Jahrelang genießt Coci Madjitov das Stadtleben in vollen Zügen, dann wird die Sehnsucht nach einem Leben auf dem Land immer größer. Seit einem Jahr tauscht sie Cafés, Szenebars und Dachterasse in der Hamburger Sternschanze gegen Wiesen, Felder und Ponyreiten in einem kleinen Dorf in Niedersachsen. Ihr Mann Iskander und sie haben ein 100 Quadratmeter großes Reetdachhaus mit einem 700 Quadratmeter Grundstück gekauft und es zweieinhalb Monate lang renoviert. Wir sprechen mit der 34-Jährigen nicht nur über den relativ spontanen Hauskauf, die Renovierung und ihr neues Landleben, sondern auch über ihren neuen beruflichen Weg. Die ehemalige „Blonde“-Chefredakteurin und „Soul Sister“-Textchefin hat vor kurzem ihrer Journalismuskarriere den Rücken gekehrt und ist jetzt als Pressesprecherin für eine internationale Tierschutzorganisation tätig.
Coci Madjitov: Wir hatten beide den Wunsch von der Sternschanze in Hamburg aufs Land zu ziehen, vor allem seitdem wir unsere Hündin Pippa haben. Eigentlich war unser beider Traum immer ein Grundstück auf dem Land zu finden und ein Tiny House raufzustellen. Es ist aber gar nicht so leicht, ein Grundstück zu finden, das man bebauen darf.
Als wir dieses Haus das erste Mal gesehen haben, fand ich es furchtbar.
Mein Mann hat angefangen nach Häusern zu schauen, dieses Haus gefunden und mich überredet, zur Besichtigung zu fahren. Als wir es das erste Mal gesehen haben, fand ich es furchtbar. Ich wollte auf gar keinen Fall hier einziehen. Mein Mann hat Gott sei Dank eine gute Vorstellungskraft und mich überredet, es noch ein zweites Mal anzugucken. Es stand ein halbes Jahr leer, hier lagen tote Mäuse in der Ecke, es gab Spinnen ohne Ende, es war eiskalt, die Wände und Decken waren dunkel und die Toilette braun gestrichen. Nach dem Kauf haben wir dann eigentlich nur ein paar Griffe gemacht, die aber super viel gebracht haben.
Wir haben alle Wände weiß gestrichen und den Boden mit einer Spezialfarbe streichen lassen. Vorher lagen hier Terrakottafliesen, aber nicht die in schön, sondern, die, die man nicht haben will. (lacht) Das hat ganz viel gebracht. Im Schlafzimmer haben wir außerdem die Tapeten rausgerissen und die Wände mit Lehmfarbe gestrichen. In der Küche war eine massive Bauernküche eingebaut, die einen komplett erschlagen hat, die haben wir rausgerissen und eine neue IKEA-Küche eingebaut und eine Tageslampe an der Decke angebracht, die ein bisschen wie ein Dachfenster wirkt.
In seinen Grundzügen haben wir das Haus so gelassen, aber einfach mit Liebe befüllt und hübsch gemacht. Zweieinhalb Monate haben wir hier jeden Tag gearbeitet. Wir hatten das Glück, dass die Renovierungsarbeiten genau mit dem ersten Lockdown zusammenfielen. Das Haus ist ein Glücksgriff, was sich aber erst gezeigt hat, als wir ein paar Renovierungsarbeiten umgesetzt hatten.
Die Besichtigung war im Oktober 2019 und dann hat es erstmal ein halbes Jahr gedauert, bis wir wussten, dass wir es bekommen, was verschiedene Gründe hatte. Zum Beispiel mussten wir erstmal alles bezüglich der Bankfinanzierung regeln, da hängt doch einiges dran. Irgendwann waren wir mit drei anderen Paaren in der engeren Auswahl und ich wollte das Haus unbedingt haben. Mein Ehrgeiz wurde gepackt und wir waren super happy als es geklappt hat. Eingezogen sind wir im März 2020.
Doch, ich habe sehr oft E-Mails geschrieben, angerufen und nett gefragt und betont, wie gern wir dieses Haus hätten. Entweder waren sie super genervt von uns oder fanden uns sehr nett. (lacht)
Nein, das Haus gehörte der Stiftung Naturschutzpark Lüneburger Heide. Denen gehörte dieses Haus und zwei andere im Ort. Ihnen wurde es von einer alten Frau vererbt, die keine Angehörigen hatte. Daher haben sie es zu einem sehr fairen Preis verkauft – und wir hatten einfach Glück.
Man weiß leider relativ wenig über dieses Haus. Es wird vermutet, dass es 1900 gebaut wurde. Das war für die Bankfinanzierung auch ganz spannend, weil die Bank super viele Fragen hatte und wir überall nur „keine Ahnung“ reinschreiben konnten, was es etwas kompliziert gemacht hat. Es ist ein sehr sehr kleiner Ort, hier stehen nur 40 Häuser. Früher gehörten alle Häuser einer Familie und wurden irgendwann nach und nach verkauft. Der Bauer nebenan, Bauer Friedrich, ist schon seit Generationen hier und hat die Wandlung des Dorfes miterlebt.
Wir fühlen uns hier super wohl, aber wer weiß, was in fünf Jahren ist. Wir würden uns auch wieder davon trennen können, wenn es nicht mehr das ist, was wir möchten.
Nein (lacht). Ich glaube, das macht man so, wir sind aber sehr unbedarft an viele Sachen herangegangen. Aber die Bank hat das Haus bewertet und sie hat es höher als den Kaufpreis bewertet. Das ist sehr ungewöhnlich, diesen Fall hatte unsere Bank noch nie. Das hat uns gezeigt, dass der Kaufpreis sehr fair ist und wir nicht viel falsch machen können.
Wir fühlen uns hier super wohl, aber wer weiß, was in fünf Jahren ist. Wir würden uns auch wieder davon trennen können, wenn es nicht mehr das ist, was wir möchten. So sind wir von Anfang an das Thema Hauskauf herangegangen. Für einige klingt das vielleicht blauäugig, für uns ist es so genau richtig.
Nein, gar nicht. Ich habe auch eine große Schwester, die mal zu mir gesagt hat: „So macht man das aber nicht, man spart eigentlich so und so lange auf ein Haus.“ Bei uns war es aber nicht immer der Wunsch, Eigentum zu haben, es war tatsächlich eher der Wunsch aufs Land zu ziehen und das bringt oft Eigentum mit sich. Deshalb sind wir relativ unvorbereitet rangegangen und hatten nicht den großen Sparplan. Aber ich kann nachts gut schlafen, da ich finde, dass es überschaubar ist. In der Schanze mussten wir auch Miete zahlen und jetzt bekommt es eben die Bank. Ich bin da relativ naiv, mein Mann ist etwas rationaler und so gleicht es sich ganz gut aus, dass wir keine ganz wilden Entscheidungen treffen.
Ich komme selbst vom Dorf und hätte nie gedacht, dass ich wieder zurück aufs Land ziehen werde.
Ich komme selbst vom Dorf und hätte nie gedacht, dass ich wieder zurück aufs Land ziehen werde. Das war überhaupt nicht absehbar. Und genau, wie du sagst, wir dachten beide, dass wir total die Stadtmenschen seien. Es ist tatsächlich viel mit dem Hund passiert – wir haben gemerkt, dass wir sie ständig an der Leine haben müssen und überall Scherben sind. Irgendwann wurde uns bewusst, dass wir das ganze Bar- und Restaurantangebot in der Stadt gar nicht jeden Abend nutzen. Letztlich haben wir doch immer mehr angefangen, uns mit Freunden zu Hause zu treffen und da ist es einfach schön, wenn man Platz hat. Man kann ja immer noch in die Stadt fahren, das dauert 30 Minuten mit dem Auto, wenn alles gut läuft. Ich fühle mich hier überhaupt nicht abgeschieden. Im Zweifel wären wir noch in der Stadt geblieben, wir wollten nicht um jeden Preis aufs Land.
Ein Haus hatten wir uns vorher angeschaut, für das wir Feuer und Flamme waren. Da war ich wirklich ein bisschen schockverliebt. Es hat sich aber herausgestellt, dass es ein Pachtvertrag gewesen wäre, der nur über zehn Jahre gelaufen wäre und das war uns zu heikel. Ich war kurzzeitig sehr enttäuscht und hatte nicht mehr die Motivation weiterzuschauen. Das war ein Dämpfer.
Für mich war wichtig, dass ich nicht in eine Doppelhaushälfte in ein spießiges Dorf ziehe. Wenn Land, dann auch richtig und das haben wir hier gefunden. Die Kühe stehen quasi an unserem Garten, nebenan sind Felder und ein riesengroßer Wald – das war mir beispielsweise wichtiger als eine Bahnanbindung. Wir haben uns ein zweites Auto gekauft, was wir mit Dachzelt auch gleich als Camping-Auto nutzen können. Außerdem fahre ich sehr gerne Auto und unsere Freunde auch. Über den Sommer waren so viele Freunde hier, dass wir irgendwann gesagt haben: „Wir wollten doch Ruhe auf dem Land. Wir müssen mal weniger Leute einladen.“ (lacht) Wobei es natürlich total schön ist, dass so viele Lust haben, vorbeizukommen.
Der Garten ist auf jeden Fall ein Projekt. Unser Grundstück ist 700 qm groß, im Dorf ist das aber noch der kleinste Garten. Ich hatte es mir so romantisch vorgestellt mit Hochbeeten und Blumen, aber erstmal stehen die großen Arbeiten an. Wir müssen den Garten komplett umpflügen, alte Wurzeln entfernen, einen Zaun aufstellen – die Dinge machen ein bisschen weniger Spaß und können sehr lange dauern. Wir machen es den Winter über, damit wir im Frühjahr die schönen Sachen machen können, wie Gemüse anpflanzen. Mein Mann ist gelernter Koch und arbeitet als Food Stylist, kocht also sehr sehr viel zu Hause. Für ihn ist das ein Traum – Zutaten von unserem Garten direkt in die Küche.
Theorethisch könnten wir auch noch den kompletten Dachboden bzw. die erste Etage ausbauen, den Platz benötigen wir aber gerade gar nicht.
Das ist etwas, was ich schon sehr lange auf dem Zettel hatte. Es ist nicht so spontan passiert wie der Hauskauf. Die letzten vier Jahre habe ich mich immer wieder umgeguckt und teilweise auch beworben, weil ich elf Jahre als Redakteurin in verschiedenen Positionen gearbeitet habe. Das habe ich sehr gerne gemacht, aber irgendwann hatte ich das Gefühl, dass es da für mich nicht weiterging.
Ich hatte immer mehr den Wunsch etwas mit mehr Sinn, Herz und Nachhaltigkeit zu machen und etwas, das noch ein bisschen mehr bewegt.
Definitiv. Ich hatte immer mehr den Wunsch etwas mit mehr Sinn, Herz und Nachhaltigkeit zu machen und etwas, das noch ein bisschen mehr bewegt. Da ich sehr, sehr tierlieb bin, habe ich mich in diese Richtung umgeguckt.
Ich habe tatsächlich schon immer Richtung Tier- oder Umweltschutz gedacht, weil das etwas ist, womit ich mich gerne täglich beschäftigen möchte. Ich finde es sowieso sehr klug, wenn man so an seine Berufswahl herangeht, also sich überlegt: Was möchte ich jeden Tag am liebsten machen? Und manchmal hat man das Glück oder auch die Chance, dass es auch funktioniert. Ich war irgendwann an dem Punkt, dass ich gedacht habe, ich muss diese Chance jetzt ergreifen und es einfach ausprobieren. Ich glaube, der Weg zurück geht immer.
Ich bin für alle Presseanfragen zuständig: Zeitschriften, Zeitungen, das Radio oder Fernseh-Journalist*innen wenden sich an mich, wenn sie Fragen zum Thema Tierschutz allgemein oder zu den konkreten Kampagnen, die gerade laufen, haben und über uns berichten wollen. Dafür stehe ich einerseits mit Journalist*innen und Redaktionen und andererseits mit den nationalen und internationalen Kolleg*innen im engen Austausch. Es geht in meinem Arbeitsalltag viel darum, die Öffentlichkeit über Missstände aufzuklären. Momentan arbeite ich in meinem Heimtier-Department vorrangig mit meinem Team daran, den illegalen Welpenhandel zu stoppen. Außerdem haben wir Dog and Cat Meat auf der Agenda, was leider in vielen südostasiatischen Ländern noch immer ganz selbstverständlich auf dem Speiseplan zu finden ist. In Zusammenarbeit mit Campaignern, Expert*innen, dem Fundraising-Team und Lobbyist*innen versuche ich, die Ziele und Werte der Organisation umzusetzen und zu verbreiten, und so gemeinsam etwas Großes zu bewegen.
Für mich ist Reiten wie Meditation.
Als Kind bin ich richtig viel geritten. Als ich in die Stadt gezogen bin, habe ich das Hobby wieder aufgegeben. Im Internet habe ich das Gesuch nach einer Reitbeteiligung entdeckt und so Miri gefunden. Miri ist 28 Jahre alt, eine Haflingerstute und ein ganz tolles Ausreitpony. Man kann mit ihr durchs Unterholz und in die tiefsten Wälder reiten und sie hat super viel Spaß dabei. Für mich ist Reiten wie Meditation. Ich mache das einmal die Woche. Ich habe nur einen Weg von acht Minuten und dann sind wir zwei, drei Stunden unterwegs. Das Schöne ist: Man kann nichts machen auf dem Pferd, außer im Moment sein. Ich reite daher am liebsten allein.
Und es ist besonders toll, mit dem Pony bis hier vor die Haustür zu reiten.
Irgendwie gibt es gerade bei vielen den Wunsch rauszuziehen und wir haben es einfach sehr schnell umgesetzt.
Absolut. Ich habe viele Freundinnen, die sagen, wenn sie hier waren: „Irgendwie möchte ich das auch.“ Vor ein paar Jahren wäre ich dafür wahrscheinlich noch belächelt worden, dass ich gern ein Häuschen auf dem Land hätte und gern mit dem Pony im Wald unterwegs bin. Irgendwie gibt es gerade bei vielen den Wunsch rauszuziehen und wir haben es einfach sehr schnell umgesetzt.
Das kam über unseren Lada, den wir uns gekauft haben. Mein Mann kommt aus Usbekistan und ist mit Lada-Fahrzeugen aufgewachsen. Wir finden den beide total cool. Wir hatten schon immer mal im Hinterkopf einen eigenen Bus zu kaufen und dachten dann irgendwann: Komm, wir machen das mit einem Dachzelt auf dem Lada. So haben wir das Auto als Fahrzeug und können trotzdem damit Campen. Wir haben uns das Zelt raufbauen lassen und waren letzten Sommer damit schon unterwegs. Es macht super viel Spaß. Das Zelt ist in fünf Sekunden aufgebaut und man hat ein Zelterlebnis, aber mit dem Luxus, dass man nicht auf dem kalten Boden schläft. Im Kofferraum haben wir uns eine kleine Campingküche eingebaut und haben damit alles, was man braucht, dabei. Damit sind wir super flexibel unterwegs und können sogar durchs Gelände fahren, auch der Hund passt oben mit ins Zelt. Wir beide sind mit dem Thema Camping in unserer Kindheit nie in Berührung gekommen, umso mehr genießen wir es jetzt.
Layout: Kaja Paradiek
3 Kommentare
Super schöner Artikel! Es wirkt alles sehr stimmig und entspannt! Und Miri ist ja total fit für Ihre 28! Ich habe auch eine alte Haflingerdame von 25 und einen Dülmener-Mix von ca. 33 und sie sind toll. 🙂
Hallo Coci,
ich bin gerade durch Zufall auf deine Heimstorie gestolpert.
Ich finde dein euren Lebensstil total super.
Ich hab auch festgestellt,dass man nicht viel zum Leben braucht.
Ich wohne ja in Münster Zentral in Kinderhaus.
Ich Brauch kein eigenes Auto mehr, bin meist mit Bus und Bahn unterwegs.
Ich hatte auch nie Gedacht mal ohne Auto aus zu kommen, aber es geht alles.
Im Gegenteil im Bus hab ich schon viele nette Gespräche geführt.
Ich Quatsch ja auch immer wieder Mitmenschen an.
Ich hab vor ein paar Tagen noch ein tolles Erlebniss gehabt.
Für mich war das mein Weihnachtswunder.
Ich kam aus der Stadt und wartete am HBF auf mein Bus.
Im Wartehäuschen saß ein Mann so in meinem Alter.
Er kam wohl aus dem Nichtsetshaften Milieu. Er erzählte mir dass er Italiener sei,früher mal Opernsänger gewesen sein.
Ich erzählte ihm dass ich Anfang der 90 Jahre eine Rundreise mit dem Rollenden Hotel durch Italien gemacht habe und von den Bauwerken Pisa, Rom Peters Dom und auch die Landschaft sehr schön fand.
Ich sagte ich hab ein Traum“ Ich möchte so gern mal in Mailand in der Mailänder Skala eine Oper hören.“
Es ist nicht schlimm oder ich bin nicht traurig wenn der Wunsch nicht in Erfüllung geht, mir geht es um den Traum.
Plötzlich fing er an das AVe Verum abzustimmen.
Ich bekam Gänsehaut und Pipi in die Augen.
Leider kam kurz darauf mein Bus.
Ich wünschte ihm eine Frohe Weihnachtszeit und unsere Wege trennten sich.
Es war so schön diesem Menschen zu begegnen.