Mirna Funk ist Journalistin, Autorin, frischgebackene Mama, 35 Jahre alt, und pendelt zwischen Berlin und Tel Aviv. Im Sommer 2015 hat die gebürtige Ostberlinerin ihr erstes Buch „Winternähe“ veröffentlicht, ein Roman über Lola, eine junge deutsche Jüdin aus Berlin, die sich in Tel Aviv auf Identitätssuche begibt. Wir sprechen mit Mirna, wie sich ihr eigenes Leben zwischen Berlin und Tel Aviv anfühlt, wie es ist, eine fiktive Geschichte mit eigenen Worten zum Leben zu erwecken und den ersten eigenen Roman in den Händen zu halten.
femtastics: Warum hast du dich für ein Leben zwischen Berlin und Tel Aviv entschieden?
Mirna Funk: Ein großer Teil meiner Familie wohnt in Tel Aviv und in kleineren Orten in Israel. Deshalb bin ich seit über 25 Jahren auch regelmäßig dort, um alle zu besuchen. Im Juni 2014 bin ich nach Tel Aviv gereist, um den Tel-Aviv-Teil meines Romans dort fertig zu schreiben. Außerdem habe ich für das Interview Magazin eine Serie über die Kunstszene Israels gemacht und so meinen Freund kennengelernt, der Gallerist ist. Ich bin also bis Mitte 2015 da geblieben, habe aber meine Wohnung in Berlin die ganze Zeit behalten.
Wie ist das Leben in Tel Aviv, auch im Vergleich zu Berlin?
Wärmer! (lacht) Es gibt zwei Seiten. Zum einen ist es eine junge und moderne Metropole am Meer, ähnlich wie Barcelona. Tel Aviv ist ein bisschen so, als wenn Berlin Meer hätte. Auf der anderen Seite ist es der Nahe Osten und man hat dort mit Sachen zu tun, mit denen man in Deutschland nicht konfrontiert wird. Dazu gehört die politische Situation, die im Moment total schwierig ist – jeden Tag gibt es in Israel Messerattacken.
Du verlässt in Tel Aviv dein Haus, willst Gurken kaufen und kommst nicht mehr zurück.
Das bekommt man hier gar nicht so mit.
Das kriegt man hier null mit! Das würde man hier nur mitkriegen, wenn man die ganze Zeit israelische Presse lesen würde. Vor ein paar Wochen gab es zum Beispiel einen krassen Terroranschlag an einem Freitagnachmittag, da beginnt offiziell das Wochenende in Israel. Das ist so als ob hier Samstagnachmittag einer mit einer Uzi ins Kaffeemitte geschossen hätte. Es wäre so abgefahren, wenn so etwas in Berlin passieren würde! Die Leute würden sich nicht mehr aus dem Haus trauen – in Tel Aviv geht das Leben einfach weiter.
Wie gehst du damit um, gerade als frischgebackene Mama?
Ich finde es echt schwierig und spreche auch viel mit meinem Freund darüber. Die Messerattacken haben sich vor allem in den letzten sechs Monaten verstärkt, ich bin ja aber schon seit Juli 2015 wieder in Berlin. Du verlässt in Tel Aviv dein Haus, willst Gurken kaufen und kommst nicht mehr zurück. Als ich während des Gaza-Krieges da war, war es anders, weil es Raketen waren. Das klingt jetzt etwas absurd, aber man hat den Iron-Dome und fühlt sich deshalb geschützt. Es gibt dann einen Raketenalarm und du kannst reingehen. Messerattacken sind der ultimative Terror, 24 Stunden lang.
Wie gehen die Einwohner damit um?
Die leben in dieser Situation seit 1948. Für die ist das Normalität. Aber natürlich gibt es eine ununterbrochene Nervosität, die mitschwingt. Die politische Lage ist ein ständiges Thema, über Politik wird ununterbrochen geredet, das passiert hier gar nicht. Wenn man mit Israelis auf Facebook befreundet ist, sieht man, dass die ganze Zeit über Politik und die Situation diskutiert wird. Anfang 2000 waren es die Selbstmordanschläge in den Bussen, jetzt sind es die Messerattacken. Ich benutze bis heute keine öffentlichen Verkehrsmittel in Tel Aviv. Ich laufe oder fahre mit dem Taxi.
Wollt ihr perspektivisch gesehen weiterhin zwischen Berlin und Tel Aviv pendeln?
Ab dem Zeitpunkt, wenn meine Tochter in die Schule gehen wird, müssen wir uns natürlich entscheiden. Aber, ob wir dann in Berlin, Tel Aviv oder ganz woanders leben, ist nicht klar. Vielleicht leben wir in Südfrankreich – wir haben gerade so eine Wohnmobilidee. Ich plane lieber meinen Ort auf die nächsten zwölf Monate, aber nicht die nächsten Jahre. Beruflich sind wir flexibel und können von überall aus arbeiten.
Seit meinem 16. Lebenjahr wollte ich immer ein Buch schreiben.
Jetzt zu deinem Roman „Winternähe“. Du bist Journalistin und Autorin. Viele haben den Traum, ein eigenes Buch zu schreiben. War der Traum bei dir schon immer da?
Ja, schon total lange. Seit meinem 16. Lebenjahr wollte ich immer ein Buch schreiben. Ich habe mit Gedichten angefangen und danach Kurzgeschichten geschrieben. Dann habe ich lange Zeit gar nichts gemacht, weil ich ins Marketing und in die Kommunikation gekommen bin. Mit 27 hatte ich eine Art Lebenskrise, ich wollte das nicht mehr machen und habe wieder angefangen Kurzgeschichten zu schreiben. 2011 habe ich meinen ersten Roman geschrieben, den ich aber nie veröffentlicht habe.
Warum nicht?
Man muss nicht alles veröffentlichen. Ich glaube, der erste Roman ist ein Lehrroman. Ich habe ganz viel dadurch gelernt. Zum Beispiel, wie ich strukturiere. Außerdem habe ich gelernt, dass ich einen Roman zu Ende schreiben kann. Der Anfang, die ersten dreißig Seiten, sind schnell gemacht, aber ab da ist es nur noch pure Disziplin. Man kann nicht mehr auf die Muse warten, sondern muss jeden Morgen aufstehen und seine zehn Seiten schreiben.
Das war eine der aufregendsten Zeiten meines Lebens.
Wie kam die Idee zu deinem zweiten Buch, dem Roman „Winternähe“?
Ich bin im März 2014 nach Thailand geflogen und wollte da eigentlich nur fünf Wochen auf einer Insel ausspannen. Dann habe ich am dritten Tag eine Kurzgeschichte angefangen, die aber nicht aufhörte und ich habe angefangen zu strukturieren. So wie der Roman heute aufgebaut ist, habe ich ihn in der ersten Woche in Thailand strukturiert. Das war wie ein Strudel. Gegenwärtige Ereignisse habe ich im Nachhinein noch mit einfließen lassen, wie zum Beispiel den Krieg in Israel, sodass es eine Aktualität gibt. Den roten Faden habe ich aber komplett da entwickelt.
Wie hast du den Verlag gefunden?
Ich habe die ersten dreißig Seiten an eine Literatur-Agentin, die ich durch eine Freundin kannte, geschickt. Das war mein großes Glück. Dann hat sie mir schon am nächsten Tag geantwortet, dass sie es gelesen hat und ich mehr schicken solle. Ihr hat es gefallen und sie hat mich in ihre Agentur aufgenommen und zu mir gesagt, dass ich in den nächsten zwei Monaten so viel wie möglich schreiben solle, weil vor der Frankfurter Buchmesse die Manuskripte an die Verlage geschickt werden.
Also hast du schnell weitergeschrieben?
In Tel Aviv habe ich dann acht Wochen durchgeschrieben, jeden Tag zehn Seiten. Ich war tagelang überhaupt nicht draußen und habe mit niemandem gesprochen. Ich habe vorab einen Monat recherchiert und versucht, die Kapitel zu entwickeln und dann zwei Monate geschrieben. Meine Agentin hat es danach zwölf großen Verlagen geschickt und keine 24 Stunden später meldete sich ein großer Verlag und wollte den Roman kaufen. Ich habe mich dann aber nach einem Gespräch gegen den Verlag entschieden und kurz danach hat Fischer ein Angebot gemacht. Es war wie ein Ritterschlag für mich, mein Buch in so einem renommierten und alteingesessenen Verlag zu veröffentlichen. Das war eine der aufregendsten Zeiten meines Lebens. Dann gab es aber auch ein Down, weil ich noch hundert Seiten fertig schreiben musste. Da stand ich wirklich unter Druck, jeder Satz musste gut sein. Bis heute bin ich mit dem dritten Teil nicht so zufrieden, ich war überhaupt nicht mehr frei.
Wie hast du die Veröffentlichung erlebt?
Alle haben drüber geschrieben, wirklich alle, die SZ, die FAZ, die Welt, der Spiegel, der Stern, die Zeit, ich saß in Talkshows. Ich habe in den ersten zwei Wochen immer gegoogelt (lacht) und bei Amazon den Refresh-Button gedrückt, um das aktuelle Ranking zu sehen. Dann habe ich den Uwe-Johnson-Preis bekommen.
Kann man vom Bücherschreiben eigentlich leben?
Man bekommt ungefähr 10 Prozent der Bucheinnahmen. Man sollte nicht darauf spekulieren, davon leben zu können, und es sollte auch nicht die Motivation sein. Eine Charlotte Roche, die 2,5 Millionen Bücher verkauft, das passiert alle zehn Jahre und die kannte man vorher schon. Ich muss ganz normal weiterarbeiten und nutze einen Teil des eingenommenen Geldes als Puffer, um wieder einen Roman zu schreiben. Ich habe vorher auch ganz viel gearbeitet und gespart, um die neun Monate schreiben zu können. Es gibt auch Autoren, die können gar nicht arbeiten, sondern nur schreiben. Ich komme aber aus der Arbeitswelt und fand es immer gut, dahin zurückzukehren, auch, um einen Abstand zu gewinnen, in die Welt zu treten und Erfahrungen zu sammeln. Diese Balance finde ich total gut.
Kannst du beschreiben, was dir so Spaß am Schreiben macht?
Was total Spaß macht, ist, dass man so viel erfinden kann. Dieses Leben mit den Protagonisten ist total schön. Während der Zeit fühlt man sich eher wie ein Tool oder ein Medium. Ich hatte immer das Gefühl, die Protagonisten sagen mir, wohin sie gehen wollen, was sie erzählen wollen, wen sie treffen wollen. Das macht am meisten Spaß. Als ich mit dem Roman fertig war, habe ich die Protagonisten sehr vermisst. Das hört dann natürlich auch wieder auf.
In Deutschland braucht es ein größeres Interesse an interessanten und coolen Frauen und nicht an süßen Abziehbildern.
Braucht es in der Literaturwelt eigentlich noch mehr Girlpower?
Eine deutsche Lena Dunham auf dem Vogue-Cover wäre hier nicht denkbar. In Deutschland braucht es ein größeres Interesse an interessanten und coolen Frauen und nicht an süßen Abziehbildern. Das muss alles eine Selbstverständlichkeit haben. Deshalb bin ich auch keine #aufschrei-Feministin, weil mir das zu opfermäßig ist. Es muss selbstverständlich sein, dass man sein Ding macht und Frauen stark sind – es darf kein außergewöhnliches Attribut sein.
Recht hast du! Vielen Dank für das interessante Interview, liebe Mirna.
9 Kommentare
Hallo, ein unheimlich ehrliches Interview. Sehr sympathisch !!!!!! Weiterhin bonne Chance.
Mehr Mirnas braucht die Welt! Ich bin ein großer Fan von ihr, seit ich Winternähe gelesen habe. Kann ich absolut jedem empfehlen! Die Nachricht, dass sie an weiteren Büchern arbeitet, freut mich riesig. Toll, dass ihr sie treffen konntet <3 Danke für das feine Interview!