Die größten Porno-Mythen aufgeklärt – ein Gespräch mit Paulita Pappel

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10. Februar 2023
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Pornos sind frauenfeindlich, menschenausbeutend und sie reproduzieren ungesunde Bilder von Körpern und Sexualität. Das sind nur einige gängige Mythen rund um Pornos und die Pornoindustrie. Aber was ist an ihnen dran? Das haben wir eine Frau gefragt, die es wissen muss, weil sie sich als Pornographin und Mitgründerin der Porno-Website „Lustery“ täglich mit Pornos befasst: die Filmemacherin Paulita Pappel. Sie sagt: Pornos und sexuelle Fantasien müssen nicht der Realität entsprechen, aber Pornos bilden diverse Körperbilder, sexuelle Orientierungen und Identitäten ab, und können sehr inspirierend – auch für Partnerschaften – sein.


Lustery ist eure go-to Amateur-Pornoseite für authentischen Sex von über 300 echten Paaren aus der ganzen Welt. Im Fokus steht ein sexpositiver, schambefreiter Umgang mit Intimität und Leidenschaft. Neben täglich neuen selbstgedrehten Videos findet ihr auf lustery.com jede Menge lustige, aufregende und lehrreiche Inhalte, die euch zum Erforschen eurer Lust und Sexualität inspirieren – alleine oder mit Partner*innen. Gegründet wurde „Lustery“ 2015 von der spanischen Filmemacherin Paulita Pappel in Berlin. Vom 10. bis zum 17. Februar 2023 bietet Lustery eine Valentinsaktion an: 50% Rabatt auf alle Abos! Ein Abo gibt es dann schon ab 4 Euro im Monat. Neugierig geworden? Hier kommt ihr zur Aktion!


femtastics: Wir möchten mit dir heute über Pornomythen sprechen. Welcher ist der „Mythos“ rund um Pornos, der dich persönlich am meisten stört?

Paulita Pappel: Es gibt unglaublich viele Mythen über Pornographie und viele wirken weit hergeholt und nicht zu Ende gedacht. Besonders komisch finde ich, dass Pornographie oft vorgeworfen wird, sie sei unrealistisch. So, what? Wir gucken uns ja auch nicht „The Fast & The Furious“ an und sagen „Um Gottes Willen, der fährt ja mit 280 km/h durch die Stadt, das ist ja völlig unrealistisch!“.

Ich finde diese Denkweise infantil. Wir sind alle in der Lage, zwischen Fakt und Fiktion zu unterscheiden. Pornos sind in erster Linie ein Unterhaltungsprodukt für Erwachsene ohne Anspruch, eine authentische, erzieherische oder pädagogische Darstellung von Sexualität anzubieten.

Die einen wollen stundenlang tantrisch meditieren und dabei langsam zum Höhepunkt kommen. Andere lieben es, wenn der Mann ihnen ins Gesicht ejakuliert.

Einer der größten Mythen rund um Pornos ist, dass Pornos grundsätzlich frauenfeindlich sind, weil Frauen* in Pornos erniedrigt und als Sexobjekte dargestellt werden. Was sagst du dazu?

Oft denken wir über Sex, dass Männer* ihn wollen und Frauen* ihn haben und geben können. Dieser Gedanke spiegelt ein total veraltetes Bild von Sexualität wider, nämlich das, in dem die Frau* beim Sex erniedrigt wird. Aber fragen wir uns doch einmal: Warum halten wir überhaupt irgendeine sexuelle Praxis für erniedrigend? Dahinter steckt eine moralische Wertung. Wenn wir Sex als eine Praxis zwischen zwei erwachsenen Menschen verstehen, ist an sich nichts erniedrigend oder frauenfeindlich – nur der Mangel an Einvernehmen wäre problematisch.

Ich gebe ein Beispiel: Wenn ein Mann* einer Frau* ins Gesicht spritzt, wird das allgemein als erniedrigend gesehen. Wieso? Das hängt mit einer überholten Idee von Sexualität zusammen, in der Frauen* im sexuellen Kontext erstmal als Opfer verstanden werden. Natürlich stimmt das nicht, denn selbstverständlich haben Frauen* unterschiedliche sexuelle Vorlieben. Die einen wollen stundenlang tantrisch meditieren und dabei langsam zum Höhepunkt kommen. Andere lieben es, wenn der Mann* ihnen ins Gesicht ejakuliert. Beide Vorlieben und Praktiken sind vollkommen in Ordnung – solange sie einvernehmlich passieren!

Ein anderes Beispiel ist das Porno-Genre „Femdom“, also Filme, in denen die Frau* den dominanten Part übernimmt und den Mann* unterwirft. Laut „Ponhub“-Studie, wurde nach „Femdom-Porno“ letztes Jahr 28% häufiger gesucht als noch 2021. Auch auf lustery.com lässt sich dieser Trend beobachten. Es gibt also durchaus jede Menge pornographische Inhalte, die den Mythos der grundsätzlichen Frauenfeindlichkeit klar widerlegen.

Im Gegensatz zu Hollywood zeigt die Pornografie schon immer viel mehr Diversität, denn der größte Teil von Pornos sind selbstproduzierte Amateurfilme, die sämtliche Körper, Hautfarben, sexuelle Orientierungen und Identitäten abbilden.

Mit der kostenlosen Videoserie „How to Watch Porn“ klärt „Lustery“ humorvoll und kurzweilig über Pornos auf.

Wenn sie den Begriff „Pornodarsteller*in“ hören, haben viele Menschen direkt ein bestimmtes Frauen*- und Männer*bild vor Augen (meist: jung, sportlich, dünn, mit riesigen Brüsten oder Penissen). Was ist dran an der Annahme, dass Pornos unrealistische Körperbilder oder -ideale vermitteln?

Da ist sicherlich etwas dran, aber trotzdem möchte ich diese Auffassung in Frage stellen. Natürlich zeigt ein Großteil der Mainstream-Pornografie bestimmte Körperideale. Menschen, die sich für eine Karriere in der Erwachsenen-Industrie entscheiden und darin erfolgreich sind, bringen möglicherweise bestimmte körperliche Eigenschaften mit, die sie für den Job besonders geeignet machen oder investieren viel Zeit und Energie in ihr Aussehen – zum Beispiel durch Sport, Ernährung oder kosmetische Eingriffe. Genauso wie Hollywood-Schauspieler*innen übrigens auch.

Doch im Gegensatz zu Hollywood zeigt die Pornografie schon immer viel mehr Diversität, denn der größte Teil von Pornos sind selbstproduzierte Amateurfilme, die sämtliche Körper, Hautfarben, sexuelle Orientierungen und Identitäten abbilden.

Klar, wenn ich „Porno“ google und mir die ersten fünf Bilder anschaue, dann sind das alles Menschen, die bestimmte Körperideale zeigen. Aber wenn ich „romantische Komödie“ google, ist das auch nicht anders. Da sind die ersten fünf Treffer auch ausschließlich junge, schlanke, weiße Menschen. Letztlich dürfen wir nicht vergessen: Pornographie ist in erster Linie ein Unterhaltungsprodukt, genau wie ein Horrorfilm oder eben eine romantische Komödie auch.

Wenn jetzt jemand denkt: „Aber trotzdem geht es in Pornos doch immer nur um „rein, raus“, anders gesagt, um penetrativen Sex. Und das meist in unrealistischen Mengen!“ – was entgegnest du?

Die meisten Pornos, die in Studios produziert werden, beinhalten eine Menge Vorbereitung und bestimmte Tricks, die die Leistung der Darstellenden verbessern. Den Zuschauer*innen werden diese Techniken nicht gezeigt, um die Illusion zu bewahren. Die vielleicht größte Illusion, die Pornos vermitteln, ist die, dass alle Körperöffnungen immer feucht und bereit für die Penetration und alle Penisse immer hart sind. Wir wissen alle, dass dies nicht der Wirklichkeit entspricht.

In Mainstream-Pornos wird Gleitgel außerhalb der Kamera aufgetragen und für viele Darstellende mit Penis ist es gängige Praxis, vor dem Dreh Potenzpillen oder Injektionen direkt in den Penis zu verwenden, um länger anhaltende Erektionen zu erreichen. Wenn wir wissen, dass diese Darbietungen durch bestimmte Praktiken außerhalb der Kamera unterstützt werden, können wir sie von anderen Begegnungen im wirklichen Leben unterscheiden. Genauso, wie wir im Zirkus Akrobatik bewundern können, ohne von unserem/unserer Partner*in erwarten, mit einem dreifachen Rückwärtssalto ins Bett kommen.

Paulita Pappel, "Lustery"-Gründerin – femtastics
Paulita Pappel hat mit uns über Pornos und Pornomythen gesprochen. Foto: Lukas Papierak

Wenn Pornos fair und ethisch produziert werden, bedeutet das ein sicheres Arbeitsumfeld für alle Beteiligten.

Wie steht es um die Arbeitsbedingungen in der Pornobranche? Wie kann ich wissen, dass hinter einem Porno, den ich schaue, keine Ausbeutung von Menschen steckt?

Wenn Pornos fair und ethisch produziert werden, bedeutet das ein sicheres Arbeitsumfeld für alle Beteiligten. Das schließt auch faire Bezahlung, durchgehende Kommunikation und Transparenz ein. Das ist ein absoluter Standard für die Pornoindustrie und keine Nische, in der ich mich bewege. Wenn du absolut sichergehen willst, dass du gute Arbeitsbedingungen unterstützt und niemand ausgebeutet wird, dann heißt das ganz einfach: Bezahle für deine Pornos!

Mit „Lustery“ hast du eine Porno-Streaming-Plattform gegründet, die ähnlich wie „Netflix“ & Co. durch ein Abo-Modell finanziert wird. Warum sollte man für Pornos im Internet Geld bezahlen? Die gibt es doch überall gratis.

Gegenfrage: Nur, weil es Musik, Filme und Serien gratis im Internet gibt, benutzt du dieses Angebot? Wir wissen alle, wenn wir auf fragwürdigen Plattformen Serien streamen oder Musik herunterladen, haben wir es oft mit Piraterie zu tun. Das ist bei Pornographie genau das Gleiche.

Und darüber hinaus ist Pornopiraterie nicht nur eine Urheberrechtsverletzung, sondern kommt einem Angriff auf die sexuelle Selbstbestimmung von Menschen gleich. Das möchte niemand. Daher ist es toll zu sehen, dass immer mehr Menschen Wert auf faire und ethische Arbeitsbedingungen legen. Der einfachste Weg, dies sicherzustellen, ist, für Pornos zu zahlen.

Der Pornokonsum des*der Partner(s)*in ist in vielen Beziehungen ein Thema, über das nicht gesprochen wird. Dabei können Pornos ein Eisbrecher sein, um sich über Sex auszutauschen. Wieso ist das Thema oft trotzdem tabu?

Da hast du völlig recht: Pornos schauen ist leider total stigmatisiert, wird in Beziehungen oft nicht thematisiert und kann daher ein Gefühl von Entfremdung zwischen den Partnern auslösen, wenn der Konsum geheim gehalten wird. Oft steckt dahinter die Idee, dass das Pornoschauen ein Zeichen dafür sein soll, dass der Sex nicht (mehr) gut sei oder nicht reiche. Diese Idee ist total schädlich. Denn, wenn man eine gesunde sexuelle Beziehung haben möchte, muss man auch mit sich selbst eine gesunde Sexualität pflegen.

Gemeinsamer Pornokonsum kann wahnsinnig inspirierend sein.

Die Idee, dass Masturbation und Pornos der Beziehung schaden könnten, schadet eigentlich nur der gesunden Herangehensweise an Sexualität und führt letztlich dazu, dass Menschen nicht offen über ihren Pornokonsum reden. Dieser Mangel an Kommunikation und Ehrlichkeit ist schädlich für Beziehungen, nicht die Nutzung von Pornos. In unserem Online-Kurs „How To Watch Porn“ sprechen wir unter anderem darüber, wie Pornografie den Dialog und die Bindung zum*zur Partner*in fördern kann. Besonders dann, wenn man beispielsweise etwas sieht, das man gemeinsam ausprobieren möchte. Gemeinsamer Pornokonsum kann wahnsinnig inspirierend sein!

Wie steht es um Tabus bzw. Fantasien – zum Beispiel, Pornos zu schauen, in denen mit gewissen Tabus gebrochen wird, weil etwas passiert, das vielleicht als „verboten“ gilt? Was sagt das über die Zuschauer*innen aus?

Es ist tatsächlich ein sehr verbreiteter Irrglaube, dass die Pornos, die ich mir anschaue, eins zu eins zeigen, was ich mir im Bett wünsche. Aber da gibt es einen ganz einfachen Grundsatz und der lautet: Fantasie und Begehren sind nicht das Gleiche!

Es ist total normal, sich Fantasien hinzugeben, die man aber im echten Leben gar nicht ausleben möchte, die man nicht begehrt. Viele Menschen verwirrt das und sie sind sich nicht sicher, warum sie diese Fantasien überhaupt haben und woher sie kommen. Es ist in Ordnung, sich alles Mögliche vorzustellen, auch wenn es nicht mit den gesellschaftlichen oder eigenen Werten übereinstimmt.

Ein gutes Beispiel ist hier wieder das Thema „Erniedrigung“. Viele Frauen möchten ihre Erniedrigungsfantasien nicht wahrhaben. Sie denken sich vielleicht: „Nee, ich möchte nicht, dass man mich so behandelt.“ Aber ist das nicht das Spannende an Sexualität und Pornographie? Es ist ähnlich wie bei Genres wie Comedy oder Horror – wir können Fantasien ausleben (oder eben nicht), die uns im sicheren Rahmen ermöglichen, intensive Gefühle zu erleben, oft einen anderen Zugang zu uns selbst ermöglichen, manchmal sogar helfen, Emotionen zu verarbeiten. Das heißt aber nicht, dass man diese Fantasien auch in der Realität umsetzen will.

Fantasie und Begehren sind nicht das Gleiche!

Ein weiteres Gerücht: „Pornos können die eigene Sexualität oder Beziehung stören, weil man, wenn man viele Pornos schaut, ohne diese oder die gezeigten Szenen nicht mehr zum Orgasmus kommen kann.“ Was sagst du dazu?

Der Mainstream-Ansatz bei sexuellen Funktionsstörungen geht meist von der Vorstellung aus, dass Sexualität auf eine bestimmte Art und Weise ausgeübt werden muss, idealerweise durch Penetration, d.h. das Eindringen des Penis in die Vagina, und dass dabei ein Orgasmus entstehen muss.

Woher aber kommt diese Annahme? Nicht-pornografische Filme haben genauso viel, wenn nicht sogar mehr, dazu beigetragen, unrealistische Vorstellungen davon zu vermitteln, wie Sex aussehen kann. Romantische Komödien sind hier wieder ein klasse Beispiel: Simulierte Sexszenen in Liebesfilmen reduzieren den Sex in der Regel auf ein paar Sekunden Knutschen, bevor es zur Penis-in-Vagina-Penetration unter der Bettdecke kommt, gefolgt von einem lauten, gleichzeitigen Orgasmus zum Abschluss der Szene.

Dieses altmodische, heteronormative Verständnis von Sexualität betrachtet die Fortpflanzung als das ultimative Ziel von Sex und verstärkt daher die Vorstellung, dass der Akt, der im Idealfall zur Fortpflanzung führt, die beste Praxis ist.

Wir wissen jedoch, dass viele Menschen mit Vagina beim penetrativen Sex nicht zum Orgasmus kommen und dass viele Menschen andere sexuelle Praktiken als die Penetration genießen. Wenn wir uns dafür öffnen, was für uns als Sex „zählt“, schaffen wir mehr Raum, um verschiedene sexuelle Handlungen zu entdecken und darin Befriedigung zu finden. Auf „lustery.com“ bieten wir diese Vielfalt sexueller Handlungen an und laden dazu ein, diese zu erkunden.

Wenn wir den Druck wegnehmen und mit unseren Partner*innen über unsere Vorlieben kommunizieren, indem wir unsere Wünsche und Fantasien mitteilen, werden wir bessere Sexualpartner*innen, unabhängig davon, was uns zum Orgasmus bringt. Eine abwechslungsreiche Praxis der sexuellen Selbstfürsorge ist ebenso gesund wie eine abwechslungsreiche Ernährung.

Wenn wir den Druck wegnehmen und mit unseren Partner*innen über unsere Vorlieben kommunizieren, indem wir unsere Wünsche und Fantasien mitteilen, werden wir bessere Sexualpartner*innen.

Wie kann ich auf gute, gesunde Art Pornos nutzen?

Zuallererst: Es gibt keinen universell richtigen oder falschen Weg, Pornos zu schauen. Aber es ist wichtig zu wissen, was sich individuell gut anfühlt und was nicht. Deshalb haben wir letztes Jahr den kostenlosen Online-Kurs „How To Watch Porn“ produziert. Der Kurs bietet Informationen und Ressourcen, um die volle Kontrolle über Sexualität und den Platz, den Pornos dabei einnehmen, zu erlangen.

Im Mittelpunkt steht theoretisches und praktisches Wissen, um sich von Scham und Schuldgefühlen zu befreien, das empowernde Potenzial von Pornos zu entdecken und eine gesunde sexuelle Selbstfürsorgeroutine zu entwickeln. In insgesamt 12 Lektionen werden Themen, über die wir hier auch gesprochen haben, mit verschiedenen Expert*innen erklärt und diskutiert.

Vielen Dank für das Gespräch, Paulita!



Fotos: „Lustery“

– Werbung: In Kooperation mit „Lustery“ –

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