Charlotte Kuhrt: „Ich habe keine Lust mehr, dauernd über mein Dicksein zu sprechen.“

Die Ruhe umfängt uns, sobald wir die hölzerne Gartentür hinter uns schließen. Keine vorbeirasenden Autos, keine quatschenden Menschen, einfach nur Ruhe. In der grünen Eingangstür steht bereits Charlotte Kuhrt und begrüßt uns mit einem strahlenden Lächeln. Den Follow-Button bei “Instagram” haben wir bei ihr schon seit langer Zeit gedrückt. Denn die Art Direktorin inspiriert seit mehr als sieben Jahren mit ihrer positiven Ausstrahlung, tolle Looks und mit ihrer wichtigen Message: Jeder Körper ist schön und sollte existieren ohne Furcht vor negativen Kommentaren oder Blicken. Wir haben Charlotte Kuhrt in ihrem neuen Zuhause in Potsdam besucht, in dem sie mit Ehemann Dustin und Hündin Polly lebt, um mit ihr über Körper, Kleider und Kindheit zu sprechen.

Helles Wohnzimmer von Charlotte Kuhrt - femtastics
Charlotte Kuhrt ist vor Kurzem mit ihrem Mann und Hund Polly nach Potsdam gezogen!

femtastics: Liebe Charlotte, erstmal vielen Dank, dass wir dich in deinem neuen Zuhause besuchen dürfen.

Charlotte Kuhrt: Sehr gerne. Für mich ist es auch etwas Besonderes. Seit einiger Zeit gebe ich nur noch ganz wenig Interviews.

Warum das?

Sobald ich meine Bubble verlasse und zum Beispiel ein Interview in den öffentlich-rechtlichen Medien gebe, bekomme ich immer sehr fettfeindliche Kommentare. Es ist, als hätte ich keinen Respekt verdient, nur weil ich dick bin. Gleichzeitig habe ich mit der Zeit gemerkt, dass ich gar nicht die ganze Zeit über meinen Körper sprechen oder nachdenken möchte.

Ich bin dick und fühle mich wohl in meinem Körper. Trotzdem erfahre ich jeden Tag Fatshaming. Mich 24/7 mit Körpern zu beschäftigen, war irgendwann zu krass und hat mir nicht mehr gut getan. Deshalb habe ich für mich entschlossen, dass es einfach reicht, wenn ich als dicker Mensch Raum im Netz einnehme und hier zeige, was mir Spaß macht und wer ich bin.

Du setzt dich auf “Instagram” für mehr Körperakzeptanz ein. Warum ist das noch immer so wichtig?

Ich bin selber dick und erlebe jeden Tag Fatshaming. Ich höre zum Beispiel immer wieder, dass dicke Menschen faul seien und nichts für ihren Körper tun würden. Was gar nicht stimmt. Uns wäre schon sehr geholfen, wenn schlanke Menschen mal darüber nachdenken, was für ein Privileg es ist, überall shoppen zu können oder nicht andauernd Kommentare zu meiner Gesundheit abgeben.

Rotes Sideboard im hellen Wohnzimmer - femtastics

Sobald ich meine Bubble verlasse und zum Beispiel ein Interview in den öffentlich-rechtlichen Medien gebe, bekomme ich immer sehr fettfeindliche Kommentare.

Charlotte Kuhrt in ihrem rosafarbenen Wohnzimmer - femtastics
Blumenarrangements - Homestory bei Charlotte Kuhrt - femtastics
In der Wohnung von Charlotte Kuhrt findet man in jedem Raum die Farben Rot, Orange oder Rosa.

In deinem Podcast hast du erzählt, dass du für dich Räume gefunden hast, in denen du nicht über deinen Körper nachdenken musst. Wie hast du das geschafft?

Indem ich offen mit Menschen darüber gesprochen habe. Leute aus meinem persönlichen Freundeskreis wissen, dass mich die Körper von anderen Menschen nicht interessieren und sie deshalb kein Thema bei uns sind.

Und es gibt Orte wie die Welpengruppe, die ich jede Woche mit Polly besuche. Dort muss ich nicht Charlotte Kuhrt sein. Dort bin ich einfach die Mutter von Polly. Es sind Orte, die ich aktiv gesucht oder zufällig gefunden habe. Mal ganz losgelöst zu sein und sich aktiv Zeit zu nehmen, sich nicht mit seinem Körper auseinanderzusetzen, hilft enorm.

Mich 24/7 mit Körpern zu beschäftigen, war irgendwann zu krass und hat mir nicht mehr gut getan.

Als wir vor Kurzem ein Interview mit Richlove Rockson veröffentlicht haben, waren darunter teilweise auch viele fettfeindliche Kommentare. Ist “Instagram” eine fettfeindliche Plattform?

Ich glaube, dass wir alle fettfeindlich sind, weil wir so aufgewachsen sind. Auch ich ertappe mich immer bei fettfeindliche Gedanken. “Instagram” ist eine Plattform, auf der wir uns vermeintlich perfekt zeigen. Doch davon ist Dicksein für viele Menschen weit entfernt.

Manchmal habe ich das Gefühl, dass es dicken Menschen übel genommen wird, dass sie sich in ihrem Körper wohlfühlen und das auf “Instagram” zeigen. Es ist, als würden wir die Arbeit, die manche Menschen in ihren Körper stecken, um eine gewisse Kleidergröße zu halten, in Frage stellen.

Wohnküche mit großen Fenstern von Charlotte Kuhrt - femtastics

Ich glaube, dass wir alle fettfeindlich sind, weil wir so aufgewachsen sind.

Weiße, offene Küche grenzt an den Wohnbereich - femtastics
Frische Blumen und florale Kunst in weißer Küche - femtastics
Überall im Zuhause von Charlotte Kuhrt stehen frische Schnittblumen und auch florale Kunst.
Charlotte Kuhrt hält eine Banane aus Glas - femtastics

Auch im Alltag fallen oft abschätzige Kommentare über dicke Menschen. Wie sollte man als Außenstehende*r reagieren?

Solche Momente sind für Betroffene sehr verletzend. Gerade deshalb finde ich es gut, wenn sich auch schlanke Menschen berufen fühlen, einzugreifen. Stopp sagen, Aussagen hinterfragen und die Situation ruhig unbequem werden lassen.

Was redest du? Warum machst du das? Dabei zeigt sich oft, dass es gelernte Ansichten sind, die über Generationen hinweg weitergegeben werden. Die Mutter, die andauernd Diäten gemacht hat oder die große Schwester, die Angst hatte, dick zu werden. Das sind Ansichten, die Kinder verinnerlichen und irgendwann nicht mehr rausbekommen, wenn sie sich nicht damit beschäftigen. Auch ich denke bis heute, dass ich mir Dinge verdienen müsste.

Ein Überbleibsel aus deiner Kindheit?

Leider ja. Meine Brüder und meine Mama haben immer Sport gemacht. Sie waren alle schlank und dann kam ich als dicke Jugendliche. Gerade meine Mutter konnte nicht gut damit umgehen, dass ich dicker war; auch dicker als sie.

Mir wurde immer gesagt, dass ich glücklicher wäre, wenn ich nur abnehme. Klar, dass ich irgendwann das Gefühl hatte, mein Körper sei so wie er ist, nicht okay. Es hat sehr viele Gespräche mit meiner Mama gebraucht, um das aufzuarbeiten und meine Grenze zu ziehen.

Abnehmen wird in unserer Gesellschaft noch immer als etwas Positives gesehen.

So ist es. Als ich einmal 20 Kilo abgenommen habe, haben mir alle gratuliert. Ich habe so viel Anerkennung bekommen wie noch nie in meinem Leben. Dabei hatte ich da bereits meine Ausbildung zur Make-up Artistin abgeschlossen und einen Job als Art Direktorin. Das Verrückte ist: Damals ging es mir so schlecht. Ich war 22 Jahre, habe kaum noch gegessen und den ganzen Tag über Kalorien nachgedacht.

Glücklicherweise habe ich es selbst gemerkt und die Reißleine gezogen. Es war ungesund. Ich habe erkannt, dass ich nur mit krassen Diäten eine Kleidergröße erreiche, die von der Gesellschaft akzeptiert wird. Ich musste lernen, mit meinem Körper auszukommen. Zu dieser Zeit wurden gerade Plus-Size-Models wie Ashley Graham bekannt. Als ich sie gesehen habe, dachte ich mir: Sie hat den gleichen Körper wie ich. Wie kann ich sie schön finden, aber mich selber nicht? Da habe ich erkannt, dass mir seit meiner Jugend gesagt wurde, dass Dicksein nicht schön sein kann. Ich hatte gar nicht den Raum zu lernen, wie ich meinen Körper lieben kann.

Mir wurde immer gesagt, dass ich glücklicher wäre, wenn ich nur abnehme. Klar, dass ich irgendwann das Gefühl hatte, mein Körper sei so wie er ist, nicht okay.

Was hat dir danach geholfen, deinen Körper zu akzeptieren?

Eines der größten Dinge für mich war und ist Mode. Wenn ich heute einen schlechten Körpertag habe, greife ich in meinem Schrank und ziehe mir was an, worin ich mich gut fühle. Ich habe gemerkt, dass ich als dicker Menschen nicht nur lange, schwarze Hosen tragen kann; dass es nicht nur darum geht, möglichst schlank zu wirken.

Ich höre manchmal immer noch: Querstreifen solltest du nicht tragen. Aber wer sagt das? Es passiert doch nichts, wenn ich Querstreifen trage. Natürlich gibt es noch immer Sachen, an die ich mich nicht herantraue. Aber diesen Raum sollte es auch geben. Zu sagen: Nein, das gefällt mir nicht oder darin finde ich meinen Körper nicht schön.

Trotzdem sollte man sich fragen, warum das so ist: Habe ich Angst, komisch angeschaut zu werden oder ist es, weil ich mich selbst darin nicht gut fühle? Generell glaube ich nicht, dass der Prozess, über den eigenen Körper und über Schönheit nachzudenken, irgendwann aufhört. Genauso wie es auch bei mir Tage gibt, an denen ich mich nicht zu 100 Prozent wohlfühle. Aber ich bin mittlerweile an dem Punkt, dass ich sage: Das ist mein Körper, ich bin dick. Ich fühle mich wohl.

Du hast vor Kurzem geheiratet. Warum hast du dich entschlossen, deine Brautkleidsuche von der “Vogue” begleiten zu lassen?

Dicke Bräute sieht man immer noch sehr selten, ich wollte für Sichtbarkeit sorgen. Außerdem geht es bei Brautmode oft darum, möglichst schlank auszusehen, vermeintliche Problemzonen sollen kaschiert oder versteckt werden. Sätze wie: „Das wird der wichtigste Tag deines Lebens“ und „Die Fotos werden für die Ewigkeit bleiben“, erzeugen zusätzlich Druck. Man will möglichst gut aussehen und möglichst gut ist oft gleichbedeutend mit möglichst schlank. Dabei heirate ich doch eine Person, die mich eh schon kennt.

Orangefarbenes Gäste-WC- femtastics
Charlotte Kuhrt liegt auf ihrem Bett - femtastics
Auch Charlotte Kuhrts Schlafzimmer findet sich die Farbe Orange.
Badezimmer mit Badewanne und hübschen Details - femtastics

Die Ehe wird als veraltetes Konstrukt auch immer wieder kritisiert. Was meinst du: Braucht es die Ehe überhaupt noch?

Ich verstehe die kritischen Stimmen und finde es auf jeden Fall sinnvoll, sich davor zu fragen: Warum möchte ich überhaupt heiraten? Will ich meine Liebe validieren? Kenne ich es einfach nicht anders? Will ich weniger Steuern zahlen? Brauche ich diese Sicherheit?

Für Dustin und mich war es nur eine romantische Geste. Ein schönes Versprechen zueinander und für eine gemeinsame Familie. Ob mit Kindern oder nur mit Hund, wissen wir noch nicht. Es ist dennoch krass, wie viel Wert bei Hochzeiten auf Traditionen gelegt wird. Dass Dustin meinen Nachnamen angenommen hat, fanden viele groundbreaking. Genau wie die Tatsache, dass mein Vater mich nicht zum Altar gebracht hat, um mich zu „übergeben“.

Wolltest du denn schon immer heiraten?

Ich glaube, ich wollte es mehr als mein Mann. Trotzdem hat er mir am Ende den Antrag gemacht. Ganz unkompliziert am Strand – ohne Ring. Aber der Moment hat einfach gepasst. Genauso entspannt war am Ende auch unsere Feier. Wir haben im Garten einige Tische aufgestellt und gut gegessen. Um 10 Uhr habe ich mir dann meinen Bademantel und ein Bier geschnappt und wir sind mit ein paar Leuten zum See neben unserem Haus gelaufen, um eine Runde zu schwimmen. Es war unsere Traumhochzeit.

Dass Dustin meinen Nachnamen angenommen hat, fanden viele groundbreaking.

Das klingt toll. Magst du uns noch etwas über deine Pläne für die Zukunft erzählen?

Um ehrlich zu sein, kann ich dazu gerade überhaupt nichts sagen. Ich habe letztes Jahr die Diagnose Depression bekommen und versuche seitdem herauszufinden, wie viel ich arbeiten kann, wie ich arbeiten möchte und was ich privat alles machen möchte.

Badezimmer-Details - femtastics
Charlotte Kuhrt trägt Lippenstift auf - femtastics
Charlotte Kuhrt ist ein Multitalent und arbeitet unter anderem als Model, Podcasterin und Art-Direktorin.
Portraitforos von Charlotte Kuhrt - femtastics

Was genau meinst du damit?

In einer meiner ersten Therapiestunden meinte meine Therapeutin plötzlich zu mir: „Wir reden jetzt seit fünf Stunden über deine Karriere. Aber was macht dich denn persönlich glücklich?“ Und ich saß wirklich zwei Minuten da und habe überlegt. Ich gehe gerne in den Garten und habe Spaß am Stricken. Aber das wäre keine Sachen, die ich hervorheben würde, wenn ich über mich erzähle. Dabei machen sie mich aus.

Deshalb sind meine Projekte für die Zukunft eher persönlicher Natur. Ich möchte auch außerhalb meiner Karriere Zufriedenheit finden und auch wieder persönliche Ziele haben. Ich möchte besser stricken, Dinge selber bauen, wieder mehr Dinge machen, die mir wirklich Spaß machen. Deshalb kann ich auch noch gar keine Zukunftsprognose geben. Das hört sich jetzt so traurig an, aber für mich fühlt es sich gerade sehr richtig an.

Vielen Dank für das schöne Gespräch, liebe Charlotte!

Hier findet ihr Charlotte Kuhrt:

9 Kommentare

  • Tina Sali sagt:

    Vielen Dank für diesen tollen und ehrlichen Beitrag! 💛💛🙏🙏

  • Steffi K sagt:

    Was für eine wunderschöne Story und was für eine starke, tolle Frau! Ich folge ihr schon lange auf Instagram aber jetzt bin ich noch mehr beeindruckt!

  • Vivian sagt:

    Eine so harmonische Einrichtung und eine mega Ausstahlung von Charlotte!
    Danke für diesen Einblick (auf allen Ebenen).
    Jetzt brauch ich nur noch den Hinweis zu den Wandfarben! Ich lieb alle!
    🙏🏻

  • Aylin sagt:

    Was für eine sympathische, tolle Frau, die so wichtige Arbeit mit ihrer Message leistet und nebenbei noch einen wunderschönen Geschmack hat! Charlotte ist für mich seit vielen Jahren ein großes Vorbild auf Social Media.

  • Katharina Klee sagt:

    Ein herrlich nahbares und offenes Interview, wie ich es von Charlotte auch nicht anders erwarten würde <3 Und ich liebe ihre stilvolle und farbenfrohe Einrichtung! DANKE Charlotte und femtastics!

  • Ronja sagt:

    Ich liebe und folge Charlotte schon so lange, höre gerne ihren Podcast und lass mich von ihren Looks inspirieren. Es freut mich so, sie jetzt in ihrem kleinen Paradies zu sehen. Irgendwie hab ich das Gefühl, die ist gesettelt und hat zurzeit viel innere Ruhe in sich. Das macht mich froh! Danke für die tollen Fotos und den Artikel 🙂

  • Katrin sagt:

    Ich liebe Charlotte und es macht mich traurig, wie viel Ihr über ihr Dicksein schreibt! In einer Homestory! Und dass, obwohl sie nicht mehr so viel darüber sprechen wollte…
    Wieso fragt Ihr nicht nach dem Haus, den Wandfarben, den selbst gebauten Stücken…? Das könnt Ihr besser. Hoffe ich…

    • Lisa van Houtem sagt:

      Hey Katrin, danke dir für die Rückmeldung! Wir haben das Wortlaut-Interview so mit Charlotte abgestimmt und es wurde auch von ihr freigegeben. Wir verstehen deine Kritik, aber es kennen natürlich längst noch nicht alle unsere Leser*innen Charlotte und ihre wichtige Botschaft, deswegen war es uns wichtig, darauf noch mal einzugehen (was für Charlotte wie gesagt auch okay war und ist). Liebe Grüße!

  • Isabell sagt:

    Was für ein toller und relevanter Beitrag! Ich finde Charlotte wunderbar und liiiebe die Outfits, die sie hier zeigt. Außerdem hat mich das Interview sehr berührt und bestätigt das, was ich in meinem Umfeld auch erlebe. Ich bin zwar nicht dick, aber mein Cousin und es wird viel darüber geredet. Auch bekommt er teilweise direkte Anweisungen innerhalb der Familie, doch endlich mal abzunehmen, das wäre ja zu schlimm. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es sehr schwierig ist, die Menschen umzustimmen oder überhaupt ins Gespräch zu treten. Ich sage dann eigentlich immer etwas dazu, weil ich es nicht ertragen kann und entwürdigend finde. Aber die Reaktionen sind dann oft sehr abwehrend und stur àla „Ich kann finden, was ich finde.“ oder „Er wird so aber früh krank werden.“ Das macht mich oft wahnsinnig, aber ich gebe nicht auf! 🙂

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