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Feminismus

Warum Architektur nicht mehr nur von Männern gemacht werden darf und wir feministische Architektur brauchen

17. März 2025

geschrieben von Juliane Baxmann

Karin Hartmann über feministische Architektur

Architektur beeinflusst unseren Alltag – doch sie wurde lange vor allem von Männern* für Männer* entworfen. Die Architektin und Autorin Karin Hartmann setzt sich mit den blinden Flecken in der Stadt- und Wohnraumplanung auseinander. Im Interview spricht sie über feministische Architektur, die Bedeutung von Care-Arbeit für das Bauen und warum viele Frauen* die Branche verlassen.

femtastics: Was hat dich dazu bewegt, dich mit Feminismus in der Architektur zu beschäftigen?

Karin Hartmann: Lange Zeit habe ich als Architektin die Verbindung zwischen meinem Beruf und Feminismus nicht hinterfragt. Architektur schien mir ein Feld zu sein, das historisch von Männern* dominiert wurde, und das habe ich zunächst als gegeben hingenommen. Doch mit der Zeit wurde mir klar, wie tief geschlechtsspezifische Strukturen in der Branche verankert sind. Diese Erkenntnis hat meine Perspektive verändert und so ist schließlich auch mein Buch „Schwarzer Rolli, Hornbrille“ entstanden, in dem ich mich frage, warum Frauen* die Architektur verlassen und welche blinden Flecken es daher in unserer gebauten Umwelt gibt.

Wie prägt das Geschlecht die Art und Weise, wie wir bauen und gestalten? Gibt es Muster, die aus der männlichen Dominanz in der Architektur entstehen?

Unser eigenes Erleben beeinflusst unser Handeln – auch in der Architektur. Wer etwa mit einem Kinderwagen durch die Stadt geht, weiß genau, wo jeder Bordstein zur Hürde wird und welche Aufzüge nicht funktionieren. Die gelebte Erfahrung prägt in der Profession ganz offensichtlich auch die Planungsperspektive. Über Jahrhunderte wurden Gebäude, Städte und Infrastruktur nach männlichen Normen gestaltet, das ist heute noch sichtbar. Frauen* haben oft eine andere Lebensrealität als Männer, daher begegnen sie den Konsequenzen dieser männlich geprägten Planung auf ihren Alltagswegen.

"Architektur schien mir ein Feld zu sein, das historisch von Männern* dominiert wurde, und das habe ich zunächst als gegeben hingenommen. Doch mit der Zeit wurde mir klar, wie tief geschlechtsspezifische Strukturen in der Branche verankert sind."

Sind klassische Städte eigentlich funktional für alle?

Wir leben in Europa oft aus Stadtgrundrissen, die im Mittelalter entstanden. Sie wurden nicht nach den Anforderungen einer modernen Gesellschaft entworfen. In Deutschland hat der Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg den Städtebau besonders geprägt, vor allem mit dem Konzept der „autogerechten Stadt“, das breiten, verkehrsorientierten Straßen Priorität einräumte. Diese Planung wurde für Personen konzipiert, die zwischen Arbeit und Zuhause pendeln – zumeist erwerbstätige Familienväter. Die Bedürfnisse von Personen mit Care-Aufgaben wurden dieser Planung untergeordnet.

Welche Städte sind mit Care-Arbeit besser nutzbar?

Ideal sind Städte und Quartiere, in denen auf kurzen Wegen alle notwendigen Funktionen erreicht werden können, wie Kinderbetreuung, Ärzt*innen, Infrastruktur. Aber auch hochwertige kleine und große, sichere Freiflächen mit vielen unterschiedlichen Sitzgelegenheiten zur Erholung, sowie Parks, die auch von Mädchen gerne genutzt werden.

Gibt es auch in anderen Feldern geschlechtsspezifische Unterschiede? Zum Beispiel im Wohnungsbau?

Ja, natürlich. Die klassische Dreizimmerwohnung mit Küche und Bad ist oft nicht besonders gut geeignet, um Care- und Erwerbsarbeit zu vereinbaren. Historisch waren Wohnküchen oft ein zentrales Element, weil sie es den Frauen* ermöglichten, zu kochen und gleichzeitig Kinder zu betreuen. Mit der zunehmenden Funktionalisierung des Wohnens wurden Küchen jedoch immer kleiner und isolierter – eine Entwicklung, die heute besonders für Alleinerziehende oder Eltern von kleinen Kindern problematisch ist. Spätestens seit der Covid19-Pandemie fehlt ein Zimmer fürs Home Office.

"Ideal sind Städte und Quartiere, in denen auf kurzen Wegen alle notwendigen Funktionen erreicht werden können, wie Kinderbetreuung, Ärzt*innen, Infrastruktur."

Was müsste sich in der Architekturausbildung ändern?

Ein wichtiger Aspekt ist die Sichtbarkeit von Frauen* in der Architekturgeschichte. Die Lehrpläne konzentrieren sich immer noch auf die „großen Meister“ der klassischen Moderne, wobei viele einflussreiche Architektinnen der letzten hundert Jahre kaum Erwähnung finden. Die Ausbildung müsste upgedatet werden im Hinblick auf Erkenntnisse der Fachpädagogik und vermittelte arbeitskulturelle Narrative - um mehr talentierte Personen in die Branche einzuladen.

Welche Rolle spielen Netzwerke für Frauen* in der Architektur?

Eine sehr große! Netzwerke wie die "Architektinnen Initiative nw" ("AInw") bieten Frauen* einen eigenen Raum, in dem sie ihre Erfahrungen austauschen und sich unterstützen können. Hier erleben sie oft, dass ihre individuellen Erfahrungen im Beruf strukturelle Ursachen haben. Das entlastet sehr und gibt neue Handlungsmöglichkeiten.

Welchen Rat würdest du jungen Architekt*innen geben?

Informiert euch! Es gibt mittlerweile einige Bücher und Untersuchungen, die sich mit Feminismus und Architektur beschäftigen. Vernetzt euch in Frauen*netzwerken oder im Freund*innenkreis und tauscht euch aus. Sucht euch gezielt Arbeitsumfelder, die euch entsprechen. Wenn ihr keine Arbeitsumgebung findet: Gründet ein Büro und gestaltet selbst!

"Wenn ihr keine Arbeitsumgebung findet: Gründet ein Büro und gestaltet selbst!"

Hier findet ihr Karin Hartmann:

Foto: Marion Schoenenberger, Collage: "Canva"