Ein Leben für die Kunst: Galeristin Anahita Sadighi

Anahita Sadighi, geboren in Teheran und aufgewachsen in Berlin, lebt und liebt ein Leben mit der Kunst. Mit gerade einmal Ende 20 nennt die Iranerin bereits zwei Galerien im Westen der Hauptstadt ihr eigen: „Anahita – Arts of Asia“ für alte fernöstliche Antiquitäten und „Anahita Contemporary“ für zeitgenössische Strömungen. Hier veranstaltet sie regelmäßig Events im Dienste persischer Dichtung und wird auch sonst nicht müde, Menschen für ihr kulturelles Erbe zu begeistern. Wer möchte, darf in ihr eine Art Botschafterin ostasiatischer Lebensweisen sehen. Wer sie dann auch noch als solche bezeichnet, wird ein stolzes Nicken als Antwort bekommen, es aber niemals aus ihrem Mund hören. Bei alldem Erfolg – Magazine wie Vogue oder Weltkunst feiern sie schon lange als Deutschlands jüngste Galeristin – ist sie bescheiden geblieben. Wer mit Anahita in einem Raum ist, wandelt ganz selbstverständlich zwischen gestern, heute und morgen – und wird unweigerlich Teil ihrer Mission und ihrer kunstvollen Inszenierung. Unnötig zu sagen, dass auch ihre eigenen vier Wände in Berlin-Charlottenburg genau das sind: eine Collage ihrer selbst und eine Reise zwischen Vergangenheit und Gegenwart.

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femtastics-Autorin Stephanie Johne trifft Anahita in ihrer Wohnung in Berlin-Charlottenburg zum Interview!

femtastics: Anahita ist ein wunderschöner Name, den du voller Stolz gleich für beide deiner Galerien gewählt hast – was bedeutet er?

Anahita Sadighi: Anahita ist eine altpersische Göttin – die einzig Weibliche im altpersischen Götterpantheon wohlgemerkt. Sie ist die Göttin der Reinheit, der Fruchtbarkeit, des Wassers. Meine Eltern glauben sehr stark daran, dass Namen eine große Wirkung auf die Persönlichkeitsentfaltung eines Menschen haben und dass der Name Programm ist. Davon bin ich im Übrigen auch überzeugt.(lacht)

Du bist gerade mit deinem Freund zusammengezogen. Oder genauer gesagt: dein Freund ist bei dir eingezogen. Wie hat sich die Wohnung seitdem verändert?

Eigentlich kaum! Außer, dass es jetzt unser gemeinsames Zuhause ist, worüber ich mich sehr freue. Er liebt die Wohnung genauso, wie ich und Einrichtung und Stil haben ihm von Anfang an gut gefallen. Er überlässt mir das Einrichten und Arrangieren, ich frage ihn aber natürlich nach seiner Meinung. Welche neuen Kunstwerke in die Wohnung kommen, entscheiden wir in Zukunft gemeinsam.

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Der Lebensraum ist etwas Lebendiges und sollte immer wieder verändert werden, damit man sich selbst weiterentwickelt.

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Liegt dir als Galeristin kuratieren so im Blut, dass du auch bei deinen eigenen vier Wänden nicht darauf verzichten kannst?

Absolut! In der chinesischen Philosophie heißt es, dass der Schmuck in einem Haus, in dem es sich gut leben lässt, originell und wechselhaft sein muss. Wenn man Dinge immer am gleichen Platz lässt, schlagen sie Wurzeln – wie Pflanzen. Man richtet sich nicht für die Ewigkeit ein. Der Lebensraum ist etwas Lebendiges und sollte immer wieder verändert werden, damit man sich selbst weiterentwickelt. Man fühlt sich ästhetisch und energetisch ja auch immer wieder zu anderen Sachen hingezogen. Wichtig ist vor allem die Harmonie. Es liegt an uns, zu schauen, wie Arrangements diese beeinflussen.

Gibt es dennoch etwas in deinen vier Wänden, das sich seit deinem Einzug vor zwei Jahren nicht verändert hat, und sehr wahrscheinlich auch so bald nicht wird?

Ja, der chinesische Altartisch aus dem 18. Jahrhundert mit verschiedenen afrikanischen Masken und den darüber installierten drei Bildern von meinem Vater [Anm. d. Red.: der Künstler Hamid Sadighi Neiriz]. Die Konstellation habe ich mir lange überlegt. Ich liebe die Gesamtkomposition – sie schenkt mir Kraft.

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Die Konstellation des Altartischs (oben) hat sich Anahita lange überlegt.

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Dass sich manche Leute ihre Wohnung komplett von anderen einrichten lassen, finde ich etwas befremdlich. Das ist, als ob man seine Persönlichkeit aus der Hand gibt.

Bist du in Sachen Einrichtung eine Perfektionistin?

Ja und nein. Es gibt so viele Sachen in der Wohnung, die fernab von „perfekt“ sind und das ist absolut okay. Der Kronleuchter müsste zum Beispiel eigentlich über dem Esstisch ausgerichtet sein. Ich bin bisher nicht dazu gekommen, das wird aber noch. Alles zu seiner Zeit. Man muss sich davon lösen, dass alles immer fertig sein muss im Wohnraum. Dass sich übrigens manche Leute ihre Wohnung komplett von anderen einrichten lassen, finde ich etwas befremdlich. Das ist, als ob man seine Persönlichkeit aus der Hand gibt.

Gefühlt gibt es heutzutage in Sachen Einrichtung vor allem drei große Stile: die Ibiza-Bohème, den Minimalismus und den Scandinavian-Chic – ich habe bereits geahnt, dass mich bei dir nichts dergleichen erwarten wird. Ist das etwas, dass an dir vorbeigeht oder fließt das hier und da doch mit ein?

Ich verfolge das natürlich und finde, dass alle Stile ihre Berechtigung haben. In bestimmten Kontexten ist das auch sehr passend: Wenn ich zum Beispiel nach Ibiza verreise, dann möchte ich natürlich so wohnen. Bei den prägenden Einrichtungsstilen unserer heutigen Zeit macht sich jedoch bemerkbar, wie eurozentristisch und einseitig diese Trends sind. Was ist mit anderen Kulturen? In unserem globalen Zeitalter sollten sich diese Entwicklungen auch in der Einrichtung wiederfinden lassen und zelebriert werden. Ich finde es vor allem wichtig, dass die eigene Wohnung mit der eigenen Geschichte, Erfahrungen und dem individuellen Lebensstil verwoben ist und sich darin Charakter, Interessen und Leidenschaften widerspiegeln – kurz gesagt: dass Wohnungen authentisch und individuell sind. Das bedeutet, dass man sich mit sich selbst beschäftigt. In diesem Prozess lernt man sich selbst lieben und schätzen. Das habe ich auch bei mir beobachtet.

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Kaum jemand kennt heute die Ursprünge minimalistischer Stile oder fragt danach.

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Gehen heutige Interieur-Trends deiner Meinung nach auf Kosten der Individualität?

Ja. Wenn man die ganzen Kampagnen in einschlägigen Interieur-Magazinen verfolgt, dann ist alles gleich: nudefarben und minimalistisch, es herrscht wenig Abwechslung und Kreativität. Man kann es eigentlich fast nicht mehr sehen. Die Welt ist so viel größer und spannender, aber der allgemeine Konsens eckt natürlich nicht so an und ist komfortabel. Interessanterweise kennt kaum jemand heute die Ursprünge dieser minimalistischen Stile oder fragt danach. Der asiatische Stil wird zum Beispiel oft als schnörkelhaft empfunden – das gibt es natürlich auch, aber klassische chinesische Möbel und ästhetisches Empfinden sind zum Beispiel absolut zeitlos. Sie verkörpern pure Eleganz und Sachlichkeit, mehr minimal geht nicht. Die chinesische Kultur hat die Europäer stark beeinflusst, das reicht bis hin zur Bauhaus-Bewegung.

Du sprichst über den Einfluss chinesischer Kultur auf moderne Strömungen. Alte Stile werden vielfach kopiert und als zeitgemäß verkauft. Fehlt uns der Zugang zu Originalen?

Industriell gefertigte Kopien gibt es überall. Traditionelles Handwerk und die Wertschätzung von Antiquitäten und Geschichte rücken dabei aber vermehrt in den Hintergrund. Die Leute kaufen neue Dinge für viel Geld, dabei ist vieles davon industrielle Massenware. Wir haben so viele Ressourcen und müssen sie einfach nur erhalten. Wie bei Vintage-Mode – die wiederum supercool ist. Alte Objekte haben eine Seele! Wir dürfen diese Objekte bewahren – wenn auch nur für eine gewisse Dauer – das ist eine große Aufgabe, die uns mit Freude und Stolz erfüllen sollte!

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Die Arbeit mit Kunst schafft ständig neue visuelle und geistige Räume und Verbindungen.

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Was ist ein No-Go in Sachen Einrichtung?

Keine Bücher zu haben, das ist mir suspekt. Wenn ich bei einem Mann zuhause keine Bücher gesehen habe, dann habe ich ihn in der Regel nicht mehr getroffen (lacht).

Musik und Kunst haben dich immer begleitet, lange Zeit sah es so aus, als würdest du als Pianistin Karriere machen. Du hast dich langfristig aber für die Kunst entschieden. Warum?

Anfang 20 hat sich mein Interesse für die Kunst wirklich gefestigt. Mit dem Zweitstudium in Kulturwissenschaften habe ich mich sehr intensiv damit beschäftigt und gemerkt, wie viele Möglichkeiten es gibt. Musik steht für mich über allem, aber die Industrie – das professionelle Musikersein – ist ein anderes Thema. Da nimmt sich die klassische Musikbranche nichts zur populären Musik. Schattenseiten gibt es immer.

Als ich in London ein Praktikum gemacht habe und dort mit der Kunstwelt in Berührung gekommen bin, war das für mich wie eine Droge. Dann habe ich mich relativ schnell selbständig gemacht, nach nicht einmal einem Jahr Berufserfahrung. Ich wusste: Entweder ich ziehe das jetzt durch oder ich plänkle so vor mich hin. Man kann durchaus auch bei Christie’s Karriere machen, klar, aber das dauert lange. Es gibt festgefahrene Hierarchien und am Ende bleibt man ein Fisch von vielen im großen Becken. Ich hingegen wollte auf die große Bühne. Selbst wirklich schöpferisch tätig zu sein im Leben ist eine große Bereicherung und das kann ich in meinem Beruf sehr gut verwirklichen.

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Inwiefern ist die Arbeit mit Kunst und Antiquitäten schöpferisch?

Interessant, dass du das ansprichst. Als Galeristin wähle ich die Objekte und Künstler nach verschiedenen Kriterien aus – Kreativität spielt dabei eine wichtige Rolle. Die Arbeit mit Kunst schafft ständig neue visuelle und geistige Räume und Verbindungen. Ich habe mich irgendwie dazu berufen gefühlt, mit meinen beiden thematisch verschiedenen Galerien ein riesiges modernes Bühnenbild zu kreieren und zu zeigen, was alles möglich ist. Wahrscheinlich, weil ich immer gesehen habe, wie mein Vater das mit so viel Leidenschaft verfolgt. Als Iranerin mitten in Europa ist mir auch daran gelegen, auf unser eurozentristisches und von Männern dominiertes Weltbild einzuwirken und neue Perspektiven zu schaffen. Das ist im Jahr 2018 immer noch Thema.

Würdest du dich deswegen als Nischengängerin bezeichnen?

Gar nicht. Die Galerie für antike Kunst ist viel mehr eine Art Collage aus vielen Stilen und Regionen. Das Galerieprogramm ist so groß und weitläufig. Aber weil es das in Deutschland sonst so nicht gibt, werde ich oft so gesehen. Berlin ist international eben auch eher bekannt für die ganze neue Galerie-Szene. Insofern bin ich offenbar der Paradiesvogel.

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Familie ist extrem wichtig – das gerät in Zeiten, in denen wir alles oft alleine schaffen wollen, leider ein bisschen aus dem Fokus.

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Du bist in Berlin groß geworden, warst dann viel in der Welt unterwegs und hast dich dennoch entschieden, deinen Lebensmittelpunkt wieder in die Hauptstadt zu verlegen. Warum hat es dich zurückgezogen?

Dafür gibt es mehrere Gründe. Wenn man ins Ausland geht, sieht man die Dinge oft etwas distanzierter. Mir ist in London bewusst geworden, wie gut es mir eigentlich in Berlin geht. Man hat viel mehr Raum, es ist nicht so teuer und der Lifestyle ist viel entspannter. Ich finde, es ist die beste Stadt zum Leben, auch für Familien. Ich kann mir vorstellen, hier richtig alt zu werden. Natürlich hat meine Familie auch eine Rolle gespielt. Familie ist eine extrem wichtige Struktur, vor allem in der persischen Kultur. Es wäre toll, wenn wir uns dessen mehr bewusst wären. Das gerät in Zeiten, in denen wir alles oft alleine schaffen wollen, leider ein bisschen aus dem Fokus.

Du wohnst und arbeitest sogar in Charlottenburg, dem Kiez, in dem du groß geworden bist. Was schätzt du an deiner Nachbarschaft?

Die Gegend rund um den Savignyplatz ist so eine coole Gegend, so authentisch – für mich das wahre Berlin. All die kulturellen Institutionen, Galerien, Theater, Kinos, Unis, Kneipen und Restaurants. Meine Grundschule war hier um die Ecke, meine Eltern wohnen nur wenige Minuten entfernt. Eine Wohnung und die Galerien in derselben Straße zu ergattern, war ein Glücksgriff und hat mich in meinem Vorhaben nur bestärkt. Ich glaube, Westberlin wird noch viel wichtiger. Viele Galerien haben ihre Dependancen in Mitte aufgelöst und wollen hierher. Und egal wie arrogant die Kellner in der Paris Bar sind, in Charlottenburg lernst du immer interessante Leute kennen.

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Die Gegend rund um den Savignyplatz ist so eine coole Gegend, so authentisch – für mich das wahre Berlin.

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Du liebst das Fusionieren und weißt Altes und Neues miteinander zu verbinden, vor allem hinsichtlich der neuen Medien. Du bist dabei, eine App zu entwickeln – Artlokator! Möchtest du damit Kunst noch leichter einer breiten Masse zugänglich machen?

Der Spagat zwischen Alt und Neu ist mir tatsächlich sehr wichtig und gelingt mir derzeit vor allem durch meine neue Galerie für zeitgenössische Kunst – ein Traum, den ich verwirklichen konnte. Ich kann stolz behaupten, dass es keinen Galeristen gibt, der sonst auf die Art und Weise beides macht: klassischer Kunsthandel und eine Galerie für zeitgenössische Kunst. Und das auch noch mit dem Fokus auf Asien.

Das will ich noch viel weiter denken, deswegen die App. Ich will Kunden zum Beispiel Zugang zu Künstlerateliers verschaffen. Ein bisschen wie bei Tinder (lacht). Gerade in Berlin gibt es überall viele Künstler. Sie können sich dann ein Profil erstellen, genauso wie der Kunstliebhaber, und Leuten ihre Kunst persönlich zeigen. Die Technologie ist noch in Arbeit, es wird aber bald mehr dazu geben. Durch die zweite Galerie ist das alles etwas ins Stocken geraten.

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Viele Galerien konzentrieren sich auf junge Künstler, oft Männer. Du nicht. Warum?

Das stimmt. Ich habe gerade super viele Künstler im Programm, die über 40 sind und das gilt als alt. Vor allem bei Frauen. Ich finde es ehrlich gesagt nicht richtig primär zu schauen, wie alt jemand ist. Die Qualität der Kunst bzw. des Künstlers oder der Künstlerin ist entscheidend. Es ist mir ein großes Anliegen, vor allem mit Frauen zu arbeiten, die sonst so ausgeklammert werden.

Das klingt fast so, als würdest du Frauen insbesondere unterstützen oder bevorzugen, du bist bei der Wahl deiner Künstler und Mitarbeiter aber keineswegs dogmatisch und arbeitest genauso selbstverständlich mit Männern zusammen. Kein Matriarchat also, sondern Hand in Hand?

Es gibt viele Frauen, die denken, dass alles in Frauenhand bleiben muss, wenn sie feministische Prinzipien vertreten oder als feministisch gesehen werden wollen. In einem Interview wurde mir erst kürzlich die Frage gestellt: „Warum können nur Frauen die Welt retten?“. Dabei finde ich es viel cooler, wenn wir mit den Männern gemeinsam die Welt retten. Die Idee von einer Welt, die nur von starken Frauen geführt wird, finde ich ein bisschen an der Sache vorbei. Es geht nur zusammen, so ganz einseitig denken zu wollen, ist falsch. Das ist ich nicht förderlich für eine gesunde Beziehung und Gesellschaft. An erster Stelle – vor allem in der Kunst – steht die Qualität und der Aspekt, ob sie frei ist. Kunst muss frei sein. Das gilt auch für den eigenen Wohnungsstil. Wenn wir frei, nicht dogmatisch und fernab von Trends handeln und leben, ist alles gut und es wird sich schon alles fügen.

Inwiefern ist deine Wohnung ein Rückzugsort für dich?

Ich lege großen Wert darauf, unter der Woche früh ins Bett zu gehen und zuhause Zeit zu verbringen – auch und gerade, wenn ich viel unterwegs bin. Ich bin gern hier und lade Freunde zu mir ein. Mein Freund kocht dann. Ich schöpfe extrem viel Kraft aus meiner Wohnung.

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Der interkulturelle Dialog ist wichtig, nicht als Trend, sondern als Lebenseinstellung.

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Wo lässt du dich inspirieren?

Das ändert sich natürlich immer, aber ich bin gern in der Natur, am Wannsee im Grunewald. Ich gehe aber auch gerne aus. Die Kombination aus beidem kann sehr inspirierend wirken. Sonst sind es Konzertsäle und Ausstellungen, die mich inspirieren. Ich finde es wichtig regelmäßig ins Konzert oder Theater zu gehen. Inspirierend kann aber auch schlicht und ergreifend der Wochenmarkt hier um die Ecke sein. Oder ein gutes Buch, ein Gespräch mit Freunden. Einfache Sachen! Ich war gerade in Florenz in der Toskana und fand das ganz wunderbar: diese Harmonie von Kultur, Menschen, Essen und Landschaft.

Was wünschst du dir für die Zukunft?

Dass wir uns noch mehr auf die verschiedenen Kulturen einlassen können, die dieser Planet zu bieten hat und lernen, glücklich und friedlich miteinander zu leben. Diversität zu fördern und Kraft aus der Kunst und schöpferischen Tätigkeiten im Leben zu schöpfen, die man nicht immer rational erklären muss. Der interkulturelle Dialog ist wichtig, nicht als Trend, sondern als Lebenseinstellung.

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Das stimmt. Dabei ist es spannend zu beobachten, wie wir uns auf der einen Seite immer mehr von religiösen Werten entfernen und auf der anderen Seite gerade unsere Generation vermehrt nach Sinnhaftigkeit in Spiritualität sucht. Vielleicht zum Abschluss: Welche Rolle spielt Religion in deinem Leben?

Das ist eine spannende Frage. Ich finde Religion als Zivilisationsförderndes Instrument unheimlich wichtig für unsere Gesellschaft. Die Geschichte der Religion ist die Geschichte der Menschheit. Man darf da natürlich nicht immer nur schauen, was in den letzten 50 Jahren passiert ist. Gerade als Iranerin hat Religion für mich immer eine wichtige Rolle gespielt: altiranische Religionen, die Lehre des Zarathustra, die Avesta, das sind kraftvolle Bücher, die unser Wertesystem und unser Selbstverständnis über Jahrhunderte geprägt haben. Klar, Religion wurde seit Beginn auch immer machtpolitisch missbraucht mit verheerenden Folgen. Auch heute noch. Mich interessiert aber eher, was Religion als identitätsprägende Inspirationsquelle für die verschiedenen Kulturkreise geleistet hat – geistig und künstlerisch. Beim Islam schaut man immer nur, was sich jetzt in den fundamentalistischen Kreisen tut, aber diese Strömungen machen nicht mal 1 Prozent der Muslime weltweit aus und doch ist es oft das einzige, was vom Islam propagiert wird.

Viele wichtige wissenschaftliche und künstlerische Fortschritte, die oft als europäische oder westliche Leistungen gefeiert werden, gehen auf die Errungenschaften muslimischer Gelehrten und Künstler zurück. Avicenna oder Rumi waren hochreligiöse Menschen. Auch das Bild der Frau wird oft einseitig betrachtet. Im Bezug auf Religion heute hoffe ich, dass der Islam sich von innen heraus schöpferisch modernisieren wird. Dass Religion und Politik getrennt sein sollen, ist eine ganze andere Frage. Du merkst, das ist ein Thema, über das ich ewig sprechen könnte. Was Religion jedem einzelnen von uns geben kann, muss am Ende jeder für sich selbst herausfinden. Ohne diese Muse wären jedenfalls viele bedeutende Kunstwerke undenkbar.

Vielen Dank für das inspirierende Gespräch, liebe Anahita.

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Hier findet ihr Anahita Sadighi:

Fotos: Julia Novy

Interview: Stephanie Johne

Layout: Carolina Moscato

5 Kommentare

  • caroline sagt:

    tolles interview, tolle frau und eine der wenigen wohnungen, in die ich sofort einziehen würde… das bestärkt mich doch wieder in meinem unperfekten häuschen eingerichtet im mid-century-orientalisch-afrikanisch-skandi-rustikal-etc-stil! viel erfolg weiterhin anahita – beim nächsten berlin-besuch habe ich ein bis zwei stopps mehr…

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