Femizide: Die tödliche Realität männlicher Gewalt – und was sich jetzt ändern muss

13. September 2024

Femizide in Deutschland: Männliche Gewalt tötet – und die Politik schaut weg.

Es sind – mal wieder – keine guten Wochen für Frauen*. Die Schlagzeilen überschlagen sich mit grausamen Nachrichten: Gleich zwei Femizide erschütterten Berlin innerhalb weniger Tage. Ein Weckruf zur tödlichen Realität männlicher Gewalt und der dringenden Notwendigkeit zum Handeln. Ein Kommentar von femtastics Autorin Sarah Kessler.

Am 28. August tötete ein Mann eine 36-jährige Frau in Zehlendorf – mutmaßlich ihr Ex-Mann, nur zwei Tage später ermordete ein weiterer Mann seine 28-jährige Ex-Partnerin in Lichtenberg. Dann erreichte uns die erschütternde Nachricht vom Femizid der ugandischen Marathonläuferin Rebecca Cheptegei: Ihr Lebensgefährte hatte sie durch einen Brandanschlag getötet.

Es ist entscheidend, diese Taten nicht als „Beziehungstaten“ oder „Familiendramen“ zu verharmlosen.

In Deutschland wird die unerträgliche Situation durch die Untätigkeit der Politik verschärft. Das Versagen der Politik, effektive Schutzmaßnahmen zu ergreifen, ist schockierend, um nicht zu sagen: entlarvend – und stellt eine akute Bedrohung für die Sicherheit von Frauen* dar.

Es ist entscheidend, diese Taten nicht als „Beziehungstaten“ oder „Familiendramen“ zu verharmlosen. Es handelt sich um Femizide – die gezielte Tötung von Frauen*, einfach weil sie Frauen* sind. Männliche Gewalt ist tödlich, und es ist unerlässlich, dies klar und unmissverständlich zu benennen.

Diese Zahlen sind ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft.

Die Statistik

In Deutschland versucht statistisch gesehen jeden Tag ein Mann*, seine (Ex-)Partnerin zu töten – und alle zweieinhalb Tage endet dieser Versuch tödlich. Im Jahr 2023 töteten Männer* in 155 Fällen ihre (Ex-)Partnerin, ein Anstieg im Vergleich zum Vorjahr, als 133 Femizide registriert wurden. Diese Zahlen sind nicht nur alarmierend, sondern auch ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft. Sie zeigen, dass patriarchale Strukturen nach wie vor unser Zusammenleben prägen und Frauen* systematisch gefährden. Dabei zieht sich Gewalt gegen Frauen* durch alle gesellschaftlichen Schichten – jede Frau* kann betroffen sein.

Politische Reaktionen: Zu wenig, zu spät?

Angesichts der alarmierenden Situation fordert Bundesfamilienministerin Lisa Paus ein umfassendes Sicherheitspaket zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen*. Ihr geplantes Gewalthilfegesetz soll Betroffenen einen Schutzanspruch auf Hilfe und Beratung garantieren und die Einrichtung zusätzlicher Schutzplätze vorantreiben.

Diese Verweigerungshaltung ist nicht nur fahrlässig, sondern auch gefährlich und lässt die Betroffenen im Stich.

Während Paus handeln will, blockiert Justizminister Buschmann notwendige Maßnahmen. Mitte Juli wies er eine bundeseinheitliche Regelung zur elektronischen Fußfessel für Gewalttäter zurück, mit der Begründung, darüber sollten die Länder selbst entscheiden. Diese Haltung ignoriert jedoch die klare Forderung, die bei der Innenministerkonferenz von Bund und Ländern im Juni 2024 ja gerade von den Ländern geäußert wurde. Diese Verweigerungshaltung ist nicht nur fahrlässig, sondern auch gefährlich und lässt die Betroffenen im Stich.

Männliche Gewalt als akute Bedrohung

Die Realität ist: Männliche Gewalt ist eine akute Bedrohung für die Sicherheit von Frauen* in Deutschland. Unsere Gesellschaft und Politik versagen beim Schutz von Frauen*. Es mangelt an präventiven Maßnahmen, wirksamen Schutzkonzepten und konsequenter Strafverfolgung. Täter haben wenig zu befürchten – bis eine Frau* stirbt. Und selbst dann werden ihre Taten oft verharmlost oder entschuldigt.

Ein zentrales Problem in der juristischen Praxis im Zusammenhang mit Femiziden ist die häufige Einstufung von Tötungsdelikten als Totschlag anstelle von Mord. Diese Differenzierung erfolgt oft, wenn die Taten im Kontext eines emotionalen Ausnahmezustands, wie etwa während eines Streits, begangen werden, was sie als weniger schwerwiegend erscheinen lässt.

Die Unterscheidung zwischen Totschlag und Mord ist von erheblicher Bedeutung: Mord wird als vorsätzliche Tötung mit schwerwiegenden Beweggründen, wie niederen Motiven oder Heimtücke, definiert, während Totschlag in einem emotionalen Ausnahmezustand geschieht. Diese rechtlichen Differenzen haben direkte Auswirkungen auf die Strafhöhe.

Die Diskussion, ob geschlechtsspezifische Gewalt als eigenständiger Straftatbestand oder als Mordmerkmal anerkannt werden sollte, gewinnt zunehmend an Bedeutung. Eine solche rechtliche Einordnung könnte helfen, die Schwere der Taten angemessen zu berücksichtigen und die Täter konsequenter zur Verantwortung zu ziehen. Diese Debatte über die rechtliche Behandlung von Femiziden ist dringend notwendig.

Dringend erforderlich sind politische Maßnahmen, die Frauen* tatsächlich schützen.

Was wir brauchen

Lippenbekenntnisse über die erschreckenden Zahlen von Femiziden, die nach jedem weiteren Vorfall geäußert werden, sind nicht ausreichend. Dringend erforderlich sind politische Maßnahmen, die Frauen* tatsächlich schützen. Es braucht:

  • Mehr Schutzplätze: Aktuell gibt es in Deutschland rund 7.000 Plätze in knapp 400 Frauen*häusern, was bei einer geschätzten Anzahl von 30.000 bis 40.000 Frauen*, die jährlich Schutz suchen, bei weitem nicht ausreicht. Nach den Empfehlungen der Istanbul-Konvention wären mindestens 21.000 Plätze notwendig, um angemessenen Schutz bieten zu können.

  • Besseren Opferschutz: Sofortige Hilfe und langfristige Unterstützung für Betroffene sowie der Einsatz elektronischer Fußfesseln zur Überwachung von Gewalttätern, um sicherzustellen, dass Kontaktverbote und Schutzmaßnahmen eingehalten werden.

  • Mehr Investitionen in Prävention: Der Zugang zu psychologischer Unterstützung für Opfer ist entscheidend. Bildungsinitiativen zur Förderung von Geschlechtergerechtigkeit und Sensibilisierungsmaßnahmen in der Gesellschaft durch Öffentlichkeitsarbeit müssen auskömmlich finanziert werden. Gleichzeitig ist es wichtig, in Täterprävention zu investieren, um die Ursachen von Gewalt zu bekämpfen und Rückfälle zu verhindern. Haushaltsentwürfe, die bei diesen Initiativen sparen, gefährden den Fortschritt in der Gleichstellung.

  • Konsequente Bestrafung der Täter: Während einige Stimmen härtere Strafen für die Täter fordern, lehnen andere dies ab, da solche Maßnahmen die Resozialisierung behindern können und die zugrundeliegenden gesellschaftlichen Probleme nicht angegangen werden. Diese Position fordert, den Fokus auf Prävention und die Stärkung von Unterstützungsangeboten für Opfer zu legen. Gleichwohl: Traditionell haben Männer* die Gesetze gemacht, was zu einem Bias geführt hat, der herkömmlich die Position des Täters schützt. Hier stellt sich die Frage, ob eine Verschärfung der Strafrahmen notwendig ist, um den Opferschutz angemessen zu gewährleisten. Auch hier bedarf es einer feministischen Rechtsdiskussion.

Ein Appell an die Politik

Es ist ein Skandal, dass unsere Politik nicht entschiedener handelt. Femizide sind kein Randthema, sie sind eine gesellschaftliche Katastrophe. Wir brauchen mehr als Lippenbekenntnisse und halbherzige Maßnahmen. Wir brauchen eine Politik, die den Schutz von Frauen* zur obersten Priorität macht.

Jeder Tag des Zögerns kann einer Frau* das Leben kosten.

An die Verantwortlichen in der Politik: Hört auf, euch wegzuducken! Jeder Tag des Zögerns kann einer Frau* das Leben kosten. Handelt jetzt, umfassend und entschlossen. Denn eines ist klar: Solange unsere Gesellschaft Femizide toleriert, tragen wir alle Verantwortung.

Für eine Gesellschaft, in der Frauen* ohne Angst leben können. Alles andere ist inakzeptabel.



Text: Sarah Kessler

Collage / Foto: „Canva“ / Julia Löhning

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