Irgendwann als junge Erwachsene entdeckte Anika Tiegs ihre Vorliebe für BDSM-Sex (Bondage & Discipline, Dominance & Submission). Was zunächst nur im Privaten stattfand, wurde schrittweise zum Beruf – und führte schließlich zur Gründung. Heute ist die 34-Jährige unter dem Namen „Nika Macht!“ nicht nur professionelle Domina, sondern auch Podcasterin, Coach, Autorin und Speakerin zum Thema BDSM.
Was sie dabei erlebt, wie sie das (Parallel-)Leben als Domina mit ihrem regulären Job vereint, und wieso sie überzeugt ist, dass BDSM uns allen helfen kann, selbstbestimmter zu leben, erzählt Anika im Interview.
Anika Tiegs: Ich war recht lange auf der Suche. Meine Lehre hatte sich zufällig ergeben, weil meine Eltern ein Restaurant hatten und ich nach dem Abitur nicht direkt studieren wollte. Ich habe also zunächst eine Hotelfachlehre gemacht und International Business and Social Science studiert. Mein zweites Studium hat mich mehr interessiert – eigentlich schon immer: Psychologie. Irgendwann kam dabei der Themenbereich Sexualpsychologie auf – und den fand ich besonders spannend.
Als ich in Hamburg gelebt habe, hatte ich Lust, mich auszuprobieren und zum Beispiel frivole Partys zu besuchen. Mein damaliger Freund hatte darauf aber keine Lust. Also habe ich, sozusagen als Kompromiss, angefangen als Kellnerin in einem Swinger Club zu arbeiten. In diesem Club habe ich mich mit einer Frau angefreundet, die mich irgendwann zu ihrem Geburtstag eingeladen hat. Ich hatte nur die Adresse, bin hingefahren – und stand plötzlich vor einem Domina-Studio. Das war ihr Studio, von dem ich bislang nichts wusste. Ich dachte mir: „Okay, ich muss da jetzt rein.“ Als ich geklingelt habe, hat mir ein nackter Mann die Tür geöffnet, sich auf den Boden gelegt und war die „Fußmatte“.
Meine Freundin hat sich kaputt gelacht, als ich gesagt habe, dass sie mich ja wohl mal hätte vorbereiten können. Im Nachhinein bin ich ihr aber sehr dankbar.
Als ich geklingelt habe, hat mir ein nackter Mann die Tür geöffnet, sich auf den Boden gelegt und war die „Fußmatte“.
Na ja, du musst dir vorstellen, ich bin sehr behütet aufgewachsen, in einem kleinen Dorf, war ein Ponymädchen, im Tennisclub und Messdiener. Und dann stand ich im Domina-Studio. (lacht) Durch diesen ersten Abend entstand die Idee für meinen Podcast. Ich hatte vorher schon immer Erlebnisse aus dem Swinger-Club und aus meiner WG auf der Reeperbahn aufgeschrieben und hatte Lust, darüber zu sprechen. Das war einfach eine parallele Welt neben meinem „normalen“ Job in der Automobilindustrie.
Und zurück zur Frage, wie ich selbst Domina wurde: Meine Freundin wollte mich schon für ihr eigenes Domina-Studio akquirieren, aber damals bin ich aus beruflichen Gründen aus Hamburg weggezogen. Das Thema hat mich allerdings nicht losgelassen und so habe ich mich in meiner neuen Heimat Düsseldorf darum gekümmert, selbst Domina zu werden.
Ich habe mir verschiedene Domina-Studios angeschaut, eins angerufen und wurde dort zum Kaffee eingeladen. Dann habe ich mich entschlossen, dort einen Workshop zu machen.
Der Workshop hat mehrere Tage gedauert und ich habe alle Bereiche kennengelernt. Vom so genannten „schwarzen“ Bereich mit Fesseltechniken über Latex bis zum „weißen“ Bereich. Natürlich braucht man jemanden, an dem man üben kann. Dafür hat die Domina, mit der ich den Workshop gemacht habe, ihren „Sklaven“ mitgebracht. Es war für mich nicht ohne, das erste Mal jemanden zu schlagen. Ich wusste zwar, dass er es mag, aber ich hatte ja noch gar kein Gefühl dafür, wie ich schlagen muss. Derjenige sollte mir eine Rückmeldung geben, wie fest ich schlage, von eins bis zehn. Am Anfang war ich bei drei – und irgendwann schrie er: „Elf!“. (lacht)
Der „schwarze“ Bereich birgt aber noch nicht so viel Verletzungsgefahr wie der „weiße“ Bereich. Ich musste in dem Workshop mit Nadeln arbeiten und ich kann dir sagen, ich bin im Krankenhausbett des „Klinikzimmers“ wieder aufgewacht, weil ich umgekippt bin als ich einen Hodensack nadeln musste.
Also das geht alles nicht von heute auf morgen. Im Workshop lernt man aber nicht nur die Techniken, sondern auch den kompletten Ablauf: Vorgespräch mit dem Gast, Empfang und verbaler Umgang.
Natürlich braucht man jemanden, an dem man üben kann. Dafür hat die Domina, mit der ich den Workshop gemacht habe, ihren „Sklaven“ mitgebracht.
Jede*r hat wahrscheinlich eine gewisse Vorstellung: Ein riesiger Raum, alles schwarz, mit Leder, Streckbank, Andreaskreuz und ganz vielen Dingen, die an der Wand hängen – Peitschen, Masken und so weiter. Klar, diesen Raum haben wir auch, aber es gibt noch viele weitere Bereiche. Zum Beispiel den Latex-Raum, der komplett in Gummi ausgekleidet ist und in dem sowohl ich als auch der Gast Latex tragen. Dann gibt es einen Feminisierungsraum, in dem alles wie in einer Puppenstube aussieht und es alles gibt, was man braucht, um sich wie eine Puppe zu verkleiden: Kleider, Schminke, Perücken, … Als Pendant zum schwarzen Raum gibt es das Gleiche noch einmal in Rot. Und dann gibt es noch den „Klinikbereich“, den weißen Bereich, der einer Art Praxis oder einem Krankenhauszimmer nachempfunden ist. Dort passieren unter anderem Auf- oder Unterspritzungen, Katheterlegungen, Nadeln und Cuttings, wenn man eher in diesem Bereich unterwegs ist.
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Der Gast macht entweder direkt einen Termin mit mir oder über das Studio. Ich empfange ihn dann im Begrüßungsraum und stelle mich vor – gerade wenn es Anfänger sind, sind die Gäste meist nervös. Ich frage dann: „Was machen wir denn heute Schönes?“ und wir besprechen die Vorlieben des Gastes. In der Regel konzentriert es sich auf einen Raum und eine Sache. Wir besprechen natürlich auch die No-Go’s und eventuelle gesundheitliche Vorbelastungen, die ich beachten muss. Anschließend geht der Gast duschen, ich ziehe mich um und wir treffen uns wieder. Meist legt sich bei beiden im Kopf da schon ein Schalter um; wir treffen uns also nicht so wieder wie wir im Vorgespräch waren. Nach der Session treffen wir uns noch einmal wieder, besprechen, wie das Erlebnis war und ich gebe dem Gast Raum und Zeit, den sogenannten „Subspace“ Revue passieren zu lassen.
Meist sieht man sich noch einige Male wieder, denn gerade im BDSM-Bereich ist es so: Je häufiger man sich sieht, desto vertrauter wird man und desto mehr kann man gemeinsam ausprobieren.
Es sind primär Männer. Letztes Jahr hatte ich ein super spannendes Interview mit einem professionellen Dom, der mir erzählt hat, wie er so arbeitet, und er hat den Satz gesagt: In den Köpfen der Frauen ist noch nicht angekommen, dass es gut sein kann, für sexuelle Dienstleistungen zu zahlen. Und da kann ich ihm nur Recht geben.
Meine Gäste waren primär Männer, aber in meinen Workshops sind viele Frauen meine Kundinnen. Ich finde es sehr spannend, dass mich viele Frauen anschreiben und sagen: „Ich habe deinen Podcast gehört und es gibt eine Seite in mir, die ich gerne ausleben möchte.“ Sei es eine devote Seite, dass die Frau zum Beispiel gerne mal von ihrem Partner/ ihrer Partnerin geschlagen werden möchte, oder eine dominante Seite. Es ist eine krasse Erkenntnis, dass es offenbar viele Frauen gibt, die lernen möchten, diese Seiten von sich kennenzulernen und auszuleben.
Es ist eine krasse Erkenntnis, dass es offenbar viele Frauen gibt, die lernen möchten, diese Seiten von sich kennenzulernen und auszuleben.
Das ist eine sehr interessante Frage, denn – ob du es glaubst oder nicht – im Privaten bin ich komplett anders. Ich habe früh gemerkt, dass meine eigene Sexualität eher die devotere Seite ist. Mir hat aber immer der Partner dazu gefehlt, weshalb ich diese Seite noch nicht richtig ausleben konnte. Ich habe aber gemerkt, dass die dominante Seite auch in mir steckt. Das finde ich psychologisch sehr interessant.
Und obgleich ich Domina bin, bin ich ja in der Rolle auch Dienstleisterin. Das heißt, der Gast sagt mir, was er sich von mir wünscht – und ich setze diese Wünsche in meiner Interpretation um. Es gibt mir sehr viel, dass ich dem Gast Wünsche erfüllen kann. Natürlich schlüpfe ich als Domina in eine Rolle. Das merke ich immer schon, wenn ich mich entsprechend dafür kleide und zurechtmache, dass ich dann zu „Nika“ werde. „Anika“ verschwindet für diesen Moment und wenn ich mich später ins Auto setze und nach Hause fahre, denke ich: „Wow, das war wieder kompletter Wahnsinn – im positiven Sinn.“ (lacht)
Den braucht man, um offiziell als Domina arbeiten zu dürfen. Prostitution verbindet man in der Regel ja mit Sex, aber man muss auch für die Arbeit als Domina beim Gesundheitsamt und Ordnungsamt registriert werden und einen solchen Schein beantragen – auch wenn ich keinen Sex mit meinen Gästen habe. Ich fand es sehr interessant, beim Gesundheitsamt zu sitzen und mit den Mitarbeiterinnen dort zu sprechen. Sie waren sehr fürsorglich, wollten wissen, ob ich es freiwillig mache und ob es mir gut geht. Es war der Hammer, wie sie sich um mich gekümmert haben. Ich finde es gut, dass es diese Regularien gibt.
Ich habe während des Studiums für einen Online-Shop für Dessous gearbeitet – und bin darüber auf Corsagen gekommen. Als ich das erste Mal eine Corsage getragen habe und sie richtig zugeschnürt wurde, war das ein sehr interessantes Gefühl. Manchmal muss nur eine kleine Sache passieren, um etwas zu entdecken. Ich bin dann auch gerne auf Fetisch-Partys gegangen, vor allem in Hamburg. Und so kam eins zum anderen.
Entweder kommen, wie gesagt, Einzelpersonen zu mir, die lernen möchten, sexuelle Seiten von sich auszuleben; oder es kommen Paare zu mir, die gemeinsam Neues entdecken wollen. Ich denke, dass BDSM dabei helfen kann, sich kennenzulernen, weil es bei devotem und dominantem Verhalten viel um „Urwünsche“ geht, die jede*r in sich hat. Es ist sehr wichtig, mit einander darüber zu sprechen, was man sich wünscht. So kann jede*r ihre oder seine Definition von BDSM für sich entdecken.
Ich denke, wenn man lernt, seine eigenen Bedürfnisse zu fühlen, zu erkennen und dann auch zu kommunizieren, dann bringt einen das im Leben sehr voran – nicht nur auf das Sexuelle bezogen.
Natürlich hatte ich auf diesem Weg auch schwierige Phasen, in denen ich dachte: „Irgendetwas stimmt mit dir nicht, warum kannst du nicht so wie alle anderen einfach einen Job machen?“ oder in denen ich alles hinschmeißen wollte. Aber genau das ist der richtige Weg. Wenn man erkennt, dass einem etwas fehlt, sollte man genauer hinsehen. Und wenn es etwas gibt, für das man brennt, dann muss man weitermachen. Ich hatte immer das Bedürfnis, finanziell abgesichert zu sein und mein Leben bestreiten zu können, aber gleichzeitig schlummerte da etwas. Psychologie hat mich interessiert, Sexualpsychologie noch mehr, ich wohnte auf der Reeperbahn, ich war mit einer Domina unterwegs, vielleicht sollte ich darüber sprechen und schreiben, was ich erlebe … Und so wurde ich Domina und mir begegneten immer mehr Menschen, die durch BDSM schon viel mehr Herr über sich selbst waren und viel selbstbestimmter gelebt haben als ich damals.
Letztlich ist es erfüllender, Risiko zu wagen und dabei sich selbst ein Stück näher zu kommen, als immer in der Komfortzone zu bleiben.
Ich habe durch mein eigenes Leben und die unterschiedlichen Stationen gelernt, wie viele Menschen sich in Jobs verlieren, die sie nicht mögen. Wie oft es allgemein um Sicherheit und Komfortzone geht. Mein Buch thematisiert die Frage, wie ich herausfinde, was ich mir wirklich wünsche und wie ich es schaffen kann, den Weg dahin zu gehen. Letztlich ist es erfüllender, Risiko zu wagen und dabei sich selbst ein Stück näher zu kommen, als immer in der Komfortzone zu bleiben.
Dafür habe ich das „Domina-Prinzip“ mit sechs Schritten für ein selbstbestimmteres Leben entwickelt. Dabei geht es nicht nur um Sexualität, sondern auch um Partnerschaft und um Lebenswünsche ganz generell. Da sind wir bei meiner Definition von BDSM: „Bei Dir Sein & Machen“. Du musst dich selbst kennenlernen und nicht „belabern“ lassen von anderen Leuten, die versuchen, dich runterzuziehen oder die sagen: „Was hast du da schon wieder für eine Idee? Was machst du da schon wieder?“ – „Ja, ich mache das, weil ich gerade auf meinem Weg bin!“. Du kannst auch keine Beziehung führen, wenn du nicht weißt, wer du bist und nicht bei dir selber bist. Du musst lernen, dich zu fühlen.
Ich habe schon früher in der Schule gerne geschrieben und habe über die Jahre immer wieder Erlebtes schriftlich für mich festgehalten. Irgendwann kam ich auf den Gedanken, meine Erfahrungen als Domina mit psychologischem Wissen zu kombinieren. Ein Buch war schon länger mein Traum.
Davor war schon mein Podcast entstanden – und aufgrund der großen Resonanz, die er bekam, habe ich mich entschieden, eine Ausbildung zur Speakerin zu machen. Das war ein riesiger Schritt für mich, mich öffentlich hinzustellen, mein Gesicht zu zeigen und zu erzählen, was ich mache und über welchen alternativen Weg ich es mache. Mit der Entscheidung, mit meiner Arbeit als Domina so in die Öffentlichkeit zu gehen, musste ich vorher natürlich auch auf privater Ebene reinen Tisch machen.
Ich hatte wirklich große Sorge, es meinen Eltern zu erzählen. Ich dachte, sie schmeißen mich raus, sie enterben mich, sie wollen nichts mehr mit mir zu tun haben.
Ich hatte wirklich große Sorge, es meinen Eltern zu erzählen. Ich dachte, sie schmeißen mich raus, sie enterben mich, sie wollen nichts mehr mit mir zu tun haben. Da ging mir Gott weiß was durch den Kopf. Es ist wahrscheinlich in jedem Alter eine Herausforderung, den eigenen Eltern etwas zu „beichten“. Ich habe dann allen Mut zusammengenommen und es ihnen erzählt – und das war extrem emotional. Sie haben gesagt, dass sie die Idee richtig gut finden und ich das genau so machen soll, egal, welche Stimmen da aufkommen.
Nachdem meine Eltern mir ihr Go gegeben hatten, war mir alles egal. Sie sind meine wichtigsten Bezugspersonen und ihre Meinung war mir am wichtigsten. Meine Freund*innen wussten das zum Teil ja schon. Der Endgegner war mein Arbeitgeber. (lacht) Aber mein Chef hat nicht nur positiv reagiert, sondern mich regelrecht gefeiert. Er sagte sinngemäß: „Anika, du bist eine Persönlichkeit und es ist der Hammer, dass du das machst, wofür du brennst!“.
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Die Corona-Zeit hat mir letztes Jahr wirklich einen Schub gegeben. Ich hatte vorher meinen Vollzeitjob schon auf Halbtags reduziert, um mehr Zeit für meinen Job als Domina zu haben. Dann kam Corona und das Domina-Studio wurde geschlossen. Erst war es ein finanzieller Schock, aber auf der anderen Seite wurde mir viel Zeit geschenkt. Jetzt konnte ich endlich mein Buch fertig schreiben, mich in Ruhe um meine Ausbildung, meine Website, E-Book, Webinar und viele andere Dinge kümmern. Zum Glück habe ich es geschafft, mich aus der Krise herauszuziehen und sie zu nutzen. Ich arbeite aber immer noch drei Tage die Woche in meinem „alten“ Hauptjob.
Und da gab es einiges. Ich kann dir ein Beispiel nennen: Ganz am Anfang, als ich mich entschieden habe, zu gründen, mit diesem Thema, musste ich zur Bank, weil ich ein bisschen Geld haben wollte; und da sagen sie mir: „So eine wie Sie kriegt kein Geld!“. Das war der Wortlaut. Es gab viele solche Momente, die mich haben zweifeln lassen. Marketing über Social Media ist ein anderes Beispiel: Das ist mit meinen Themen auch schwierig. Deshalb bin ich umso dankbarer für alle, die sich in meiner Arbeit wiederfinden und mir ein positives Feedback geben und den Podcast auch finanziell über „Spenden“ am Leben halten.
Hier findet ihr Anikas Buch: „Das Domina-Prinzip“
Fotos: Anika Tiegs
Ein Kommentar
Liebe Nika,
Ich finde es ganz toll, was Sie geschafft haben und ermutige Sie Ihren Weg weiter zu gehen. Ihre Website ist fantastisch und ich bin Ihrer Aufforderung „Tritt ein“ gerne gefolgt. Ich liebe alles rund um BDSM und finde, dass es mich beglückt , auch mit 65+.
Ich wünsche Ihnen, liebe Nika, ganz viel Erfolg. Folgen Sie Ihrem Herzen!
Herzlichst, Karl