Der Familienbetrieb von Alina Sannmann, gelegen im schönen Hamburger Landschaftsschutzgebiet der Vier- und Marschlande, hat eine faszinierende Wandlung durchlebt. Von einem traditionsreichen Hof, der einst nach den konventionellen Methoden von Alina Sannmanns Großvater geführt wurde, hat er sich zu einem modernen Demeter-Gemüsebaubetrieb entwickelt. Die 31-jährige Alina Sannmann bringt frischen Wind in die lange Tradition des Betriebs und vereint traditionelle Werte mit innovativen Event-Formaten, während sie sich mit Leidenschaft für Nachhaltigkeit einsetzt. Im Interview erzählt sie von den spannenden Entwicklungen ihres Familienhofs und teilt ihre Erfahrungen als weiblich gelesene Geschäftsführerin in einer nach wie vor stark männlich* dominierten Branche.
Alina Sannmann: Unser Betrieb war schon immer ein typischer Familienhof. Ursprünglich handelte es sich um einen klassischen Selbstversorgerbetrieb, der nur gelegentlich etwas verkauft hat. Mit der Zeit hat sich der Hof zu einem größeren Gemüsebaubetrieb entwickelt.
Mein Opa hat den Betrieb damals noch konventionell geführt. In den 80er-Jahren hat mein Vater auf „Demeter“ umgestellt und gemeinsam mit meiner Mutter die Idee der Gemüsekisten ins Leben gerufen. Der Großhandel war von Anfang an auch ein wichtiger Abnehmer, und das hat sich bis heute nicht geändert. Die Gemüsekiste, die aktuell noch von meiner Mutter und bald von meinem älteren Bruder geführt wird, ist mittlerweile in Hamburg fest etabliert. Das Abo-Modell erlaubt es Kund*innen, eine Kiste mit regionalem Gemüse nach Hause zu bestellen, in der hauptsächlich das enthalten ist, was wir hier selbst anbauen. Alles andere beziehen wir von anderen Betrieben aus der Region oder vom Bio-Großmarkt.
Neu ist, dass wir jetzt auch Events anbieten, was mir besonders am Herzen liegt. Man kann bei uns Tomaten, Blumen und Kräuter selbst ernten. Zusätzlich veranstalten wir Koch- und Essens-Events, die mir großen Spaß machen, da ich Ökotrophologie studiert habe und Ernährungsthemen deshalb genau mein Ding sind.
Unser Betrieb umfasst etwa 55 Hektar, inklusive Grünflächen für unsere Rinderherde. Im Sommer bauen wir auf etwa 15 Hektar [Anm. d. Red.: Das entspricht ungefähr der Fläche von 20 Fußballfeldern] Gemüse an – darunter Kräuter, Salat, Tomaten, Paprika, Gurken, Auberginen und Zucchini. Im Herbst kommen noch Kürbisse, Grünkohl und Rüben hinzu. Was wir nicht im großen Stil anbauen, sind Möhren, Beten und Kartoffeln, da das in dieser Region nicht so gut funktioniert. Bei uns arbeiten 15 Festangestellte und 10 Saisonarbeiter*innen.
Ich habe ja eigentlich Ernährungswissenschaften in Hamburg studiert und musste im Rahmen meines Studiums ein Pflichtpraktikum machen. Dafür habe ich eine Organisation ausgewählt, die sich für nachhaltige Ernährung einsetzt und auch mit Schulen sowie Bildungseinrichtungen zusammenarbeitet und Schulungen anbietet. Während meines Praktikums haben mich die Leute dort oft aus Interesse gefragt, wie es bei uns zu Hause so abläuft, da unser Betrieb ja ebenfalls auf Nachhaltigkeit setzt.
Dabei wurde mir klar, dass ich selbst gar nicht so genau wusste, wie unser Hof im Detail funktioniert. All das hier ist durch meinen Auszug nach Hamburg irgendwie aus meinem Kopf geraten. Das hat mich zum Nachdenken gebracht, und ich habe beschlossen, doch wieder mehr zu Hause reinzuschnuppern um zu sehen, wie der Betrieb meiner Familie funktioniert. So bin ich letztlich wieder hier gelandet.
Dann erkrankte mein Vater an Krebs und verstarb kurz darauf. Plötzlich stand die Frage im Raum: Wer übernimmt den Betrieb?
Eigentlich wollte ich auch noch auf anderen Höfen Erfahrung sammeln, aber dann erkrankte mein Vater an Krebs und verstarb kurz darauf. Plötzlich stand die Frage im Raum: Wer übernimmt den Betrieb? Erst wollte ich die Verantwortung nicht übernehmen. Mir war der Betrieb zu groß und das Geschäft zu hart. Ich habe zwei Brüder. Einer kümmert sich um die Abo-Kisten, der andere hatte Interesse, den Hof zu übernehmen, aber auch er hatte keine landwirtschaftliche Erfahrung. Wir haben es dann gemeinsam versucht, doch das hat nicht wirklich funktioniert. Als er schließlich ausgestiegen ist, stand ich plötzlich alleine da. Am Ende habe ich den Betrieb wohl übernommen, weil ich nicht „Nein“ sagen konnte und einem Teil von mir sehr viel daran lag, den Hof weiterzuführen – auch, weil es hier einfach so wunderschön ist.
In erster Linie haben mich meine Familie und Menschen aus meinem Umfeld sehr unterstützt. Am Anfang habe ich auch eine Betriebsberatung gemacht, die mir sehr geholfen hat. Außerdem hatten wir einen Mitarbeiter, der ursprünglich aus der BWL kam. Er hat mir viel beigebracht, besonders was Zahlen und Kalkulationen angeht. Für den persönlichen Bereich habe ich dann noch ein Coaching gemacht. Damit war ich mehr oder weniger vorbereitet auf das, was mich erwartet hat. Aber es war definitiv ein Prozess, und es hat etwa eineinhalb Jahre gedauert, bis ich wirklich Fuß gefasst und mich in den Betrieb eingearbeitet hatte.
Für mich war es vor allem wichtig, dass ich mich hier wohlfühle. Die Verantwortung, als Chefin alle Entscheidungen treffen zu müssen, hat mich anfangs wirklich extrem überfordert. Deshalb habe ich mich intensiv mit Betriebsführung beschäftigt, super viel gelesen und mich weitergebildet. In dieser Zeit habe ich regelrecht die Zeitschrift „Neue Narrative“ verschlungen und versucht, neue Ansätze und Perspektiven für unseren Betrieb zu entwickeln. Das hat mir sehr geholfen, mein eigenes Ding zu machen.
Für mich war es vor allem wichtig, dass ich mich hier wohlfühle. Die Verantwortung, als Chefin alle Entscheidungen treffen zu müssen, hat mich anfangs wirklich extrem überfordert.
Die größte Herausforderung für mich ist das Leben und Arbeiten am gleichen Ort. Es ist oft schwierig, richtig abzuschalten. Dazu kommt, dass es in der Geschäftsführung Phasen gibt, in denen man sich unsicher ist, welche Aufgaben als Nächstes anstehen. Während alle anderen Mitarbeitenden klare, körperliche Aufgaben haben, die sie abarbeiten können, stehe ich manchmal dazwischen und muss mir selbst die nächsten Schritte suchen. Das fällt mir schon noch schwer.
Bei uns dürfen Männer* Blumen pflücken und Frauen* Trecker fahren, wenn sie möchten. Klischeehafte Rollenbilder haben hier keinen Platz.
Für mich bedeutet es vor allem, einen Arbeitsort zu schaffen, an dem ich mich selbst wohlfühle. Als ich hier angefangen habe, machte mir die Arbeit zwar Spaß, aber ich fühlte mich als Person nicht wirklich willkommen. In der Landwirtschaft und auf dem Land herrschen oft noch konservative Rollenbilder. Während meines Studiums in Hamburg war ich in Kreisen unterwegs, die genau das Gegenteil davon waren.
Der Begriff „queerfeministisch“ passt für mich deshalb so gut, weil er bedeutet, Menschen nicht nach Geschlechterrollen zu bewerten, sondern nach ihren Fähigkeiten und Interessen. Das ist mir besonders wichtig, weil ich auch so behandelt werden möchte. Bei uns dürfen Männer* Blumen pflücken und Frauen* Trecker fahren, wenn sie möchten. Klischeehafte Rollenbilder haben hier keinen Platz.
In der Region hier gibt es sowohl sehr aufgeschlossene Menschen als auch solche, die sich nicht für neue Ansätze interessieren. Einige sind so in ihren Gewohnheiten verhaftet, dass sie alles beim Alten belassen. Die haben gewisse Dinge immer so gemacht und machen sie einfach immer so weiter. Mit denjenigen, die offen sind und Interesse an meinem Ansatz zeigen – unabhängig davon, wie sie ihren eigenen Betrieb führen – komme ich sehr gut zurecht. Mit denen, die meine Ansichten und Arbeitsweise sofort ablehnen, habe ich es schwieriger, und umgekehrt. Insgesamt habe ich aber noch keinen wirklichen Gegenwind erfahren.
Hier in der Region sind Frauen* in den Betrieben oft kaum sichtbar, was ihnen aber auch eine gewisse Freiheit gibt. Männer* hingegen sehen sich oft gezwungen, eine feste Rolle einzuhalten – den Betrieb zu führen, Entscheidungen zu treffen und stark zu sein. Das tut mir manchmal leid, und ich denke oft: „Die Armen!“.
Durch mein Coaching habe ich gelernt, dass ich selbst unglücklich war, immer nur die Rolle der Geschäftsführerin zu übernehmen. Mir war das zu einseitig und es hat mich belastet, weil man dabei alle anderen Persönlichkeiten wie gelegentliche Verpeiltheit, Müdigkeit oder Quatschigkeit ausblenden muss, um immer „der Chef“ zu sein.
Wenn ich sehe, wie sehr andere in ihren Rollen gefangen sind, wird mir klar, dass das nicht gesund ist. Viele arbeiten bis zur Erschöpfung, sowohl mental als auch körperlich. Frauen* haben meiner Meinung nach in der Branche oft ein besseres Gespür dafür, wann es zu viel wird und wann es Zeit ist, Aufgaben abzugeben oder sich Unterstützung zu holen.
Männer* sehen sich oft gezwungen, eine feste Rolle einzuhalten – den Betrieb zu führen, Entscheidungen zu treffen und stark zu sein. Das tut mir manchmal leid.
Teilweise ja und teilweise nein. Es gibt immer noch Gesetze wie die Höfeordnung in einigen Bundesländern, die besagt, dass immer der älteste Sohn den Hof übernimmt. Wenn mein älterer Bruder sich also entschieden hätte, den Hof zu übernehmen, hätte ich wirklich gar keine Chance gehabt, ihn zu führen. Da ist das System einfach noch gar nicht geschlechtergerecht angepasst.
Ich wünsche mir vor allem, dass sich die traditionellen männlichen* Rollen in der Branche verändern.
Ich wünsche mir vor allem, dass sich die traditionellen männlichen* Rollen in der Branche verändern. Oft habe ich den Eindruck, dass Männer* glauben, eine höhere Leidensfähigkeit zeigen zu müssen – mehr leisten, mehr aushalten, mehr schaffen. Sie gönnen sich selten Pausen, arbeiten bis zur Erschöpfung und sind nicht bereit, Aufgaben abzugeben, obwohl das manchmal für alle Beteiligten einfacher wäre. Es wäre gut, wenn diese „Macher-Rolle“ aufgebrochen werden könnte, um mehr Balance und Wohlbefinden in der Branche zu ermöglichen.
Ich würde auf jeden Fall empfehlen, zunächst ein Praktikum zu machen, um einen guten Überblick zu bekommen. Und ich glaube es ist super wichtig, Dinge mit Humor zu nehmen. Als Frau* in handwerklichen und landwirtschaftlichen Berufen hebt man sich oft hervor und gilt als etwas „Besonderes“. Da muss man sich gelegentlich Kommentare anhören. Da ist es entscheidend, ein dickes Fell zu entwickeln und eben nicht alles persönlich zu nehmen.