Anja Thonig ist Crowdfunding-Expertin bei der „VisionBakery“ und dem „Crowdfunding Campus“ in Berlin. Ein Beruf, der zu Anjas Schulzeiten noch „Quark im Schaufenster“ war – wie man in Ostdeutschland so schön sagt – und auch heute noch in den Kinderschuhen steckt. Ihre Aufgabe? Anderen Menschen zum Mitmachen zu bewegen! Dass es dafür kaum eine bessere Person als die Wahl-Berlinerin geben kann, wird schnell klar. Anjas Esprit ist ansteckend. Warum Crowdfunding mehr als ein reines Finanzierungskonzept ist, es eher von Frauen als von Männern genutzt wird, und wie man richtig gründet, erzählt sie uns bei einer Tasse Tee im Wunderhaus in Berlin.
Anja Thonig: Puh! Wenn es nur um die pure Definition geht, dann ist Crowdfunding die Finanzierung eines Projektes mittels der Crowd – sprich, mittels einer Masse von Menschen. Crowdfunding ist eine alternative Finanzierungsmethode, die extrem viele Benefits mitbringt, die viele Menschen gar nicht kennen. Für mich ist es immer nur ein ergänzendes Finanzierungsinstrument zu anderen und nie ein ersetzendes.
Ganz unterschiedlich. Im Moment liegt unser Fokus auf einer Maßnahme, die wir speziell entwickelt haben – „Individuelles Coaching – erfolgreich gründen mit Crowdfunding“ – die auf Existenzgründer abzielt, ebenso wie auf Menschen, die sich bereits in der Gründung befinden oder schon selbstständig sind, Zuschüsse bekommen oder über Arbeitslosengeld I oder II Geld beziehen. Diese Maßnahme wird zu 100% vom Arbeitsamt und Jobcenter gefördert. Initiiert haben wir diese, weil uns in den letzten Jahren bewusst geworden ist, dass Crowdfunding nicht nur ein reines Finanzierungsinstrument ist, sondern es dabei auch um Networking und Marketing geht und es in erster Linie ein Gründungsinstrument ist, was total verkannt wurde. Ich nenne das Ganze „Mission Crowdfunding“ – mit der Intention, den Crowdpreneurs der Zukunft den Weg zu ebnen.
Es gibt erstens das „Lending-based Crowdfunding“, das ist quasi das Kreditbasierte Crowdfunding, bei dem Kredite von Privatpersonen ausgestellt werden, die man nach einer gewissen Zeit verzinst wieder zurückzahlt. Privatkredite sozusagen. Zweitens das „Equity-based Crowdfunding“, das ist das investorische, Beteiligungsbasierte Crowdfunding. Das wird meistens von Start-ups genutzt – da geht es teilweise um richtig viel Geld und darum, sich Investoren zu suchen, die sich am Unternehmen oder an der Idee beteiligen und dementsprechende Anteile bekommen. Dafür ist es extrem wichtig, nicht nur einen Rechtsanwalt und einen Steuerberater an der Hand zu haben, sondern vor allem jemanden, der einen berät. Drittens gibt es das „Donation-based Crowdfunding“, das „ganz normale“ Spendenbasierte Crowdfunding, wie es viele zum Beispiel von betterplace.org kennen. Da geht es einfach darum, Spenden zu sammeln. Das ist vor allem für soziale Projekte praktisch – eingetragene, gemeinnützige Vereine, die Spendenquittungen ausstellen können. Viertens gibt es das „Reward-based Crowdfunding“, das Gegenleistungsbasierte Crowdfunding – die mir liebste Art des Crowdfundings, weil ich finde, dass man damit wirklich alles machen kann. Da geht es darum, den Unterstützern eine Gegenleistung zu geben: egal, ob emotionaler Art, eine Dienstleistung oder ein Produkt, solange es nicht monetärer Art ist.
Ja, für meinen Hund Max, der schon ziemlich alt ist und dringend Physiotherapie benötigt. Mit 324% und 131 Unterstützern habe ich es erfolgreich umgesetzt (lacht). Das war super, es ermöglicht mir, Projekte noch besser zu betreuen, weil ich noch einmal viel dazu gelernt habe.
Das ist schwer zu sagen, weil bei den Projekten wirklich alles dabei ist: vom jungen Gründer bis hin zur spirituellen 65-Jährigen, die in Afrika gelebt hat und jetzt ihren Spirit in die Welt tragen möchte. Ich mag sie alle! Witzig sind immer die Leute, die kommen und sagen: „Ich hab‘ da was, das gibt’s noch nicht, das ist so einzigartig, aber wir können noch nicht darüber reden.“
Das Schöne an unserem Beruf ist: Es gibt keine Idee, die nicht verrückt genug ist, mit Crowdfunding erfolgreich zu sein. Das ist ja der Vorteil am „Crowdfunding Campus“: Wir können Gründer unabhängig von ihrer Idee bei ihren ersten Schritten an die Hand nehmen und ganz individuell betreuen. Welche Art und welche Plattform sich dann am ehesten für das Vorhaben eignet, ist ein Teil der Beratung.
Sehr wichtig, das vergessen die Leute leider oft. Vor allem muss man wissen, was man jeweils von der Plattform erwarten kann. Das fängt damit an, dass viele denken bei einer großen Plattform kämen Unterstützer ganz von alleine. Wenn das Vorhaben dann nicht zustande kommt, weil man selbst nicht genügend dafür geworben hat, ist das einfach schade. Genauso sollte man überlegen, was in Hinsicht auf die Zielgruppe cleverer ist – gehe ich beispielsweise lieber zu einer deutschen Plattform oder zu einer internationalen? Lege ich die Kampagne an, weil mir in erster Linie die Finanzmittel fehlen oder Feedback zur Idee? Das alles sind Faktoren, die man bei der Wahl der Plattform berücksichtigen sollte. Für die wichtigsten Themen, die entscheidend für den Erfolg eines Crowdfundings sind, bieten wir daher kostenlose Workshops an: „Wie finde ich die richtige Plattform?“, „Wie erreiche ich die richtige Zielgruppe?“ oder „Was gehört in ein gutes Crowdfunding-Video?“.
Unsere Maßnahme „Gründen über Crowdfunding“ geht geplant über zwei bis drei Monate und ist ein ganz intensives Coaching von über 90 Stunden, was zu 100% gefördert wird. Dazu gehört die Aufbereitung eines Businessplans und Unternehmenskonzepts sowie die Planung und Durchführung einer Crowdfunding-Kampagne. Bis dato waren tatsächlich 3/4 der Teilnehmer Frauen. Ich bin kein Freund von Klischee-Reiterei aber das Feedback von Männern ist in der Regel, dass das schneller gehen müsste – und ich kann mir vorstellen, dass es Männern auch schwerer fällt, nach Hilfe zu fragen. Coaching ist ja am Ende genau das. Wobei ich sagen muss, dass die Männer, die wir haben, fernab dieser Klischees sind. Vielleicht ist es auch der Schritt zum Arbeitsamt, der notwendig ist, um die Maßnahme kostenlos zu erhalten, der sie abschreckt? Ich weiß es nicht.
Es ist für Frauen einfach nach wie vor schwieriger zu gründen, auch aufgrund der Finanzierung. Ich kann mir vorstellen, dass es Frauen noch immer schwieriger gemacht wird, wenn es um Kredite geht. Das ist vielleicht der Grund, warum Crowdfunding für sie so spannend ist, als ergänzendes finanzielles Mittel.
Wir haben eine „Crowdfunding Toolbox“ entwickelt, die alle wichtigsten Infos enthält – vom allgemeinen Teil, was Crowdfunding überhaupt ist, bis hin zum Finden der richtigen Plattform und zu Tipps für Videos und Marketing. Diese kann man sich kostenfrei bei uns auf der Website herunterladen. Videos sind total wichtig, werden aber immer noch unterschätzt. Storytelling – ein extrem wichtiger Punkt. Man muss die Leute abholen. Oft sind es thematisch die einfachen Dinge, die funktionieren: David gegen Goliath, Arm gegen Reich. Die Leute müssen sich mit dem Projekt identifizieren können, es muss erlebbar sein. Der größte Fehler ist, zu glauben, dass die Plattform das alles für einen macht. Keine Plattform macht das.
Manche kommen mit schwierigen Vorstellungen: von wegen sie brauchen 50.000 Euro, wie sie das denn jetzt am besten angingen? Und manche suchen wirklich nur nach jemandem, der die Kampagne für sie erstellt. Macht aber keine Plattform. Ebenso wenig, wie in Vorleistung zu gehen. Auch danach wird oft gefragt.
Mittlerweile nicht mehr, und das finde ich auch ganz schön so. Die meisten kommen trotzdem noch aus dem kreativen Bereich, aber Kreativität ist für mich ein breiter Begriff – das umfasst vieles von Musik über Journalismus, Bücher, Theater, Veranstaltungen. Oftmals geht es auch um Produkte, die über Crowdfunding-Plattformen verkauft werden sollen – ich will nicht sagen als Ersatz für einen Online-Shop, aber der Vorverkauf neuer Produkte funktioniert über Crowdfunding extrem gut und das Netzwerk lässt sich damit immer weiter ausbauen.
Ich habe keine Zahlen. Bei den Leuten, die ein Beratungsgespräch in Anspruch nehmen, würde ich gefühlt sagen, sind es Zweidrittel, die ihr Crowdfunding auch tatsächlich angehen und erfolgreich umsetzen. Von den Leuten, die ein Projekt nur anlegen ohne sich beraten zu lassen, sind es am Ende tatsächlich nur 10-20%, die es dann auch wirklich angehen.
Interessant finde ich, dass Frankreich und Großbritannien beim Thema Crowdfunding weit vor Deutschland liegen. Großbritannien ist Platz 1 in Europa. Die haben eine sehr offene Geber-Mentalität. Der Deutsche braucht hingegen ein bisschen mehr Sicherheit – jetzt reiten wir doch noch ein Klischee (lacht). Dem Deutschen seine Angst zu nehmen, dass es okay ist, drei Minuten seiner kostbaren Lebenszeit zu investieren, um etwas zu unterstützen, ist schon sehr viel mühsamer. Aber das Sicherheitsbedürfnis spielt da eine extrem große Rolle. Und viele kennen es einfach nicht – was der Bauer nicht kennt, isst er nicht.
Das ist eine gute Frage. Ich schätze, 100 pro Jahr. Ich mache das jetzt seit vier Jahren und habe ungefähr 400 Projekte betreut. Als Campus an sich haben wir weit über 1.500 Projekte, wenn wir das gesamte Team zusammen nehmen, und das gibt es in der Form kein zweites Mal. Und ich spreche nicht von einer 20-minütigen Erstberatung, sondern von Betreuung – vom Anfang bis zum Schluss. Das kann so kein anderer vorweisen.
Ja, auf jeden Fall. Ich habe keinen Studienabschluss, bin Autodidaktin. Ich habe zwar Lehramt und Kultur- und Medienmanagement studiert, habe aber beides abgebrochen. Ich stehe wirklich nicht gerne im Mittelpunkt, aber das macht mich einfach stolz, vor allem, weil ich auch eine der wenigen Frauen in dem Business bin. Ich will nicht behaupten, die beste, aber ich bin doch eine der besten in der Branche (lacht).
Da ist noch viel Luft nach oben, vor allem in Deutschland. Aber natürlich ist es ein erkenntlicher Trend, dass man wieder mehr an die Gemeinschaft denkt. Darum geht es auch beim Crowdfunding: nicht darum, Geld zu erbetteln, sondern einander zu unterstützen und gemeinsam etwas Tolles auf die Beine zu stellen. Man bekommt ja auch etwas dafür.
Absolut, es kommen sehr viele Projekte aus Ostdeutschland. Im Westen sieht es da eher mau aus. Die Mentalität ist im Osten offenbar noch eher gegeben, sich gegenseitig zu helfen. Und wieder: Klischee olé! (lacht). Davon abgesehen kommen allein die beiden größten deutschen Crowdfunding-Plattformen aus dem Osten, das heißt ja auch schon etwas.
Ich bin beruflich und privat extrem gesegnet. Ich finde alles gut wie es ist und so darf es gerne bleiben. Ich wünsche mir ansonsten lediglich mehr Frauen im Crowdfunding, damit ich nicht immer die einzige bin, die da auf dem Podium sitzt. Die Branche ist so gemacht für Frauen: Geschichten erzählen, sich in andere hineinversetzen, um die Ecke denken, das können Frauen doch oft besser. Und das ist dann jetzt wirklich das allerletzte Klischee für heute (lacht).
Fotos: Sophia Lukasch
Interview: Stephanie Johne
Layout: Kaja Paradiek