Aileen Puhlmann: „Weitermachen, vernetzen, solidarisch bleiben!“
11. März 2025
geschrieben von Juliane Baxmann

Nach der Bundestagswahl und dem hohen Wahlergebnis der "AfD" fragen sich viele, wie wir wieder mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt erreichen können. Und andere, ob sie Deutschland verlassen und zukünftig woanders leben sollen.
Mit Aileen Puhlmann, Vorständin von “Lemonaid & Charitea e.V.” und Gründerin von “Community Kids”, einer Eltern-Kind-Initiative für Schwarze Eltern in Hamburg, sprechen wir darüber, was sie als Frau mit sichtbarer Migrationsgeschichte zum gesellschaftlichen Miteinander und Zusammenhalt, zu Fluchtgedanken, Ängsten und persönlichen Grenzen fühlt und denkt.
femtastics: Auf welche Werte kommt es jetzt an, um der gesellschaftlichen Spaltung entgegenzuwirken?
Aileen Puhlmann: Ich sehe mich als Betroffene des Rechtsrucks nicht in der Verantwortung, das Problem zu lösen. Aber meine Strategie ist klar: weitermachen. Vernetzung ist entscheidend – wir erleben gerade den Anfang einer gesellschaftlichen Zersetzung, weil viele Menschen isoliert sind. Dieses Gefühl der Zugehörigkeit nutzen rechte Bewegungen gezielt für sich. Wir müssen dem etwas entgegensetzen, indem wir Räume für Gemeinschaft schaffen.
Es geht darum, wieder mehr echte Verbindungen im Alltag zu fördern. Das kann das Engagement in der Nachbarschaft sein, das Vereinsleben oder ehrenamtliche Arbeit. Es muss keine große politische Geste sein – schon kleine, gemeinschaftliche Handlungen können etwas bewirken. Wer sich vernetzt, kann sich gegen geschürte Ängste wehren und fühlt sich weniger allein.
Ich spreche natürlich aus einer privilegierten Position – hier in St. Pauli, mitten in Hamburg, fühle ich mich relativ sicher. Doch das gilt längst nicht für alle. Umso wichtiger ist es, dass wir dort, wo wir können, Räume für Solidarität und Austausch erhalten.
"Es geht darum, wieder mehr echte Verbindungen im Alltag zu fördern."
Findest du es legitim, wenn Menschen gerade überfordert mit der politischen Situation sind und sich am liebsten ganz zurückziehen möchten?
Ja. Ich glaube aber, man muss das aus verschiedenen Perspektiven sehen. Es gibt Menschen, die sich in Initiativen schon seit Jahren aktivistisch in den Burnout engagieren. Aber es gibt viele Menschen, die das Privileg hatten, über Jahre immer safe zu sein – und da bin ich ein bisschen skeptischer. Ich kann dieses Gefühl der Überforderung nachvollziehen. Aber nein, jetzt ist nicht die Zeit, jetzt ist einfach nicht die Zeit. Es gibt gesellschaftliche Momente, in denen man über seine Ressourcen hinaus agieren muss. Wenn wir alle jetzt nur auf unsere persönlichen Grenzen achten, dann haben wir ein riesiges gesellschaftliches Problem.
Ich finde den Fokus auf das Individuum und unsere persönlichen Kapazitäten und Grenzen schön und gut. Aber so funktioniert Gemeinschaft nicht. Gemeinschaft ist darauf angelegt, dass es immer ein paar Menschen geben muss, für einen Moment, die mehr Kapazitäten aufwenden als andere, um diejenigen zu schützen oder in irgendeiner Form zu unterstützen, die gerade mehr Unterstützung brauchen.
"Ich finde den Fokus auf das Individuum und unsere persönlichen Kapazitäten und Grenzen schön und gut. Aber so funktioniert Gemeinschaft nicht."
Was macht die aktuelle Situation mit dir?
Es ist ein Angriff auf das Gefühl persönlicher Sicherheit. Früher hatte ich das Privileg, mich in Deutschland relativ frei zu bewegen – das hat sich verändert. Rechtsextreme Straftaten nehmen zu, und das ist keine abstrakte Angst, sondern eine reale Entwicklung. Wer sichtbar migrantische Wurzeln hat, reist mit einem anderen Bewusstsein durch dieses Land.
Hamburg fühlt sich an wie eine Insel. Und die Welt da draußen? Die fühlt sich auch nicht unbedingt besser an. Ich merke, dass mich das verändert – ich verspüre kaum noch Reiselust. Während Freund*innen Urlaubspläne schmieden, denke ich mir: „Nee, ich bleibe einfach hier.“ Nicht aus Angst, sondern weil ich keine Lust darauf habe, mich in potenziell unsichere Situationen zu begeben. Mein Urlaub? Fünf Minuten entfernt in der Sauna.
Diese Ängste zeigen sich in verschiedenen Formen, ohne dass ich bewusst sagen würde: „Ich habe große Angst.“ Ich bin eher Team „halb leer“, ein bisschen pessimistisch. Wenn ich einen eigenen Podcast hätte, würde er wahrscheinlich “I told you so” heißen. Aber ich versuche mich nicht in dieser Unsicherheit zu verlieren. Resilienz entsteht durch Routinen, durch Gemeinschaft, durch Weitermachen. Das klingt klischeehaft, aber genau das hilft mir.
"Resilienz entsteht durch Routinen, durch Gemeinschaft, durch Weitermachen."
Warum ist es wichtig, statt Fluchtgedanken in Zeiten der Krise Solidarität zu zeigen und diejenigen zu unterstützen, die nicht die Möglichkeit haben, einfach wegzugehen?
Ich habe keine Fluchtgedanken, weil: „the grass isn’t greener on the other side“ – ich war 15 Jahre im Ausland und bin bewusst nach Hause gekommen. Obwohl es mir dort gut ging, gibt es keinen Ort, an den ich jetzt auswandern würde, weil ich ihn als bessere Alternative sehe. Das wäre mir zu kurz gedacht. Natürlich wäre es legitim zu sagen: „Warum nicht noch mal ein paar Jahre auf dem afrikanischen Kontinent?“. Aber das ist nicht mein Impuls. Ich erlaube mir nicht, so pessimistisch zu sein, weil ich dann wahrscheinlich nur noch im Bett liegen würde.
Außerdem arbeite ich in der globalen Solidaritätsarbeit und bin mit vielen Organisationen weltweit vernetzt. Ich sehe, wie wichtig es ist, dass Ressourcen von hier dorthin umverteilt werden – das gibt mir einen Sinn. Aber ich verstehe natürlich, dass Fluchtgedanken auch eine körperliche Trauma-Response sein können. Manchmal ist es einfach „the easy way out“.
Hier findet ihr Aileen:
Collage: "Canva", Foto: Jean Bizimana