Immer mehr Hebammen müssen aus wirtschaftlichen Gründen ihren Beruf aufgeben, Geburtshäuser schließen und in Geburtskliniken herrscht oft Massenabfertigung im Kreissaal – für werdende Mütter aber auch für die Hebammen. Die Hamburgerin Friederike Häring hat sich trotzdem für den Beruf der Hebamme entschieden. Nach der Ausbildung zur Medizinischen Fachangestellten in ihrem Geburtsort Hameln, hat sie vier Jahre Hebammenkunde an der Hochschule Fulda studiert und sich nach einem kurzen Zwischentopp in einer Klinik in Hamburg dieses Jahr dazu entschlossen, sich als ambulante Hebamme selbstständig zu machen. Wir haben die 27-Jährige im Happenpappen auf St. Pauli getroffen und mit ihr unter anderem über ihren Arbeitsalltag, privat finanzierte Geburtshelferinnen, die überteuerte Berufshaftpflicht und das Suchen und Finden einer Hebamme gesprochen.
Friederike Häring: Den Studiengang gibt es erst seit 2010 in Bochum und seit 2012 in Fulda. Bis 2020 ist geplant, dass alle Hebammenschulen auf diesen Studiengang umgestellt werden. Es geht darum, den Beruf höher zu stellen, mit Ärzten auf Augenhöhe zu arbeiten – das ist ein sehr wichtiger Schritt in unserem Berufsfeld.
Es war aufgeteilt in die Themenfelder Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett. In den Fächern hatten wir verschiedene Module. In den Semesterferien hatten wir immer Praxisblöcke und wurden auf verschiedene Kliniken in Hessen aufgeteilt. Die ersten sechs Semester waren sehr ausbildungsspezifisch, ab dem 7. Semester haben wir viel wissenschaftlich gearbeitet. Ich fand es gut, dass man während des Studiums viel wissenschaftlich gearbeitet hat, Routinen hinterfragt hat und nicht einfach das macht, was jahrelang schon so gemacht wird. Meine Bachelorarbeit habe ich zum Thema Schwangerschaftsvorsorge bei Adipositas geschrieben, da ich mich viel mit Ernährunsberatung während der Schwangerschaft beschäftige. 2016 habe ich mein Studium abgeschlossen und bin in meine Wunschstadt Hamburg gezogen.
Ich hatte auf der Wochenbettstation teilweise 16 Frauen, die ich alleine betreuen musste, das war viel zu viel!
Ich habe in in einer Geburtsklinik mit Perinatalzentrum angefangen, merkte aber relativ schnell, dass die Klinikarbeit nicht das ist, was ich machen möchte. Ich hatte auf der Wochenbettstation teilweise 16 Frauen, die ich alleine betreuen musste, das war viel zu viel! Ich habe abgearbeitet, was gemacht werden musste, aber ich konnte überhaupt nicht individuell auf die Frauen eingehen und mir ihre Geschichte anhören. Das ist in meinen Augen keine gute Arbeit. Ich möchte die Frauen über einen längeren Zeitraum betreuen und Veränderungen und Fortschritte sehen. Das war der Grund dafür, dass ich mich beruflich schnell wieder verändert habe und mich selbstständig gemacht habe. Jetzt habe ich Zeit für “meine” Frauen – ich kann mir meine Zeit einteilen und so arbeiten, wie ich die Hebammenarbeit für richtig halte.
Ja. Es werden zwar für die Kliniken viele Hebammen gesucht, aber da die Rahmenbedingungen so schwierig sind und man viel zu viel zu tun hat, gibt es kaum Bewerber. Viele steigen auch ganz aus dem Beruf aus.
Es muss sichergestellt werden, dass die Hebammen mehrere Jahre zu geregelten Zeiten arbeiten können und nicht nach einem Jahr schon total ausgebrannt sind.
Viele Hebammen steigen genau deshalb aus dem Beruf aus. Die Berufshaftpflichtversicherung wird immer höher. Gerade für eine freiberufliche Hebamme, die in der Geburtshilfe arbeitet, auch Beleghebamme genannt, ist das sehr schwierig. Ich habe mich daher entschlossen, die Frauen nur vor und nach der Geburt zu betreuen – bei der Geburt bin ich nicht dabei, so umgehe ich die extrem hohe Haftpflichtversicherung.
Es gibt einen Sicherstellungszuschlag, der noch relativ neu ist. Es sind einige Anträge, die man ausfüllen muss, und es dauert teilweise mit den Rückerstattungen oder es werden nicht die vollen Summen zurückgezahlt. Dieses Problem finde ich für eigenständige Hebammen, welche keiner Klinik angehören und zum Beispiel Hausgeburten durchführen, sehr schwierig.
Wenn das reibungsloser klappen würde, würden sicher auch wieder mehr Hebammen Geburtshilfe anbieten und es würde allgemein mehr Geburtshäuser geben. Es schließen immer mehr kleine Kliniken und Geburtshäuser, weil es sich nicht mehr rechnet, und Hebammen dort wegen der hohen Berufshaftplicht nicht mehr arbeiten wollen beziehungsweise können.
Ich bekomme für einen Wochenbettbesuch, also wenn ich zu der Frau nach Hause komme, 38,46 Euro von der Krankenkasse. Die Krankenkasse berechnet mir dafür 20 Minuten Zeit. Wenn ich wirklich nur 20 Minuten bei der Frau wäre, dürfte ich überhaupt nicht mit ihr sprechen, müsste sie schnell untersuchen, das Kind kurz angucken und das war es dann schon. Das finde ich total schwierig, gerade der erste Besuch nach der Geburt ist immer der intensivste und längste. Ich komme nie unter einer Stunde raus, wenn ich alle Fragen beantworte und mir vielleicht auch noch mal die Geburt erzählen lasse. Für die folgenden Besuche brauche ich 30 bis 45 Minuten, schneller klappt es einfach nicht. Da denken viele Hebammen, das rechnet sich überhaupt nicht mehr.
Ich biete zurzeit nur die reine Hebammenversorgung in der Schwangerschaft und im Wochenbett an, die auch von der Krankenkasse gezahlt wird. Ich könnte auch noch so etwas wie Akupunktur anbieten oder andere Zusatzleistungen, mache ich aber im Moment noch nicht.
Ich muss immer gucken, dass es hinkommt. Ich nehme viel in Kauf, damit ich die Hebammenarbeit so ausführen kann, wie es richtig ist und wie es mir Spaß macht. Die Arbeit in der Klinik hat mir am Ende überhaupt keinen Spaß mehr gemacht, da hätte ich eher den Beruf gewechselt als weiterzumachen. Ich kam mit dieser abgefertigten Betreuung überhaupt nicht klar.
Pro Monat habe ich im Schnitt sieben bis acht Frauen. Das überschneidet sich natürlich immer. In Zeiten, in denen mehr los ist, schaue ich, dass die Frauen auch in meine offene Sprechstunde kommen. Die biete ich für Frauen an, die keine Hebamme gefunden haben, was immer öfter vorkommt. Dafür habe ich in der Woche einen Vor- und einen Nachmittag reserviert. Ansonsten teile ich mir die Termine ein. Ich mache zur Zeit nur Hausbesuche.
Ich lebe immer im Hier und Jetzt und plane nie Monate im Voraus, das muss ich mir aber angewöhnen. Ich nehme momentan schon die Frauen mit Geburtstermin im November an, das heißt, es ist immer schon alles weit im Voraus geplant. Für Urlaub müsste ich es dann so planen, dass ich mir ein bis zwei Monate komplett freihalte und keiner Frau zusage. Und ansonsten versuche ich, die Termine in die Woche zu legen und am Wochenende nur akute Termine auszumachen. Ein ganz freies Wochenende habe ich allerdings nur sehr selten. Irgendein Termin flutscht immer dazwischen.
Finde ich total gut! Die Hebammen in den Kliniken haben heutzutage kaum Zeit für die Frauen. Eigentlich sollte es eine 1:1 Betreuung sein, das heißt, die Hebamme sollte den ganzen Geburtsverlauf über bei der Frau sein. Nur so kann die Hebamme sehen, ob sich im Geburtsverlauf etwas ändert, wenn etwas von der Physiologie in die Pathologie abrutscht. Das kriegt man nicht mit, wenn man nicht die ganze Zeit dabei ist und nicht sieht, was passiert. Dadurch, dass das eben kaum noch der Fall ist, steigt natürlich auch die Rate an Schmerz- und Wehenmitteln, die eingesetzt werden müssen, was ich total schade finde. Da sollten unbedingt Strukturen in der Klinik verändert werden.
Man müsste erstmal in den Kliniken anfangen und gucken, wie man die Personalschlüssel setzt, und zwar so, dass genügend Hebammen da sind, die auch geregelte Arbeitszeiten haben – mit Pausen! Es muss sichergestellt werden, dass die Hebammen mehrere Jahre zu geregelten Zeiten arbeiten können und nicht nach einem Jahr schon total ausgebrannt sind. Da müsste man erstmal anfangen und dann Schritt für Schritt das System ändern.
Ich muss leider auch sehr viele Anfragen ablehnen, weil es einfach zu viel ist. Ich bekomme täglich fünf bis zehn Anfragen, aber ich kann nicht endlos viele Frauen annehmen und dann keine Zeit für sie haben.
Man sollte möglichst früh, gleich nach einem positiven Schwangerschaftstest, schon mal bei Hebammen aus dem Stadtteil anfragen. Auch wenn man einen Geburtsvorbereitungskurs machen möchte, sollte man früh genug gucken – auch die sind gut ausgebucht. Es gibt auch immer mehr offene Sprechstunden, die biete ich auch an, obwohl ich es generell eher schwierig finden würde, wenn es nur diese offenen Sprechstunden für die Wochenbettbetreuung geben würde. Denn gerade im Frühwochenbett sollte es so sein, dass die Hebamme nach Hause kommt, damit die Frau, nachdem sie gerade aus der Klinik gekommen ist, nicht direkt wieder los zum Arzt muss. Das ist total anstrengend und in der Sprechstunde würde sie manches eher runterschlucken und nicht zeigen, zu Hause bringt die Betreuung viel mehr.
Das passiert automatisch. Als erstes mache ich mit den Frauen das Erstgespräch, da lernen wir uns kennen. Ich erzähle über meine Arbeit, wie alles abläuft. Mir sind auch immer die Wünsche der Frau wichtig, wie sie sich das Ganze vorstellt und, was ihr an der Hebammenbetreuung wichtig ist.
Im Schnitt fange ich um 9 Uhr mit den ersten Terminen an und arbeite bis in den Abend hinein. Meine letzten Termine sind oft Erstgespräche, weil die Frauen meistens ja noch berufstätig sind. Meine Arbeitszeit ist zwischen 9 und 20 Uhr, zwischendurch habe ich immer mal wieder eine kurze Pause, wenn mal ein Termin ausfällt. Ich habe im Schnitt sechs Termine, manchmal auch sieben oder acht. Zwischendurch muss auch noch der Papierkram erledigt werden, das ist auch nicht wenig. Das ist auch etwas, was viele Hebammen leider zum Aufhören anregt, es ist total viel Bürokratie.
Ja, meine Dokumentation muss ich für mich schreiben, damit ich abgesichert bin. Das mache ich immer zeitnah, damit ich nichts vergesse. Das muss immer auf Vordermann sein und darf nicht nachhängen, ich gebe alles auch direkt zu Hause in mein Abrechnungssystem ein, das wird sonst auch zu viel, wenn es sich ansammelt.
Jede Frau weiß instinktiv, wenn sie schwanger ist oder wenn sie geboren hat, was zu tun ist.
An sich finde ich es eine gute Idee, es birgt aber ein Risiko: Wenn sich das weiter ausbreitet, könnte die Krankenkasse irgendwann sagen, dass sich die häusliche Versorgung nicht mehr lohnt und die Zahlungen einstellen. Aber ich merke es an den Anfragen, dass dem nicht so ist. Jede Frau möchte eine Hebamme haben, die nach Hause kommt und auch da ist, und nicht nur auf dem Bildschirm zu sehen ist. So kriege ich von der Frau ja auch viel mehr mit, als wenn ich sie auf dem Bildschirm sehe. Ich glaube, die Betreuung ist dann nicht so hochwertig, wie sie sein könnte.
Ich finde solche Aktionen auf jeden Fall gut. Was auch noch gut ist: Jede Frau, die in Deutschland keine Hebamme für die Betreuung gefunden hat, kann sich auf der Seite vom Deutschen Hebammenverband mit Wohnort und Telefonnummer eintragen, das erscheint dann auf einer Landkarte. So bekommt man einen guten Überblick über die aktuelle Situation. Ich würde auch allen Frauen, die keine Hebamme gefunden haben, empfehlen, sich bei ihrer Krankenkasse zu melden, damit sie merken, dass die Hebammenversorgung total fehlt. Den Hebammenmangel gibt es ja schon jahrelang, aber es werden an sich ja nicht mehr Menschen. Die Frauen, die sich melden, für die ist es gerade akut, die sind dann aber irgendwann durch mit dem Kinderthema und es melden sich die Nächsten.
Ich bin auf jeden Fall traurig, aber unter den aktuellen Bedingungen in Kliniken möchte ich das nicht machen. Ich würde es aber auf keinen Fall ausschließen, Geburtshilfe zu leisten, aber dann sollte der Rahmen da sein, wie ich die Geburtshilfe ausführen möchte, wie es für mich in Ordnung ist.
Ja, ich bin mit anderen Hebammen vernetzt, was allein für die Vertretung total wichtig ist. Wenn ich mal krank bin, brauche ich eine Vertretung, die “meine” Frauen weiterhin gut betreut. Termine, die nicht akut sind, wie beispielsweise Erstgespräche, verschiebe ich, aber die akuten Fälle, wo die Frauen wirklich betreut werden müssen, gebe ich dann an meine Vertretung weiter. Die rechnet aber dann für sich ab, das heißt, in der Zeit, in der ich krank bin, verdiene ich kein Geld.
Viele sind irritiert, wenn sie mich das erste Mal sehen, weil ich so jung bin. Viele stellen sich eine alte Frau vor. Das ist ein Klischee, was immer noch da ist, aber ich finde es gut, dass ich das ein bisschen aufbrechen und frischen Wind reinbringen kann. Man merkt leider, dass die Bewerbungen an den Hebammenschulen weniger werden. Zu meiner Zeit habe ich noch um die Zusage gebangt, heutzutage ist es nicht mehr so schwierig einen Platz zu bekommen. Leider interessieren sich immer weniger Menschen für mein Berufsfeld.
Ja, auf jeden Fall. Aber es gibt auch immer wieder Beispiele, an denen man sehen kann, dass einen dieser Beruf wirklich glücklich machen kann! Ich kann jetzt so arbeiten wie ich möchte. Klar, muss ich immer gucken, dass es mit dem Geld hinkommt und ich die Versicherung bezahlen kann, letztlich ist es aber so, dass ich immer für mich entscheiden kann, wie ich arbeiten möchte. Und das ist die Hauptsache, dass ich mit einem guten Gefühl nach Hause gehe.
Sie sollten versuchen, auf ihr Bauchgefühl zu hören und ihre Fähigkeit als Mutter wahrzunehmen. Jede Frau weiß instinktiv, wenn sie schwanger ist oder wenn sie geboren hat, was zu tun ist. Ich glaube, man sollte nicht zu viel lesen oder zu viel darüber nachdenken, was richtig und was falsch wäre. Alle Frauen, die ich kennengelernt habe, wissen, was zu tun ist, sie brauchen lediglich noch mal Bestärkung für ihr Handeln und eine Überwachung des Verlaufes durch eine Hebamme.
Layout: Carolina Moscato
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