Wir treffen die Grafikdesignerin und Illustratorin Swantje Hinrichsen (38) in ihrem wunderschönen Zuhause in Münster. Wir wollen ganz viel über Interior, ihr Label „Swantje & Frieda“ und ihren sehr erfolgreichen Instagram-Account reden, aber dann kommt alles anders. Denn Swantje erzählt uns, wie ihre Hochsensibilität jeden Bereich ihres Lebens beeinflusst und wie sie eine Beziehung mit einem psychisch kranken Partner verarbeitet hat. Wir dürfen eine Swantje kennenlernen, die offen über diese Themen reden kann. Die lacht, wenn sie über ihre posttraumatische Belastungsstörung und kräftezehrende Therapie-Sitzungen redet. Die an die Liebe glaubt, an die Kraft bunter Farben und an die positive Wirkung einer Instagram-Filterblase. Eine erwachsene Pippi Langstrumpf in gelben Socken und mit dem Wunsch, ganz viel zu bewegen und weiterzugeben. Am Ende des Gesprächs schließt sich der Kreis. Denn wer glaubt, dass Swantjes Wohnung in der Realität nicht so aufgeräumt ist wie auf ihren Fotos, der irrt. Ordnung heißt nicht Perfektion, sondern ist das Resultat emotionaler Bedürfnisse.
Mein Zuhause ist meine Tankstelle. Es ist ein Ort, der mich auffängt.
Swantje Hinrichsen: Seit dem Sommer 2015. Ich hatte gerade eine sehr schwere Zeit hinter mir, als mein jetziger Freund und ich dieses Haus hier entdeckten. Und ich wusste sofort, dass ich hier einziehen will.
Mein Zuhause ist meine Tankstelle. Es ist ein Ort, der mich auffängt. Gerade nach einem anstrengenden Arbeitstag und weil ich hochsensibel auf die Welt gekommen bin. Meine Wohnung muss Ruhe ausstrahlen, weil in meinem Kopf genug Chaos herumschwirrt.
Das ist sehr individuell und die eigenen Charaktereigenschaften spielen dabei eine große Rolle. Es gibt Leute, die gut damit zurechtkommen, bei anderen ist es ganz schwierig. Für mich sind es besondere Eigenschaften, die positiv oder negativ ausgelegt werden können. Es ist eine erhöhte Wachsamkeit und enorme Empathie, die bei mir häufig mit großer Harmoniebedürftigkeit und hoher Geräuschempfindlichkeit einhergeht. Ich kann Stimmungen im Raum sofort erfassen und möchte sie, wenn es schlechte oder unangenehme Stimmungen sind, immer bereinigen. Genauso gibt es Menschen, die gar nicht wissen, dass sie hochsensibel sind und wiederum andere, die das als eine Trendkrankheit bezeichnen.
Ohne meine Hochsensibilität könnte ich nicht das machen, was ich mache – dieses reinempfinden und reinversetzen. Von einigen Kunden habe ich gehört, dass sie das meiner Arbeit ansehen und genau deshalb mit ihrem Auftrag zu mir gekommen sind.
Ich habe schon gemalt, so lange ich denken kann und habe mich als Kind oft in mein Zimmer zurückgezogen. Dort war ich in meiner Welt. Meine Tante hat, als ich 13 oder 14 Jahre alt war, ein paar Semester Grafikdesign studiert – ich wollte das unbedingt auch.
Ich habe Kommunikationsdesign auf Diplom in Mainz studiert. Ich habe bei mir Zuhause im Hunsrück erst ein Praktikum in einer kleinen Agentur gemacht. Dort kam ich das erste Mal mit den ganzen Programmen in Berührung, durfte ein Logo nachbauen, mir meine eigenen Visitenkarten machen. Durch mein schlechtes Abi bin ich leider ins Wartesemester gerutscht. Der Art-Direktor aus der Agentur gab mir aber einen Vollzeit-Job bei sich. So konnte ich Praxiserfahrung sammeln und als das Studium begann, war ich mit die einzige, die schon mit allen Programmen umgehen konnte. Dadurch wiederum konnte ich ganz viel neben dem Studium arbeiten. Mit 25 war ich dann ein paar Monate in Holland für eine Art Praxissemester. Das war die schönste Zeit meines Arbeitslebens, weil die Holländer so offen sind und sofort Vertrauen in dich haben.
Der Alltag mit einem psychisch kranken Partner kann unfassbar kräftezehrend sein. Und es ist sehr schwierig, sich aus diesem Helfersyndrom zu befreien.
Ja, ich habe in Köln in ein paar Designbüros festangestellt gearbeitet. Nach zwei Jahren habe ich mich endlich selbstständig gemacht. Ich habe erst ein halbes Jahr Zuhause gearbeitet und dann 2010 meine Freundin Dani kennengelernt und eine Bürogemeinschaft gegründet. Wir haben uns das „Studio Circus“ genannt.
Das war mein Lieblingsort. Vor allem, weil ich damals privat eine schwierige Zeit durchmachte. Nach drei oder vier Jahren Beziehung erkrankte mein damaliger Freund an Depressionen, die in einer Psychose und schließlich Schizophrenie mündeten. In dieser Zeit bin ich in eine Art Helfersyndrom gerutscht und habe funktioniert, bin normal meiner Arbeit nachgegangen und hatte sehr viel Unterstützung von meinem Freundeskreis. Der Alltag mit einem psychisch kranken Partner kann unfassbar kräftezehrend sein. Und es ist sehr schwierig, sich aus diesem Helfersyndrom zu befreien.
Mir ist es an einem Morgen wie Schuppen von den Augen gefallen und ich wusste, dass ich mein Leben so nicht weiterleben konnte und wollte.
Irgendwann und nach langer Zeit des Nichtwahrhabenwollens habe ich es geschafft, mich zu trennen. Mir ist es an einem Morgen wie Schuppen von den Augen gefallen und ich wusste, dass ich mein Leben so nicht weiterleben konnte und wollte. Es war hart und natürlich sehr emotional, aber ich wusste, dass mich diese Situation sonst kaputt machen würde.
Nach einem Trauma wartest du immer auf die nächste Katastrophe. Und das war mein Dauerzustand eineinhalb Jahre lang, bis ich zusammengebrochen bin.
Nach der Trennung bin ich an einer posttraumatischen Belastungsstörung erkrankt. Denn eine langanhaltende, schwere und aufreibende Zeit, die eine Seele mitmacht, kann auch ein Trauma sein. Es muss nicht unbedingt ein einziges Erlebnis sein, habe ich später gelernt.
Nach einem Trauma wartest du immer auf die nächste Katastrophe. Und das war mein Dauerzustand eineinhalb Jahre lang, bis ich zusammengebrochen bin. Sogenannte Flashbacks in Form von lauten Geräuschen haben meine Seele und meinen Kopf das Trauma wieder und wieder erleben lassen. In einer speziellen Trauma-Therapie habe ich danach gelernt, dass Geräusche von draußen meine eigenen Grenzen eingerissen haben. Ich hatte keine Kontrolle mehr über meine Grenzen, weil diese Geräusche ohne meinen Willen in meinen persönlichen Raum eingedrungen sind. Ich konnte mich nicht mehr zurückziehen. Es fühlte sich für mich an als drangen Geräusche von draußen durch unsere Hauswände und erdrückten mich. Das habe ich in einer Therapie aufgearbeitet.
Ich möchte dabei helfen, dass Themen wie Depressionen, Schizophrenie und Helfersyndrome enttabuisiert werden.
Ich möchte dabei helfen, dass Themen wie Depressionen, Schizophrenie und Helfersyndrome enttabuisiert werden. Dadurch sollen es mehr Menschen schaffen, sich Hilfe zu holen. Denn wir alle sind nicht allein mit unseren Erkrankungen. Wir haben alle unsere Kämpfe zu kämpfen, alle unsere Päckchen zu tragen. Wenn diese zu schwer werden und nichts mehr weiterzugehen scheint, dann ist es gut zu wissen, dass es Unterstützung gibt. Zudem geben mir Interviews die Möglichkeit, so oft und so offen wie möglich über meine Erlebnisse zu sprechen. Auch das ist Teil des Verarbeitens.
Die ersten Male hat mich Kritik getroffen. Weil ich im gewissen Maße hier auch mein Innerstes zeige. Mein Bedürfnis nach Ordnung und Ruhe, das bin ich selbst. Meine Wohnung ist ein Ausdruck davon, was ich brauche. In meinem Kopf herrscht ein ständiges Chaos, deshalb brauche ich um mich herum Ruhe, Aufgeräumtheit und Freiheit. Auch wenn es die Leute nicht glauben wollen, dass es in meiner Wohnung auch in der Realität so aufgeräumt aussieht wie auf meinen Bildern. Und für ganz schlimme Beleidigungen gibt es bei Instagram ja den Worte-Filter. Deshalb kommen „Arschloch“-Botschaften erst gar nicht bei mir an. Ich merke irgendwie gar nicht, dass ich 80.000 Follower habe – das ist zu abstrakt für mich.
Ich habe damit erst richtig angefangen als wir hier eingezogen sind. Ich habe ein Foto von unserem Sofa gepostet mit dem Text „Hallo Münster, hier bin ich“ und dann hagelte es Likes. Ich habe mich schon immer für Interior interessiert und mochte den holländischen und skandinavischen Stil. Es war eine weitere Möglichkeit, meiner Kreativität Ausdruck zu verleihen. Und das ist es auch noch heute.
Interior ist auf Instagram ein kuschliger Ort. Nichts im Verglich zu der Fashion- oder Beauty-Szene, da wird viel mehr kritisiert und geneidet. Einrichtung ist meiner Meinung nach ein bisschen zugänglicher als Grafikdesign. Außerdem ist es vielen inzwischen sehr wichtig, wie sie ihr Zuhause einrichten.
Und ich habe viele Freunde über Instagram in echt kennenlernen dürfen. Auf Presseterminen treffe ich viele Gleichgesinnte mit ähnlichen Werten. Da finde ich viel Verständnis für meine Farben- und Formenliebe oder meine Leidenschaft für Papier, schönes Design und Interieur.
Digitale Auszeiten sind mir sehr wichtig und ich brauche sie, um wieder andere Perspektiven einnehmen zu können.
Ich glaube, das brauchen wir tagtäglich und überall. Deshalb erzähle ich auf Instagram auch manchmal von meiner Geschichte. Dass ich hochsensibel bin und an einer wiederkehrenden posttraumatischen Belastungsstörung leide. Das ist meine Art. Ich möchte, dass die Leute wissen, dass hinter diesem Account ein Mensch steckt. Und wieso es manchmal dauern kann, bis ich wieder etwas poste oder auf Nachrichten reagiere. Ich mache Instagram nur nebenher, denn ich habe einen Vollzeitjob und möchte nicht, dass mein Sozialleben zu kurz kommt. Digitale Auszeiten sind mir sehr wichtig und ich brauche sie, um wieder andere Perspektiven einnehmen zu können. Ich habe eine Regel: Solange mir ein Projekt, mein Job oder auch Instagram Spaß macht und Freude bereiten, solange mache ich es. Macht es keinen Spaß mehr, lege ich eine Pause ein.
Ich glaube, dass ich durch meine Hochsensibilität das Talent besitze, mich gut in Menschen hineinzuversetzen und Dinge manchmal aus deren Perspektive betrachten zu können. Viele erkennen sich in meinen Produkten und meiner Arbeit wieder. Es ist manchmal ein bisschen verrückt, aber ich brauche gar nicht viel zu tun und habe noch nie Akquise betrieben. Ich möchte noch so viel anderes machen. Ich würde gern einen Interior-Styling-Service anbieten und ein Blog über Interior-Design aufbauen, damit ich mehr schreiben kann. Aber wenn das Kind in mir so richtig euphorisch Pläne schmiedet, sagt mir mein erwachsenes Ich, dass ich dafür etwas anderes aufgeben müsste. Und soweit bin ich noch nicht.
Meine positive Grundeinstellung zum Leben hat mich durch viele schlimme Phasen gebracht.
Manchmal denke ich, dass ich nicht weiß, wo ich wäre, ohne diese positive Energie. Oder ohne den Glauben daran, dass alles auch seine guten Seiten hat und für irgendetwas gut ist. Meine positive Grundeinstellung zum Leben hat mich durch viele schlimme Phasen gebracht und mich sozusagen überleben lassen. Aber ich fange auch schnell an, mir Sorgen zu machen und steigere mich in Dinge und meine Fantasie hinein. Deshalb mache ich mit meiner Therapeutin Übungen mit der kleinen und der großen Swantje. Wenn ich mich als kleine Swantje wieder in etwas reinsteigere, übernimmt die erwachsene Swantje und sagt, dass sie sich jetzt ganz in Ruhe um alles kümmert. Und ich habe drei Kobolde in mir selbst bestimmt. Den Menstruations-Kobold, der mir jeden Monat PMS beschert, den Schlechtes-Gewissen-Kobold und einen Kontroll-Kobold, die beide sehr streng mit mir sind und sagen, dass ich nicht gut genug bin. Und wenn diese Kobolde zu laut sind, schicke ich sie einfach vor die Tür. In solchen Situationen hilft mir auch Bewegung, am liebsten ein langer Lauf in der Natur, um mich wieder zu sortieren und alles einzuordnen.
Es ist tatsächlich egal, von wo ich arbeite, weil ich Kunden auf der ganzen Welt habe. Aber ich bin froh, dass ich eine Bürogemeinschaft mit zwei lieben Freundinnen habe. Leider komme ich nicht so richtig in Münster an, mir fehlen hier die Ecken und Kanten und die Inspiration. Aber für die Phase, in der ich mich gerade befinde, ist es genau das Richtige. Weil es mich auf eine Ebene bringt, die ich mir immer gewünscht habe. Es läuft einfach alles irgendwie. Und nach langer schwieriger Zeit kann ich endlich sagen: Es geht mir sehr gut!
Fotos: Susanne Lüdeling
Text: Anissa Brinkhoff
Layout: Kaja Paradiek
5 Kommentare
Wow, die Bilder, der Text! Super inspirierend!
tolles Interview!
Swantje, du bist toll – dass dein Zuhause wunderschön ist, wussten wir ja schon lange! Ein dickes Dankeschön aber vor allem für deine offenen Worte, die sicherlich vielen Menschen Mut machen!