Diversität streichen, Demokratie schwächen? Wie die CDU die Grenze verschiebt
01. Juli 2025
geschrieben von Gastautor*in

Vielleicht habt ihr es mitbekommen: Die CDU will im Berliner Kita-Programm alle Inhalte zu Diversität und queeren Lebenswelten streichen. Wer solche Schritte geht, übernimmt den Sound autoritärer Politik – und verändert mehr als den Ton. Er verändert das System. Ein Kommentar von Politikjournalistin Sarah Kessler über die Union, strategische Rechtsverschiebung und die Verantwortung der Zivilgesellschaft.
"Demokratie stirbt nicht mit einem großen Knall. Sie stirbt leise."
Das leise Sterben der Demokratie
Demokratie stirbt nicht mit einem großen Knall. Sie stirbt leise. Wenn sich nicht mehr genug zuständig fühlen, sie zu verteidigen. Wenn Institutionen ausgehöhlt werden, die Zivilgesellschaft geschwächt. Wer gerade in die USA blickt, sieht das im Sekundentakt. Ein Liveticker des demokratischen Zerfalls – und wir alle schauen zu.
Während in den USA autoritäre Politik längst offen betrieben wird, übernimmt man hierzulande zunehmend ihre Methoden. In der Hoffnung, damit politische Kontrolle zurückzugewinnen? Die Merz-Union hat die Strategie von US-Präsident Donald Trump jedenfalls genau analysiert und in Teilen kopiert. Sie testet die Grenzen des Sag- und Machbaren, spielt mit Ressentiments und schwächt zivilgesellschaftliche Strukturen. So trägt sie dazu bei, dass Vertrauen in demokratische Prozesse erodiert, auch wenn sie vorgibt, genau das verhindern zu wollen.
"Wer extreme Positionen aufgreift, stärkt nicht die eigene Partei, sondern das Original."
Wenn die Geschichte sich wiederholt
Es waren die Konservativen, die in der Weimarer Republik mit den Nationalsozialisten paktierten. Die glaubten, man könne sich den Faschismus zunutze machen, ihn einhegen, indem man mitregiert. Am Ende waren es ihre Stimmen, die Hitler zum Reichskanzler machten und damit den Weg in die Diktatur des Nazi-Regimes freigaben. Geschichte wiederholt sich nicht, aber man kann aus ihr lernen. Die Frage der Stunde ist: Haben Deutschlands Konservative das wirklich getan? Wer sich anschaut, wie sich CDU und CSU derzeit verhalten, muss daran zweifeln.
Heute trägt die extreme Rechte das Kürzel AfD. Im Mai 2025 wurde sie vom Bundesamt für Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft. Die Union unter Friedrich Merz distanziert sich zwar verbal, doch Lippenbekenntnisse reichen nicht, wenn man gleichzeitig ihre Programmatik übernimmt. Die Forschung ist sich einig: Wer extreme Positionen aufgreift, stärkt nicht die eigene Partei, sondern das Original. Der Versuch, die AfD durch Annäherung zu schwächen, bewirkt das Gegenteil. Und Donald Trump hat vorgemacht, wie kein anderer, wie man mit radikalen Narrativen den politischen Diskurs verschiebt und Macht sichert.
Der Bruch mit rechtsstaatlicher Ordnung
Migration war das erste Thema, an dem Bundeskanzler Friedrich Merz Härte demonstrieren wollte. Noch vor seiner Vereidigung kündigte er an, Geflüchtete an allen deutschen Grenzen zurückzuweisen. Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) setzte das um. Auch gegenüber Asylsuchenden, die an der deutsch-polnischen Grenze Schutz beantragten. Drei dieser Zurückweisungen wurden Anfang Juni vom Verwaltungsgericht Berlin als rechtswidrig eingestuft. Die Begründung des Gerichts hat Gewicht: Die Regierung habe nicht ausreichend dargelegt, warum das geltende Recht (insbesondere das Dublin-Verfahren zur Zuständigkeitsprüfung) in diesen Fällen nicht angewendet wurde.
Entscheidend ist: Das Gericht verwarf nicht nur die Umsetzung, sondern auch die grundsätzliche Argumentation der Bundesregierung. Denn Ausnahmen vom europäischen Recht sind laut Artikel 72 AEUV nur bei konkreter Notlage zulässig und genau diese konnte die Regierung nicht belegen. Eben das hatten Verfassungsrechtler*innen bereits im Vorfeld kritisiert. Merz und Dobrindt haben trotzdem gehandelt, entgegen geltendem Recht, und stellen sich damit über die Justiz. Das ist ein Bruch mit der rechtsstaatlichen Ordnung. Dass sie das Urteil nun öffentlich zur Nebensache erklären, macht diesen Bruch nicht kleiner.
"Wer bei der Verteidigung von Menschenrechten Neutralität vorgibt, verfehlt den Auftrag des Grundgesetzes und die Werte unserer Demokratie."
Inszenierung als Anti-Woke-Kämpfer
Auch die Personalpolitik von Merz zeigt die strategische Ausrichtung: Kulturminister Weimer, parteilos, aber von der CDU nominiert, hat keine politische Erfahrung. Dafür umso mehr öffentliche Wirkung. In Interviews und Kolumnen übernimmt der Publizist Begriffe und Narrative aus dem Milieu der Neuen Rechten, inszeniert sich als Anti-Woke-Kämpfer und stellt die Förderpraxis im Kulturbereich grundsätzlich infrage.
Jens Spahn, neuer Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU, erklärte öffentlich, man solle die AfD künftig wie jede andere Oppositionspartei behandeln. Und wenn ausgerechnet Julia Klöckner (CDU) als Bundestagsvizepräsidentin ein "Instagram"-Bild teilt, auf dem steht "Merz macht Dunja Hayali fertig", ist das kein politischer Ausrutscher, sondern ein institutionelles Problem. Wer ein überparteiliches Amt bekleidet, trägt Verantwortung für die demokratische Kultur. Klöckner spricht trotzdem lieber als Parteisoldatin: Sie schützt ihren Parteikollegen Jens Spahn, indem sie die Aufarbeitung der Maskenaffäre blockiert, und sendet ein klares Signal gegen queere Sichtbarkeit, indem sie die Regenbogenflagge am Bundestag zur Pride verbietet und dem Regenbogen-Netzwerk der Bundestagsverwaltung die Teilnahme am "Christopher Street Day" untersagt. Offiziell aus Neutralitätsgründen – wer aber bei der Verteidigung von Menschenrechten Neutralität vorgibt, verfehlt den Auftrag des Grundgesetzes und die Werte unserer Demokratie.
"Zivilgesellschaftliche Projekte geraten zunehmend unter Druck."
Aufklärung oder Desinformation?
Dazu passt auch, wie Alexander Dobrindt mit Zahlen jongliert. Als er den Verfassungsschutzbericht präsentierte, zeigte dieser: Das rechtsextreme Personenpotenzial ist um 47 Prozent gestiegen, das linksextreme blieb nahezu unverändert. Trotzdem sprach Dobrindt von einem deutlichen Anstieg bei Linksextremen und untermauerte das mit Grafiken, deren Y-Achsen so verzerrt waren, dass der kaum messbare Anstieg links ähnlich bedrohlich wirkte wie der massive Zuwachs rechts. Wer so kommuniziert, betreibt keine Aufklärung, sondern Desinformation.
Gleichzeitig geraten zivilgesellschaftliche Projekte zunehmend unter Druck. Besonders betroffen sind lokale Initiativen, die demokratische Bildung leisten und auf öffentliche Förderung angewiesen sind. Im Februar stellten CDU und CSU (damals noch Opposition) eine Kleine Anfrage mit 551 Einzelfragen zu Trägern wie „Omas gegen Rechts“, „Correctiv“ und der „Amadeu Antonio Stiftung“. Kurz darauf wurden in mehreren Bundesländern Fördermittel gestrichen oder gekürzt.
Und wenn die CDU dafür sorgen will, dass im Berliner Kita-Bildungsprogramm alles gestrichen wird, was mit Diversität und queeren Lebenswelten zu tun hat, dann zeigt das, wohin es gehen soll. Genau solche Schritte haben Orbán in Ungarn, Meloni in Italien und Trump in den USA gemacht. Und genau das fordert die AfD seit Jahren.
" Was wir erleben, ist kein Kontrollverlust, sondern politische Strategie."
Die kalkulierte Rechtsverschiebung
Was wir sehen, ist keine Radikalisierung am Rand, sondern eine autoritäre Verschiebung aus der Mitte. Was wir erleben, ist kein Kontrollverlust, sondern politische Strategie. Und was wir beobachten, ist nicht der Anfang einer Entwicklung, sondern ihr fortgeschrittener Zustand.
Warum also dieser Kurs? Zum einen lässt sich eine kalkulierte Rechtsverschiebung erkennen, mit dem Ziel, Wählerinnen und Wähler der AfD zurückzugewinnen. Doch wie erläutert: Das stärkt nicht die eigene Partei, sondern das Original. Zum anderen deutet vieles darauf hin, dass sich in Teilen der Union ein Weltbild verfestigt, das mit den Grundsätzen einer offenen Gesellschaft nur noch wenig gemeinsam hat. Wer die Sprache und Methoden der autoritären Rechten kopiert, verliert nicht nur Distanz, sondern auch demokratische Glaubwürdigkeit. Demokratie stirbt nicht mit einem großen Knall. Sie stirbt leise. Sie wird nicht auf einmal abgeschafft. Wenn sich die Zivilgesellschaft nicht geschlossen dagegenstellt, haben wir hier bald auch einen Liveticker.
Text: Sarah Kessler
Foto: Julia Löhning, "Canva"