Paartherapeutin Esther Perel über erfolgreiche Beziehungen und wie man Beziehungsprobleme lösen kann

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4. April 2019

Affären, Lustlosigkeit, mangelnde Kommunikation, sexuelle Frustration – es gibt kaum ein Beziehungsproblem, das Esther Perel noch nicht untergekommen ist. Immerhin sind es genau diese Themen, die Paare schon seit Jahrzehnten in ihre New Yorker Praxis treiben. Die gebürtige Belgierin ist jedoch nicht nur eine der bekanntesten Paartherapeutinnen der Welt, sondern auch eine charismatische Sprecherin und Autorin zweier Bücher: Ihr neuestes Werk „Die Macht der Affäre. Warum wir betrügen und was wir daraus lernen können.“ ist kürzlich auf Deutsch als Buch und Hörbuch erschienen. Außerdem hat die 61-Jährige vor einiger Zeit ein weiteres außergewöhnliches Projekt ins Leben gerufen: In ihrem Audible Originals Podcast „Where Should We Begin bekommen wir als Zuhörer intime Einblicke in Therapiesitzungen. Als Esther Perel kürzlich für einen Audible-Talk in Berlin war, durften wir sie zum exklusiven Interview treffen.

 

femtastics: Welche Muster erkennst du immer wieder in Paarbeziehungen?

Esther Perel: Es gibt vier unterschiedliche Muster: zwei Menschen, die gegeneinander angehen. Oder eine Person entfernt sich, während die andere folgt. Oder zwei Menschen, die sich immer weiter von einander entfernen. Oder zwei, die immer nur folgen wollen. Es gibt immer eine irgendwie geartete Konstellation aus einem „Verfolger“ und einem „Entferner“. Das beeinflusst die gesamte Dynamik eines Paares. Wenn es ein Problem gibt, liegen sich beide nur in den Haaren, oder der eine will reden und der andere nicht, oder beide verabschieden sich quasi innerlich und reden überhaupt nicht mehr miteinander.

Werden diese Rollen des „Verfolgers“ und „Entferners“ bereits am Anfang einer Beziehung festgelegt oder können sie sich über die Zeit ändern?

Die Rollen werden schon recht früh festgelegt. Anfangs werden sie jedoch anders wahrgenommen. Anfangs gefällt es mir vielleicht, dass jemand hinter mir her ist und nicht zulässt, dass ich einfach auf stumm schalte und mich verschließe. Ich mag es, dass du mich zum Reden bringst. Aber nach einer Weile macht es mich wahnsinnig. Das, was einen Partner anfangs noch attraktiv macht, weil es etwas Neues ist, wird später zur Quelle des Konflikts – weil es eben anders ist.

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Das, was einen Partner anfangs noch attraktiv macht, weil es etwas Neues ist, wird später zur Quelle des Konflikts – weil es eben anders ist.

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Esther Perel in der „Audible Academy“ in Berlin

Wie kann man ein derartiges Problem lösen?

Man kann es nicht wirklich lösen. In vielen Fällen entsteht dadurch eine gute Dynamik. Problematisch wird es nur, wenn die Beziehung starr ist und eigentlich etwas Anderes gebrauchen könnte als das übliche Verhalten der jeweiligen Partner. Problematisch wird es, wenn ich reden will und mein Partner nicht, wenn wir seit Jahrzehnten nicht mehr richtig miteinander kommuniziert haben, wenn wir wegen allem streiten. Das sind mögliche Probleme. Mit allem, was jenseits dieser Extreme liegt, kann man leben.

Es gibt sehr viele explosive Paare – zwei „Verfolger“, wenn du so willst –, die sich hervorragend verstehen. Die schreien sich zwar mal an, sind aber auch in der Lage, sich wieder zu vertragen und weiterzumachen. Und dann gibt es diejenigen, die dich keinen Fehltritt vergessen lassen, deren Liste an Vergehen immer länger wird.

In deinen Talks bemängelst du, dass wir heute wahnsinnig viel von unseren Partnern erwarten: Sie müssen bester Freund, Lover, Sparringspartner und intellektuell Gleichgesinnte in einem sein. Müssen wir unsere Erwartungen bezüglich langlebiger Beziehungen und Anziehung ändern?

Einige von uns haben vollkommen akzeptable Erwartungen, während andere ihre Erwartungen justieren sollten. Ich denke nicht, dass es eine pauschale Antwort gibt. Wenn du feststellst, dass du ständig reisen und auf Konferenzen gehen möchtest, während dein Partner daran kein Interesse hat und viel lieber zu Hause bleiben möchte, dann stellt sich die Frage, wie ihr das als Paar gemeinsam erlebt. Wenn du jedoch froh bist, dass dein Partner nicht so gerne ausgeht, weil es bedeutet, dass du die Dinge, die du gerne machst, mit jemand anderem machen und danach zu jemandem nach Hause kommen kannst, der immer für dich da ist – super! Dann gibt es kein Problem. Dann wirst du nicht in meine Praxis kommen. Du wirst zu mir kommen, wenn einer von beiden sauer wird, weil der andere schon wieder ausgeht. Oder weil einer von beiden nur auf der Couch abhängen will, der andere aber nicht schon wieder allein unterwegs sein möchte.

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Esther Perels neuestes Buch: „Die Macht der Affären“, das es auch als Hörbuch bei Audible gibt.

Wie wichtig sind Lust und Sex?

Wenn Sex in einer Beziehung gut läuft, nimmt er vielleicht 15 Prozent der Energie ein. Wenn Sex ein problematisches Thema ist, dann sind es 75 Prozent der Energie.

Also ist Sex wichtig in einer Beziehung?

Er ist wichtig, aber er ist nicht so wichtig. Ich weiß aber auch, dass Leute dem Sex, der außerhalb einer Beziehung stattfindet, mehr Bedeutung beimessen als dem Mangel an Sex, der innerhalb einer Beziehung stattfindet. Ist Sex also wichtig? Das hängt von den Menschen ab.

Wenn zwei Menschen finden, dass das eben kein wichtiger Teil ihres Lebens ist, dass ihnen Zärtlichkeiten genügen und sie zufrieden in der Gesellschaft des anderen sind, dann gibt es kein Problem. Wenn beide es so wollen, würde ich nie auf die Idee kommen, dass in der Beziehung etwas fehlt. Nicht alle Beziehungen sind sexuell; es gibt viele Formen des Zusammenlebens.

Wenn jedoch einer der Partner den Sex, diese Intensität und das erotische Knistern vermisst, während der andere sich null dafür interessiert, nicht mehr kann oder sich einfach keine Mühe gibt, dann sollte man aufmerksam werden. Es ist eine Frage der Kompatibilität.

Solange du mir nicht sagst, dass du ein Problem mit der Situation hast, liegt es nicht an mir, mich wie die Sex-Polizei aufzuführen und zu bestimmen, wie viel Sex du haben solltest.

Was kann man machen, wenn es ein derartiges Ungleichgewicht gibt?

In jeder Beziehung – außer es ist Gewalt im Spiel – hat die Person die Macht, die weniger will. Solange der eine den anderen nicht dazu zwingt, hat derjenige, der weniger Sex möchte, das Sagen. Wenn der eine nur ein bisschen weniger will als der andere, ist das in Ordnung. Damit kann man leben und sich sagen, dass man zwar gerne mehr hätte, aber auch so klarkommt. Wenn es aber ein komplettes Fehlen ist – ein Jahr, zwei Jahre, fünf Jahre, zehn Jahre –, solltest du achtgeben.

Ab einem gewissen Punkt konzentriere ich mich vielleicht auf das, was ich stattdessen mit meinem Partner habe: ein tolles Leben, eine wunderbare Familie, ein schönes Haus, gemeinsame Hobbys. Aber ab einem gewissen Punkt sage ich mir vielleicht auch, dass ich damit einfach nicht mehr leben kann. Die Leute fragen sich dann, ob es das schon gewesen sein soll. Wird es die nächsten 25 Jahre so sein? Werde ich je wieder diesen Funken spüren?

Wenn ich jedoch froh bin, dass du mich in Ruhe lässt, weil ich Sex eh nicht mag und noch nie mochte, weil ich Sex eklig finde, den Schmutz, den Geruch, die Flüssigkeiten nicht mag und es dich nicht weiter interessiert und du froh bist, es dir selbst zu besorgen, dann gibt es kein Problem. Solange du mir nicht sagst, dass du ein Problem mit der Situation hast, liegt es nicht an mir, mich wie die Sex-Polizei aufzuführen und zu bestimmen, wie viel Sex du haben solltest.

Jahrhundertelang musstest du dich dafür schämen, zu viel Sex zu haben; jetzt musst du dich dafür schämen, keinen zu haben.

Da gibt es aber mitunter jede Menge Druck von außen.

Klar! Jahrhundertelang musstest du dich dafür schämen, zu viel Sex zu haben; jetzt musst du dich dafür schämen, keinen zu haben. Die Tyrannei ist die gleiche. Und ich werde bei dieser Tyrannei nicht mitmachen. Wenn Leute zu mir kommen und sagen, dass sie keinen Sex haben, frage ich sofort, ob sie denn Sex haben wollen oder ob sie denken, dass sie welchen haben sollten. Wenn du keine Lust hast, hast du eben keine Lust. Denkst du, dass du unbedingt Berge besteigen solltest? Nein! Denkst du, dass du es tun solltest? Nein! Was soll also dieser Druck in Bezug auf Sex?

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Was ist für eine gute, erfolgreiche Beziehung wichtig?

Du brauchst sehr gute Kommunikation. Du musst in der Lage sein, auf eine Art und Weise über Dinge zu sprechen, die nicht vorwurfsvoll oder defensiv oder angreifend ist. Und Spaß ist wichtig: gemeinsam lachen zu können, sich nicht zu ernst nehmen und gemeinsam trauern und feiern zu können. Dem anderen Gutes zu wünschen ist ebenfalls wichtig – was Leute in polyamoren Beziehungen „Compersion“ nennen, also die Mitfreude, wenn der anderen Person gute Dinge widerfahren, selbst wenn es nichts mit einem selbst zu tun hat. Respekt ist wichtig. Bewunderung auch. Sie ist sogar noch wichtiger als Respekt, weil sie dir ermöglicht, die Einzigartigkeit des anderen zu sehen. Geteilte Ziele und Werte sind wichtig, wichtiger noch als Gefühle.

Liebesgeschichten sind nicht das gleiche wie Lebensgeschichten. Wir können mehr Leute finden, die wir lieben, als Leute, mit denen wir ein gemeinsames Leben aufbauen wollen.

Weil sich Gefühle ändern?

Liebesgeschichten sind nicht das gleiche wie Lebensgeschichten. Wir können mehr Leute finden, die wir lieben, als Leute, mit denen wir ein gemeinsames Leben aufbauen wollen. Es gibt jede Menge Leute, mit denen wir wunderbare Liebesgeschichten teilen können – aber mit denen auch ein Leben aufzubauen, das ist etwas Anderes. Das ist es auch, worum es in den meisten Affären geht. Das sind Liebesgeschichten. Aber bitte, lebt nicht mit diesen Menschen! Ihr wollt vollkommen unterschiedliche Dinge, ihr kommt aus vollkommen unterschiedlichen Welten! Lebt eure Liebesgeschichten, aber verwechselt die beiden nicht miteinander.

Woher weiß ich, wann es Zeit ist zu gehen?

Das weißt du nicht. Das ist eine wirklich schwierige Frage. Soll ich es weiterhin versuchen? Könnte es sich ändern? Gebe ich auf? Soll ich die Signale wirklich als solche anerkennen? Das ist wirklich schwierig. Heute stellen wir uns ständig die Fragen: Bin ich glücklich? Könnte ich glücklicher sein? Bin ich glücklich genug? Wer weiß?! Als die Dinge noch klarer waren und es egal war, ob du glücklich warst oder nicht, stellten sich diese Fragen nicht. Das ist wirklich eine der zentralsten Fragen moderner Liebe. Und sie gilt genauso für unser Arbeitsleben.

Weil wir heutzutage so viele Optionen haben?

Ja, selbst im Arbeitsleben ist es so, dass wir uns fragen, ob wir gehen oder es weiter probieren sollten. Ob wir das Problem erneut oder anders angehen sollten. Ich denke, manchmal hängt die Antwort von den Alternativen ab. Was bekommst du, wenn du gehst? Was bekommst du, wenn du bleibst?

Kann ich das denn vorher wissen?

Ja, du weißt, was du bekommst, wenn du bleibst. Als 65-jährige Frau weißt du, dass du nicht mehr die gleichen Chancen hast wie mit 20 oder 30. Und dass du auf keinen Fall die gleichen Chancen hast wie er, wieder jemanden zu finden. Ihr seid in dieser Hinsicht nicht gleich. Wir sind vielleicht egalitär, aber wir sind nicht gleich. Wenn du einen unvorteilhaften Ehevertrag abgeschlossen hast und um deine finanzielle Lage nach der Trennung weißt, überlegst du es dir auch zweimal.

Man sollte sich fragen: Welche Dinge kann ich vorher schon wissen? Wenn du 26 bist und dich trennen willst – mach das. Wenn du 37 bist, mit dem Gedanken einer Trennung spielst und unbedingt Kinder möchtest – dann musst du dich fragen, was jetzt deine Prioritäten sind. Jede Entscheidung bringt Verlust mit sich. Das muss man verstehen: Es gibt keine Entscheidung ohne Verlust. Und die Frage ist: Was sind die grundlegenden Dinge, ohne die du nicht leben kannst?

Fange mit einer Bitte an – und nicht mit Kritik.

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femtastics-Autorin Josefine Andrae im Gespräch mit Esther Perel

Wenn ich bemerke, dass ich unglücklich in meiner Beziehung bin, wie fange ich am besten an, die Situation zu ändern?

Wenn mich zum Beispiel stört, dass wir seit Ewigkeiten nichts mehr unternommen haben, dann kann ich mich fragen, was ich selbst angestoßen habe. Was habe ich getan, um mich näher an diese Sache heranzubringen, von der ich sage, dass ich sie will? Habe ich Dinge vorgeschlagen und mein Partner sagt zu allem nein? Habe ich vielleicht auf eine Art und Weise kommuniziert, die es meinem Partner unmöglich macht, ja zu sagen? Weil ich mich vielleicht eher beschwere, dass wir nie etwas unternehmen, statt einen Vorschlag zu machen?

Fange mit einer Bitte an – und nicht mit Kritik. Kritik ist ja meistens eine versteckte Bitte, ein versteckter Wunsch. Aber wenn Menschen sauer sind, sagen sie nun mal nicht: „Ich möchte, dass du das und das tust“, sondern „Du machst nie das und das!“. Wenn du letzteres sagst, wird dein Gegenüber es erst recht nicht tun. Du lässt ihm quasi gar keine andere Wahl als das zu tun, was du nicht willst. Äußere also ein Anliegen.

Wenn du das zehnmal getan hast und der andere begegnet dem mit vollkommener Gleichgültigkeit, kannst du einen Brief schreiben und erklären: Ich habe versucht, dir etwas mitzuteilen, aber du hast dem keine Aufmerksamkeit geschenkt und das ist problematisch für mich. Du kannst mich weiterhin ignorieren, aber das wird sich negativ auf die Beziehung auswirken. Wenn du mir damit sagen willst, dass du unsere Beziehung nicht wertschätzt, dann ist das so. Wenn du unsere Beziehung aber wertschätzt und mich nicht verlieren möchtest, dann musst du auch etwas beisteuern.

Vielen Dank für das interessante Gespräch, Esther!

 

 

Hier findet ihr Esther Perel:

 

Fotos: Juliane Eirich

Interview: Josefine Andrae

Hier findet ihr Esther Perels Audible-Podcast „Where Should We Begin“

 

– Werbung: in Zusammenarbeit mit Audible –

Ein Kommentar

  • Helga Tscherner sagt:

    Sehr gute Seite, sehr guter Text, sehr guter Inhalt!
    Sehr kompetent, sehr vertrauenswürdig!

    Ich bin zur Zeit partnerlos aber sollte sich das ändern und es Schwierigkeiten geben, weiß ich wohin ich mich wende!

    Ich hätte es durchaus schon früher brauchen können aber alles zu seiner Zeit!

    Mit Dank an Sie, liebe Grüße
    Helga Tscherner

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