Brustkrebs mit 25 – ein Erfahrungsbericht von Matea Weindel

9. März 2024

Offen und ehrlich beschreibt Matea Weindel ihren Weg durch die Krankheit Brustkrebs.

Matea Weindel, 27, ist Erzieherin und lebt in Königswinter. Im September 2020 erhält sie die Diagnose Brustkrebs, mit gerade mal 25 Jahren. Wie sie mit der Diagnose umgegangen ist, welche emotionale Reise sowie Herausforderungen die nächsten Jahre folgten und warum sie nie den Mut verlor, erzählt sie hier.


„Pink Ribbon Deutschland“ startet die Aktion „Scan to take care“ zur Früherkennung von Brustkrebs! Eine von acht Frauen in Deutschland erkrankt im Laufe ihres Lebens an Brustkrebs. Alleine in Deutschland erhalten über 70.000 Frauen jährlich diese Diagnose. Was viele nicht wissen: In den meisten Fällen ist eine Heilung möglich. Die Früherkennung eines Mammakarzinoms ermöglicht sanftere Therapiemethoden und erhöht die Chance auf Heilung. „Pink Ribbon“ hat die kostenlose „breastcare App“ entwickelt. Die App vermittelt das Wissen rund um die Themen Brustkrebs-Früherkennung und gesunder Lebensstil wissenschaftsbasiert und leicht verständlich in bislang neun Sprachen. Ein integrierter Zykluskalender erinnert zum optimalen Zeitpunkt an das Abtasten der Brust und erklärt die Selbstabtastung Schritt für Schritt. Informationen über Vorsorgeangebote der Krankenkassen, ein Glossar und persönliche Geschichten von Frauen, die an Brustkrebs erkrankt waren, ermutigen, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen.


Die Diagnose Brustkrebs hat mein Leben komplett verändert.

Vom Moment der Mammographie über die Stanzbiopsie hin bis zum Augenblick der Wahrheit war alles furchtbar und surreal. „Ich würde Ihnen gerne etwas Anderes mitteilen … aber sie haben Krebs.“ In diesem Augenblick, als mein Arzt mir das sagte, habe ich aufgehört zu atmen, zu existieren. Ich habe meinen Körper verlassen. Wie eine kaputte Schallplatte wiederholten sich diese Worte in meinem Kopf. SIE HABEN KREBS SIE HABEN KREBS SIE HABEN KREBS. Meine Emotionen fuhren Achterbahn und gleichzeitig war ich leer. Millionen Gedanken rasten durch meinen Kopf. Ich wollte das nicht. Nicht schon wieder. Ich musste dem Tod ein weiteres Mal ins Auge schauen. 2018 hatte ich bereits einen Schlaganfall. Das war einfach nicht fair!

Zu  Hause angekommen wollte ich einfach nur weg. Ich wollte das Leben meiner Familie nicht ruinieren. Ich wollte nicht sagen „Hey, eure Tochter ist wieder sterbenskrank. Und diesmal weiß man nicht, ob ich leben werde.“ Es brach mir das Herz, denn ich hatte es selbst noch nicht realisiert. Wie sollte ich es ihnen und meinen Freundinnen sagen? Keiner bereitet dich darauf vor.

„Pink Ribbon“ hat eine kleine Irritation in Form eines QR-Codes auf die Brüste von Models in Anzeigen, von Moderatorinnen in Livesendungen, Prominenten (unter anderem Diana zur Löwen, Anna und Lisa Hahner und Sylvie Meis), auf Magazincovern und generell in Social-Posts gebracht – um nicht-betroffene Frauen auf das Thema Brustkrebs aufmerksam machen!

Am nächsten Tag stand die nächste Hürde an. Mich von meinem Job verabschieden. Meinem Team. DEN KIDS. Mir schwirrte durch den Kopf, dass all die Momente, die Begegnungen, Zeit mit meiner Familie, Freunden das letzte Mal sein könnten. Das letzte Mal, dass ich die Sonne sehe, sie auf meiner Haut fühle, in meinem Bett aufwache, Eis esse, durch diese Gänge gehe, die Kinder sehe. Im Büro meiner Chefin kamen sie erneut, die Gedanken. Ihre Umarmung war so tröstend, voller Mitgefühl. Sie versprach mir, dass wir das schaffen würden. Dass ich mir keine Sorgen machen und erstmal gesund werden sollte. Erleichterung machte sich breit. Und unendliche Dankbarkeit.

Es folgten die schlimmsten und absolut härtesten Monate meines Lebens, ein regelrechter Marathon und Kampf nicht nur gegen den Krebs, sondern auch gegen die Zeit.

Kaum aus der Tür ging der Trubel weiter. Meine Frauenärztin hatte mir einen Termin in einem Brustzentrum besorgt. Im Wartezimmer wurde mir wieder unwohl. Es wurde real. So verdammt real. Alles in mir sträubte sich. Bevor ich rennen konnte, wurde mein Name gerufen. Im Gespräch mit dem Arzt schaltete ich ab. Ich wusste alles schon. Er klärte mich, meinen Bruder und meinen Vater auf. Über den weiteren Verlauf, die Optionen, was anstand. Es war eine Höllenwoche, voll mit Untersuchungen und Terminen. JEDEN TAG. Am Ende der Woche saßen wir wieder im Brustzentrum. Und der Plan stand. Nun hieß es erneut und mehr als zuvor „READY SET FIGHT“.

Es folgten die schlimmsten und absolut härtesten Monate meines Lebens, ein regelrechter Marathon und Kampf nicht nur gegen den Krebs, sondern auch gegen die Zeit. Bevor wir mit dem ersten Schritt beginnen würden, hatte ich eine Entscheidung getroffen. Ich würde meine Haare rasieren. Gesagt, getan. Und so hart es war, so erleichtert war ich danach auch.

Kurz darauf ging die Chemotherapie los.

Die Chemotherapie schwächt deinen Körper – und du kannst nix dagegen tun. Du siehst dir beim Zerfall zu. Jeder Tag, den ich nicht überm Klo hing, war ein guter Tag. Ich war am Boden. Ausgelaugt, ausgepowert, schwach, fragil. Nach meiner ersten Chemo lag ich abends im Bett und weinte mich in den Schlaf. Wie sollte ich die nächsten drei Chemos packen? Es schien unmöglich. Und doch ging es irgendwie. Meine Familie half mir, gab mir Kraft und Energie. Nach den vier Einheiten aus der Hölle folgten 12 Wochen mit einer leichten Dosis. Mitte Februar war es geschafft. Kein Gift mehr, keine Übelkeit, keine tauben Finger oder Zehen.

Nun ging es an den nächsten Schritt. Die OP mit Brustaufbau. Ich würde Boobs bekommen! Im März folgte die OP. Dies sollte für mich den Abschluss kennzeichnen. Bye bye Krebs, hallo neue Brüste. Klar standen noch Therapien an, aber es war mir egal. Doch das Glück hielt nicht lange. Zehn Tage später wurde mir ausgerechnet bei der Kontrolluntersuchung erneut der Boden unter den Füßen weggerissen. Mein Arzt saß mir gegenüber und kämpfte mit sich. Ihm brach es das Herz. Und ich brach zusammen.

Mir blieb das Herz stehen. Ich würde meine Brust verlieren.

Der pathologische Befund zeigte, dass es im gesunden Gewebe meiner Brust nur so leuchtete vor Krebszellen. Alles umsonst. ALLES. Es sah doch alles so vielversprechend aus! Er nahm meine Hand und drückte sie. In dem Moment wurde mir etwas bewusst. Ich hatte ihn nach der OP nur zwei Mal gesehen. Er erklärte mir, dass er sich zurückgezogen hatte. Er hatte sich mit Kolleg*innen zusammengesetzt und Bücher, Studien gewälzt. Sie haben eine Alternative gesucht. Einen anderen Weg als die Masektomie.

Mir blieb das Herz stehen. Ich würde meine Brust verlieren. Den Teil von mir, der mich feminin, weiblich macht. Es gab einen anderen Weg, doch dieser war nicht besser. Wir könnten es so lassen und ich würde in kurzen, regelmäßigen Abständen zu Kontrollen kommen. Wenn man was finden würde, würde man operieren. Es würde ständige Angst und Ungewissheit bedeutet. Erneut musste ich meiner Familie unter Tränen erklären, wie der Termin verlaufen war. Wieder Herzen brechen. Wieder kämpfen. Mit mir, meinen Emotionen, Gefühlen.

Ein Tag später war es soweit: Masektomie.

Ich saß im Zimmer auf meinem Bett und hörte Musik. Durch die Tür kam die Onkopsychologin der Station. Wir sprachen etwas. Plötzlich stand eine Schwester im Zimmer. Ich sollte mich für die OP vorbereiten. Die Psychologin ging und ich bekam Panik. Ich bekam keine Luft, konnte nicht aufhören zu weinen. Warf einen letzten Blick in den Spiegel. Auf meinen Körper. Mein altes Ich. Den kompletten Weg vom Zimmer bis zum OP Saal strömten die Tränen. Die Angst, die Trauer, die Realität. Es war viel. Die erste Nacht habe ich nur geweint. Am Morgen kamen eine Schwester und die Psychologin. Es war Zeit den Verband zu entfernen. Ein Blick nach unten. Eine Brust weniger, eine riesige Narbe. Vorsichtig strich ich drüber. Spürte direkt Knochen. Kein Gewebe, keine Haut, keine Brustwarze. Was ich empfunden habe? Nichts. Wobei, nein. Es war okay. Ja, wirklich. Abgehakt und weiter.

Ich hatte ein wenig Leben zurück.

Kurze Zeit darauf begann die Bestrahlung. Meine Freude war groß. Die ersten Einheiten waren okay. Ich hatte ein wenig Leben zurück. Ich war in der Eingliederung auf der Arbeit, hatte seit Januar wieder am Unterricht teilgenommen. Neben den Einheiten schrieb ich an meiner Abschlussarbeit, meine schriftlichen Prüfungen. Wenn ich heute daran denke, bin ich erstaunt, wie ich das gemeistert habe. Doch auch diese Glückssträhne sollte nicht lange halten. Mitte der Therapie ging es los. Meine Haut fing an zu reagieren. Nebenwirkung der Bestrahlung sind Reaktionen ähnlich einem Sonnenbrand. Und meist minimal. Nicht bei pigmentierter Haut. Ich hatte offene Stellen, meine Haut war verbrannt, schwarz und dunkel. Nichts half. Zuhause musste ich oberkörperfrei rumlaufen.

Zu der entstellenden Narbe gesellte sich so noch mehr dazu. Der Blick in den Spiegel war schmerzend. Dies war der Moment, wo ich beschloss STOPP zu sagen. Stopp zu dieser Therapie, Stopp zu weiteren Einheiten, Stopp zu weiteren Schmerzen und Nebenwirkungen. Dies war der Moment in dem ich begriff. ICH KANN UND DARF NEIN SAGEN. Denn ja, die Ärzte wissen was sie tun, was medizinisch das Beste für einen ist. Aber es ist MEIN KÖRPER. Ich muss diese Therapien machen. Ich muss sie über mich ergehen lassen. Niemand sonst. MY BODY MY CHOICE. Zum Leidwesen meiner Ärztin habe ich nach 23 Einheiten von 28 aufgehört.

Therapie war mein Wendepunkt.

Etwas Erholung sollte bald kommen. War zum Greifen nah. REHA. Und sie war ein Wendepunkt. Es ging nach Kiel ans Meer. Ich kam zum ersten Mal nach fast einem Jahr zur Ruhe, musste zu keiner Therapie, musste nicht funktionieren. Ich konnte durchatmen, meine Akkus aufladen, wieder zu Kräften kommen. Doch war es auch die Zeit, in der ich es realisierte. Durch das Runterkommen mache es bei mir Klick. Wie ein Kartenhaus fiel etwas in mir in sich zusammen. Führte zum ersten großen Breakdown. Eine Flut an Tränen. Ich ertrank in Emotionen, war verloren, konnte wieder nicht atmen. Ich bekam regelmäßig Therapie. Zeit zu heilen. Nach der Reha flogen wir in den Familienurlaub. Nach Portugal. Es war so wundertoll. Leichtigkeit, Sonne, Meeresluft. Es tat uns allen gut nach den turbulenten Monaten. Ich habe mich lebendig gefühlt.

Die Therapie war meine Rettung. Mein Safeplace, an dem ich alles rauslassen konnte.

Mit neuer Energie, aufgeladenen Akkus ging es wieder zurück in den Alltag. Und der hatte es in sich. Ich kam schneller an meine Grenzen. Ich brauchte länger, musste mir mehr aufschreiben. Meine Reaktionen waren nicht mehr die schärfsten. Überall lauerten Trigger. Es lief zwischendurch drunter und drüber. Ich hasste es. Ich wollte doch nur mein Leben zurück. Die Therapie war die Lösung. Sie war meine Rettung. Mein Safeplace, an dem ich alles rauslassen konnte. Verletzlich, schwach, ehrlich. Therapie war und ist noch immer eine Riesenstütze. Meine Therapeutin mir etwas mitgegeben, was ich gern mit euch teilen würde:

„Sie müssen nicht immer stark sein. Sie dürfen fluchen, schreien. Es scheiße finden. SIE MÜSSEN GAR NICHTS. Wir müssen nicht immer funktionieren, zu allem „Ja und Amen sagen“. Unsere Geschichte, was uns passiert ist, runterspielen. Wir dürfen schwach sein. Alle Emotionen sind wichtig und sollten zugelassen werden. Egal wie negativ und mies und unerwünscht sie sind, denn so kommen wir weiter.“

Das Leben nahm seinen Lauf und es wurde langsam.

Ich beendete meine Ausbildung, fing an in Teilzeit zu arbeiten. Ich bekam einen Hauch Leben zurück, doch ich war nicht komplett. Jeder Blick in den Spiegel erinnerte mich daran. Ich fühlte mich so verdammt unwohl und hasste meinen Körper. Ich fühlte mich weder weiblich, noch sexy oder feminin. Versteckte mich in oversized Klamotten und vermied Bikinis, Tops und Co. Schwarz wurde mein bester Freund, dabei ist mein Kleiderschrank bunt und laut. ICH LIEBE FARBE. Außerdem hatte mit den Folgen der Chemo zu kämpfen. Ich bekam meine Tage nicht mehr und wurde ungewollt in die Menopause versetzt – mit 26 Jahren. Ich hatte Hitzewallungen, Hitzeschübe, Chemobrain, Gelenkbeschwerden, Kribbeln oder Taubheitsgefühl in Fingern und Füßen.

Im folgenden September hatte ich meine jährliche Kontrolluntersuchung. Ich sollte Brüste bekommen! Ende November war es so weit. Wieder weinte ich, doch es waren Freudentränen. Als mir die Schwester einige Tage nach der OP auf den Hocker half und ich das Kittelchen auszog, wurden meine Augen groß und mein Herz setzte aus. ICH HATTE BRÜSTE. Tränen flossen mir über die Wangen und ich konnte nicht aufhören zu lächeln. Ich hatte es geschafft. Für diesen Moment bin ich durch die Hölle gegangen, habe gelitten und gekämpft.

Was ich gelernt habe.

Dieser Teil meines Lebens war nicht einfach. So eine Diagnose, alles, was sie mit sich bringt und beinhaltet, macht etwas mit dir. Sie verändert dich und stellt dich vor so viele Herausforderungen. Sie bringt dich mehr als einmal an deine Grenzen. Oft genug wollte und konnte ich nicht mehr. Immer wieder musste ich kämpfen. Und gefühlt immer dann, wenn es einen kleinen Lichtblick gab, wurde ich wieder zu Boden gedrückt. Jetzt bin ich krebsfrei.

Was ich gelernt habe: Unsere Gesundheit und unsere Zeit sind zwei Dinge, welche man nicht wiederbekommt. Vieles im Leben ist vergänglich. Wir beschäftigen uns viel zu sehr mit dem, was war und was sein wird. Lebt im Hier und Jetzt. Genießt jeden Moment. Fülle dein Leben mit Good Vibes, Happiness, Love, Laughter – Momenten und Erlebnissen. Weniger denken, einfach mal machen. Denn wer hält dich ab? Was hindert dich? Nichts.

Wir müssen davon wegkommen, dass wir unendlich viel Zeit haben, aufschieben und verschieben. Wir denken, dass uns sowas nie passiert. Krebs ist es egal, wer ihr seid, wo ihr herkommt, WIE ALT IHR SEID. Er macht keinen Halt. Vor niemandem. An alle Frauen da draußen: Geht zur Vorsorge, lasst euch durchchecken, denn eure Gesundheit wird es euch danken. Sie ist das wichtigste Gut, was ihr habt.

Hier findet ihr Matea Weindel:

Fotos & Text: Matea Weindel, „Pink Ribbon“, Gianluca Meinecke (Diana zur Löwen), „Mensch und Licht“ (Anna & Lisa Hahner)

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