Ein Resthof, in dem ganz viel DIY steckt: Das Traumsanierungsprojekt von Inga Günther

Es ist das Traumsanierungsprojekt von vielen: Einen geschichtsträchtigen Resthof kaufen, ihm zu neuem Glanz zu verhelfen und einen schönen Ort für die Familie zu schaffen. Inga Günther, 42, und ihr Mann Moritz haben sich diesen Traum erfüllt – und das größtenteils in Eigenleistung.

2021 entdecken sie den 700 qm großen Resthof in der Nähe von Lüneburg, erkennen sofort das Potential und machen Nägel mit Köpfen. Bereits bei der ersten Besichtigung sagen sie dem Makler den Kauf zu. Trotz der unendlich vielen Arbeit legen sie sofort los mit der Sanierung – ohne Architekt*in, Bauleitung und fast ohne Handwerker*innen.

Viele Arbeitsstunden und Schubkarrenladungen voll Bauschutt später ziehen sie mit ihren kleinen Kindern ins erste Stockwerk und sanieren ab da das Erdgeschoss, welches sie bald beziehen. Genau hier haben wir sie besucht und kommen aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Mit viel Liebe, gestalterischem Spürsinn und einer Leidenschaft für natürliche Baumaterialien haben die beiden einen ganz besonderen Ort kreiert, an dem man sich sofort wohl fühlt.

Ein neuer Rückzugsort für die Familie: Den wunderschönen Resthof bei Lüneburg haben Inga und ihr Mann 2021 gekauft und kernsaniert.

femtastics: Liebe Inga, wolltet ihr schon länger aufs Land ziehen?

Inga Günther: Mein Mann Moritz ist Mitinhaber eine Familienbäckerei in Kiel und ist da total verwurzelt, eigentlich wollten wir nie aus Kiel weg. Wir dachten, das ginge gar nicht. Ursprünglich wollten wir ein Jahr lang Sabbatical machen und mit einem Bus reisen, leider durchkreuzte die Corona-Pandemie diese Pläne und wir brauchten ein neues Projekt, ein neues Abenteuer!

Moritz hat immer gesagt, er hätte gern Platz für eine eigene Backstube. Also wollten wir ein großes Haus auf dem Land suchen.

Wie habt ihr euer wunderschönes Haus gefunden?

Zuerst schauten wir in Schleswig-Holstein, hier waren alle interessanten Objekte aber unbezahlbar. Außerdem hatten wir Zeitdruck, weil unsere Tochter im August 2021 eingeschult wurde – optimalerweise an unserem zukünftigen Wohnort.

Irgendwann im Januar 2021 schaute ich im Raum Lüneburg und fand den Resthof hier in einem Immobilienportal. Ich zeigte das Inserat Moritz, aber wir dachten natürlich erst, das ginge nicht. Schließlich arbeitet er in Kiel. Remote Arbeit war da noch kein Thema.

Inga hat Grafikdesign studiert und war lange für die komplette Werbung und PR in der Firma ihres Mannes verantwortlich.

Der Makler dachte, wir machen einen Scherz.

Die marokkanischen Fliesen in der Diele haben Inga und Moritz komplett selbst verlegt – und mussten fast jede einzelne Fliese zuschneiden, damit es passt.

Das änderte sich vermutlich schnell während der Pandemie?

Genau, er musste immer weniger vor Ort sein und ich arbeitete als Grafikdesignerin hauptsächlich von zu Hause aus. Wir dachten: Lass es uns mal anschauen!

Was ging euch bei der Besichtigung durch den Kopf?

Wir haben sofort gesehen, dass die Räumlichkeiten und die Lage toll sind – es passte perfekt, aber es wurde klar, dass man unfassbar viel tun muss. Es wurde nie irgendwas saniert in den letzten Jahren. Alles war zugekleistert mit Tapeten, Teppichen, Fliesen und verschiedenen Kacheln. Dennoch haben wir so lange gewartet, bis alle anderen Interessenten weg waren und sagten dem Makler: „Wir kaufen das Haus!“.

Ich hatte keine Angst, dass mir das über den Kopf wächst. Mein Mann dagegen musste erst vom Potenzial überzeugt werden. Er sah das Fass ohne Boden.

Wow! Sehr mutig!

Absagen hätten wir immer noch gekonnt, aber so hatten wir es schon mal reserviert. Der Makler dachte, wir machen einen Scherz (lacht). Das, was wir bisher gesehen hatten, überzeugte uns voll. Das Haus war als „sanierungsbedürftiger Resthof von 1898“ inseriert – der Preis war aber so, dass wir auf jeden Fall etwas übrig hätten, um die Sanierung nach unseren Vorstellungen zu gestalten. Wir haben einen befreundeten Architekten gebeten, beim zweiten Termin mitzukommen und zu schauen, ob das Gebäude nicht bald zusammenkracht.

Eigentlich hatten wir ziemlich viel Mut. Ich bin selbst in so einem Haus aufgewachsen, welches meine Eltern renoviert haben. Ich hatte keine Angst, dass mir das über den Kopf wächst. Mein Mann dagegen musste erst vom Potenzial überzeugt werden. Er sah das Fass ohne Boden. Er war eher pro Neubau.

Du hast gleich das Potenzial erkannt?

Absolut! Moritz natürlich auch, aber er hatte mehr Bedenken. Unser befreundeter Architekt kennt sich super gut mit solchen Projekten aus und sagte: „Kann man machen!“. Der Kaufprozess hat dann drei Monate lang gedauert, unser voriges Haus konnten wir gut und schnell verkaufen. In der Zwischenzeit haben wir losgelegt und einen Sanierungsplan ausgearbeitet, Moritz kennt sich zum Glück durch seine Bäckerei-Filialen ganz gut aus mit dem Thema. Er hat die Kostenaufstellung gemacht und alles geplant, ich bin für die Gestaltung zuständig.

Was macht ihr alles selbst? Wo holt ihr euch Unterstützung?

Wir haben die Sanierung ohne Architekt*in, ohne Bauleitung und fast ohne Handwerker*innen gemacht. Das meiste haben wir tatsächlich komplett selbst gemacht. Wir hatten nur Elektriker*innen und Sanitärfachleute da.

Das ist wirklich beeindruckend! Wie habt ihr es logistisch gelöst, auf der Baustelle zu sein – auch mit zwei kleinen Kindern?

Im März 2021 haben wir das Haus übernommen, am 1. September war Schulstart. Wir mussten also irgendwann im Sommer hierher ziehen, damit wir uns akklimatisieren können. Unser altes Haus haben wir im Mai verkauft, haben die Übergabe aber in den August geschoben. Bis zum Einzug im Juli sind wir immer mal hierher gefahren und haben im oberen Stockwerk sauber gemacht und gestrichen. Meine Eltern haben uns viel geholfen und auf die Kinder aufgepasst. Der Plan war es, erstmal ins obere Stockwerk zu ziehen.

Oben hat es reingeregnet und gezogen wie Hechtsuppe … die Kinder waren teilweise nicht so begeistert und wollten in ihr altes Zuhause zurück.

Oben hat es reingeregnet und gezogen wie Hechtsuppe … die Kinder waren teilweise nicht so begeistert und wollten in ihr altes Zuhause zurück.

Wie habt ihr eure Kids dann über den Sommer während der Sanierung bei Laune gehalten?

Meine Eltern kamen die ersten Wochen fast täglich und haben uns entweder geholfen oder einen Ausflug mit den Kindern gemacht. Dann haben mein Mann und ich uns schnell aufgeteilt im Sinne von: Eine*r arbeitet und eine*r muss in der Lage sein, schnell abzubrechen, um etwas mit den Kindern zu unternehmen. Und wir haben uns eine Katze angeschafft, worüber die Kinder sich sehr gefreut haben!

Aber klar, sie haben nicht ganz verstanden, warum wir unser schönes Zuhause – ihren bisherigen Lebensmittelpunkt – aufgegeben haben, um auf einer zugigen und dreckigen Baustelle zu leben. Zum Glück haben sie schnell neue Freundschaften geschlossen!

Was waren die ersten Schritte, nachdem ihr hier eingezogen seid?

Im Juli sind wir mit dem Umzugswagen hierher gekommen und sind oben eingezogen. Wir haben eine riesengroße Tenne, da konnten wir alle unsere Möbel lagern. Wir haben uns zwei Wochen eingelebt – und danach sofort die Sanierung gestartet.

Was wir gemacht haben? Entkernen bis zum Gehtnichtmehr. Wir haben unfassbar viel Müll und Schutt rausgeholt und unendlich viel Tapete abgekratzt und Holzverkleidungen entfernt. Allein in den ersten drei Wochen haben wir vier große Schuttmulden gefüllt. Unterstützung hatten wir nur von unseren Eltern.

Man muss sich einfach trauen und auch Fehler zulassen können!

Habt ihr in der Zeit auch schöne Entdeckungen gemacht?

Ja! Wir haben die wunderschönen Holzdielen entdeckt, unten und oben. In der Diele haben wir einen wunderschönen Terrazzoboden unter all dem Staub entdeckt, dafür hätten wir sogar den Plan mit der Fußbodenheizung verworfen. Leider haben Nagetiere den Boden so stark unterhöhlt, dass der Boden überall eingebrochen ist. Wir mussten uns leider von dem Terrazzo trennen.

Und hat euch irgendwas während der Sanierung „kalt erwischt“?

Oh ja, nachdem ich auf „Instagram“ ein Video gepostet hatte, wie ich den Fußboden entferne, meldete sich ein Bekannter und sagte: „Das sieht nach Asbest auf dem Video aus!“. Wir haben sofort aufgehört und haben uns Kits für Asbestproben bestellt, die man ins Labor schicken kann. Parallel haben wir einen Spezialisten bestellt, der überall Proben entnommen hat. Es wurde tatsächlich Asbest im Kleber in den Fußleisten festgestellt, was nicht gefährlich ist, solange es nicht pulverisiert wird.

Wir haben dann mit Schutzanzügen, einem extra Asbestsauger und den speziellen Entsorgungsbeuteln die entsprechenden Teile weggeschafft und fachgerecht entsorgt. Aber für einen Moment dachten wir, wir könnten hier nicht einziehen.

Inga hat im gesamten Haus den Farbton „Light Grey“ von „Farrow & Ball“ an verschiedenen Stellen benutzt.

Immerzu kamen Leute aus dem Dorf vorbei und haben uns Kaffee gebracht oder Blümchen vor die Tür gestellt.

Was auffällt, ist, dass ihr ein tolles Raumklima habt. Wie habt ihr das erzielt?

Die alten Gefache sind aus Lehm und es war uns wichtig, aus ökologischer Sicht dieses gute Raumklima wiederherzustellen. Wir haben hauptsächlich mit Lehmputz und mit Lehmfarbe gearbeitet, auch um diese etwas roughe und unperfekte perfekte Optik zu erzielen.

Bevor ihr hierhergezogen seid: Habt ihr euch die Umgebung vorher eigentlich noch mal genauer angesehen?

Nicht wirklich, wir kennen ja Lüneburg und finden es dort super schön. Wir haben geschaut, welche Kita und welche Schule in der Nähe sind – dass wir künftig viel fahren müssen, war uns klar. Dann haben wir die Kinder schnell angemeldet und mit der Sanierung gestartet – alles vermessen und sofort das Material bestellt. Das ist alles kein Hexenwerk, wenn du die genauen Maße kennst. Man muss sich einfach trauen und auch Fehler zulassen können! Und Entscheidungsfreude hilft natürlich auch.

Außerdem mussten wir auf keine Handwerker*innen warten und sind schneller mit der Sanierung vorangekommen. Oft stehen wir auf, bringen die Kinder in die Schule und dann geht’s ab auf die Baustelle.

Was wisst ihr über die Geschichte des Hauses?

Das Haus stand ein Jahr leer. Davor hat eine alte Frau hier gewohnt, die Kinderärztin war – teilweise zusammen mit dreißig Hunden. Sie war sozial und politisch sehr engagiert und hatte das Haus in den Siebziger Jahren gekauft. Davor war hier jahrzehntelang ein Kneipenbetrieb drin plus Obsthof – seit 1898. Es gab Pferdeställe, das einzige Telefon des Dorfes war hier und die Poststelle. Es war das Zentrum des Dorfes. Viele Feste haben hier stattgefunden und viele Menschen haben sich hier kennengelernt.

Wie wurdet ihr hier im Dorf empfangen?

Wahnsinnig freundlich! Immerzu kamen Leute aus dem Dorf vorbei und haben uns Kaffee gebracht oder Blümchen vor die Tür gestellt. Alle haben uns nett begrüßt und sich gefreut, dass sich endlich jemand dieses Hauses annimmt. Es gab auch Pläne, das Haus abzureißen und Doppelhaushälften hier hinzustellen. Die Leute waren froh, dass wir das nicht vorhatten. Es wohnen viele Familien mit kleinen Kindern hier, unsere Kinder haben sofort neue Freund*innen gefunden.

Unser Credo ist: Die Chancen sind größer als die Risiken. Wir können mehr gewinnen, als wir verlieren. Wir sind stolz darauf, was wir alles geschafft haben und noch schaffen werden.

Es wird immer gesagt, eine Sanierung kann eine Partnerschaft ganz schön belasten. Wie war das bei euch? Was hat euch geholfen?

Wir hatten von Anfang an eine gute Aufteilung: Ich bin die Zuversichtliche mit der Vision und Moritz ist der, der plant und überprüft, ob meine Vision überhaupt funktioniert. Natürlich tauscht man die Rollen auch mal und die*der eine fängt die*den andere*n auf. Wir haben bisher nie gedacht, dass das Projekt unserer Partnerschaft schaden würde – im Gegenteil: Wir sind an allen Herausforderungen gewachsen. Unser Credo ist: Die Chancen sind größer als die Risiken. Wir können mehr gewinnen, als wir verlieren. Wir sind stolz darauf, was wir alles geschafft haben und noch schaffen werden.

Habt ihr euch auch bewusst Zeit für euch als Paar genommen?

Wir haben teilweise viel zu viel gemacht – wir waren täglich morgens bis 17 Uhr komplett auf der Baustelle. Jetzt nehmen wir uns einen Vormittag die Woche komplett für uns frei, gehen in Lüneburg Kaffee trinken oder machen einen langen Spaziergang. Bewusst etwas mit den Kindern zusammen zu machen ist aber ebenso Quality Time.

Es soll ein Ort sein, an dem Menschen zusammenkommen und kreativ sein können.

Eine sehr schöne Vision! Vielen Dank für den tollen Vormittag bei euch, liebe Inga!


Layout: Kaja Paradiek

Ein Kommentar

  • Daniel Roetting sagt:

    Ein wunderbares Beispiel, wie so ein Projekt gelingen kann – ein Riesenkompliment von uns aus Peking! Mein Mann und ich sind auch gerade auf der Suche nach einem vergleichbaren Objekt in fast der gleichen Region. Daher wuerden wir uns sehr gerne einmal mit den Bauherr*innen austauschen, so wir fuendig geworden sind.

    Herzlich Gruesse, Daniel.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert