Warum wir uns nicht dafür entschuldigen sollten wir selbst zu sein

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23. April 2021

„Ich werde gemeinhin als dominant, meinungsstark und unapologetic wahrgenommen. Unapologetic deshalb, weil ich mich nicht dafür entschuldige, ich selbst zu sein.“, sagt Autorin Mirna Funk. Wie sie gelernt hat, sich nicht ihrer Umgebung anzupassen, sondern einfach so zu sein wie sie ist, ohne sich dafür zu entschuldigen oder zu erklären, beschreibt Mirna im folgenden Text. Und, warum es so wichtig ist, dabei nie die Höflichkeit und den respektvollen Umgang mit anderen aufzugeben.


Man selbst sein

Ich glaube nicht daran, dass man sich prinzipiell für nichts entschuldigen sollte. Es gibt genug verbrannte Erde, die man während seines Lebens hinterlässt. Und für diese sollte man Verantwortung übernehmen. Man muss sich entschuldigen. Immer wieder. Für kleine und große Fehler. Fürs Lügen zum Beispiel, fürs Betrügen. Dafür, dass man jemandem gegenüber illoyal war oder schlecht über ihn oder sie gesprochen hat. Aber um sich nicht ständig entschuldigen zu müssen, sollte man sich prinzipiell einmal sehr viel Mühe dabei geben, ein guter Mensch zu sein. Den Spruch „Kindness is Gangster“ habe ich vor Jahren einmal auf Instagram gepostet. Und das sehe ich auch noch heute so. Meiner Tochter bringe ich Höflichkeit und Rücksichtnahme bei. Einfach, weil wir nicht alleine auf dieser Welt sind, sondern eine Gemeinschaft. Deswegen begrüßt und bedankt man sich. Bei jedem. Und fertig.

Kindness is Gangster

Autorin Mirna Funk

Überall anders

Ich habe in den letzten Jahren zwischen Berlin und Tel Aviv gelebt. Ich habe auch schon einmal eine Zeit lang in England verbracht. Wenn man also viel rumreist und andere Länder und Kulturen kennenlernt, dann begreift man auch, dass es unterschiedliche Vorstellungen von einem liebevollen Miteinander gibt. Es gibt aber auch andere Vorstellungen, wie sehr man im Umgang mit anderen man selbst sein darf und wie viel eingespieltes Sozialverhalten verlangt wird. In Israel zum Beispiel kann ich ohne Probleme ein Gespräch mit jemandem beginnen, der gerade neben mir sitzt. Das kann ich in Deutschland nicht. Man würde mich vermutlich für verrückt erklären. Ich darf in einem Gespräch in Tel Aviv anderer Meinung sein und diese Meinung auch lautstark kundtun, ohne dass sich irgendjemand auf den Schlips getreten fühlen würde. Auch hier stoßen wir in Deutschland schon an die Grenzen des Einzelnen.

So etwas wie eine eigene Position fest und entschlossen vertreten, geht in Deutschland vielleicht noch als Mann. Weil dieser Mann dann als Alphatier oder als besonders stark wahrgenommen wird. Lege ich aber ein ähnliches Verhalten als Frau an den Tag, nimmt man mich sofort als bossy, vorlaut und sogar frech war. Eigenschaften, die hier in Deutschland eher negativ konnotiert sind. In Israel allerdings schätzt man sie. Sehr sehr sogar. Besonders bei Frauen.

Nun bin ich keine Israelin, sondern Deutsche, aber eben Jüdin. Und darüber hinaus auch noch aus der DDR, was meinen kulturellen Background eher komplexer als einfacher macht. Ich werde gemeinhin als dominant, meinungsstark und unapologetic wahrgenommen. Unapologetic deshalb, weil ich mich nicht dafür entschuldige, ich selbst zu sein. Nicht mehr jedenfalls.

Ich werde gemeinhin als dominant, meinungsstark und unapologetic wahrgenommen.

Nicht mehr auf Linie

Eine lange Zeit habe ich versucht, mich in Deutschland einzugliedern. Auf Spur zu bleiben. Mich dem, was von mir als Frau verlangt wird, unterzuordnen. Ohne damit nur eine Sekunde glücklich zu werden. Ich dachte über einen langen Zeitraum hinweg, etwas stimme mit mir nicht. Ich müsste ruhiger werden. Mich mehr zurücknehmen, ja zurückstecken. Bis ich begriff, dass ich einfach nicht in die Gesellschaft passte, in die ich geboren war. Ja, dass diese Gesellschaft aber eben nicht die Wahrheit für sich gepachtet hatte, sondern nur eine Kultur widerspiegelte, die aufgrund unterschiedlicher historischer Ereignisse und Begebenheiten so geworden war wie sie heute ist.

Ich war nicht falsch. Ich war an dem falschen Ort. So dachte ich jedenfalls. Deswegen ging ich nach Tel Aviv, wo dann wiederum mein deutscher Ordnungssinn und meine deutsche Pünktlichkeit mit meinem Außen kollidierten. Wo auch immer ich war, etwas passte nicht. Etwas war zu wenig oder eben zu viel oder einfach zu anders. Und ich begriff allmählich, dass die einzige Chance auf ein wirklich glückliches Leben darin lag, mein Sein, meinen Charakter, meine Komplexität anzunehmen, sie aber nicht dem jeweiligen Außen anzupassen, sondern so zu bleiben wie ich bin. Ich entschuldigte mich nicht mehr. Ich erklärte mich. Aber ohne Scham. Ich war ich. Endlich zu 100%. Und wenn ich sehe, dass mein Gegenüber die Augen rollt und genervt von mir ist, dann macht mich das nicht mehr traurig oder unsicher, es ist mir einfach egal. Endlich egal.

Dabei habe ich nie meine Höflichkeit aufgegebenen, meinen respektvollen Umgang mit anderen. Der blieb während meiner Ich-Werdung unangetastet. Und das sollte er immer. Denn, „Kindness is Gangster“ steht nicht im Widerspruch zu einem unapologetic Blick auf sich selbst.

Und wenn ich sehe, dass mein Gegenüber die Augen rollt und genervt von mir ist, dann macht mich das nicht mehr traurig oder unsicher, es ist mir einfach egal.


Foto und Text: Mirna Funk

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