Immer mehr Menschen in Deutschland sind laut Studien chronisch einsam – insbesondere auch junge Menschen. Dabei hat Einsamkeit schwerwiegende Folgen sowohl für die körperliche und seelische Gesundheit, als auch für die Gesellschaft – zum Beispiel in Form von zunehmender politischer Radikalisierung.
Welche Ursachen Einsamkeit hat, was Einsamkeit mit uns macht, was helfen kann und warum sie dringend entstigmatisiert werden muss, darüber sprechen wir mit Dr. phil. MSc. Psych. Mareike Ernst in unserer neuen Folge von „femtastics Deep Dive“. Dr. Mareike Ernst ist Psychologin und arbeitet an der Universität Mainz und an der Uni Klagenfurt in Österreich. Dieses Jahr hat sie ein Buch über Einsamkeit veröffentlicht.
Dr. Mareike Ernst: Einsamkeit ist ein Begriff, den wir aus der Alltagssprache kennen. Jede*r hat eine Vorstellung davon, was Einsamkeit bedeutet. Das führt manchmal dazu, dass der Begriff falsch benutzt wird. Man spricht beispielsweise von positiver Einsamkeit, was im Englischen als „solitude“ bekannt ist, wofür es im Deutschen kein genaues Wort gibt. Wissenschaftlich definiert würden wir sagen, dass Einsamkeit immer etwas Unangenehmes ist.
Einsamkeit ist stets ein schmerzhaftes, quälendes Gefühl, das aus einer subjektiven Wahrnehmung entsteht.
Einsamkeit ist stets ein schmerzhaftes, quälendes Gefühl, das aus einer subjektiven Wahrnehmung entsteht. Es ist meine persönliche Einschätzung in dem Moment, dass mir soziale Kontakte fehlen, die mir guttun. Das kann daran liegen, dass die Qualität meiner Beziehungen nicht meinen Vorstellungen entspricht, also dass meine Beziehungen nicht tief genug oder nicht vertrauensvoll genug sind, oder auch daran, dass ich tatsächlich zu wenige Kontakte oder Freund*innen um mich habe.
Ich würde nicht sagen, dass Einsamkeit ein neuer Trend ist. Allerdings wird diesem Thema heute mehr Aufmerksamkeit geschenkt, was wichtig ist. Die Einsamkeitsforschung hat ursprünglich mit großen Befragungen begonnen, die sich stark auf ältere Menschen konzentrierten, da diese tatsächlich eine Risikogruppe darstellen.
Aber wenn man den Lebenslauf betrachtet, wann Einsamkeit besonders viele Menschen betrifft, sehen wir einen Höhepunkt bei jungen Erwachsenen. Ab dem Teenageralter wird soziale Einbindung immer wichtiger, ebenso wie Beziehungen, auch romantische. Besonders in der Altersgruppe von 19 bis 22 Jahren, einer Schwellenphase, sehen wir starke Anstiege der Einsamkeit. Das liegt oft an großen Lebensumbrüchen, wie dem Auszug aus dem Elternhaus oder dem Umzug zum Studium in eine neue Stadt, wo man noch niemanden kennt. Diese Veränderungen sind aufregend und bedeutsam für die Entwicklung, aber sie erhöhen das Risiko der Einsamkeit, weil sich das soziale Umfeld neu strukturiert.
Es gibt tatsächlich große Meta-Analysen, die zeigen, dass die Einsamkeit bei jungen Menschen in den letzten Jahrzehnten zugenommen hat. Es scheint also, dass sowohl die natürliche Risikophase des Jungseins als auch moderne Faktoren dazu beitragen, dass junge Menschen heute vermehrt Einsamkeit erleben im Vergleich zu vor 30 oder 40 Jahren.
Ja, das stimmt. Man könnte meinen, dass es in unserer digitalisierten Welt einfacher ist, Kontakte zu knüpfen, die dann im besten Fall auch im echten Leben Bestand haben. Tatsächlich jedoch scheint die Digitalisierung auch einen Einfluss auf das Einsamkeitserleben zu haben. Während digitale Kontakte eine zusätzliche Möglichkeit bieten, soziale Beziehungen zu pflegen, ersetzen sie oft nicht die tiefen, vertrauensvollen Beziehungen, die man im realen Leben hat. Dies kann dazu führen, dass trotz vieler Online-Kontakte das Gefühl der Einsamkeit bestehen bleibt oder sogar verstärkt wird.
Faktoren wie Armut, Teilhabe, Arbeitsbelastung und Mobilität beeinflussen das Einsamkeitserleben.
Das ist eine sehr komplexe Frage, da Einsamkeit aus vielen Risikofaktoren und Einflüssen erwächst. Es spielt nicht nur das Lebensalter oder die soziale Einbindung eine Rolle, sondern auch der Kontext, in dem man sich bewegt. Faktoren wie Armut, Teilhabe, Arbeitsbelastung und Mobilität beeinflussen ebenfalls das Einsamkeitserleben. Es ist daher schwer zu sagen, was genau jemanden einsam macht oder was davor schützt.
Bezogen auf die Zunahme der Einsamkeit bei jungen Menschen kann man sagen, dass dieser Zuwachs auch etwas Positives haben könnte, insofern als es leichter geworden ist, Einsamkeit zuzugeben und darüber zu sprechen. Die Stigmatisierung hat abgenommen, was dazu führen könnte, dass mehr Menschen ihre Einsamkeit äußern und die Werte daher höher erscheinen.
Ein weiterer Faktor ist die zunehmende Mobilität. Viele junge Menschen müssen für ihre Arbeit oder ihr Studium oft umziehen und sind dadurch gezwungen, ihre sozialen Netzwerke immer wieder neu aufzubauen. Das kann Beziehungen gefährden und die Einsamkeit verstärken.
Die Digitalisierung ist ein zweischneidiges Schwert. Zwar wird oft behauptet, dass junge Menschen aufgrund der Nutzung digitaler Medien einsamer sind, doch das greift zu kurz. Viele junge Menschen nutzen digitale Medien, um mit denjenigen in Kontakt zu bleiben, die sie auch im echten Leben treffen. Allerdings kann die Digitalisierung für diejenigen, die Schwierigkeiten haben, im echten Leben Kontakte zu knüpfen, eine Ersatzlösung sein, die nicht vollständig kompensiert.
Es gibt auch eine Wechselwirkung: Einsame und traurige Menschen neigen eher dazu, exzessiv digitale Medien zu nutzen, um sich abzulenken. Diese exzessive Nutzung muss jedoch nicht der Auslöser für die Einsamkeit sein, sondern kann auch eine Folge davon sein. Insgesamt zeigt sich, dass einsame, depressive und ängstliche junge Menschen eher zu einer intensiven Nutzung digitaler Medien neigen.
Ich würde sagen, dass die Zunahme der Einsamkeit in den letzten Jahren, die wir in großen Umfragen gesehen haben, darauf hindeutet, dass es ein relevantes Thema ist. Sei es durch die Pandemie verstärkt oder weil die Leute sich dem mehr bewusst sind – es scheint auf jeden Fall ein subjektiver Mangel empfunden zu werden.
Strukturelle Einflüsse spielen dabei eine große Rolle. Forschung zeigt, dass Stadtplanung Einsamkeit beeinflussen kann. Bevölkerungsdichte und das Vorhandensein von Gemeinschaftsräumen sind dabei entscheidend. In Großstädten gibt es oft ein Risiko der Anonymität, während in weniger dicht besiedelten Gebieten oft Angebote fehlen, bei denen man ohne hohe Hürden wie Vereinsmitgliedschaft oder Kosten in Kontakt kommen kann.
Diese Fragen werfen wichtige Überlegungen darüber auf, wie wir zusammenleben und unser eigenes Leben gestalten wollen. Natürlich gibt es Zwänge, etwa die Notwendigkeit, viel zu arbeiten, um den Lebensstandard zu halten. Trotzdem lohnt es sich, diese Fragen zu betrachten, weil eine Veränderung der gesellschaftlichen Haltung hin zu mehr Gemeinschaft und weniger Einsamkeit möglich ist. Menschen wollen mehr Zeit mit Familie und Freund*innen verbringen oder in einer Umgebung leben, die gemeinschaftliches Zusammenkommen erleichtert.
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Collage: „Canva“
Foto Dr. Mareike Ernst: Stefan Höning