Eine unglaubliche Wärme geht von Dr. Elisa Meyer aus, während sie auf dem knarzigen Holzsessel in einem Wiener Kaffeehaus sitzt und über ihre Passion schwärmt. Schon kurz nach dem ersten Kennenlernen könnte man sich vorstellen, von ihr in den Arm genommen zu werden. Und genau das wird sie nach dem Interview mit anderen Menschen auch machen – denn Elisa ist professionelle Kuschlerin. Kurz vor der Pandemie gründete sie einen Kuschel-Service, der mittlerweile in Deutschland, Österreich, Luxemburg und der Schweiz agiert. Wir sprechen mit ihr über ihren Arbeitsalltag, den neuen Stellenwert von Körperkontakt und warum toxische Männlichkeit diesen seltenen Beruf so wichtig macht.
Dr. Elisa Meyer: Nach meinem Germanistik- und Philosophiestudium in Freiburg kam ich nach Wien für mein Doktorat. Es ging darin um den Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“ von Robert Musil und das Thema leibliche Identität. Dieses philosophische Konzept besagt, dass der Körper quasi seine eigene Intelligenz hat und Entscheidungen trifft. Im Zuge dessen las ich viel über Körpertherapie und stieß im Internet auf verrückte Berufe weltweit und eben auch aufs professionelle Kuscheln. Es ließ mich nicht mehr los, es gab aber kaum Berichte darüber. Also nahm ich mir ein Herz und machte es selbst. Als ich nach dem Studium nach Leipzig ging, meldete ich die „Kuschelkiste“ als Einzelunternehmen an.
Beim Erstkontakt per E-Mail bekommst du Regeln, die du beachten musst. Dann kommst du in meine Kuschelpraxis in Leipzig oder ich zu dir. Wir setzen uns bequem hin und quatschen erstmal. Ähnlich wie bei der Anamnese vor der Therapie. Du erzählst, warum du hier bist und ich erkläre dir dann die Regeln. Bei Männern* mache ich das etwas ausführlicher als bei Frauen*, da hier oft alte Rollenbilder dazwischenfunken. Du ziehst dir etwas Bequemes an und wir beginnen an einem gemütlichen Ort mit etwas Einfachem, wie Händchenhalten und plaudern. Ich oder du schlagen eine Position vor und das machen wir dann. Wenn du dich entspannst, machst du vielleicht ganz intuitiv einen Positionswechsel. Oder ich kraule dir den Kopf. Irgendwann kommt ein Flow rein. Ist die Zeit vorüber, kannst du wie bei der Massage noch nachfühlen. Dann kommt das kurze Nachgespräch. Feedback darüber, wie lange die Wirkung andauerte und wie sich der Tag danach anfühlte, sind mir wichtig. Darüber wird es nämlich in meinem zweiten Buch gehen.
Die meisten, die mit uns kuscheln, werden Stammkund*innen. Massagen macht man ja auch regelmäßig, wenn man Wirkung erzielen will. Genauso viel wie eine durchschnittliche Massage kostet übrigens eine Stunde bei uns: 70 Euro.
Nach meinen ersten Kuschelterminen wurde mir klar, dass das alles komplizierter ist als ich dachte. Auf der Suche nach Weiterbildungen fand ich unter anderem Samantha Hess in den USA. Nach der Ausbildung mit ihr fühlte ich mich viel sicherer. Es passieren eben auch mal Dinge, die unangenehm sind. Die Menschen, die ich nun ausbilde, bekommen ein genaues Briefing über die ethischen Aspekte. Die Leute sind total unterschiedlich. Manche haben Psychologie studiert, manche sind Therapeut*innen oder auch Informatikstudent*innen.
Erst einmal gibt es ein Probekuscheln mit mir. Da merke ich bereits, ob die Person geeignet für diesen Beruf ist. Du musst schon etwas Altruistisches mitbringen, denn die eigenen Bedürfnisse und Meinungen müssen zurückgestellt werden. Du musst dich emphatisch und offen zeigen, zuhören und Körpersprache lesen können. Freude an Berührung haben, auch wenn man das Gegenüber unsympathisch findet. Da muss man einen Schritt zurücktreten und sagen „ich bin hier nicht privat, sondern beruflich.“ Kann diese Person sich an die Regeln halten und ist nicht unhygienisch oder übergriffig? Dann gebe ich ihr jetzt das, was sie braucht.
Als weibliche Kuschlerin muss man Grenzen aufzeigen können und selbstbewusst sein, sonst wird man ausgenutzt. Frauen* haben bei uns ungefähr 70% männliche Kunden. Männer* als auch Frauen* wollen tendenziell lieber mit Frauen* kuscheln. Sagen wir, es besteht einfach ein Generalverdacht gegenüber Körperkontakt mit fremden Männern*. Man kann sich schwer vorstellen, dass keine Absichten dahinterstecken. Da spielen Klischees auf beiden Seiten eine Rolle. Männliche Kunden sind oft in einer schwierigen Lebensphase, in denen sie keine Beziehung haben und Körperkontakt suchen. Die Gefahr der Beziehungsprojektion ist hoch. Ich bin beim Kuscheln nett und positiv, muss in solchen Fällen danach die Dinge wieder klarstellen. Ich sage dann strikt: „Ich bin hier in einer Rolle, du kennst mich privat nicht. Wir haben einen Vertrag“. So lässt sich das relativ schnell auflösen. Das kommt viel häufiger vor, als dass ein Mann* sexuell erregt oder übergriffig wird. Deshalb muss man als Kuschlerin von Beginn an bestimmt und klar sein. Man darf nicht denken „das war doch nicht schlimm, da mache ich eine Ausnahme und spreche es nicht an“. Das geht nicht. Je strenger ich bin, desto weniger passiert so etwas. Bist du zu nett und zuvorkommend, wie man es als Frau* eben gewohnt ist, dann profitieren solche Männer* und das darf nicht passieren. Es ist ein gutes Training „Nein“ zu sagen und klare Grenzen zu setzen als Frau*.
Oder oft nicht mal mit der eigenen Familie! Für viele ist es auch immer noch negativ besetzt, als schwul bezeichnet zu werden. Meine Erfahrung ist leider, dass 18-Jährige da genauso homophob sind wie die 80-Jährigen. Unsere männlichen Kuschler, die es ja auch gibt, sind da leider noch eine der positiven Ausnahmen.
Das ist ein wesentlicher Punkt der Ausbildung. Es gibt verschiedene Rituale, die man machen sollte, um sich selbst zu schützen. 60 bis 70% der Menschen, die zu uns kommen, sind depressiv. Logisch, denn Berührungsmangel verursacht Depression und umgekehrt. Man muss sich also bewusst sein: Das ist ein depressiver Mensch und ich bin nicht sein rettender Engel. Ich kann nicht sofort einen Schalter umlegen und dem geht’s wieder gut. Wir sind keine methodische Therapie in der Patient*innen am Schluss geheilt sind. Der Mensch füllt sich bei uns auf, wir können aber nicht garantieren, dass es ihm danach besser geht. Diese professionelle Sichtweise musste ich mir auch angewöhnen.
Es gibt einen Vertrag mit Regeln, den man vorher unterschreibt. Da stehen die körperlichen Grenzen drin, aber auch, dass wir abbrechen, wenn es Gefühle von emotionaler Abhängigkeit gibt. Wir sprechen es offen an, wenn so etwas passiert. Es kommt manchmal vor, dass wir sagen müssen: „Ich bin nicht deine Freundin oder deine Beziehung.“ Beim Kuscheln wird sehr viel Oxytocin ausschüttet, das Hormon, das Bindung herstellt. Es ist ja auch eine ungewohnte Situation. Wenn wir normalerweise mit jemanden kuscheln, dann sind das meist Menschen, die permanent und schon länger in unserem Leben sind.
Minimum ist eine Stunde. Ich mache bis zu vier Stunden. Manchmal schlafen die Kund*innen auch ein.
Der Kellner bringt eine Wasserkaraffe in Form eines Fisches an unseren Tisch. Als es beim Einschenken aus dem Fischmaul zu blubbern beginnt, lacht Elisa vor Freude laut auf – was nicht nur unsere Autorin, sondern auch den Kellner sofort ansteckt.
Es ist ein antrainierter Schalter, den man umlegt. Ich ziehe professionelle Kleidung an und gehe damit in die Rolle. Davor meditiere ich kurz und mache mich leer. Alle Sorgen und Emotionen fließen ab. Spätestens nach zehn Minuten kuscheln ist man angekommen. Währenddessen kommen vielleicht immer wieder private Gedanken auf. Dann beobachte ich sie und lasse sie vorbeiziehen. Danach ziehe ich die Kleidung aus und schüttle alles Negative ab. Es ist so wie bei einer Therapeutin: die Menschen bleiben nicht permanent in meinem Gedächtnis. Ich müsste mich dann um viel zu viele Menschen ständig sorgen. Ich habe natürlich keine Akten oder Aufzeichnungen. Wenn Menschen zu mir kommen, dann sind sie völlig frei von Urteil, ich schreibe oft nicht einmal einen Namen zum Termin dazu. Ich bin völlig unvoreingenommen, auch wenn ich mit der Person schon einige Male gekuschelt habe.
Eine Mischung aus nicht ernstgenommen werden und Verwirrung: „Hä, du bist Prostituierte?“. Sie finden es eigenartig, für Intimität Geld zu verlangen.
Genau. Dir geht es sehr gut, wenn Berührung alltäglich für dich ist. Auch von Mediziner*innen hört man teilweise Misstrauen heraus, obwohl sie es selbst nie probiert haben. Die, die sofort begeistert sind, buchen uns oder lassen sich sogar selbst ausbilden.
Das Positive überwiegt. Man hat dadurch Zugang zu mehr Stunden und je mehr Therapie, desto besser – das gilt für alle Gesprächstherapieformate. Als Kuscheltherapeutin muss ich aber sagen, dass Gesprächstherapie nur bis zu einem gewissen Grad hilft. Du kannst dich fünf Jahre aussprechen und immer noch kein neues Resultat haben. Du verstehst dann eben alles, kannst aus allen Blickwinkeln analysieren, aber das Problem hat sich nicht aufgelöst, es bewegt sich nicht. Die Bewegung kommt häufig erst durch eine Erfahrung, die Körpertherapien bieten. Man lernt, nachzuspüren und nicht nur nachzudenken. Trotzdem bist du dabei sicher. Da ist jemand, der da ist und der dich auffängt. Bei manchen kann eine Gesprächstherapie dabei helfen, damit sie überhaupt bereit für Berührung sind und umgekehrt.
Nach dem ersten Lockdown merkte man richtig, dass den Menschenkörperkontakt fehlte. Alle Stammkund*innen machten sofort Termine aus. Nach dem langen Lockdown, der die Wintermonate überdauerte, kamen viele Neukund*innen, die ähnliche Dinge schilderten. „Corona macht mich fertig. Ich habe psychische Probleme, die ich noch nie hatte. Ich fühle mich krank und isoliert.“ Vor allem war es die Renaissance von Frauen* in der Kuscheltherapie. Waren es davor eher Männer*, wurde Frauen* nun auch klar, dass sie sich selbst um ihre körperlichen Bedürfnisse kümmern müssen. Die meisten waren alleinerziehend oder selbstständig im Home Office, wollten gar keine*n Partner*in, sondern brauchten einfach Kuscheleinheiten. Seit Januar 2022 ist nun die Hölle los bei uns. Jede*r hat die Nase voll von der Isolation. Es wurde uns allen plötzlich richtig bewusst, was Isolation eigentlich ist und dass telefonieren und Video Calls kein Ersatz für menschlichen Kontakt sind.
Über das Thema psychische Gesundheit könnten wir noch tagelang reden. Ich habe gehört, dass es derzeit unmöglich ist, einen Therapieplatz zu bekommen. Alle Kliniken sind ausgebucht, auch bei den Kindern und Jugendlichen hat sich die Lage verschlechtert. Kuscheln schätze ich da als gute Möglichkeit zur Überbrückung ein.
Ich liebe meine Arbeit und freue mich auf jede*n Kund*in, ungelogen! Die Reaktionen danach ist immer herzerwärmend. Viele sind gar nicht wiederzuerkennen. Lächelnd, glücklich und erstaunt, dass man so eine Erfahrung gemacht hat. Bei Menschen mit Behinderung ist es auch immer sehr bewegend zu sehen, wie isoliert sie sind und wie gut es ihnen danach geht. Wie ein ganz trockener Schwamm, der sich aufsaugt mit Energie. Es gäbe noch tausende Beispiele solcher schönen Momente.
Autorin & Foto: Jenni Koutni
Illustration: Jasmin Köchl für femtastics