Brand New Bundestag: Warum der Bundestag dringend diverser werden muss
19. Februar 2025
geschrieben von Gastautor*in

Seit 2019 setzt sich die Graswurzelorganisation „Brand New Bundestag“ (BNB) dafür ein, dass der Bundestag und die Landesparlamente die Vielfalt der Gesellschaft besser widerspiegeln. Bisher haben sie 12 progressive Kandidierende auf ihrem Weg in den Bundestag und in Landesparlamente unterstützt. Dieses Jahr sind es so viele wie nie zuvor: 57 Kandidierende in 14 Bundesländern erhalten ihre Unterstützung. Wir sprechen mit Clara Ludwig, Kommunikationskoordinatorin von BNB, über rechtspopulistische Herausforderungen, ihre Arbeit und wie Vernetzungsstrategien die Demokratie stärken können.
femtastics: Was hat dich motiviert, bei „Brand New Bundestag“ mitzuarbeiten?
Clara Ludwig: Vor meiner Arbeit bei „BNB“ war ich im Bundestag tätig und habe dort selbst erlebt, wie wenig divers die politische Landschaft ist und dass Parteipolitik anstelle von inhaltlichen Kompromissen im Vordergrund steht. Dass „BNB“ genau diese Probleme adressiert, hat mich begeistert.
Historisch gesehen ist Politik leider eine Männerdomäne und es gibt viele Strukturen, die das fortsetzen.
Insbesondere Nicht-Akademiker*innen, migrantische, queere und junge Menschen sowie Frauen* sind in der Politik unterrepräsentiert. Warum ist es für diese marginalisierten Gruppen nach wie vor so schwierig, in die Parlamente zu gelangen?
Das hat tatsächlich ganz unterschiedliche Gründe. Historisch gesehen ist Politik leider eine Männerdomäne und es gibt viele Strukturen, die das fortsetzen. Zudem ist der Politikbetrieb schwer zugänglich. Es braucht ein großes Netzwerk, ehrenamtliches Engagement und zeitliche Flexibilität – das kann sich nicht jede*r leisten. So finden Sitzungen zum Beispiel oft abends statt, was Menschen mit Kindern ausschließt.
Hat sich seit eurer Gründung 2019 diesbezüglich etwas getan?
Das Bewusstsein für das Problem ist definitiv gewachsen. Es ist gesellschaftlich präsenter, dass viele Gruppen in der Politik und auch medial unterrepräsentiert sind. Trotzdem bewegen sich Parteien, auch mit diesem Wissen, häufig sehr behäbig. Ich wünsche mir, dass dieser Umwälzungsprozess schneller geht.
Welche Perspektiven bringen sie mit, die in der Politik fehlen?
Ihr habt Anfang Januar eine Studie veröffentlicht, die zeigt, dass der neue Bundestag höchstwahrscheinlich älter, männlicher und weniger divers sein wird. Wie wählt ihr eure Kandidierenden aus, um dem entgegenzuwirken?
Jede*r kann auf unserer Webseite Kandidierende nominieren oder auch sich selbst vorschlagen. Im Bewerbungsverfahren geht es dann um die Fragen: Welche progressiven Anliegen verfolgen sie? Vor welchen Hürden stehen sie im Politikbetrieb? Und welche Perspektiven bringen sie mit, die in der Politik fehlen? Über die finale Auswahl entscheidet dann eine Jury, zusammengesetzt aus unseren ehrenamtlichen Volunteers, Menschen aus der Zivilgesellschaft und BNB-Kolleg*innen.
Und wie geht es dann weiter? Wie genau unterstützt ihr die ausgewählten Kandidierenden?
Jede*r Kandidierende*r erhält eine „BNB“-Ansprechperson. Unser Fokus liegt auf strategischer Beratung, damit die Kandidierenden auf gute Listenplätze kommen und Direktmandate erhalten. Zudem bieten wir ein freiwilliges Curriculum mit verschiedenen Kursen an, wie Campaigning, Fundraising, Rhetorik-Trainings, Resilienz-Trainings, Pressearbeit und Social Media.
Besonders empowernd finde ich die Kandidierenden-Wochenenden: Hier lernen sich die Kandidierenden persönlich kennen, vernetzen sich – und unterstützen sich vor allem parteiübergreifend gegenseitig.
Wie ist eure Zusammenarbeit nach dem Einzug in die Parlamente?
Wir arbeiten weiterhin eng mit ihnen zusammen, vernetzen sie und initiieren politische Vorhaben. Unsere Movement Politics Plattform bringt progressiv denkende Abgeordnete über Parteigrenzen hinweg zusammen, um gemeinsam politische Vorhaben voranzutreiben. Da versuchen wir frühzeitig Möglichkeitsfenster zu identifizieren und zu nutzen.
Der Rechtsruck zeigt, wie wichtig unsere Arbeit ist. Wenn überparteiliche Kompromisse scheitern, profitieren rechtspopulistische Kräfte.
Nun scheinen diese Möglichkeitsfenster aktuell durch den Zulauf für konservative sowie rechtspopulistische Parteien bedroht. Welche Strategien setzt ihr dagegen ein?
Gerade der Rechtsruck zeigt, wie wichtig unsere Arbeit ist. Wenn überparteiliche Kompromisse scheitern, profitieren rechtspopulistische Kräfte. Wir setzen genau da an, indem wir demokratische progressive Stimmen vernetzen. Dafür haben wir Zugänge zu jeder demokratischen Partei.
Zurzeit ist es nicht einfach, Aufmerksamkeit für progressive Politik zu bekommen. Deshalb versuchen wir, über Social Media neue Zielgruppen zu erreichen – auch außerhalb der klassischen Politik-Bubble. Ein Beispiel ist unsere enge Zusammenarbeit mit der Schauspielerin Pheline Roggan.
Jede Demo, auf die man geht, macht einen Unterschied.
Du hast es gerade schon erwähnt. Viele Menschen sind gerade politisch frustriert, insbesondere nachdem die „CDU“ einen Antrag im Bundestag eingebracht hat, der mit „AfD“-Unterstützung angenommen wurde. Wie motiviert Ihr dennoch zum Engagement?
Jede politische Krise ist ein Momentum, in dem viele Leute entscheiden: „Hey, ich muss jetzt auch was machen.“ Das merken wir auch an dem Zulauf, den wir gerade jetzt wieder erhalten. Genau das versuchen wir rüberzubringen: Jede*r Einzelne von uns kann etwas bewirken, denn viele kleine Schritte sind in der Summe wichtig. Jede Demo, auf die man geht, macht einen Unterschied. Genauso wie Menschen, die man zum Wählen begeistert.
Unser eigener Weg zeigt das: Wir haben als reine Volunteer-Organisation angefangen, die ersten Menschen in Parlamente gebracht – und unterstützen jetzt so viele Kandidierende wie nie zuvor. Schritt für Schritt bewegen wir etwas.
Seit einiger Zeit nimmt Gewalt gegen Politiker*innen, besonders gegen migrantische, queere und weibliche, online und offline zu. Greift ihr das in eurer Arbeit auf?
Ja, das hat leider deutlich zugenommen. Es gehört mittlerweile zum politischen Alltag, obwohl man das natürlich nicht als Alltag akzeptieren sollte. Kandidierende berichten uns immer wieder, dass ihnen geraten wird, nicht in zu rechts geprägte Landkreise zu gehen, Wahlkampfstände werden teilweise zerstört, es kommt zu Pöbeleien und Angriffen.
Deshalb bieten wir inzwischen gezielte Resilienztrainings und auch Selbstbehauptungstrainings für unsere Kandidierenden an.
Ich wünsche mir, dass der Bundestag endlich ein realistisches Abbild der Gesellschaft wird.
Was ist deine Vision für die politische Repräsentation in Deutschland für die nächsten zehn Jahre?
Ich wünsche mir, dass der Bundestag endlich ein realistisches Abbild der Gesellschaft wird. Besonders der Rückgang des Frauen*anteils ist alarmierend, nachdem er lange stagnierte. Wir müssen diesen Trend umkehren und zudem dafür sorgen, dass alle gesellschaftlichen Gruppen angemessen vertreten sind. Das wird allerdings mehr Zeit brauchen – umso wichtiger aber, dass wir dranbleiben.
Hast du noch letzte Worte zu den anstehenden Bundestagswahlen?
Niemand sollte denken, dass die eigene Stimme keine Relevanz hat. Jede Stimme für die Demokratie ist entscheidend. Und wir von „BNB“ werden bis zur letzten Minute vor der Wahl alles geben und dann ganz fest die Daumen drücken für einen möglichst vielfältigen Bundestag.
Interview: Hannah Jäger
Collage/Foto: „Canva“/Justine Eidinger