Die Wahlberlinerin Jessie Weiss ist Unternehmerin – 2012 gründete sie das Blogazine „Journelles“ und 2015 das Modelabel „Jouur“ –, eine der ersten deutschen Modebloggerinnen – 2007 co-gründete sie das Modeblog „LesMads“ –, sie ist rheinische Frohnatur, Mama von zwei Jungs, hat laut eigener Aussage einen „Céline-Taschentick“, ist aber nicht nur Mode-, sondern ebenso Interior-begeistert – und hat in den vergangenen Jahren gemeinsamen mit ihrem Mann eine Berliner Eigentumswohnung renoviert und eingerichtet. In ihrer 4-Zimmer-Wohnung im Prenzlauer Berg ist alles très chic: Es gibt Fischgrätparkett, reichlich Stuck, softe Farben, und viel Wiener Geflecht. Wir durften die sympathische 33-Jährige, ihren Mann Johan, und die Söhne Levi (3) und Louis (1) in ihrem gut 120 Quadratmeter großen Zuhause im Bötzowkiez besuchen. Jessie erzählt uns, wie sie es geschafft hat, in diesem so beliebten Viertel eine Wohnung zu ergattern, was ihr an „Betongold“ wichtig war, und wie sie das Dilemma gelöst hat, einerseits Ordnung zu lieben, andererseits aber nicht gern aufzuräumen.
Wir haben die Wohnung neun Monate lang kernsaniert.
Jessie Weiss: Ja, total. Wir haben uns ab dem ersten Tag hier zu Hause gefühlt, das war ganz easy. Wir haben die Wohnung neun Monate lang kernsaniert, waren so oft hier und haben alles bis ins kleinste Detail selbst bestimmt. Das war eine Art Befreiungsschlag, endlich hier wohnen zu können, endlich zu Hause sein zu dürfen.
Ja, sind wir. Eigentlich haben wir fast in ganz Berlin nach einer Eigentumswohnung gesucht – in Mitte, Prenzlauer Berg, Kreuzberg, Charlottenburg oder Schöneberg. Dann sind wir durch Zufall ausgerechnet hier gelandet. Das ist echt witzig, wir haben vorher acht Häuser weiter in genau derselben Straße gewohnt. Wir fühlen uns hier so wohl. Der Bötzowkiez ist schön, ruhig und gediegen, der steht auch in keinem Reiseführer. Wir wohnen hier schon seit sieben Jahren, wir kennen den Mann vom Kiosk, den vom Späti, die Bäckerin und die Kellner*innen im Café. Man hat einen Bezug zu so vielen Leuten, die hier leben, und grüßt sich auf der Straße. Das ist wie auf dem Dorf.
Das kam für uns nicht in Frage, weil das „Häuschen im Grünen“ zu weit weg ist von unserem täglichen Leben. Das „Journelles“-Büro ist zum Beispiel hier direkt um die Ecke. Oder der Kindergarten. Diese langen Strecken, die du oft mit dem Auto zurückzulegen musst, wenn du weiter draußen wohnst – das ist nichts für uns. Ich bin selbst in einem Haus im Grünen in der Nähe von Essen groß geworden, mit Feldern, Pferdekoppeln und einem Wald. Das war toll. Aber es ist nicht das, wo ich mich gerade sehe. Wir haben hier auch einen schönen Park in der Nähe (lacht).
Das „Häuschen im Grünen“ ist zu weit weg von unserem täglichen Leben.
Wir haben ein knappes Jahr intensiv gesucht. Irgendwann habe ich gedacht: Oh Gott, ich glaube, das wird nichts mehr mit dem Eigentum. Und dann poppte plötzlich im Netz bei einem Immobilienportal diese Wohnung auf. Der Preis war recht gut, da dachte ich natürlich gleich: Wo ist der Haken? Die Anzeige war keine 24 Stunden online. Ich hatte schon ein ganzes Paket vorbereitet mit Bewerbungsunterlagen, einem Foto von uns und einem Text, wer wir sind. Ich habe auch die Maklerin ausfindig gemacht und ihr nochmal direkt geschrieben. Da habe ich schon ordentlich Gas gegeben.
Nein, das war ein zweimonatiges Kämpfen. Wir haben zig Telefonate geführt und immer wieder nachfragen müssen, weil es viele Mitbewerber gab. Was uns zugute kam, war, dass eine Bekannte ein gutes Wort für uns eingelegt hat. Sie hatte selbst hier gekauft. Und natürlich, dass wir eine Familie sind, die hier leben wollte. Viele wollen eine Wohnung ja nur als Investition.
Wir haben uns ab dem ersten Tag hier zu Hause gefühlt.
Auf jeden Fall vier Zimmer, damit wir langfristig zwei Kinderzimmer haben können. Klar, ein Balkon an der Straße, wie wir ihn jetzt haben, der hat nicht viel Sinn. Ich hätte gern einen kleinen Garten gehabt. Aber das war total utopisch. Man hat viele Vorstellungen und irgendwann macht man Abstriche, damit es vom Budget her passt. Wir wollten uns auch nicht für immer ruinieren mit der Aufnahme eines Kredits. Deshalb hatten wir schon einen gewissen Preisrahmen.
In diesem Kiez bist du immer so bei 7.000/8.000 Euro pro Quadratmeter. Vielleicht 6.000 Euro, wenn du Glück hast. Wir haben mit der Sanierung ungefähr nur 5.000 Euro pro Quadratmeter gezahlt. Das ist richtig gut. Wir hätten es sogar noch günstiger hinbekommen können, wollten aber am Ausbau und den Materialien nicht sparen. Wir haben das schon auch als Investition gesehen, bei der der Wert sich über die Jahre vielleicht noch steigern kann.
Für uns ist die Wohnung die erste richtige Altersvorsorge.
Naja, der Zustand war nicht sehr überzeugend. Der Schnitt hat uns zwar auf Anhieb zugesagt, aber wir wussten auch: Das wird wahnsinnig viel Arbeit. In der Wohnung war früher eine WG und alles war ziemlich kaputt. Das Haus ist von 1911 und wurde nie richtig saniert. Drei alte Öfen hatten wir hier zum Beispiel drin, riesengroß. Und extrem knarzenden Parkettboden – den haben wir ersetzt, der war nicht zu retten. Auch die Aufteilung der Räume war ganz anders. Die Küche zum Beispiel war dort, wo jetzt das Zimmer von meinem älteren Sohn Levi ist. Da klar war, dass man hier noch sehr viel Arbeit reinstecken musste, war der Preis entsprechend niedrig.
Im Moment ist es ja noch eine ganz gute Option, eine Immobilie zu kaufen, weil die Zinssätze so niedrig sind. Deshalb haben wir uns gesagt: am besten jetzt. Wir sind beide selbständig, da muss man natürlich schauen, dass man eine gute Tilgung verhandelt und überhaupt einen Kredit bekommt. Für uns ist das die erste richtige Altersvorsorge, wir haben sonst keine. Sobald man Kinder hat, denkt man mehr über so etwas nach. Wir wollten einfach mal anfangen – mit „Betongold“ eben.
Mein jüngerer Sohn Louis ist im November 2018 geboren, die Wohnung hatten wir einen Monat vorher gekauft. Wir haben schnell gemerkt, dass ich nicht so einfach in meinen Job zurückkomme. Die Nächte waren furchtbar, Louis war viel krank und sehr anhänglich. Ich habe den Wiedereinstieg ins Berufsleben nicht so geschafft wie ich mir das aus der Erfahrung mit meinem ersten Sohn vorgestellt hatte. Also habe ich die Zeit genutzt, um diese Wohnung zu planen. Ich habe natürlich auch immer gearbeitet, aber eben viel weniger als ursprünglich gedacht.
Ja, wir hatten einen Bauleiter. Er hat uns vor allem geholfen, die Koordination mit den Handwerkern zu machen. Oder die Elektroinstallation – Dinge eben, für die es technisches Know-how braucht. Alles andere haben wir selbst gemacht. Nur nicht selbst Hand angelegt, dafür haben wir beide kein Talent.
Man hat natürlich große Vorstellungen und Wünsche. Wenn du anfängst, das auf deine eigenen vier Wände umzumünzen, stößt du schnell an deine Grenzen. Sowohl, was das Budget angeht, als auch die Machbarkeit. Manche Dinge gingen einfach nicht in diesem Haus, eine Fußbodenheizung zum Beispiel. Ich hatte riesige Inspirationsordner auf Pinterest und Instagram. Irgendwann habe ich gemerkt, dass das, was ich auf einem Foto gut fand, oft gar nicht die Einrichtung eines Raums war, sondern ein fantastischer Blick aufs Meer oder ins Grüne. Mit der Realität hat das nichts zu tun.
Ich musste mir sagen: So, ich mache jetzt mein eigenes Ding. Es gab natürlich schon Sachen, die ich wollte und die auch zu realisieren waren. Wir wussten zum Beispiel schnell, dass wir eine Wohnküche wollen. Die Kochinsel haben wir sogar noch auf dem alten Fußboden mit Kreide aufgezeichnet. Das war schon chaotisch teilweise, wir wussten oft nicht, ob etwas am Ende wirklich gut aussehen würde. Uns war auch klar, dass wir als Familie viel Stauraum brauchen. Wir haben keine Abstellkammer! Deshalb haben wir den großen Schrank im Flur anfertigen und hier in der Küche so viele Hochschränke bauen lassen. Anfangs wusste ich aber noch gar nicht, wo die Hochschränke hin sollen. Ich habe im Netz Bilder von Küchen mit ähnlichen Schnitten gesucht und geschaut, wie dort die Aufteilung ist. Wo im Detail welche Möbel stehen, kam viel später. Ein anderes wichtiges Thema war das Badezimmer.
Das hatte weniger als vier Quadratmeter. Die zwei Jungs werden ja größer. Und irgendwann mit drei Männern in diesem winzigen Bad: das war eine Horrorvorstellung. Also haben wir das Bad 40 cm ins Schlafzimmer vergrößert und neben dem Bad noch eine Ankleide gemacht. Dadurch ist das Schlafzimmer zwar viel kleiner geworden, aber es hat sich gelohnt. Man kann sich im Bad jetzt gut zu viert aufhalten und wir haben beides, ein Dusche und eine Badewanne. Die Badewanne ist allerdings winzig. Anfangs hatten wir zwei Monate lang keine Dusche und haben uns alle jeden Tag in der Mini-Badewanne gewaschen – man gewöhnt sich an alles.
Ich habe ein sehr empfindliches Auge, mag Unordnung nicht, aber räume auch nicht so gern auf. Das ist ein bisschen schwierig.
Ja, wir haben zum Beispiel überall Stuckleisten, in jedem Zimmer andere, die habe ich alle einzeln ausgesucht. Das ist nichts, was einem auf Anhieb auffällt, macht aber die Stimmung eines Raums aus. Ich fand auch diese typisch französischen Heizkörperverkleidungen immer so schön, die wollte ich unbedingt haben. Das war leider sehr kostspielig. Wir haben einen Architekten damit beauftragt. Ich habe ihm meine Fotos gezeigt und er hat das umgesetzt. Der TV-Schrank war auch so ein Ding. Ich habe ein sehr empfindliches Auge, mag Unordnung nicht, aber räume auch nicht so gern auf. Das ist ein bisschen schwierig. Ich habe immer überlegt: Was stört mich in der alten Wohnung? Das war zum Beispiel der Kabelsalat unter dem Fernseher. Jetzt haben wir dieses Loch im Stein, wo die Kabel hineingehen und darunter den TV-Schrank, in dem wir alles verstecken können.
Nein, natürlich nicht. Mit zwei Kindern schaffst du das nicht. Es liegen immer Klamotten und Spielzeug herum und die Küche sieht schnell unordentlich aus. Am allersten Tag, als wir unseren Freunden die Küche gezeigt haben, hatten wir Himbeeren dabei. Und auf einmal sagt jemand: „Was ist das für ein Fleck?“ Da hatten wir schon einen Himbeerfleck in der Quarzit-Arbeitsplatte. Die hatten wir extra in italienischen Steinbrüchen von einer Firma scouten lassen. Den Fleck sieht man glücklicherweise kaum noch, Quarzit ist nicht so empfindlich wie Marmor. Trotzdem musst du dich entspannen – so etwas passiert. Um noch mal auf das Aufräumen zurückzukommen: Wir haben versucht, alles sehr ruhig zu gestalten. Mir waren auch diese soften Farben wichtig: In der Wohnung ist zwar fast nirgends ein reines Weiß an der Wand, aber abgesehen vom Spielzimmer ist es überall sehr hell. Wenn man dann mal den täglichen Kram aufgeräumt hat, ist nichts mehr da, was das Auge stört.
Stimmt. Die sind von Beatriz Morales, einer Freundin von uns. Das kleinere Bild haben wir vor drei Jahren gekauft, das hing schon in unserer alten Wohnung. Wir lieben Beatriz‘ Arbeit und glauben fest daran, dass sie noch einen großen Durchbruch haben wird. Sie ist schon auf dem besten Weg dahin, gerade hat sie in ihrer Heimat Mexiko eine Ausstellung. Das große Bild hat hat sie uns geliehen, wir wollten schauen, wie es so wirkt. Jetzt wo es hier hängt, wollen wir es gar nicht mehr hergeben.
Ja, wir haben einen Cut gemacht und ganz viele Sachen verschenkt oder gespendet. Ich hänge emotional auch nicht sehr an Gegenständen. Das macht es leichter, sich auf einen spezifischen Stil zu konzentrieren, weil man zum Beispiel nicht erst zig Bildbände verstauen muss. Wir haben auch nicht so ein top ausgestattetes Spielzimmer. Gerade Louis spielt, wie du gesehen hast, lieber mit deinem Stift als mit etwas anderem. Ich fand es auch schön, bei der ganzen Ausmist- und Umzugsaktion zu merken: Was zählt, ist die Familie, die hier wohnt. Der Rest ist eigentlich wurscht.
Layout: Kaja Paradiek
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