Gewalt bei der Geburt: Wie sich Schwangere davor schützen können

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27. November 2024

Lena Högemann ist Journalistin, Autorin und Mutter von zwei Kindern – und sie hatte nach der ersten Geburt posttraumatische Belastungsstörungen. Heute weiß Lena: So wie ihr geht es vielen Müttern, die während der Geburt Gewalt erfahren und später unter Panikattacken und Albträumen leiden.

Wie sich diese Gewalt ausdrückt, warum sie in vielen Kliniken täglich praktiziert wird und was Frauen tun können, um einer solchen Erfahrung vorzubeugen: Das verrät Lena in ihrem neuen Buch „So wollte ich mein Kind nicht zur Welt bringen“ – und in unserem bewegenden Interview.   

femtastics: Dein Buch beginnt mit dem eindrücklichen Satz „Der Tag, an dem ich Mutter wurde, war der schlimmste Tag meines Lebens.“ Was ist damals passiert?

Lena Högemann: Ich habe noch nie so etwas Schlimmes, Gewaltvolles, Fremdbestimmtes und auch Grausames erlebt. Es war eine Geburt, die davon geprägt war, dass es nicht um mich als Mensch geht. Es zählte nur, dass dieses Kind möglichst schnell aus mir herauskommt. Dabei war ich eine gesunde und völlig normale Schwangere, ich bin einfach ins Krankenhaus gegangen, um mein Kind zu bekommen, und ich dachte, die werden dort schon wissen, was sie tun. Was ich aber nicht wusste: Ich begab mich in ein System, das von sehr vielen Eingriffen geprägt ist – auch von solchen, die medizinisch nicht notwendig sind.

Meine Hebamme machte mich die gesamte Geburt über fertig. „Das reicht nicht, so wird das nichts“, sagte sie.

Außerdem wusste ich nicht, dass es Hebammen gibt, die nicht empathisch und mitfühlend sind, sondern die stattdessen furchtbare Dinge sagen. Meine Hebamme machte mich die gesamte Geburt über fertig. „Das reicht nicht, so wird das nichts“, sagte sie. Und: „Weinen hilft dir jetzt auch nicht.“ Ich war der Überzeugung, dass ich ganz offensichtlich gerade etwas falsch mache und etwas tue, das diese Frau* sehr ärgert.

Du sprichst ganz explizit von Gewalt, die du erlebt hast. Meinst du damit solche Aussagen?

Das war die verbale Gewalt. Es kam körperliche Gewalt hinzu, weil ich heute weiß, dass viele Dinge durchgeführt wurden, die medizinisch nicht notwendig waren. Ich bekam einen Wehentropf, damit es schneller ging und eine PDA gegen die Schmerzen, die dieser Tropf verursachen würde, weil der Klinik alles viel zu langsam ging.

Am Ende hat man mein Kind mit einer Saugglocke aus mir herausgezerrt und einen Dammschnitt gemacht, der nicht angekündigt war und dem ich nicht zugestimmt hatte. Und irgendwann sah ich, dass die Tür aufstand und der Vorhang zur Seite gezogen war. Dort stand eine Gruppe Studierender und sah bei meiner Geburt zu – das Fußende meiner Liege war zur Tür hin ausgerichtet. Der erste Satz, den die Oberärztin sagte, als mein Kind auf der Welt war, lautete: „Das war jetzt sehr interessant für unsere Studenten.“ Es taten sich so viele menschliche Abgründe auf und ich weiß, dass ich damit kein Einzelfall bin.

Das ist fast zehn Jahre her und inzwischen hört man – auch durch Menschen wie dich, die ihre Geschichten öffentlich machen – immer wieder von Gewalt bei der Geburt. Hast du dich in deiner ersten Schwangerschaft mit dem Thema beschäftigt?

Überhaupt nicht. Dabei bin ich ja Journalistin und habe im Vorfeld viel über Geburten gelesen. Aber damals ist mir das Thema nicht begegnet. Ich habe einen Geburtsvorbereitungskurs gemacht und dachte, damit wäre ich gut vorbereitet. Ich wusste, wie ich atmen soll, welche Turnübungen mir im Kreißsaal helfen und wann ich sinnvollerweise in eine Wanne gehe – doch auf das ganze System wurde ich nicht vorbereitet. Dann war ich plötzlich in der Klinik und bekam überhaupt keine Gelegenheit, zu turnen oder in die Wanne zu steigen. Selbst wenn ich gewollt hätte: Ich lag bereits auf der Liege und hing an dem Wehentropf, bevor ich mitreden konnte.

Du hast für dein Buch mit vielen anderen Eltern gesprochen und auch in Kliniken recherchiert. Sind dir dabei große Unterschiede auf den Geburtsstationen begegnet?

Total. In manchen Kliniken ist die Geburt einfach nur ein medizinischer Prozess. Es gibt ein Geburtsbett in einem sehr hellen, klinischen Raum, auf Monitoren sind die CTGs aller Frauen gleichzeitig zu sehen, damit der*die Ärzt*in gleich zur nächsten Frau rennen kann, wenn etwas passiert. In anderen Einrichtungen gibt es Räume, die in gedeckten Farben und gemütlich gestaltet sind. Da steht eine Salzlampe in der Ecke, es gibt Wanne, Ball, Hocker, Matte und all die Dinge, von denen man im Geburtsvorbereitungskurs hört.

Und man wird von einer freundlichen Hebamme begleitet, die ruhig spricht und nicht gestresst ist. Klassischerweise gibt es ein solches Szenario vor allem in Geburtshäusern, aber auch einige Kliniken versuchen, das nachzubilden. Als ich mein zweites Kind bekam, war ich in einer Klinik, die so gestaltet war. Es gibt Krankenhäuser, die sich Mühe geben. Aber die sind noch immer die Ausnahmen.

Den meisten Kliniken fehlt das Verständnis, dass eine Geburt eigentlich ein natürlicher Prozess ist.

Woran liegt das deiner Meinung nach?

Den meisten Kliniken fehlt das Verständnis, dass eine Geburt eigentlich ein natürlicher Prozess ist. Es gibt natürlich in seltenen Fällen sehr schwere Komplikationen und ich habe in den Gesprächen mit Ärzt*innen erlebt, dass sie vor allem auf solche Fälle vorbereitet sein wollen. Das kann ich nachvollziehen. Doch die allermeisten Frauen sind gesunde Schwangere, die ganz natürlich ein Kind zur Welt bringen wollen.

Wie kam es denn zur Auswahl deiner Geburtsklinik? Hast du dich vorher darüber informiert, wo du dein Kind zur Welt bringen möchtest?

Ich bin dort hingegangen, weil ich dort eine Beleghebamme hatte. Es war mein größtes Ziel, eine Beleghebamme zu haben, die man vorher kennenlernen kann und die die gesamte Geburt über begleitet – und das ist sogar in Städten wie Berlin wirklich selten. Ich wusste, wenn ich diese Hebamme bekommen möchte, muss ich in diese Klinik gehen.

Weil der Chefarzt beim Infoabend sagte, die Kreißsäle seien meist belegt, habe ich mir die Räumlichkeiten vorher nicht angeguckt. Das ist etwas, das ich heute allen Frauen rate: Geht dorthin, schaut euch die Kreißsäle an, sprecht mit den Menschen dort. Ist das der Ort, an dem ihr euch wohl fühlt und ein Kind zur Welt bringen wollt? Man braucht für eine Geburt ja einen Ort, an dem man sich entspannen kann, an dem man loslässt und sich öffnet. Wenn man von Beginn an ein ganz unangenehmes Gefühl hat, ist das schwierig.

Einmal zum Verständnis: Diese Beleghebamme, die du dir vorher ausgesucht hattest, war die Frau*, die dich später so schlecht behandelt hat?

Ganz genau. Ich wusste vorher aber nicht, dass viele Beleghebammen sehr viele Frauen annehmen, weil sie dann mehr Geld verdienen – was in dem Job nachvollziehbar ist. Das wird bei meiner Hebamme der Fall gewesen sein. Sie stand enorm unter Druck, sie kam auch nicht direkt, als ich sie anrief, sondern sagte, sie müsste erst einmal schlafen, weil sie gerade von einer anderen Geburt kam. Das ist leider so in diesem System. Ich hatte vorher schon kein wirklich gutes Gefühl bei ihr, aber sie war im ersten Gespräch freundlich und hat mir ja nicht verraten, wie sie später mit mir umgehen wollte.  

Ich wusste auch nicht, wie normal in dieser Klinik die vielen Eingriffe in die Geburt sind. Das hat mir keiner gesagt. In meiner Klinik ist ein unangekündigter Dammschnitt Standard, man setzt auf viele medizinische Eingriffe. All das habe ich erst erfahren, als ich mich nach meiner Geburt dort beschwert habe.

Ist es möglich, so etwas vorher herauszufinden? Können werdende Eltern erfahren, wie viele medizinische Eingriffe durchgeführt werden oder ob Dammschnitte Standard sind?

Das erfährt man natürlich nicht bei einem klassischen Infoabend im Kreißsaal. Der ist meist eine reine Werbeveranstaltung, weil Kliniken sich aus finanziellen Gründen bemühen, möglichst viele Schwangere zu begeistern. Über die Häufigkeit von Eingriffen spricht meiner Erfahrung nach niemand von sich aus. Deshalb ist es ein Schwerpunkt in meinem Buch, dass man sich bei der Geburtsvorbereitung auch auf das Thema der selbstbestimmten Geburt vorbereitet. Ich möchte Frauen ganz viele Informationen mitgeben, welche Eingriffe es gibt, wann sie medizinisch notwendig sind und wann nicht, welche Fragen man immer stellen sollte.

Wenn man kein*e Ärzt*in oder Hebamme ist, hat man dieses Wissen vorher nicht, aber wenn man selbstbestimmt gebären möchte, ist es zum Beispiel hilfreich zu wissen, dass es eine Leitlinie gibt, in der steht, wann welcher Eingriff durchgeführt werden sollte – und wann nicht. Also kann man als Gebärende fragen, ob das Vorgehen gerade leitlinienkonform ist, und was passieren würde, wenn man einen Eingriff nicht macht. Es gibt eine Auswertung der Krankenhäuser in ganz Deutschland, aus denen hervorgeht, wie die durchschnittlichen Eingriffszahlen, zum Beispiel die Dammschnittraten, sind. Wenn man diese Werte kennt und dann herausfindet, wie hoch die Zahlen in welcher Klinik sind, hat man eine gute Ausgangslage.

Einige verdrehen die Augen, wenn Frauen solche Fragen stellen oder selbst einen Geburtsplan haben, in dem steht, was ihnen bei der Geburt wichtig ist, welchen Eingriffen sie explizit zustimmen wollen und was sie überhaupt nicht durchführen möchten.

Würdest du empfehlen, solche Fragen bei einem Infoabend in der Klinik zu stellen?

Man kann das gut bei einem Infoabend oder bei der Anmeldung machen. Es ist schon ein Indiz, wie das Gegenüber darauf reagiert. Einige verdrehen die Augen, wenn Frauen solche Fragen stellen oder selbst einen Geburtsplan haben, in dem steht, was ihnen bei der Geburt wichtig ist, welchen Eingriffen sie explizit zustimmen wollen und was sie überhaupt nicht durchführen möchten. Es gibt aber auch Kliniken, in denen man sehr offen dafür ist und es schätzt, dass sich die Frauen so aktiv damit auseinandersetzen. Das kann einem dann ein gutes Gefühl geben.  

Was mich an deiner Geschichte wundert, ist die Rolle der Hebamme. Oft wird das Bild vermittelt, dass klassischerweise Ärzt*innen sehr medizinisch an eine Geburt herangehen und Hebammen den Prozess möglichst natürlich begleiten möchten. Wie erlebst du die verschiedenen Rollen?

Heute ist es so, dass Hebammen auf einem ganz anderen Niveau ausgebildet werden als früher, da spielen empathische Kommunikation und auch das gemeinsame Treffen von Entscheidungen mit den gebärenden Frauen eine große Rolle. Aber früher wurden viele Hebammen von Ärzt*innen ausgebildet und sie haben die medizinischen Routinen vom ersten Tag an übernommen. Und noch heute ist es für Hebammen schwer, wenn sie zwar gut und modern ausgebildet sind, aber dann in ein System eintreten, das einfach ganz anders funktioniert. Da müssen sie sich anpassen.

Kliniken bekommen mehr Geld, wenn sie Eingriffe durchführen – da kann es sich kaum eine Klinik erlauben, nur natürliche Geburten durchzuführen.

Wo siehst du die Ursachen dafür, dass dieses System so ist?

Da kommt vieles zusammen, hauptsächlich liegt es am Zeitdruck und am Geld. Die Anzahl der Geburtsstationen hat sich seit den Neunzigerjahren halbiert, von 1.200 auf 600 in Deutschland. Und es gibt großen Personalmangel, eine Hebamme betreut im Schnitt drei Geburten parallel. Sie kann nicht so arbeiten, wie sie es vielleicht gerne würde. Außerdem gibt es in meinen Augen finanzielle Fehlanreize: Kliniken bekommen mehr Geld, wenn sie Eingriffe durchführen – da kann es sich kaum eine Klinik erlauben, nur natürliche Geburten durchzuführen.

Oft hat es auch mit der Einstellung des*der jeweiligen Chefärzt*in zu tun. Man sagt, dass es im Gegensatz zur evidenzbasierten Geburtshilfe meist eine „Eminenz-basierte Geburtshilfe“ gibt: Die graue Eminenz entscheidet, wie auf dieser Station gehandelt wird. Und wenn diese Person sagt, dass man routinemäßig auf Dammschnitte setzt, dann ist das so – auch wenn es nicht evidenzbasiert ist. Hinzu kommen die möglichen juristischen Folgen: Ärzt*innen können nur schwer dafür belangt werden, dass sie einen Eingriff durchgeführt haben, um die Geburt voranzubringen. Aber sie können dafür belangt werden, wenn sie es nicht gemacht haben.

Hast du auch eine Erklärung zum Verlust der Empathie, den du erlebt hast?

Es ist erforscht, dass es bei Pflegekräften und auch Hebammen das sogenannte Cool-Out-Phänomen gibt. Das bedeutet, dass Menschen im Laufe der Zeit mehr und mehr abstumpfen. Durch den ganzen Druck und die vielen Patientinnen werden sie empathielos. Sie ziehen den Job einfach durch, ohne dabei freundlich zu sein oder sich in die Bedürfnisse der anderen Person hineinzuversetzen.

Es gibt wirklich Hebammen, die zu Frauen sagen: „Sie wollen doch hier nicht mit einem toten Baby nach Hause gehen?“

Mit all dem Wissen, das du heute hast: Hättest du bei deiner ersten Geburt an einer Stelle widersprochen oder dich gewehrt?

Es ist sehr schwer zu sagen, ob ich es wirklich geschafft hätte. Aber wenn ich auf dem Schirm gehabt hätte, dass meine Hebamme einfach früh Feierabend machen will und keinen Bock hat, 24 Stunden bei mir zu sitzen, bis ich mit meinen Wehen fertig bin, dann hätte ich sie gefragt, ob ein Wehentropf medizinisch notwendig ist, und was passiert, wenn wir diesen Weg jetzt nicht gehen. Dann hätte sie mir sagen müssen, dass es ohne Tropf einfach länger dauert – und dann hätten wir uns das vielleicht gespart.

Ich habe im Nachhinein erfahren, dass es meinem Kind gut ging, dass kein Eingriff medizinisch notwendig war, dass es einfach nur zu lange gedauert hat. Doch um Frauen unter Druck zu setzen, spielen viele Kliniken die „Tote-Baby-Karte“, wie ich es nenne. Es gibt wirklich Hebammen, die zu Frauen sagen: „Sie wollen doch hier nicht mit einem toten Baby nach Hause gehen?“. Und das, obwohl die Situation in keiner Weise dramatisch ist. Es ist ganz einfach ein Machtmittel, um Frauen unter Druck zu setzen.

Wenn ich an meine Geburten denke, weiß ich, in was für einer Ausnahmesituation man sich befindet. Viele Gebärende haben vermutlich gar nicht den Kopf dafür, um kritische Nachfragen zu stellen. Sollte man dafür den*die Partner*in, eine*n Freund*in oder eine andere Begleitung vorab briefen?

Ja, das ist ein sehr wichtiger Punkt. In meinem Fall weiß ich, dass mein Mann nicht die richtige Person gewesen wäre, weil er der freundlichste Mensch der Welt ist. Er hält eher Smalltalk mit der Hebamme anstatt zu sagen: „Stopp, was machen Sie da und warum?“. Wenn ich gewusst hätte, dass ich eine solche Person gebraucht hätte, hätte ich meine Mutter mitgenommen.

Und es ist total legitim, wenn zum Beispiel der*die Partner*in sagt, dass auch er*sie nicht dazu in der Lage ist, dass er*sie einfach die Hand der Gebärenden halten will. Dann kann man Doulas mit zur Geburt nehmen, die speziell dafür ausgebildet sind, Gebärende in dieser Situation zu unterstützen. Oder eine*n gute*n Freund*in oder eben die eigene Mutter. Wichtig ist, dass man sich vorab jemanden an die Seite holt, der die richtigen Fragen stellt, sodass man sich selbst aufs Atmen und den ganzen Rest konzentrieren kann.

Wenn wir davon ausgehen, dass hier auch Ärzt*innen oder Hebammen mitlesen: Was wäre deine Botschaft an sie?

Es ist mir ganz wichtig, dass ich sie nicht alle unter Generalverdacht stellen will. Viele tolle Menschen arbeiten in diesem System und denen möchte ich sagen, dass sie einen sehr wichtigen und wunderbaren Job machen und dass sie immer daran denken sollen, in was für einer einzigartigen Situation sich die Menschen befinden, die sie gerade begleiten. Es ist eines der bewegendsten Ereignisse im Leben. Und ich würde mir wünschen, dass man das immer im Kopf behält.

Ich hatte nach der ersten Geburt posttraumatische Belastungsstörungen, so wie Menschen, die aus einem Kriegseinsatz zurückkommen.

Du hast nach der belastenden Erfahrung deiner ersten Geburt noch ein zweites Kind bekommen. Wie war die Zeit dazwischen für dich?

Ich hatte nach der ersten Geburt posttraumatische Belastungsstörungen, so wie Menschen, die aus einem Kriegseinsatz zurückkommen. Ich hatte Panikattacken, Albträume und Schlafstörungen, eine starke Gereiztheit und eine große innere Leere. Erst nach Monaten habe ich verstanden, warum es mir so geht. Und als ich eine neue Hebamme gefunden hatte, hat sie mir erklärt, dass diese Geburt falsch war. Dass mir Unrecht widerfahren ist und dass es mir deshalb schlecht ging. Diese Erkenntnis war der Anfang für einen jahrelangen Heilungsprozess.

Ich ging in eine Beratungsstelle, in der sich Frauen mit ähnlichen Erfahrungen austauschten. Zusätzlich machte ich eine Therapie und ich begann, meine Geburt aufzuarbeiten. Ich habe meine Akte aus der Klinik angefordert, ich habe die Klinik mit meinen Vorwürfen konfrontiert und einen achtseitigen Beschwerdebrief verfasst.

Auch wenn sich niemand bei mir entschuldigt hat – was in dieser Situation wohl die wenigsten Frauen erleben werden – war es hilfreich für mich, dass dieser alte weiße Mann als Chefarzt mir gegenüber saß und mir erklärte, dass es völlig rechtens war, ohne meine Zustimmung die intimste Stelle meines Körpers aufzuschneiden und dass er das immer wieder so machen würde. Ich habe ihn beschimpft und ich habe ihn ausgelacht – das war total heilsam.

Es hat Zeit gebraucht, bis ich wieder so weit war, ein Kind zu bekommen.

Und wie hast du dich auf deine zweite Geburt vorbereitet?

Es hat Zeit gebraucht, bis ich wieder so weit war, ein Kind zu bekommen. Meine Kinder sind fünf Jahre auseinander, früher wäre es für mich nicht möglich gewesen. Ich habe aufgeschrieben, welche Eingriffe ich möchte und welche nicht, und ich habe ganz konkrete Sätze geübt und mir immer wieder aufgesagt: „Wie reden Sie denn mit mir? Schicken Sie mir eine Kollegin. Oder: „Einen Dammschnitt möchte ich nur im allergrößten Notfall, wenn er das Leben meines Kindes retten. Sonst nicht, Dankeschön.“

Ich ging in einen hebammengeleiteten Kreißsaal, den ich mir vorher genau angesehen hatte. Auch diese Geburt war nicht durchgehend leicht, auch sie war schmerzhaft – aber ich fühlte mich rundum gut versorgt und unterstützt. Es hat viel in mir geheilt, dass ich das erleben durfte.

Wie schön. Was würdest du abschließend Schwangeren mitgeben, die sich auf eine Geburt vorbereiten? Wie kann man möglichst gut dafür sorgen, dass man in ein unterstützendes und gewaltfreies Umfeld kommt?

Es lässt sich leider nicht komplett ausschließen, dass man eine gewaltvolle Geburt erlebt, wenn man in eine Klinik geht – weil es überall Leute gibt, mit denen man Pech haben kann. Aber am Allerwichtigsten ist es meiner Meinung nach, dass das Bauchgefühl stimmt. Wenn mein Gefühl sagt, die Menschen dort werden nicht gut mit mir umgehen, dann sollte ich dort nicht mein Kind zur Welt bringen. Außerdem empfehle ich immer, die drei Gs im Blick zu haben: Geburtsort, Geburtsplan und Geburtsbegleitung. Wenn man sich mit diesen Punkten vorab gut beschäftigt und hier kluge Entscheidungen trifft, bei denen man auf das eigene Gefühl hört, dann hat man alles gemacht, was man machen kann. Und dann wird das schon.

Vielen Dank für dieses interessante und wichtige Gespräch, liebe Lena!

In ihrem Buch „So wollte ich mein Kind nicht zur Welt bringen! – Was Frauen für eine selbstbestimmte Geburt wissen müssen“ zeigt Autorin und Journalistin Lena Högemann, was sich in der medizinischen Geburtshilfe ändern muss, und verbindet Berichte Betroffener mit wertvollen Tipps für Eltern nach der Geburt und Menschen, die Eltern werden wollen.


Hier findet ihr Lena Högemann:

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