"Es droht eine Versorgungskrise" - Emma Klenk zum neuen Hebammenhilfevertrag
23. Mai 2025
geschrieben von Gastautor*in

„Ich bin Hebamme und ich liebe meinen Beruf. Doch am 2.4.2025 wurde eine Entscheidung getroffen, die unsere Arbeit, unsere Existenz und die Geburtshilfe in Deutschland massiv gefährdet“. So beginnt das "TikTok"-Video von Emma Klenk nach dem Schiedsspruch über den neuen Hebammenhilfevertrag. Beleghebammen sollen zukünftig noch schlechter bezahlt werden.
„In Bayern, wo besonders viele Babys von Beleghebammen auf die Welt gebracht werden, droht eine echte Versorgungskrise“, erklärt die 27-Jährige. Emma Klenk ist Hebamme im "Klinikum Rechts der Isar" in München. Auf "Instagram" und "TikTok" teilt sie Eindrücke von ihrem Alltag als Hebamme. Im Interview erklärt sie die Konsequenzen des neuen Hebammenhilfevertrags.
"Es droht eine echt Versorgungskrise: weniger Betreuung, weniger Hebammen, mehr Geburten – ohne die notwendige finanzielle Unterstützung."
Femtastics: Auf Social Media thematisierst du die Konsequenzen des neuen Hebammenhilfevertrags für Beleghebammen: Wenn eine Beleghebamme mehrere Frauen* gleichzeitig betreut, bekommt sie in Zukunft weniger Geld pro Geburt.
Emma Klenk: Korrekt, der Hebammenhilfevertrag soll die 1:1-Betreuung in Kliniken fördern, was ich grundsätzlich richtig und wichtig finde. Die ist jedoch nur dann erfüllt, wenn eine Hebamme eine gebärende Frau* durchgehend zwei Stunden vor und zwei Stunden nach der Geburt betreut. Das klingt zunächst gut, ist in unseren Kreißsälen aber völlig unrealistisch. Denn wenn in diesem Zeitraum eine zweite Frau* hinzukommt, geht die Rechnung nicht mehr auf.
Derzeit ist es noch so, dass eine Hebamme 100% der Leistungen bei der Krankenkasse abrechnen kann, wenn sie zwei Frauen* komplett und eine Frau* für eine Stunde betreut. Ab dem 1.11. wird die Vergütung jedoch angepasst: Die erste Frau* wird nur noch zu 80 % vergütet, und die zweite sowie die dritte Frau* nur noch zu 30 %.
Welche negative Konsequenz hätte das?
Es droht eine echt Versorgungskrise: weniger Betreuung, weniger Hebammen, mehr Geburten – ohne die notwendige finanzielle Unterstützung.
"Wir sollten uns vor Augen halten, dass Beleghebammen Deutschlandweit 20% aller Geburten begleiten."
Du selbst hast dich nach deiner Ausbildung dazu entschieden, als freiberufliche Beleghebamme zu arbeiten, anstatt in eine Festanstellung zu gehen. Fällt dir diese Entscheidung nach dem Schiedsspruch nun auf die Füße?
Ich hoffe nicht! Als ich 2020 die Ausbildung zur Hebamme abgeschlossen habe, war das Belegsystem in Bayern bereits etabliert. Ich war jedoch von Anfang an überrascht, wie flexibel wir Hebammen mit dem Modell sind und wie gut wir dadurch Frauen* im Kreißsaal betreuen können.
Wir sollten uns vor Augen halten, dass Beleghebammen Deutschlandweit 20% aller Geburten begleiten, in Bayern sind es sogar 80%. Das dies nun gefährdet ist, finde ich sehr schade.
Was ist der Unterschied zwischen einer Beleghebamme und festangestellten Hebamme?
Der größte Unterschied ist der Personalschlüssel und die Bezahlung. Wir Hebammen haben natürlich alle den Auftrag sicherzustellen, dass Geburten 24/7 betreut sind. Beleghebammen organisieren sich jedoch anders. Das kommt daher, das sie freiberuflich tätige Hebammen sind, die einen Belegvertrag mit der Klinik eingehen, um gebärende Frauen* im Kreißsaal zu begleiten.
Wir arbeiten in einem Kollektiv und schauen, dass dieselbe Hebamme eine Frau* von der ersten Wehe bis zur Geburt betreuen kann. Das versuchen wir in unserer Klinik in München durch 12 Stunden-Dienste zu schaffen, also durch das Zweischichtensystem. Dafür müssen im Tagdienst drei Hebammen arbeiten, außer der Kreißsaal ist leer. Und im Nachtdienst sind es zwei Hebammen und eine in Rufbereitschaft.
Es gibt ein Diagramm vom deutschen Hebammenverband, in welchem die verschiedenen Betreuungsmodelle verglichen werden. Demnach kommt das Belegsystem einer 1:1 Betreuung am nächsten. Eine Level 1 Klinik mit einer ausgewiesenen Kinderstation zur Versorgung von Frühchen und kranken Neugeborenen sowie einer Level 2 Klinik, hat circa 30% 1:1 Betreuungen.
"Das ist absolut realitätsfern in unserem Kreißsaal, in dem wir mit Risikoschwangeren arbeiten, die regelmäßige Kontrollen benötigen."
Und wie verhält es sich bei einer festangestellten Hebamme?
Angestellte Hebammen haben dagegen nur eine Quote von 2% an exklusiv-Betreuungen von werdenden Müttern. Das kommt daher, weil im Festangestelltensystem der Personalschlüssel teilweise nicht ganz so gut ist wie bei uns. Außerdem ist es für den Verdienst der angestellten Hebamme egal, ob sie fünf Frauen* parallel betreut oder nur eine.
Wenn alle Hebammen mit einer Frau* belegt sind und plötzlich eine Frau* mit Zeichnungsblutungen oder einem Blasensprung vor dem Kreißsaal steht, was machst du dann zukünftig?
Das fällt dann in die Kategorie „Verdacht auf Geburtsbeginn“. Laut dem neuen Vergütungsschlüssel kann ich diese Frau* jedoch theoretisch nicht betreuen, weil der Zuschlag für die 1:1-Betreuung in diesem Fall wegfällt. Selbst wenn ich nur fünf Minuten mit ihr spreche und das abrechnen möchte, ist das nicht möglich. Das ist absolut realitätsfern in unserem Kreißsaal, vor allem in unserer Klinik, in der wir mit Risikoschwangeren arbeiten, die regelmäßige Kontrollen benötigen.

Emma Klenk ist Beleghebamme in München
Könnten die Änderungen ab November auch dazu führen, dass weniger Frauen* in den Kreißsaal aufgenommen werden?
Wir Hebammen sprechen oft darüber, denn theoretisch müssten wir die Frauen* dann an der Tür ablehnen. Aber das entspricht nicht unserem Hebammenkodex. Wenn Frauen* mit einer Blutung kommen, müssen wir das abklären. Wir können nicht einfach sagen, dass wir kein Geld dafür bekommen und sie schauen müssen, wo sie sonst hingehen.
Wie geht es zukünftig Hebammen in der außenklinischen Geburtshilfe?
Die Hebammen der außerklinischen Geburtshilfe profitieren von dem Gesetz definitiv. Leider kommt bei uns Hebammen aber nun das Gefühl auf, dass der neue Hebammenhilfevertrag uns ein bisschen spaltet.
Eine außerklinische Hebamme hat mal unter eins meiner Videos kommentiert, dass es absoluter Schwachsinn sei, dass wir Beleghebammen uns nun aufregen würden. Tatsächlich ist es jedoch so, dass wir Beleghebammen ab November so benachteiligt werden, dass viele überlegen aus dem Beruf auszusteigen.
Ist es für Beleghebammen eine Option sich fest anstellen zu lassen?
Das ist das Verrückte. Als wir vor Jahren in die Vertragsverhandlungen gegangen sind, wollten wir die Beleghebammen stärken und die Direktbetreuung fördern. Durch das neue Vergütungsmodell im Hebammenhilfevertrag passiert nun genau das Gegenteil. Hebammen fühlen sich nun dazu gedrängt sich anstellen zu lassen. Das ist wirklich schade.
"Wir haben rund 2.000 Geburten im Jahr in unserem Krankenhaus, das sind ungefähr fünf Geburten pro Schicht."
Was für langfristige Veränderungen im Belegsystem müsste es geben, damit das neue Modell auch für euch gerecht wäre?
Ich glaube, es müssten viel mehr Hebammen in Rufbereitschaft sein und sich die Abrechnung bei den Krankenkassen dafür ändern. Erstens ist es aber schwer zu planen, Hebammen rund um die Uhr in Bereitschaft zu halten. Niemand kann vorhersehen wieviel Geburten an dem Tag kommen werden – so kann es passieren, dass an einem Tag keine Geburt stattfindet oder plötzlich zehn Geburten.
So viele Hebammen auf Stand-by zu haben wäre finanziell nach dem aktuellen Modell nicht machbar. Dazu muss man wissen, wie die Rufbereitschaft bei uns vergütet wird: Die Einnahmen der betreuten Geburten fließen in einen gemeinsamen Topf, aus dem anteilig die Rufbereitschaften der Kolleginnen vergütet werden. Wenn also niemand zur Geburt kommt, aber alle auf Abruf bereitstehen, ist das für uns Beleghebammen ein Minusgeschäft.
Jährlich werden bundesweit etwa 160.000 Babys von Beleghebammen geboren. Wie viele Babys kommen bei dir pro Dienst zur Welt?
Wir haben rund 2.000 Geburten im Jahr in unserem Krankenhaus, das sind ungefähr fünf Geburten pro Schicht. An manchen Tagen kommen fünf bis sechs Kinder auf die Welt und an anderen Tagen gar keine. Aber wir haben auch schon in einem 12- Stunden Dienst zehn Geburten gehabt. Mein Maximum waren 10 Geburten mit zwei weiteren Kolleginnen. Den Dienst werde ich nie vergessen.
"An der Kreißsaaltür legt man das Gefühl ab, dass man gerade von einer stillen Geburt kommt. Man muss ja schließlich zu einer Frau* mit einem lebenden Kind kommen."
Was ist an diesem Tag passiert?
Ich habe fünf Geburten begleitet, meine Kollegin drei und die andere zwei. Wir sind nur noch von A nach B gesprungen. Da ist parallel so viel passiert. Denn zu den Geburten kommt dann noch der normale Klinikbetrieb mit ambulanten Kontrollen und Einleitungen und Frauen* mit Verdacht auf Geburtsbeginn dazu.
Das traurige an diesem Dienst war, dass ich eine sekundäre Sectio hatte, vier Spontangeburten und darunter auch eine stille Geburt. Ich finde es sehr schwer zwischen den Emotionen so hin und her zu springen. An der Kreißsaaltür legt man das Gefühl ab, dass man gerade von einer stillen Geburt kommt. Man muss ja schließlich zu einer Frau* mit einem lebenden Kind kommen. Wenn eine solche Schicht vorbei ist, sprechen wir Kolleginnen darüber, was wir erlebt haben. Es braucht Zeit, um das alles zu verarbeiten.
Bisher hast du keine eigenen Kinder. Wenn du schwanger wärst, für was für eine Art Krankenhaus würdest du dich entscheiden?
Natürlich für meine eigene Klinik. (lacht) Dadurch, dass ich Hebamme bin und so viel Grundwissen mitbringe über mögliche Risiken unter der Geburt, würde ich wohl in eine Level 1 Klinik gehen. Einfach vor dem Hintergrund, dass man weiß, dass das Kind dort sofort versorgt wird, wenn irgendwas sein sollte. Außerdem würde ich mich vorher informieren wieviel Hebammen im Dienst sind und ob 24/7 Hebammen ansprechbar sind. Das empfehle ich auch den werdenden Müttern an unseren Infotagen immer.
Wie geht es für dich nun weiter?
Ich weiß es ehrlich nicht. Über meinen Kolleginnen und mir steht ein großes Fragezeichen. Der „Deutsche Hebammenverband“ möchte gegen den Schiedsspruch klagen. Wir hoffen natürlich, dass sich was ändern wird. Die nächsten Karten werden jedoch erst 2027 gemischt.
Hier findet ihr Emma Klenk:
Interview: Sabrina Proske
Fotos: "Canva", privat