Der Prototyp des Hauses, mit dem „Cabin Spacey“ das Wohnen revolutionieren will, steht momentan auf einem Parkplatz zwischen Industriearchitektur, Ikea und Bürogebäuden in Berlin-Tempelhof: ein Tiny House, das insgesamt 28 Quadratmeter misst. Beim Betreten des Hauses ist man überrascht wie groß der Innenraum wirkt und dass tatsächlich kompromisslos alles Wichtige vorhanden ist: das Bad mit Dusche, eine perfekt ausgestattete Küche, ein großes Bett im oberen Teil, ein Esstisch, eine gemütliche Sitzbank mit Kissen, und sogar diverse Smart-Home-Elemente. Dieses „Minimal Haus“ hat der Architekt Simon Becker (32) mit seinem Berliner Start-Up „Cabin Spacey“ entwickelt. Während des Interviews mit ihm vergessen wir fast, wo wir uns befinden, denn trotz der riesigen Glastüren, Fenster und der Parkplatzsituation fühlt es sich im Tiny House sehr heimelig an.
Simon Becker: Tiny Houses kommen ursprünglich aus den USA und gehen bis in die 90er-Jahre zurück. Sie sind aus der DIY-Szene entstanden, oftmals aus der Not heraus. In den vergangenen Jahren haben sie sich zu einem Trend entwickelt, weil sie in mehrerer Hinsicht den Zeitgeist treffen: Flexibilität, das Versprechen von Freiheit, Downsizing, der Überdruss gegenüber den vielen Produkten und Dingen, die uns umgeben und die eine Verpflichtung darstellen … Früher hatte Camping eine ähnliche Konnotation.
Hier in Deutschland spaltet sich der Trend in zwei Lager: Auf der einen Seite gibt es diejenigen, die sagen, es geht um DIY: ein Haus ganz einfach selber bauen und ganz flexibel überall wohnen können. … Allerdings ist es in Deutschland nicht ganz so einfach, es gibt sehr viele Regeln und man kann nicht einfach irgendwo ein Haus aufstellen. Auf der anderen Seite gibt es Menschen – zu ihnen gehören auch wir –, die das Konzept des Minimal Hauses weiter verfolgen. Man kann auch auf kleinem Fußabdruck sehr gut und hochqualitativ leben. Es geht nicht um die Größe eines Hauses, es geht um den Grundriss und um die Art und Weise wie das Haus gestaltet ist. In diesem Modellhaus zeigen wir, wie gut das funktionieren kann. Wir bieten ein Produkt an, das im Bereich zwischen konventionellem Wohnraum – also der „Drei-Zimmer-Küche-Bad-Wohnung“ – und einem Hotel liegt.
Ich habe mich schon während meines Architekturstudiums viel damit beschäftigt wie man Architektur neu denken kann. Die Planer haben eine hohe Verantwortung dafür wie Städte gebaut werden. Diese wird nicht immer wahrgenommen, vor allem, weil Architekten einfach nicht ökonomisch arbeiten. Deswegen habe ich das stark hinterfragt und verschiedenste Konzepte entwickelt. Mir war relativ schnell klar: Ich will etwas Eigenes machen. Ich habe mich mit kleinen Häusern beschäftigt, weil verschiedene Trends zusammenkamen: Wohnungsknappheit, Verdichtung, Städte im Fokus, Minimalismus, hochwertiges Design, Smart Home … Aus diesen Themen ist die Idee zu „Cabin Spacey“ in einem organischen Prozess entstanden. Als junge Firma entwickeln wir uns nach wie vor stark weiter.
Ich habe mich mit kleinen Häusern beschäftigt, weil verschiedene Trends zusammenkamen: Wohnungsknappheit, Verdichtung, Städte im Fokus, Minimalismus, hochwertiges Design, Smart Home …
Wir bieten eine nachhaltige, flexible Zuhause-Lösung. Sozusagen Architektur als ein Produkt, welches man relativ einfach beziehen kann und welches einen sehr flexiblen, breiten Anwendungsbereich hat. Unsere „Minimal Haus“-Konzepte haben viele Use Cases, zum Beispiel als Ferienhäuser, sowie Zweit- und Dritthaus-Optionen. Ebenso im Bereich Hotellerie, die unsere Häuser als zusätzliche Zimmer nutzen kann. Ich stelle mir zum Beispiel ein Haupt-Hotelgebäude irgendwo in den Bergen vor, und dann 20 „Minimal Häuser“ dazu, was ein unfassbar schönes Bild ergibt. Dieser Blick durch die Giebelfenster …
Aber auch das Thema Städte-Nachverdichtung ist sehr interessant. Wir können vorhandene Ressourcen der Stadt schnell und flexibel mit unseren Produkten nutzen und zusätzlichen Wohnraum schaffen. Zum Beispiel auf Brachflächen, Parkplätzen, die nicht genutzt werden, oder auch auf Dachflächen. An der Bebauung von Dachflächen hängt wirklich unser Herz. Das würden wir sehr gerne umsetzen.
Es ist der Lifestyle, der die Leute anzieht. Das Wohnen in einem solchen Haus verspricht ein einfaches Leben. Und was rational sehr stark dafür spricht, sind die Preissicherheit, die hohe Baugeschwindigkeit und die Prozessqualität. Man muss als Bauherr fast nichts machen, außer das Haus zu bestellen, ein paar Sachen zu konfigurieren und das Grundstück mitzubringen. Das war’s. 12 Wochen später hat der Kunde sein Haus. Wir machen es möglich, in sehr kurzer Zeit einen Traum Realität werden zu lassen.
Die Bauindustrie und die Wohnbaubranche sind an einer einzigen Leistungskennzahl orientiert, und das ist der Preis pro Quadratmeter. Alle fragen danach, aber niemand fragt nach Qualität pro Quadratmeter. Das ist genau das, was wir hier verändern wollen. Es geht nicht darum, einfach schieren Platz zu schaffen, sondern darum, eine hohe Wohnqualität zu schaffen, egal auf welcher Größe. Das ist durch viele Stilmittel möglich, zum Beispiel durch geschickte Fensteröffnungen und durch unterstützende Technologie, mit der sich ein Raum individualisieren lässt.
Die Frage ist: Was braucht man wirklich, um als moderner Mensch gut zu wohnen oder unterzukommen? Denn dieses Wohnen ändert sich ja ganz enorm: Viele junge Menschen legen ihren Fokus und Fixpunkt gar nicht mehr auf ein Zuhause, sie sind sehr viel unterwegs und kommen eben immer wieder irgendwo unter. Sie suchen natürlich auch eine gewisse Qualität, aber da spielt die Größe gar nicht so eine Rolle. Es geht eher darum, sich schnell zurechtzufinden, einen Wohnraum zu haben, der praktisch ist, den man schnell beziehen kann und aus dem man auch schnell wieder ausziehen kann.
Alle fragen nach Preis pro Quadratmeter, aber niemand fragt nach Qualität pro Quadratmeter. Das ist genau das, was wir hier verändern wollen.
Wir setzten natürlich auf den Wohlfühlfaktor. Der Trick ist nicht, nur ein kleines Haus zu bauen. Dass das Haus klein ist, gibt uns den Vorteil, dass es transportierbar ist und dass man es am Stück in einer Halle fertigen kann. Es beinhaltet also eine Flexibilitätskomponente. Viel Licht ist ganz wichtig, das erhöht den Wohlfühlfaktor, Ruhe im Design – man braucht eine relativ klare Linienführung, die das Auge nicht stört. So kann man das Haus besser überblicken und das wiederum gibt einem ein Gefühl von Sicherheit. Man braucht definitiv Bad, Bett, Küche, Tisch und einen Platz zum Rumliegen. Es ist auch wichtig, dass alle Systeme konventionell laufen wie Wasseranschluss und Stromanschluss.
Bei manchen Elementen haben wir uns ganz bewusst dafür entschieden, sie statisch zu gestalten, konkret sind das Tisch und Bett. Wie mögen zwar transformierbare Räume, aber ein Bett muss seinen festen Platz haben. Da will man sich einfach hinlegen können und nicht mitten im Wohnraum liegen oder erstmal irgendetwas umbauen müssen. Genauso der Tisch: Er bildet oft den Mittelpunkt eines Raumes und sollte an seinem Ort bleiben.
Unsere Zielgruppe ist geprägt durch das „Access over Ownership“-Prinzip. Es geht also nicht darum zu besitzen, sondern zu benutzen. Wer dieses Prinzip lebt, versucht einen schlanken Lebensstil zu führen, der Flexibilität ermöglicht. „Mein Rucksack ist mein Büro und mein Koffer ist mein Kleiderschrank.“ So bewege ich mich ungebunden und brauche nicht viel. Aber bei den Dingen, die ich brauche, erwarte ich eine hohe Qualität. Das ist genau das, was wir bieten wollen.
Wir müssen im Grunde differenzieren zwischen Kunden und Nutzern. Bei der Nutzergruppe geht es um junge, flexible Menschen, die das beschriebene Prinzip leben – man könnte sagen, „urbane Nomaden“. Auf der Kundenseite gibt es zum einen die Hotels und Wohnbaugesellschaften, die unsere Produkte kaufen und dann vermieten. Andererseits gibt es direkte Kunden, die unsere Häuser als Zweit- oder Dritthaus kaufen – als Fluchtort, um der Stadt zu entkommen, als Seminar- oder Projektraum, oder als Wochenendhaus.
Wenn wir davon ausgehen, dass Mobilität immer einfacher wird – selbstfahrende Autos und so weiter – werden wir wahrscheinlich versuchen, die Benefits beider Welten – Stadt und Land – gleichermaßen zu genießen.
Wir sitzen hier in unserem Prototypen. Es ist momentan auch unser einziges voll ausgebautes „Minimal Haus“, in dem man wohnen könnte. Aktuell arbeiten wir an einem halben Dutzend Häuser für Kunden, die es für sich kaufen, und auch an Projekten im gewerblichen Kontext arbeiten wir.
Ja, durchaus. Allerdings gibt es zu jedem Trend einen Gegentrend. Der eine Trend ist die Stadt und der andere das Land. Viele Bekannte von mir sagen im Moment: „Komm, lass uns einen Bauernhof ausbauen!“. Das ist natürlich eine romantische Vorstellung. Wenn wir davon ausgehen, dass Mobilität immer einfacher wird – selbstfahrende Autos und so weiter – werden wir wahrscheinlich versuchen, die Benefits beider Welten – Stadt und Land – gleichermaßen zu genießen.
Die Frage wird dann vermutlich nicht mehr sein: „Wann fahren wir mal raus aufs Land?“ Sondern: „Wann fahren wir mal wieder in die Stadt? Wann muss ich eigentlich in der Stadt sein?“ Ich denke, Technologien in unserem Zuhause werden auch immer weiter entwickelt werden. Vermutlich sogar über Schwellen der Intimität hinweg, die wir uns momentan noch nicht vorstellen können. Trotzdem wird Wohnen immer eine starke Komponente haben von sich-zuhause-Fühlen, von Geborgenheit und Gemütlichkeit, Holz, Wärme, Pflanzen.
Momentan entwickelt sich der Wohntrend weg vom funktionalen Wohnen. Weg von Küche, Bad, Schlafzimmer in ihrer reinen Funktion. Es gibt eher unterschiedliche Bereiche im Sinne von Entertainment, Wellness, Communication, Recreation. Und diese Bereiche verbinden sich dann. Zum Beispiel der Trend „offene Küche“: Früher hatte die Küche eine klare Funktion, nämlich die einer Werkstatt. Heute ist sie ein Kommunikationsraum, deshalb ist sie offen.
Unsere Zielgruppe ist geprägt durch das „Access over Ownership“-Prinzip. Es geht also nicht darum zu besitzen, sondern zu benutzen.
Das schönste Kompliment ist, wenn Leute hier ins Haus kommen und total überrascht davon sind, wie viel größer als gedacht es im Inneren ist. Das zeigt, dass wir eine gute Arbeit gemacht haben mit der Illusion, die wir verkaufen. Es sind ja nur 28 Quadratmeter und dass die sich nach viel mehr anfühlen, ist genau was wir erreichen wollen.
Auch relativ klein. Wir wohnen zu zweit auf 60 Quadratmetern in einem Dachgeschoss. Es ist sehr hell, das war mir wichtig. Auch da war uns die Qualität des Wohnraumes wesentlich wichtiger als die Quadratmeterzahl. Es ist ja immer das Gleiche: Es gibt die Fragen nach dem Wohnort, den Quadratmetern, dem Preis. Benchmark. Ist das wirklich so? In einer 100-Quadratmeter-Wohnung mit nur einem Fenster hätte man doch ein furchtbares Raumgefühl!
Interview: Marie Freise
Fotos: Juliane Eirich
Layout: Kaja Paradiek