im Leben gibt, in denen ich keine Selbstwirksamkeit spüren kann. Es geht darum, einen realistischen Blick auf das eigene Leben zu haben. Das hat etwas mit unserer Selbstwirksamkeitserwartung und unseren Erfahrungen zu tun. Wenn mir jemand ständig gesagt hat, „Du kannst nichts und du taugst nichts“, dann glaube ich irgendwann nicht mehr an meine Selbstwirksamkeit. Das wieder zu wecken ist wichtig. 

Ich glaube ganz fest daran, dass wir besser darin werden können, uns wahrzunehmen, für uns einzustehen und nach unseren Stärken zu schauen. Das können wir trainieren, am besten ganz früh in der Kita und in der Schule. Würden wir die Selbstwirksamkeit bei allen Menschen stärken, würden wir vielleicht weniger in schwierige Situationen geraten. 

Das heißt, es geht auch um Selbstfürsorge?

Es dreht sich um Prävention und darum, zu lernen, für sich selbst zu sorgen. Selbstfürsorge hängt eng mit Selbstwirksamkeit zusammen. Das ist übrigens nicht egoistisch, sondern gesund. Ich mag das Bild vom Flugzeug und der Sauerstoffmaske. Man sollte erstmal die eigene Maske aufsetzen und erst dann kann man auch anderen helfen. Wenn wir viele Menschen haben, die gestärkt sind, dann können sie anderen helfen und sich für andere einsetzen. Dadurch entsteht eine ganz andere Gemeinschaft.

Deshalb wäre es wichtig, dass die Menschen, die die nötigen Ressourcen, Energie und Kompetenzen haben, die kritisch denken und sich auf den Weg machen wollen, in den Unternehmen bleiben. Dann kann dort eine Dynamik entstehen.

Unsere Arbeitswelt ist geprägt von einem alten Bild von Arbeit und von alten Arbeitssystemen.

In deinem Buch beschreibst du den aktuellen Zustand der Arbeit. An welchem Punkt befinden wir uns?

Unsere Arbeitswelt ist geprägt von einem alten Bild von Arbeit und von alten Arbeitssystemen, die vor über 120 Jahren im Industriezeitalter entstanden sind. Wie wir Organisationen bauen, wie wir Prozesse und Arbeit steuern, wie wir überhaupt auf Arbeit schauen, ist alles vor langer Zeit und unter anderen Umständen entstanden. 

Verrückterweise arbeiten wir aber immer noch so. Oben gibt es Menschen, die denken und entscheiden, und unten gibt es Menschen, die führen aus – das alte, hierarchische und künstlich gebaute Top Down. All diese Grundsätze, die wir beim Arbeiten haben, sind relativ unverändert. Das kollidiert mit einer Welt, die heute eine ganz andere ist. Alleine die Veränderungen, die das Thema Digitalisierung in den letzten 20, 30 Jahren mit sich gebracht haben, sind massiv.

Viele betrachten Arbeit als notwendiges Übel.

Die technologische Entwicklung wird zudem immer schneller.

Und komplexer. Der Grad an Komplexität hat extrem zugenommen und dafür sind unsere Unternehmen einfach nicht ausgestattet. Wir sind darauf nicht ausreichend vorbereitet. Wir haben uns in diesem alten Zustand eingenistet und letztendlich ist der Zustand der Arbeitswelt nicht gut. Das zeigen auch die Zahlen.  Statistiken belegen, wie viele Menschen kurz vor dem Burnout stehen oder innerlich gekündigt haben. 

Viele betrachten Arbeit als notwendiges Übel. Das erlebe ich in Projekten, in denen ich involviert bin. Die Menschen sind ausgebrannt und wissen nicht, wie sie Arbeit für sich gut gestalten sollen und können. Vor allem seit Corona. Es gibt sehr viel Unsicherheit und das ist anstrengend. Es ist unglaublich, dass so viele Menschen das einfach mitmachen und keine*r grundsätzlich etwas dagegen unternimmt.

Absolut. Wir verbringen den Großteil unserer Lebenszeit mit Arbeit. Es ist erstaunlich, dass nicht mehr Menschen ein Interesse daran haben, die Arbeitszeit so zu gestalten, dass es eine gute Zeit ist.

Wir sind es nicht anders gewohnt. Und es gibt bestimmte Vorstellungen von Fleiß, Erfolg und Leistung. Die eigenen Glaubenssätze spielen dabei eine große Rolle und das, was uns zum Beispiel von unseren Eltern vorgelebt wurde. Gerade in der Frage, was Arbeit für uns bedeutet und was wir leisten müssen.

Du arbeitest unter anderem im Gesundheitsbereich mit Klinikleitungen, Ärzt*innen und Pfleger*innen. Das sind ja häufig Organisationen, die nicht unbedingt für moderne Strukturen und gute Arbeitsbedingungen bekannt sind. Wie wird man selbstwirksam in Strukturen, die das auf den ersten Blick nicht ermöglichen?

Ich war vor ein paar Jahren Teil des Buches “New Work in Healthcare” von Patrick Merke, eine Art Kompendium mit sehr vielen Praxisbeispielen aus diesem Bereich. Seither beschäftige ich mich intensiver mit diesem Thema. Ich erlebe Pflegeeinrichtungen, Krankenhäuser und Kliniken, die sich auf den Weg machen und Dinge anders, eben in Richtung New Work machen. Das ist kein rasanter Wandel, der sich schnell vollziehen wird, aber es gibt in diesen Bereichen eine Aufbruchstimmung. Das ist auch ein Teil des Selbstwirksamkeitsprinzips, dass man losgeht, Erfahrungen macht und merkt, es funktioniert. Und daraus entstehen wiederum neue Vorbilder.

In vielen Unternehmen wird darüber diskutiert, einen Purpose oder ein Warum zu finden. Das ist spannend, denn im Gesundheitsbereich haben die allermeisten Menschen diesen Purpose und sehen einen Sinn in ihrer Arbeit. Sie machen das wirklich von Herzen und das ist eine große Antriebskraft. Aus dieser Kraft kann ganz viel in Organisationen entstehen, wenn es den Mitarbeitenden ermöglicht wird. 

Führungskräfte müssen ermöglichen, dass sich die Menschen darüber austauschen können, wie sie ihre Arbeit (anders) gestalten können. Und wenn dieser Austausch entsteht, wenn es aus und von den Menschen kommt, ist das eine große Kraft. Das sehe ich im Moment in vielen Organisationen. Dabei will ich das politische System drumherum und die Arbeitsbedingungen nicht kleinreden. Das ist nochmal ein anderes Thema.

Kann ein innerer Wandel irgendwann Auswirkungen auf die politischen Strukturen haben?

Menschen, die sich mit neuem Arbeiten beschäftigen und vor allem neue Arbeitsbedingungen schaffen, können damit ganz anders Einfluss nehmen, weil sie es vorleben und Erfolge vorweisen können. Sie gehen ganz anders in die Diskussionen und stehen für ihre Anliegen ein, vor allem in höheren Positionen. Missstände öffentlich zu machen und sich für eine Veränderung einzusetzen, ist ein wichtiger Punkt. 

Wenn wir es schaffen, Schulen zu verändern, wäre die Welt eine ganz andere.

Du hast gesagt, dass das Selbstwirksamkeitserleben im besten Fall viel früh anfangen sollte, zum Beispiel in Kita und Schule. Im deinem Buch gibt es Impulse von Expert*innen zu verschiedenen Themen: Neue Männlichkeit, New Work als feministische Praxis, eine neue Schule, ein neuer Job. Warum sind das wichtige Themen, mit denen wir uns im Arbeitskontext beschäftigen müssen?

Die vier Themen aus dem Inspirationsteil sind mir in den letzten Jahren immer wieder begegnet, denn sie sind an das Thema New Work angedockt. Ich habe Menschen aus meiner Community gefragt, ob sie einen Teil beitragen wollen. Das Thema „New Work Man“ zum Beispiel kann ein großer Hebel für Veränderung sein, denn es sind in der Mehrzahl Männer*, die unser Arbeitssystem bzw. überhaupt unsere Systeme bestimmen.

Wenn wir es schaffen, Schulen zu verändern, wäre die Welt eine ganz andere. Wenn Kinder lernen würden, anders miteinander in Beziehung zu treten, wenn es ein bisschen weniger um Mathe gehen würde und dafür mehr um Gemeinschaft und Selbstwirksamkeit, hätte dies einen großen Effekt.

Die kleinen Dinge sind total wichtig. Das gilt für die Arbeitswelt, unser privates Miteinander und die Gesellschaft.

Die Welt verändert sich unglaublich schnell, es gibt unzählige Krisen und viele Menschen sind davon überfordert und fühlen sich ohnmächtig. Brauchen wir auch gesellschaftlich mehr Selbstwirksamkeit?

Selbstwirksamkeit ist kein Konzept und wurde auch nicht erfunden. Es ist eine Fähigkeit, die wir alle haben. Man muss Selbstwirksamkeit niemandem beibringen, wir müssen sie nur (wieder) wecken. Wenn jeder Mensch in seinem eigenen kleinen Wirkkreis Gutes tut, wirkt sich das auf alles aus. Es gibt eine Bewegung in diese Richtung. Viele Menschen spüren, dass sie die Welt nicht retten oder die Klimakrise lösen können. Also fokussieren sie sich wieder auf das, was in ihrem Wirkkreis ist. Was kann ich denn wirklich verändern? 

Ich kann zum Beispiel in eine Partei eintreten, ich kann einen Verein gründen oder mich einfach in der Schule oder in der Nachbarschaft engagieren. Damit habe ich konkrete Möglichkeiten zu gestalten. Menschen fangen damit an und schauen, was sie in ihrem Umfeld tun können. Dadurch passiert viel und das ist richtig toll. Die kleinen Dinge sind total wichtig. Das gilt für die Arbeitswelt, unser privates Miteinander und die Gesellschaft.

Hier findet ihr Marion King:



Collage/Foto: „Canva“/ Barbara Dietl

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