Dr. Johanna Degen forscht seit sechs Jahren zum Thema Online-Dating, speziell „Tinder“. Sie ist Sozialpsychologin und unterrichtet Studierende an der Uni Flensburg, unter anderem zum Thema Dating. Ihre Studien ergaben, dass die Gesellschaft mittlerweile in einer „Tinder-Erschöpfung“ angekommen ist. Was die Gründe für diese Erschöpfung sind, wie achtsames Online-Dating geht und welche Erfahrungen femtastics-Autorin Juliane Baxmann selbst im Online-Dating-Dschungel gemacht hat, lest ihr hier.
Oh, Online-Dating. Die magische Welt, in der wir im Bett liegend, noch im Schlafanzug, hunderte von potenziellen Seelenverwandten anklicken können. Wer braucht schon menschliche Interaktion im echten Leben, wenn man seine*n Seelenverwandte*n so bequem online finden kann?
Wer braucht überhaupt echte Beziehungen, wenn wir Menschen einfach anhand ihrer sorgfältig kuratierten Profilbilder, Hundewelpen und witzigen Einzeiler beurteilen können?
Als 25-jähriger Dauer-Single habe ich schon einige Misserfolge beim Online-Dating erlebt. Da gab es den Typen, der ein Bild mit seiner Ex-Freundin gepostet hat (sehr stilvoll). Den Mann, der sein Profil benutzt hat, um für sein neu gegründetes Unternehmen zu werben (denn nichts schreit so sehr nach Romantik wie stundenlang über eine Karriere im Online-Marketing zu sprechen). Und mein persönlicher Favorit war der, der behauptete, 1,85 m groß und blond zu sein, aber eindeutig kleiner war als ich und braune Haare hatte, als wir uns persönlich trafen.
Aber hey, wer braucht überhaupt echte Beziehungen, wenn wir Menschen einfach anhand ihrer sorgfältig kuratierten Profilbilder, Hundewelpen und witzigen Einzeiler beurteilen können? Es ist ja nicht so, dass wir nach einem*einer Partner*in fürs Leben suchen, oder?
Das bringt mich direkt zu den endlosen Nachrichten von Männern*, die mein Profil offensichtlich nicht gelesen haben und nur wissen wollten, ob ich „DTF“ (das ist Tinder-Sprache und bedeutet „down to fu**“) bin. Denn klar, das ist genau das, wonach jede Frau* sucht – einen völlig Fremden, der zu einem nach Hause kommt und mit dem man „Netflix und Chillen“ kann.
Ich habe so viele Nachmittage mit fremden Typen, die ich bei „Tinder“ kennengelernt habe, kaffeetrinkend oder in irgendeiner Bar verbracht. Am Ende des Tages war ich in den meisten Fällen angetrunken und vier Drinks ärmer oder hatte mein Schrittziel für diesen Tag mehr als erreicht. Ich möchte gar nicht wissen, wie viele Kilometer ich bis heute bei sinnfreien Spaziergängen hingelegt habe und wie oft ich dann feststellen musste, dass dieses oberflächliche „Und was hast du sonst noch so für Hobbys?“ nicht für eine tiefergehende zwischenmenschliche Beziehung ausreicht. Ein Hoch auf die moderne Partnersuche!
Ich bin müde, Dating-Müde. So müde, dass ich auch meine Motivation verloren habe im „echten Leben“ auf Partnersuche zu gehen.
Zumindest habe ich ein paar unterhaltsame Geschichten, die ich meinen Freund*innen beim Brunch erzählen kann. Und wer weiß, vielleicht hätte ich ja eines Tages meinen Traumprinzen hinter dem Bildschirm meines Telefons gefunden, wenn ich nur fröhlich weiter vor mich hin gewischt hätte.
Aber ich bin müde, Dating-müde. So müde, dass ich auch meine Motivation verloren habe im „echten Leben“ auf Partnersuche zu gehen. Zumal ich auch glaube, dass ich verlernt habe zu flirten, beziehungsweise es durch meine frühen Erfahrungen mit Dating-Apps nie richtig lernen konnte. Und mit diesem Gefühl bin ich nicht alleine.
Dr. Johanna Degen forscht seit sechs Jahren zum Thema Online-Dating, speziell „Tinder“. Sie ist Sozialpsychologin und unterrichtet Studierende an der Uni Flensburg, unter anderem zum Thema Dating. Auch ihre Studie ergab, dass die Gesellschaft mittlerweile in einer „Tinder-Erschöpfung“ angekommen ist. Das hat laut Degen mehrere Gründe.
Zum einen liegt das an den versteiften Geschlechterverhältnissen innerhalb der Plattform. Männer* gelten dort fast schon automatisch als unzuverlässig, Frauen* werden als „Schlampen“ abgestempelt. „Hinzu kommt, dass generell ein sehr harscher Ton auf der Plattform herrscht, mit dem nicht jede*r etwas anfangen kann“, sagt Degen weiter. Auch unser Vertrauen in Beziehungen hat durch die Popularität von Online-Dating gelitten. Die Sorge, dass der/die Partner*in sich auf Dating-Apps unbemerkt etwas „Besseres“ suchen könnte, sorgt in vielen Beziehungen für Angst und Frustration.
Auf die Frage, ob wir Offline-Dating verlernt haben, antwortet Dr. Johanna Degen mit einem klaren: Ja! Durch Smartphones, kabellose Kopfhörer und ständige Erreichbarkeit haben wir den Blick für das Wesentliche verloren. Wir trauen uns oftmals gar nicht mehr, mit einem offenen Blick und vor allem offenen Gesten und Signalen durch die Welt zu gehen. „Wenn man Lust hat, neue Menschen kennenzulernen, dann muss man sich auch als available darstellen und anhand von Körpersprache, Mimik und Gestik zeigen, dass man auf dem Markt ist. Nur so können auch andere Menschen auf uns eingehen“ so Degen weiter.
Wer dennoch sein Glück auf „Tinder“ und Co. finden will, der sollte es mit achtsamem Online-Dating versuchen. Denn nicht jedem fällt es leicht, seine Gefühle und Absichten nach außen zu kommunizieren. Besonders für introvertierte und eher schüchterne Personen können Online-Dating Plattformen eine Möglichkeit sein, neue Menschen und potenzielle Partner*innen kennenzulernen.
Online-Dating kann eine Herausforderung sein, aber es ist bestimmt nicht alles schlecht und düster. Mit Geduld und ein bisschen Glück findet man vielleicht den*die richtige*n Partner*in. Aber in der Zwischenzeit ist es wichtig, sich selbst treu zu bleiben und sich nicht mit weniger zufriedenzugeben als dem, was man verdient hat. Das findet auch Dr. Johanna Degen. Sie selbst möchte die Menschen durch ihre Forschung dazu animieren, ihren Selbstwert wiederzufinden. Mehr aus sich herauszugehen und die Angst vor dem Ausdruck der eigenen Bedürfnisse in der Öffentlichkeit zu verlieren.
Bei mir hat sie es auf jeden Fall geschafft. Ich lasse meine Kopfhörer nun immer häufiger in der Tasche, schaue die Menschen an, wenn sie mir entgegenkommen und schenke ihnen ein Lächeln. Und wer hätte es gedacht: In den meisten Fällen bekomme ich ein Lächeln zurück. Und ich wurde doch tatsächlich auf der Straße nach meiner Handynummer gefragt! Den Typen habe ich dann übrigens noch an dem Abend auf „Bumble“ entdeckt, nach rechts gewischt und ja, it’s a Match.
Foto: Hanna Lenz (Porträtbild), Adobe Stock
Collage: Kaja Paradiek