Gender Mindset Gap: Das bedeutet die Geschlechterspaltung der Gen Z

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6. Februar 2024

Der Gen Z wurde in den vergangenen Jahren schon viel vorgeworfen bzw. auf sie projiziert. Der kollektiven Meinung nach zu urteilen ist die Generation ein Extrem, das in noch nie dagewesener Manier das gesellschaftliche Korsett auf allen Ebenen zerbricht. Doch ganz so progressiv, liberal und weltoffen scheint die zwischen 1996 und 2012 geborene Gruppe gar nicht zu sein, wenn man der kürzlich veröffentlichten Studie der „Financial Times“ glaubt. femtastics-Autorin Fatima Njoya untersucht, welche Gründe es für diesen Gender Mindset Gap gibt, was die Konsequenzen sein können – und hat ein Plädoyer für mehr Geschlechterdemokratie parat.

Disclamer: Im Artikel wird von Männern und Frauen gesprochen, die biologisch dem Geschlecht angehören. Natürlich können sich auch weiblich sowie männlich gelesene und nicht-binäre Personen in der Debatte wiederfinden. Der Kontinuität halber und den Daten der Studie geschuldet sprechen wir in diesem Artikel von Frauen und Männern, die biologisch dem Geschlecht angehören.

Weltweit hat eine ideologische Spaltung innerhalb der Generation Z stattgefunden.

Die gespaltene Generation Z

Gemeinsam mit dem „Survey Center of American Life“, hat die „Financial Times“ herausgefunden, dass weltweit eine ideologische Spaltung innerhalb der Generation Z stattgefunden hat. Das Ergebnis: konservative Männer mit Affinität zum pro-nationalen Gedankengut auf der einen Seite und liberale Frauen mit progressiv, feministischen Werteeinstellungen auf der anderen. Eine Entwicklung, die die Grundfesten unseres Zusammenlebens stark beeinflusst und sich bereits jetzt in vielen Bereichen des Lebens bemerkbar macht – sie unmittelbar bedingt. Kurz gesagt, es ist ein Spiel der Kausalitäten, in denen verschiedene Faktoren in einer Wechselwirkung die Ausrichtung der Zukunft beeinflussen.

Sprichwörtlich leben Männer und Frauen auf unterschiedlichen (geistigen) Planeten.

Genz Z und der Kampf der Geschlechter

Laut der „FT“-Studie lag die geschlechtsspezifische Differenz von Männern und Frauen noch nie so weit auseinander wie zwischen den 18 bis 30-Jährigen. Die politischen Ansichten und Wertvorstellungen innerhalb der Gen Z haben sich weltweit in zwei parallel zueinander existierende Pole gespalten – mit einer Differenz von 30 Prozentpunkten in Deutschland. Sprichwörtlich leben Männer und Frauen auf unterschiedlichen (geistigen) Planeten. Ein neues, generationsbedingtes Phänomen, das sich seit den 2010ern stetig gesteigert hat.

Der Trend geht dahin, dass die Frauen nach links rücken, während die Männer stillstehen. Es gibt jedoch Anzeichen dafür, dass junge Männer in Deutschland aktiv nach rechts rücken.

Klassischerweise ist man sich in der eigenen Generation einig, versucht tendenziell mit den Normen und Werten der vorherigen zu brechen – gegen sie zu rebellieren. Nicht so Gen Z, die ihr eigener Gegenpol ist, sich kontinuierlich selbst widerspricht. „Generation Z ist in bestimmten Punkten superprogressiv, aber in anderen überraschend konservativ“, befindet „FT“-Autor John Burn-Murdoch. Wo die einen in „Fridays for Future“-Manier die Welt retten wollen, tragen die anderen rigoros zum Klimawandel bei. Gen Z besteht also aus zwei Generationen mit konträren, geschlechterspezifischen Mindsets. „Der Trend […] geht dahin, dass die Frauen nach links rücken, während die Männer stillstehen. Es gibt jedoch Anzeichen dafür, dass junge Männer in Deutschland aktiv nach rechts rücken“, weiß Alice Evans, eine führende Expertin auf dem Gebiet der Gender Divergenz. 

Der Content auf Social Media Plattformen ist ein Indiz, wie antifeministische Werte verbreitet werden und die Misogynie stetig steigt.

Alles nur eine Phase?

Das diese konservative Radikalisierung stattfindet, ist kein überraschendes Randphänomen, schaut man sich die Wahlergebnisse in Deutschland an. Auch der Content auf Social Media Plattformen ist ein Indiz, wie antifeministische Werte verbreitet werden und die Misogynie stetig steigt. Erinnern wir uns kurz an die Umfrage von „Plan International Deutschland“, in der ein Drittel der jungen Männer Gewalt gegen Frauen als akzeptabel wertet.

Ganz aktuell blockiert zudem Minister Marco Buschmann ein allgemeingültiges EU-Sexualstrafrecht durch das „jede sexuelle Handlung an einer Frau, die nicht einvernehmlich geschieht, als Vergewaltigung eingestuft werden soll“. Parallel dazu wird ganz offen in Internet-Bubbles gegen selbstbestimmte Frauen gewettert, ihnen gesagt, wie sie laut Male Gaze zu sein haben und wie Männer sie „überzeugen“ können. Noch bedrohlicher wird es, schaut man sich „Männlichkeits-Influencer“ wie Andrew Tate an, die einfache Weltbilder durch die Abwertung anderer bewerben. Und noch problematischer ist die Internet-Subkultur der Incels: Frauenhasser, die die „Ideologie einer hegemonialen Männlichkeit“ propagieren, sich „als Opfer einer liberalisierten Welt, die Frauen vermeintlich übergroße Freiheiten bei der Partner*innenwahl lässt“ sehen und diese als Feindbild stilisieren. Mitunter gewaltvoll.

Der Gender Mindset Gap: Fallen wir in alte Rollenmuster zurück?

Mann wünscht sich also zurück in die „guten alten Zeiten“. Dahin, wo es klare Rollenbilder gab. Das war vor nicht mal 50 Jahren. Erst mit dem Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau 1958 durften letztere nämlich ihr eigenes Vermögen verwalten, erwerbstätig werden (1977) und wurden dadurch sukzessive unabhängiger. Im Hinblick auf die steigenden konservativen Wertehaltungen von Männern der Gen Z, katapultieren uns die Studienergebnisse gedanklich also zurück in eine Zeit, in der es klare Mann-Frau-Aufgabenverteilungen gab, die Emanzipation nicht zum Status quo gehörte und das feministische Bewusstsein nicht so öffentlich ausgeprägt war.

Die Erwerbsquote der Frauen ging zwischen 2019 und 2023 weltweit um 3,4 Prozent zurück.

Kurz gesagt steht es konservative Männer gegen progressive Frauen. Und wie realistisch der Rückfall in alte Rollenklischees auch 2024 sein könnte, beweisen Zahlen des „Global Gender Gap Reports 2023“ (GGP). Diese besagen, dass die Erwerbsquote der Frauen zwischen 2019 und 2023 weltweit um 3,4 Prozent zurückging. Ein Rückschlag, der die Beteiligung auf den zweitniedrigsten Stand seit Erhebung (2006) wirft. Und das, obwohl kontinuierlich daran gearbeitet wird, strukturellen Unterschiede abzubauen.

Die konträren Leben der Gen Z: Ein Kampf gegen Windmühlen?

Laut Gender Mindset Gap scheint ein Teil der Gesellschaft nicht an Gleichberechtigung und liberalen Werten interessiert zu sein. Männer stagnieren in konservativen Denkmustern und Frauen werden selbstbestimmter und progressiver. Doch die ideologische Spaltung der Denkweisen (die mitverantwortlich für das Erlernen und Weitertragen von Grundwerten ist) blockiert ein Miteinander.

Wenn sich ein Geschlecht plötzlich abgehängt fühlt, kommt es zum Bruch. Mit schwerwiegenden Folgen in Bereichen wie der Politik, dem Beruf oder der Partner*innenwahl. Besonders hier sieht unter anderem Sachbuchautorin Meike Stoverock ein immer relevanter werdendes gendertheoretisches Phänomen namens „Female Choice“. Durch den Werteverlust (die Sicherheit der „Ernährer und Versorger“ zu sein), den die feministische Werterevolution und die #MeeToo-Bewegung mit sich brachte, finden die Geschlechter nicht mehr zusammen. Das Paradebeispiel aus dem Report hierfür ist Korea mit 0,78 Geburten pro Frau (2022) und einer sich entfremdenden Mann-vs.-Frau-Gesellschaft.

Der Fehler im Code

Klar ist, dass die Studienergebnisse in Kombination mit den anderen Entwicklungen eine immer bedrohlicher werdende Zukunft vorhersagen. Die sich durch den Gender Mindset Gap anbahnende Kluft gipfelt darin, dass sie ein Machtgefälle erschafft – real, aber auch digital. Schauen wir zum Beispiel auf die Geschlechterverteilung in einem zunehmend an Relevanz gewinnenden Feld, das der Technologie, kann diese Entwicklung ziemlich weitreichende Folgen haben.

Laut dem GGP sind Frauen in STEM (science, technology, engineering & mathematics) mit einem Prozentanteil von 29,2% immer noch signifikant unterrepräsentiert. Die auch als Gender Technology Gap bekannte Lücke wurde 2020 von Frances Ibanga, Präsidentin des „Women‘s Forums of West African States“ (ECOWAS) erkannt. Laut ihr ist sie „alarmierend“ und kann nur mit Hilfe von „inklusivem Mindset“ und „Advocacy-Arbeit“ geschlossen werden. Das wiederum erfordert Interessensvertretung und Partizipation, um Entscheidungsträger*innen und den Mainstream auf die sich anbahnenden Problematiken aufmerksam zu machen. Denn vor allem im Umgang mit Daten, Codes und Algorithmen, die unsere digitale Welt formen und beeinflussen, ist es wichtig, diverse, gleichgeschlechtliche Personenkreise zu involvieren, die kritisches Denken fördern und die Reproduktion von Biased Data Sets, die eben nicht die Gesamtgesellschaft abbilden, verhindern.

Was bedeutet das für die Zukunft?

Unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Teilaspekte muss unbedingt daran appelliert werden, dass Gen Z in ihrer Gesamtheit – Männer und Frauen – wichtig für die Zukunft ist. Auch wenn die aktuelle Studie darauf hindeutet, dass der Dialog mitunter nicht einfach werden wird, ist es wichtig, sich zu erinnern, dass für jede Art der Zusammenkunft zunächst das Gesprächskonzept von „Agree to disagree“ gelten sollte, dass Zuhören und Auseinandersetzen essentiell sind. Auch das ist eine Frage des Mindsets!

Was wir brauchen, ist ein gemeinsames Grundverständnis, das Meinungspluralität lebt und in dem Mann und Frau nicht zu Feindbildern werden.

Wir dürfen also, so sehr das den eigenen Prinzipien vielleicht entgegensprechen mag, niemanden zurücklassen, wenn wir die Zukunft von Morgen kreieren wollen. Nicht jede*r muss einer Meinung sein, nicht jede*r kann einer Meinung sein. Aber in der Demokratie müssen wir alle zusammenleben – etwas, das schlecht funktioniert, wenn eine Generation beginnt, sich geschlechtsspezifisch zu spalten.

Was wir brauchen, ist ein gemeinsames Grundverständnis, das Meinungspluralität lebt und in dem Mann und Frau nicht zu Feindbildern werden. Geschlechterdemokratie bedeutet demnach in ihrer Essenz Kompromissbereitschaft; das stetige (Neu-)Verhandeln von Wertvorstellungen mit der Frage, welche Meinungen zeitgemäß noch mehrheitsfähig sein sollten. Wir brauchen eine vernünftige gemeinsame Mitte, das sorgsame Annähern einer ganzen Generation – mit anscheinend ziemlich gegensätzlichen Weltanschauungen.


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4 Kommentare

  • Seidou Njoya sagt:

    schöner Beitrag. Die Welt dreht sich schneller und viele haben Schwierigkeiten sich mit ihr minset an die neuen Realitäten einzustellen bzw. anzupassen.

  • A. K. sagt:

    Sind solche derartigen Verallgemeinerungen wirklich sinnvoll? Weder Andrew Tate noch Marco Buschmann gehören altersmässig der Gen Z an. Auf progressive Vorstösse sind fast immer konservative Flashbacks gefolgt, das ist kein neues Phänomen.

    • Anna Weilberg sagt:

      Welche Verallgemeinerungen? Der Text bezieht sich ja auf die Ergebnisse von Studien, also auf belegte Fakten. Es stimmt, dass auf progressive Entwicklungen oft konservative Reaktionen gefolgt sind, aber ein neues Phänomen ist vielleicht die geschlechterbezogene Spaltung der Einstellung.

  • Geraldine sagt:

    Sehr spannend! Hat mich sehr inspiriert und zum Nachdenken angeregt!

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