„Sag dir in Zeiten des Selbstzweifels: Du machst deine Sache gut!“ – Poetin Faith Farai

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7. Mai 2021

Wie wichtig es ist, sich mit sich selbst zu beschäftigen und zu lernen, sich zu lieben, zeigt uns die 28-jährige Poetin Faith Farai mit ihrem Debüt-Gedichtband „Mirror Mirror (her poetic faith)“. Der vor ein paar Monaten erschiene Band besteht aus einer Sammlung von rund 140 englischen Gedichten und ist ein Plädoyer für mehr Selbstreflexion, -akzeptanz und -liebe. Dabei hat sich die studierte Theologin und Geschichtswissenschaftlerin von ihrem Leben und ihrem Umfeld inspirieren lassen. Wie das Schreiben zu Faiths Leidenschaft wurde, sie die Liebe zu sich selbst fand und warum sie sich für die Veröffentlichung im Selbstverlag entscheiden hat, erzählt uns die Hamburger Mutter einer 11 Monate alten Tochter.

Wir haben Faith zum Fotoshooting in Hamburg getroffen.

femtastics: Wie kamst du zum Schreiben?

Faith Farai: Im Alter von acht Jahren bin ich mit meiner Familie aus Simbabwe nach Deutschland gekommen. Mein deutscher Stiefvater hat meine Schwester und mich ermutigt, Bücher zu lesen, um Deutsch zu lernen. Zu dieser Zeit fing meine Leidenschaft für Bücher an. Später habe ich mich selbst in Kurzgeschichten und Gedichten ausprobiert. Ich habe versucht, verschiedene Charaktere wie aus Jane Austen und Harry Potter miteinander zu verbinden. Seitdem ich 13 Jahre alt war, ist es mein Wunsch, Autorin zu werden. Poesie schreibe ich seit 2017.

Was hat dich schließlich dazu bewogen, deinen eigenen Gedichtband herauszubringen?

Ich schreibe jeden Tag. Ich würde nicht schlafen gehen, ohne etwas geschrieben zu haben. Dementsprechend habe ich eine große Sammlung an Gedichten. An einigen Tagen schreibe ich drei bis vier Gedichte, manchmal ist es nur eins. Es hängt stark davon ab, was in der Welt und meinem Umfeld passiert und was mich gerade beschäftigt.

2018 habe ich mich dazu entschlossen, einen Gedichtband aus den einzelnen Gedichten zu machen. Mir wurde von vielen Menschen immer wieder gesagt, dass sie gerne ein Buch von mir hätten, sodass sie meine Gedichte auch haptisch erleben könnten. Diese Wünsche habe ich dann manifestiert. Mir war es sehr wichtig, dass das Buch analog erscheint. Als Kind habe ich den Geruch von neuen Büchern geliebt und heute noch liebe ich es, ein Buch durchzublättern, mir Notizen zu machen und immer wieder darauf blicken zu können. Diese Erlebnisse wollte ich auch meinen Lesern ermöglichen.

Wie bist du bei der Buchveröffentlichung vorgegangen?

Ich wusste zu Anfang überhaupt nicht, wie man ein Buch veröffentlicht und musste mich daher intensiv mit den damit einhergehenden Prozessen beschäftigen. Ich habe zunächst Samples – an hauptsächlich englischsprachige– Verlage geschickt. Einige Male habe ich interessierte Rückmeldungen erhalten, sodass ich das Manuskript verschickt habe. Viele der Verlage waren daran interessiert, mit Poet*innen zusammen zu arbeiten, die bereits viele Follower*innen haben, was nicht auf mich zutraf. Während dieser Zeit habe ich gesehen, dass Kindle Direct Publishing anbietet. Das bedeutet, dass das eigene Buch nicht nur selbst geschrieben, sondern auch selbst gestaltet werden kann. Alle Entscheidungen können eigenständig getroffen werden. Die Produktion der Bücher läuft nach dem Prinzip Print on demand ab. Ein Buch wird also erst dann gedruckt, wenn es bestellt wurde.

Rechts: Das Cover des Debüt-Gedichtbandes „Mirror Mirror (her poetic faith)“ von Faith Farai.

Wow, klingt gar nicht so kompliziert.

Ja, heutzutage gibt es so viele Möglichkeiten, seine eigene Idee zu verwirklichen. No more excuses!

Ich denke, dass es wichtig ist, sich in Zeiten des Selbstzweifels zu sagen: Du machst deine Sache gut! Auch wenn man selbst nicht mit dem zufrieden ist, wird es jemanden geben, der/die genau das braucht.

In einem deiner IG Lives geht es um die Stimme des inneren Kritikers. Wie hast du es geschafft, trotz aufkommender Selbstzweifel den Mut zu fassen, dein Buch im Selbstverlag zu veröffentlichen?

Jedes Mal, wenn ich Selbstzweifel bezüglich meiner Arbeit habe, vergegenwärtige ich mir, dass das, was ich produziert habe, zum Zeitpunkt der Entstehung gut und richtig war. Wenn mir ein Gedicht eine Woche später nicht mehr gefällt, dann ist es einfach nicht mehr passend für die Person, die ich eine Woche später bin. In dem Moment, in dem ich ein Gedicht schreibe, ist es genau das, was ich fühle und denke. Daher ist es 100 % richtig.

Eines Tages wird sich jemand dieses Gedicht, welches ich heute vielleicht nicht mehr gut finde, durchlesen und  genauso empfinden wie ich zu diesem Zeitpunkt. Ich denke, dass es wichtig ist, sich in Zeiten des Selbstzweifels zu sagen: Du machst deine Sache gut! Auch wenn man selbst nicht mit dem zufrieden ist, wird es jemanden geben, der/die genau das braucht.

Ich versuche mich stetig in meiner Arbeit weiterzuentwickeln. Dabei ist mir bewusst, dass es ein Prozess mit verschiedenen Leveln ist, die nicht einfach übersprungen werden können. Wenn die Unsicherheit dann doch überhandnimmt, spreche ich mir selbst laut zu. Das hilft sehr, denn die Stimme ist stärker als der Gedanke.

Deine Strategie scheint ja gut aufzugehen. Wie sind die Reaktionen zu „Mirror Mirror“ bisher?

Die Reaktionen sind toll und das nicht nur in Deutschland, sondern auch in Simbabwe. Ich bin besonders begeistert davon, wie vielfältig die Interpretationen zu den Gedichten ausfallen. Die Leser*innen machen sich die Gedichte so sehr zu eigen, dass sie Dinge interpretieren, die ich beim Schreiben nicht intendiert habe. Ich bekomme Nachrichten, in denen mir die Leser*innen davon berichten, dass sie ein Gedicht in bestimmten Situationen gebraucht haben und es ihnen Kraft gegeben hat. Das freut mich sehr.

Wie siehst du die aktuelle deutsche Poetiklandschaft?

Ich nehme wahr, dass sich momentan sehr viele verschiedene Stimmen zu Wort melden. Es freut mich sehr, dass so ein Einblick in die Innenperspektiven der Autor*innen ermöglicht wird. Das gilt insbesondere für diejenigen, die einen Migrationshintergrund haben. Das letzte Buch, das ich mir bestellt habe, ist ein gutes Beispiel hierfür: In „Texte nach Hanau“ haben sich 50 Autor*innen zusammen getan, um ihre Gefühle und Gedanken nach dem Anschlag in Hanau vergangenen Jahres zum Ausdruck zu bringen. Diese Form der Verarbeitung erinnert mich an die Exilgedichte, die während des Zweiten Weltkriegs von Deutschen geschrieben wurden, die im Exil lebten. Ich finde es ganz toll und wichtig, dass viele Menschen gerade ihre Stimme finden und nutzen. Denn so wird ein Austausch zwischen den Menschen ermöglicht, die ansonsten vielleicht nicht zusammen kämen. Durch diese stillen Dialoge, in denen ja nicht verbal miteinander kommuniziert wird, kann dennoch ein gegenseitiges Verständnis entstehen.

Du wurdest von der Oxford University als Speakerin eingeladen. Worum ging es da?

Ich wurde im Rahmen eines Spoken Word Events der African Studies von der Oxford University dazu eingeladen, Gedichte aus „Mirror Mirror“ vorzulesen, die Womanism, Feminism und Blackism thematisieren. Im Anschluss hat ein superanregender Austausch hierzu stattgefunden. Im April werde ich auch an dem nächsten Event der Fakultät teilnehmen. Ich selbst veranstalte jährlich ein Spoken Word Event in Hamburg, welches coronabedingt dieses Jahr nicht stattfinden kann. Umso mehr freue ich mich auf das anstehende Event an der Oxford University.

Ich möchte eine Stimme für diejenigen sein, die sich selbst nicht auf diese Art und Weise äußern können. Mir ist es sehr wichtig, dass die Leser*innen sich selbst wiedererkennen in meinen Gedichten

Klingt spannend. Sicherlich macht die Tatsache, dass deine Gedichte auf Englisch sind, den Austausch hier leichter. Wie kamst du dazu, auf Englisch zu schreiben?

Mir ist es wichtig, beim Schreiben nicht darüber nachdenken zu müssen, was ich schreibe. Da Englisch die erste Sprache ist, mit der ich aufgewachsen bin, lag es für mich nahe, mich auch in meinen Werken auf Englisch auszudrücken. Die ersten Schuljahre habe ich in Simbabwe auf Englisch absolviert. Auch heute noch denke und träume ich auf Englisch. Daher fühle ich mich hiermit wohler. Wenn ich Filme oder Bücher konsumiere, versuche ich dies immer in der die Originalsprache zu tun. Es werden hier Gedanken von Menschen gezeigt bzw. beschrieben, die von den Autor*innen bereits in Sprache übersetzt wurden. Wenn dann eine erneute Übersetzung von der einen Sprache in die Andere hinzukommt, wird das Original immer verwässerter.

Was möchtest du mit deinen Gedichten bewirken?

Um Poesie zu schreiben, braucht man Talent, Übung und Feingefühl. Dies ist nicht jedem gegeben. Ich möchte eine Stimme für diejenigen sein, die sich selbst nicht auf diese Art und Weise äußern können. Mir ist es sehr wichtig, dass die Leser*innen sich selbst wiedererkennen in meinen Gedichten – daher auch der Titel „Mirror, Mirror“. Es geht um die eigene Reflexion durch den Blick in den Spiegel.

Was inspiriert dich?

Mich inspirieren die Dinge, die ich sehe und für wahr und wirklich empfinde. Das können die unterschiedlichsten Situationen sein. Vom Nachrichten Schauen bis hin zum Spielplatzbesuch.

Zwischen schwarz und weiß gibt es viel grau. Und in diesem grauen Spalt befinden wir uns oft und das ist okay. Ich denke, dass es wichtig ist, letztendlich ein Gleichgewicht zu finden.

Du betonst an vielen Stellen des Buches die emotionalen Ambivalenzen einer Frau. Was hat dich dazu gebracht?

Als ich „Mirror, Mirror“ schrieb, befand ich mich oft im Zwiespalt. Von Themen über berufliche Wege, zur Ehe und Mutterschaft. Zu all diesen Themen kamen Gedanken auf wie: Jetzt bin ich Mutter. Gebe ich damit mein Frau-Sein auf? Wer will ich in dieser neuen Rolle sein?

Zwischen schwarz und weiß gibt es viel grau. Und in diesem grauen Spalt befinden wir uns oft und das ist okay. Ich denke, dass es wichtig ist, letztendlich ein Gleichgewicht zu finden. Das bedeutet zum Beispiel, das Schöne in scheinbar unschönen Situationen zu finden.

Beschäftige dich mit den verschiedenen Seiten in dir und lerne dich selbst so besser kennen.

In Zeiten des Lockdowns sind viele Menschen alleine und mit sich selbst konfrontiert. Nicht jedem fällt dies leicht. Was rätst du diesen Menschen, um sich mit sich selbst auseinanderzusetzen?

Ich habe das Gedicht „There are many women in you“ geschrieben. Ich beschreibe die Tatsache, dass – gerade wir Frauen – verschiedene Rollen in unserem Leben einnehmen. Ich glaube, dass es wichtig ist, die einzelnen Rollen zu reflektieren. Ich würde anderen Frauen raten, diese Zeit zu nutzen und sich mit den Rollen zu beschäftigen, die sie einnehmen. Wenn eine deiner Rollen stark ist, dann frage dich, wann und warum du in deinem Leben stark sein musstest und was du davon hältst. Beschäftige dich ebenso mit der sanften Seite in dir, mit der, die Liebe sucht, mit der, die verletzt ist, die gerade am heilen ist. Beschäftige dich mit den verschiedenen Seiten in dir und lerne dich selbst so besser kennen.

Was hat dir dabei geholfen, dich selbst besser kennenzulernen?

Ich bete jeden Tag. In erster Linie ist es ein Gespräch mit Gott. Hierbei wird sehr deutlich, was in einem selbst vorgeht. Man bekommt in diesem Gespräch nicht sofort Antworten oder Reaktionen. Ähnlich verhält es sich mit dem Schreiben. Der Zettel antwortet dir auch nicht, sodass du deinen Gedanken und Gefühlen freien Lauf lassen kannst. Es bietet mir eine gute Grundlage, um über mich selbst zu reflektieren. Wenn ich mir im Nachhinein anschaue, was ich geschrieben habe, wird mir zum Teil erst dann bewusst, wie ich gewisse Situationen wahrgenommen habe und wie sehr sie mich berührt haben, sowohl positiv, als auch negativ. Ähnlich wie bei einer Therapie lässt man das Innere durch Worte einfach mal raus.

Vielen Dank für das nette Gespräch, liebe Faith!

Hier findet ihr Faith Farai:

 

Hier könnt ihr ihren Debüt-Gedichtband „Mirror Mirror“ bestellen.

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