Asexualität: Das steckt hinter der sexuellen Orientierung

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7. November 2022

Sex sei ein Grundbedürfnis eines jeden Menschen, ein erfülltes Sexleben eine wichtige Säule für eine glückliche Beziehung und zu wenig Sex Gift für eine Partnerschaft – lauter Botschaften, die Medien und Marken proklamieren. Sex scheint allgegenwärtig zu sein. Und sexuelles Verlangen wird oft als ein integraler Bestandteil des Menschseins dargestellt. Diese weit verbreitete These ist nicht nur falsch, sondern auch ein Instrument der Diskriminierung. Denn sie spricht all denjenigen Menschen ihre Menschlichkeit ab, die keine sexuelle Anziehung oder kein Verlangen nach sexueller Interaktion verspüren – also Personen, die sich als asexuell definieren beziehungsweise auf dem asexuellen Spektrum einordnen. Was Asexualität genau ist, was sie nicht ist und welchen Hürden asexuelle Menschen in unserer Gesellschaft begegnen – darüber hat femtastics-Autorin Luise Rau mit Irina Brüning gesprochen. Irina ist Mitglied bei „AktivistA“, ein Verein zur Sichtbarmachung des asexuellen Spektrums.

Für viele Menschen ist es nicht vorstellbar, dass eine erwachsene Person kein sexuelles Interesse an anderen hat.

Asexualität wird häufig als Krankheit oder Störung abgestempelt

„Für viele Menschen ist es gar nicht vorstellbar, dass eine erwachsene Person kein sexuelles Interesse an anderen hat. Weil es für sie selbstverständlich ist, dass sexuelles Verlangen zum Leben dazu gehört. Und ist dieses nicht vorhanden, dann muss das eine Ursache haben.“ Das sind die Worte von Irina Brüning. Irina ist im Vorstand von „AktivistA“, dem „Verein zur Sichtbarmachung des asexuellen Spektrums“. Sie ist selbst asexuell und möchte Menschen durch ihre Vereinsarbeit über Asexualität aufklären.

Denn Asexualität wird nach wie vor häufig als Krankheit oder Störung abgestempelt. Das führt nicht nur zu großen Problemen im medizinischen und psychologischen Kontext, sondern stellt asexuelle Personen als „abnormale“ Menschen dar, denen ein scheinbar so wichtiges menschliches Merkmal fehlt. Das geht so weit, dass heterosexuelle Personen asexuelle Menschen tatsächlich als „weniger menschlich“ betrachten. Dies geht aus einer US-amerikanischen Studie aus dem Jahr 2012 hervor.

Vereine und Kollektive, wie „AktivistA“, „Aces NRW“ oder „Amazing Aces Braunschweig“, kämpfen gegen diese Vorurteile und Anfeindungen und für die Rechte von asexuellen Menschen. Denn leider ist es nach wie vor so, dass Asexualität in unserer Gesellschaft häufig nicht einfach als sexuelle Orientierung anerkannt, sondern kritisch beäugt, pathologisiert und abfällig verurteilt wird. Die Zeit ist deshalb längst überreif, dass wir endlich mehr über Asexualität sprechen und dass vor allem Heterosexuelle, die nach wie vor die gesellschaftliche Norm darstellen, stärker als Verbündete auftreten.

Asexualität: Abwesenheit einer sexuellen Anziehung und/oder des Verlangens nach sexueller Interaktion

Laut Irina beschreibt Asexualität die Abwesenheit einer sexuellen Anziehung und/oder des Verlangens nach sexueller Interaktion. Es gibt auch Personen, die diese Anziehung oder das Verlangen nur manchmal oder unter bestimmten Umständen empfinden. Diese können sich Irina zufolge auf dem asexuellen Spektrum einordnen. Das Spektrum umfasst dabei zum Beispiel auch die Selbstbezeichnungen demi- oder gray-sexuell. Demisexuelle Menschen benötigen eine längere emotionale Bindung, um sexuelle Anziehung zu verspüren. Gray- oder Grausexuelle Personen befinden sich in einer Grauzone auf dem Spektrum und empfinden sexuelle Anziehung beispielsweise nur sehr selten oder weniger stark ausgeprägt. Personen außerhalb des asexuellen Spektrums werden laut „AktivistA“ als „allosexuell“ bezeichnet. Sie fühlen sich grundsätzlich von anderen sexuell angezogen.

Viele asexuelle Menschen verlieben sich durchaus. Nur die sexuelle Komponente ist nicht vorhanden.

Innerhalb des asexuellen Spektrums gibt es zahlreiche weitere Selbstbezeichnungen. Laut Irina sollen diese vor allem als Hilfestellungen dienen: „Niemand ist gezwungen, sich zu jedem Begriff ganz genau zu informieren oder sich irgendwie zu labeln. Manchen Leuten ist es eben wichtig, die eigene sexuelle Orientierung genau zu analysieren und zu benennen. Da können Selbstbezeichnungen hilfreich sein. Und anderen reicht es zu sagen, ich bin irgendwo auf dem asexuellen Spektrum.“

Um Anschluss an andere Menschen zu finden, die ein ähnliches sexuelles Verlangen spüren oder eben nicht spüren, sind diese Selbstbezeichnungen jedoch sehr wichtig, meint Irina. „Es ist besser, man hat ein Wort. Man fühlt sich dann weniger allein, wenn man weiß, dass Andere ähnlich empfinden.“

Asexuell oder andere Selbstbezeichnungen sind dabei übrigens nicht prinzipiell gleichzusetzen mit sexueller Inaktivität. Irina betont, dass du natürlich auch Sex haben kannst, wenn du dich als asexuell definierst. Schließlich ist es ja durchaus möglich, mit einer Person sexuell aktiv zu werden, ohne sexuelles Verlangen und Anziehung zu spüren – egal ob du dabei allosexuell bist oder dich auf dem asexuellen Spektrum einordnest. Asexualität grundsätzlich als Abwesenheit von Sex zu definieren, ist deshalb exkludierend, denn es spricht einigen asexuellen Menschen ihre sexuelle Identität ab.

„Asexuelle Menschen unterscheiden sich voneinander in Bezug auf romantische Orientierung oder bezüglich Kinderwunsch, sexuellen Erfahrungen … jede Biografie ist anders“, meint Irina. Es müsse deshalb niemand Angst haben, bestimmte Vorgaben nicht zu erfüllen und sich dann nicht entsprechend labeln zu können oder „weniger asexuell“ zu sein als andere.

Asexuell zu sein, bedeutet keineswegs, dass Menschen kein romantisches Interesse empfinden.

Irina selbst stieß mit Anfang 20 nach zahlreichen Recherchen das erste Mal auf den Begriff der Asexualität und bezeichnet sich seitdem als asexuell. Dass sie nicht der allosexuellen Norm entsprach, stellte sie vor allem in Gesprächen mit Anderen fest. So wurde ihr gesagt, sie müsse doch auch Sex mit einer Person wollen, wenn sie in diese verliebt sei. Ist kein sexuelles Verlangen vorhanden, dann wäre es eben doch nur Freundschaft. Dies zeigt, wie stark sexuelle und romantische Ebene in unserer Gesellschaft vermischt werden. Asexuell zu sein, bedeutet dabei jedoch keineswegs, dass Menschen kein romantisches Interesse empfinden.

Denn romantische und sexuelle Orientierung sind laut Irina zwei ganz unterschiedliche Dinge: „Viele asexuelle Menschen verlieben sich durchaus. Nur die sexuelle Komponente ist nicht vorhanden beziehungsweise weniger stark ausgeprägt. Und dann gibt es wiederum Leute, die sich nicht verlieben und die sich keine dauerhafte Beziehung vorstellen können, aber durchaus sexuelles Interesse an anderen Menschen haben.“ Für Menschen, die keine romantische Anziehung zu anderen spüren oder kein Verlangen nach romantischen Beziehungen haben, gibt es laut dem Regenbogenportal das Label „aromantisch“. Auch auf dem aromantischen Spektrum gibt es zahlreiche weitere Selbstbezeichnungen, die Orientierungen beschreiben, die von der gesellschaftlichen alloromantischen Norm abweichen.

Sexuelle und romantische Orientierung sind dabei unabhängig voneinander und können dementsprechend in unterschiedlichen Kombinationen auftreten. Du kannst also zum Beispiel hetero- oder homoromantisch oder eben aromantisch und gleichzeitig asexuell sein.

Dieser Unterschied ist vielen Menschen nicht bewusst. Und auch weitere Vorurteile gegenüber Asexualität halten sich laut Irina hartnäckig im gesellschaftlichen Bewusstsein: „Asexualität wird teilweise verwechselt mit dem völligen Fehlen einer Libido. Viele Menschen glauben, dass Asexualität auch bedeutet, man würde nicht masturbieren. Das stimmt so nicht.“ Viele Menschen interpretieren Asexualität zudem als freie Entscheidung zur Enthaltsamkeit. Auch das ist falsch. Wie auch bei jeder anderen sexuellen Orientierung gilt: Sexuality is not a choice. (Die sexuelle Orientierung ist keine Entscheidung.)

Asexuelle Menschen werden pathologisiert

Ein weiterer Diskriminierungsmechanismus gegenüber Asexualität ist die Pathologisierung von asexuellen Menschen. Das bedeutet, dass Personen aufgrund ihrer asexuellen Orientierung eine Krankheit unterstellt wird. Dies tritt nach den Angaben von Irina besonders im Bereich der Gynäkologie, Urologie und Psychotherapie auf. Schließlich kommen Mediziner*innen in diesen Gebieten öfter mal auf das Thema Sexleben zu sprechen. „Wenn man da erzählt, man habe kein Verlangen danach, dann sagen Mediziner*innen schnell, das wäre nicht normal und da müsse doch irgendwas vorliegen“, erzählt Irina. „Das kann asexuelle Menschen davon abhalten, sich medizinische Hilfe zu suchen.“ Schließlich sind sie so immer wieder mit Unverständnis, Stigmatisierung und Rechtfertigungsdruck konfrontiert.

Asexualität wird teilweise verwechselt mit dem völligen Fehlen einer Libido. Viele Menschen glauben, dass Asexualität auch bedeutet, man würde nicht masturbieren. Das stimmt so nicht.

Auch dass Sexualität als Indiz für Glück gilt, erlebt Irina immer wieder: „Manche Leute stellen sich das so vor: Wenn ein Mensch kein sexuelles Interesse hat, hat er also kein „erfülltes“ Sexualleben und muss dann doch ein trauriges Leben haben. Da fehlt doch was. Manche können sich einfach nicht vorstellen, dass asexuelle Personen ein glückliches Leben führen können.“

Was viele Menschen dabei nicht beachten, ist die Tatsache, dass ein „erfülltes Sexleben“ natürlich für jede Person ganz anders aussehen kann. Ob, mit wem, wie oft und wann du Sex haben möchtest und wie du Sex für dich interpretierst, hängt von zahlreichen individuellen Faktoren, wie etwa deiner sexuellen Orientierung, deiner aktuellen Lebenssituation und deinem persönlichen Lustempfinden ab. Werbung und Medien geben uns hingegen das Gefühl, alle Menschen wären permanent sexuell aktiv. Und das müssten wir auch alle sein. Denn sonst „leiden“ unsere romantischen Beziehungen und unser Wohlbefinden. Derartige Aussagen können einen Performance-Druck auslösen, der eventuell dazu führt, dass wir uns zum Sex zwingen und unsere eigentlichen Bedürfnisse unterdrücken. Wohlbefinden und Glück löst das definitiv nicht aus.

Diesen äußeren Druck bekommen vor allem Personen auf dem asexuellen Spektrum aufgrund der vorherrschenden allosexuellen Norm stark zu spüren. Irina kann sich diesbezüglich noch genau an eine Situation aus ihrer Jugend erinnern: „In der Jugend gibt es ja generell diesen Druck, wer wann das erste Mal hat. Ich kann mich erinnern, dass mal eine Mitschülerin die Mädels aus der Klasse durchgegangen ist und gefragt hat, wer von ihnen denn schon Sex hatte und wer noch nicht. Das war ihr offensichtlich wichtig, das so zu sortieren. Und solche Situationen können speziell auf asexuelle Menschen einen starken Druck ausüben und sie zu Sachen drängen, die sie eigentlich nicht tun möchten.“

Um solchen Situationen in allen Lebensbereichen vorzubeugen, müssen sich nicht-asexuelle Menschen noch deutlich mehr mit Asexualität auseinandersetzen. Willst du als allosexuelle Person tatsächlich als Verbündete*r auftreten, solltest du dich laut Irina zunächst einmal umfassend selbst informieren und das eigene Wissen dann auch in Gesprächen mit Anderen anbringen. Bei „AktivistA“ ist es auch möglich, gedrucktes Infomaterial zum Auslegen zu bestellen. Irina erzählt, dass sie gleich zwei dicke Umschläge mit Info-Flyern zur Post bringt. Ein Umschlag geht an ein Jugendhaus, der andere an eine Schule.

Irina empfiehlt zudem den Podcast „InSpektren“ zur individuellen Weiterbildung. Suchst du nach Anschluss an die asexuelle und aromantische Community, kannst du dich zum Beispiel an „Aspec* German“ oder die „Facebook“- und „WhatsApp“-Gruppen der „Ameisenbären“ wenden.


Hier findest du „ActivistA“:

Foto: Adobe Stock / Lightfield Studios

Ein Kommentar

  • Verena Beiersmann sagt:

    Hallo,

    Ich bin ueber 50 Jahre alt und auch wenn es hier nichts zu Sache tut durch meine Multiple Sklerose Erkrankung seit 20 Jahren Fruehrentner. Und seit ich denken kann asexuell und das vollkommen. Ja ich hatte mal Beziehungen (2) und keine hat mir was gebracht!!! Ich brauche kein Geküsse , in

    kein schmusen und schon gar nichts was weitergeht. Die ganze Sache finde ich mega langweilig und bringt mir gar nichts . In der Zeit kann ich was anderes machen z.B. Kartoffeln schälen,meine Hunde bürsten oder aufräumen . Selber Hand anlegen bringt gar nichts,ich spüre nicht mehr als beim naseputzen. Ist so wie lange ich denken kann. Also eine reinrassige Axesualität durch und durch….

    Lieben Gruß

    XXX

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