Morgens direkt von der Terrasse ins Wasser springen, vom leichten Schaukeln in den Schlaf gewogen werden und dort leben, wo andere Urlaub machen. Die freiberufliche Schuhdesignerin Ina Harriefeld hat sich den Traum vom Hausboot erfüllt. Vor eineinhalb Jahren kauft sie sich relativ spontan eine 90 Jahre alte Motorschute, ein 27 Meter langes Transportschiff, das bis vor einigen Jahren noch in Betrieb war, und baut sich daraus ein Hausboot. Sie konzipiert, recycelt und setzt ihre Ideen um, ohne jemals vorher mit dem Thema in Berührung gekommen zu sein. Wir besuchen die 33-Jährige und ihre Terrierhündin Lotte auf ihrem nachhaltig gebauten „Mobi the Boat“ am Stadtrand von Hamburg und sprechen mit ihr darüber, wie sie nach langer Rastlosigkeit endlich ihren „Safe Harbour“ gefunden hat, über Ängste und Antrieb, Herausforderungen beim Bau auf dem Wasser und die Entwicklung der Hausboot-Community in Deutschland.
Die Schute war wahnsinnig groß und irgendwie auch beängstigend, aber hatte viel Potenzial. Ich habe sie gekauft, ohne noch mal groß darüber nachzudenken.
Ina Harriefeld: Ich hatte es schon länger im Kopf, aber nie ernsthaft durchdacht. Es war eine utopische Idee. Vor zwei Jahren musste ich aus meiner Wohnung raus. Mein Leben war davor super unruhig. Ich bin zig mal umgezogen, alles war ständig im Wandel, es gab immer wieder einen neuen Job und ich hatte das große Bedürfnis nach einem Rückzugsort. Dann habe ich gedacht: „Wenn nicht jetzt, wann dann?“ Ich habe zu dem Zeitpunkt schon in Rothenburgsort gewohnt und wusste, dass es schwierig sein wird, in Hamburg einen Liegeplatz zu bekommen. Deshalb war meine Idee, erstmal Kontakt zu Leuten aufzunehmen, die sich auskennen. Ich habe mir einen Job in einem Café in der Nähe am Wasser gelegen besorgt, weil ich dachte, dass da vielleicht die richtigen Leute sind. Dort habe ich tatsächlich meinen Vermieter des Liegeplatzes kennengelernt. Ich habe mir im November 2018 die Schute angeschaut. Es war Liebe auf den ersten Blick. Die Schute war wahnsinnig groß und irgendwie beängstigend, aber hatte viel Potenzial. Ich habe sie gekauft, ohne noch mal groß darüber nachzudenken. Sie lag erst an der Veddel und hatte fünf Monate keinen Landzugang. Ich bin dann ab und zu hingefahren und habe sie angeguckt. Im März 2019 kam sie her und es ging los.
Ich habe viel upgecycelt. Die Dielen, die Fenster im Wohnzimmer, das runde Fenster im Schlafzimmer und die Treppenstufen habe ich komplett aus einem alten Abrisshaus ausgebaut und hier eingebaut.
Die Schute hat 11.000 Euro gekostet. Mit dem Aufbau komme ich insgesamt auf 60.000 Euro. Das hatte ich vorher auch grob kalkuliert. Ich habe viel upgecycelt. Die Dielen, die Fenster im Wohnzimmer, das runde Fenster im Schlafzimmer und die Treppenstufen habe ich komplett aus einem alten Abrisshaus ausgebaut und hier eingebaut. Dadurch, dass ich viel selbst gemacht habe, war es möglich, das so günstig hinzubekommen.
Als ich das erste Mal auf diesem Rumpf gestanden habe, wusste ich: Das ist genau mein Platz.
Genau, ich zahle Liegegebühren – gar nicht so wenig. Es ist fast wie eine normale Hamburger Wohnungsmiete.
Für mich war schnell klar, dass ich gerne auf einem Schiff leben möchte, ich wollte keinen flachen Schwimmkasten. Ich mag Sachen mit Geschichte. Dies war das dritte Boot, das ich mir angeguckt habe und es war tatsächlich ein Gefühl von: „Das ist es!“ Das hatte ich noch nie. Ich habe es ja eben schon kurz erzählt: Ich war immer relativ rastlos unterwegs und egal, wo ich war, ich habe mich immer zurecht gefunden, aber nie zu Hause gefühlt. Als ich das erste Mal auf diesem Rumpf gestanden habe, wusste ich: Das ist genau mein Platz.
Ab März 2019 war das Boot hier in Rothenburgsort. Dann habe ich händisch angefangen, das Boot zu entrosten und aufzuräumen. Das war die erste Annäherung. Dabei habe ich ein Gefühl für die Größe und Form bekommen. Ich kenne jeden Zentimeter in meinem Schiff und daraus entstand die Idee, so wenig wie möglich zu verändern. Die Reling, die umlaufend ist, bestimmte die Raumgröße. Die Fenster, die ich aus dem Abrisshaus ausgebaut habe, bestimmten die Raumhöhe. Ich habe also das, was ich zur Verfügung hatte, zusammengefügt und wollte so niedrig wie möglich bauen, damit es nicht so auffällig ist. Es gab keinen hundertprozentigen Bauplan. Wir hatten eine grobe Idee – mein Papa, der Architekt ist, hat geholfen – und haben als erstes angefangen unten eine Stahlkonstruktion zu bauen, auf der wir das Haus raufgebaut haben. Der Rest kam nach und nach – es ist aus sich selbst heraus entstanden. Es war eine Art Prozessbau.
Ich kenne ein anderes Hausboot von dem Bootsbauer, der mich beim Kauf beraten hat. Er sollte schauen, ob die Schute von der Struktur gut ist. Er wohnt seit Jahren auf einem Hausboot, das ich noch aus Kindertagen kenne. Aber so richtig Boote besichtigt oder mal drauf geschlafen, habe ich vorher nie. (lacht)
Es ging alles so schnell, ich hätte nie gedacht, dass ich innerhalb von einem halben Jahr einen Liegeplatz und ein Schiff habe. Das war tatsächlich auch die Sorge meiner Eltern, dass das so eine Idee von mir ist und am Ende nicht funktioniert, weil ich mich nicht wohl fühle. Aber dadurch, dass ich das Zuhausegefühl vom ersten Moment der Besichtigung hatte, wusste ich, dass ich das Richtige mache.
Das Studium war fertig – ich habe Mode in Hannover studiert und meinen Bachelor habe ich in Bremen gemacht. Ich bin danach zurück nach Hamburg gekommen und habe mit meinem damaligen Freund in Rothenburgsort gewohnt. Er ist zurück nach Österreich gezogen, ich musste aus der Wohnung raus. Dann wäre es Umzug Nummer 26 geworden. Ich hatte das dringende Bedürfnis nach einem Ort für mich alleine, der mir vollkommen, innerhalb meiner Möglichkeiten, entspricht.
Ich lebe hier viel bewusster. Du weißt, wie viel Wasser du verbrauchst, achtest auf deinen Stromverbrauch.
Das Boot ist ständig in Bewegung. Man kann nicht nach Wasserwaage, sondern nur per Augenmaß bauen. Man hat keine normalen Wasserleitungen und keine normale Stromzufuhr. Das heißt, ich habe unten die Wassertanks, die ich be- und entfüllen muss. Ich musste mir selbst eine Elektrik reinlegen. Das schafft aber eine Verbindung, ich lebe viel bewusster. Du weißt, wie viel Wasser du verbrauchst, achtest auf deinen Stromverbrauch. Wenn ich es warm haben möchte, muss ich Pellets schleppen, ich habe nämlich einen Pelletofen.
Die erste Herausforderung war die Stahlkonstruktion. Holz kennt man, da weiß man, wie es sich verhält. Stahl war aber der große Unbekannte. Wir waren sehr froh, dass Bernd, der Bootsbauer, da war. Er hat die Konstruktion mit uns zusammen reingeschweißt. Außerdem hatten wir über die ganze Bauphase immer Angst vor Wasser – wir hatten immer Schiss, dass es regnet und gehofft, dass es trockene Tage gibt. Letztes Jahr gab es auch ein paar Stürme – es gab also definitiv ein paar Momente, die kritisch waren, aber es hat funktioniert.
Das ganze Material hierher zu schleppen, war auch eine Herausforderung. Ich staune im Nachhinein tatsächlich über meine Kraft – die vielen Stahlträger und wir hatten 11 Tonnen Holz, die wir über die wackeligen Stege geschleppt haben.
Ich habe keine Angst, meine Komfortzone zu verlassen. Ich mache meine eigenen Regeln und orientiere mich nicht so viel an dem Leitfaden anderer.
Die fanden es alle aufregend und spannend. Viele fanden es aber auch wahnsinnig und waren schockiert, als sie die noch unfertige Schute gesehen haben. Alle haben es mir aber zugetraut und waren mit aufgeregt. Wenn ich Menschen, die mich noch nicht richtig kennen, erzähle, dass ich auf einem Hausboot lebe, höre ich oft: Das würde ich auch so gerne!
Ich glaube, das hat viel mit Angst zu tun. Viele Menschen haben Angst vor den Herausforderungen und davor ihre Träume zu verwirklichen. Ich habe einfach weniger Angst – ich glaube, das ist mein großer Vorteil. Ich habe keine Angst, meine Komfortzone zu verlassen. Ich mache meine eigenen Regeln und orientiere mich nicht so viel an dem Leitfaden anderer. Mein Modestudium habe ich auch nach fünf Semestern abgebrochen, kurz vor Ende, weil es sich nicht richtig angefühlt hat.
Ich werde oft gefragt, ob ich mich hier einsam fühle, weil es ein bisschen abgelegen ist. Aber das ist überhaupt nicht so, es ist hier wie ein kleines Dorf.
Man trifft sich mal abends auf ein Bier, aber man versucht schon, dadurch, dass es so eng ist, sich die Privatsphäre zu gönnen. Ich werde oft gefragt, ob ich mich hier einsam fühle, weil es ein bisschen abgelegen ist. Aber das ist überhaupt nicht so, es ist hier wie ein kleines Dorf.
Ich werde öfters mal bei Instagram von Menschen angeschrieben, die auch gerade ein Boot bauen oder es vorhaben. Die haben dann Fachfragen zum Ofen oder meiner Wasseranlage. Aber ich kenne tatsächlich noch keine richtige Community. Ich würde gerne ein Buch über mein Projekt schreiben, um genau solche Technikfragen zu beantworten.
Leben auf dem Wasser ist natürlich ein Thema. Wir müssen irgendwann aufs Wasser. In den Niederlanden gibt es dazu schon große Ideen und Projekte. In Hamburg ist es leider noch etwas schwierig. Die Hamburger*innen tun sich damit schwer, Plätze freizugeben oder Plätze für Hausboote zu schaffen. Und dann gibt es noch ein paar Boote, die luxuriös gebaut und unerschwinglich sind. Da geht es wieder weg von der Idee, Wohnraum zu schaffen. Selbst Berlin hat es geschafft. In Hamburg ist es schwer einen Liegeplatz zu finden, Hausboote zum Verkauf gibt es generell viele für wenig Geld, besonders in den Niederlanden.
Die Schute hat keinen Motor mehr, ich könnte mich zwar schleppen lassen, passe mit dem Aufbau aber nicht mehr unter allen Brücken durch. Ich hoffe, dass ich hier noch lange bleiben kann. Ich liebe meinen Platz sehr. Ich liege hier an einer Naturschutzinsel total im Grünen, habe es aber nicht weit in die Stadt. Mit dem Rad fahre ich 20 Minuten. Gefühlt bin ich dennoch weit ab vom Schuss, was ich sehr liebe.
… ich bringe den Menschen das Schuhe Machen bei. Ich liebe das Handwerk. Ich möchte den Leuten ein Bewusstsein für Dinge geben. Ich würde mir wünschen, dass sie wieder eine Verbindung dafür bekommen, was sie umgibt, und das funktioniert am besten, wenn man etwas selbst macht. Ich versuche mich hier auf dem Boot nur mit Dingen zu umgeben, die mich wirklich glücklich machen.
Durch Corona habe ich mein Atelier verloren, deshalb gebe ich die Workshops jetzt erstmal auf dem Schiff bis es wieder richtig losgeht und ich wieder ein Atelier woanders eröffnen kann. Dann ist auch der Plan, den Raum, in dem sich jetzt mein Atelier befindet, zu vermieten.
Ich habe wenig Angst davor, Dinge anzufassen und loszutreten.
(lacht) Im Vergleich zu anderen schon. Die Dinge passieren ja immer zweimal, einmal innen und einmal außen. Außen ist fertig und innen realisiere ich so langsam, was ich geschafft habe. Da staune ich über mein Durchhaltevermögen und meine Kraft dieses Projekt realisiert zu haben.
Der starke Wille! Wenn ich etwas will, dann will ich das. Ich habe wenig Angst davor, Dinge anzufassen und loszutreten. Das Wichtigste ist, wenn man etwas will, auch loszumarschieren. Selbst wenn man nicht an dem gedachten Ziel ankommt und es vorher einen Schleichweg gibt, muss man in Bewegung bleiben – das macht vieles möglich. Das können auch viele andere Frauen schaffen. Es nervt mich tatsächlich, dass es oft heißt: „Uhh, Frauen und Handwerk“, weil ich glaube, dass das viele Frauen können, sie sich aber einfach nur unterschätzen oder Angst vor dem Unbekannten haben.
Layout: Kaja Paradiek
3 Kommentare
Tolle Leistung – weiter so🙂
so begeistert von dem Projekt und diesem Artikel! Danke fürs teilen !