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Feminismus

Lara Schulschenk: "Der Wohnungsmarkt ist längst eine Gefahr für die Demokratie"

26. November 2025

geschrieben von Gastautor*in

Lara Schulschenk über den Mietenwahnsinn

Mit ihrem Buch „No Sweet Home“ trifft Journalistin Lara Schulschenk einen Nerv. Sie beschreibt, wie der Mietenwahnsinn unseren Alltag, unser Zusammenleben und letztlich auch die Demokratie verändert. Wir haben mit ihr darüber gesprochen, warum Wohnen längst kein privates Problem mehr ist, wie Vermieterstrukturen Macht verschieben und weshalb der politische Umgang damit oft hilflos wirkt.

"Wo Menschen das Gefühl haben, wortwörtlich keinen Platz in der Gesellschaft zu haben, haben es Demokratie und Zusammenhalt schwer."

femtastics: Lara, Warum braucht es eine Revolution des Wohnungsmarktes?

Lara Schulschenk: Weil es dabei um etwas Existenzielles geht. So, wie der Wohnungsmarkt gerade ist, ist er eine Gefahr für unsere Demokratie. Das klingt groß, aber die Zahlen sind eindeutig. 2024 hat der „Paritätische Gesamtverband“ veröffentlicht, dass 5,4 Millionen Menschen allein durch ihre Wohnkosten in Armut rutschen. Das sind Menschen, die eigentlich über der Armutsgrenze leben würden.

Armut schwächt eine Gesellschaft. Sie gefährdet die Demokratie, weil sie Ungleichheit verstärkt und rechtsextreme Kräfte stärkt. Außerdem brauchen wir in einer Demokratie ein Wir-Gefühl, die Bereitschaft, Kompromisse einzugehen. Doch der Wohnungsmarkt torpediert das. Wenn Menschen um ein Grundbedürfnis wie bezahlbaren Wohnraum konkurrieren müssen, entsteht kein Zusammenhalt. Und der bezahlbare Wohnraum wird immer weniger. Wo Menschen das Gefühl haben, wortwörtlich keinen Platz in der Gesellschaft zu haben, haben es Demokratie und Zusammenhalt schwer.

"Die Neuvertragsmieten in den sieben größten deutschen Städten sind seit 2013 um rund 75 Prozent gestiegen. Die Löhne tun das nicht."

Seit wann ist diese Entwicklung zu beobachten?

Seit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008. Durch die Niedrigzinspolitik wurde Wohnraum plötzlich ein attraktives Anlageobjekt. Und je mehr Investor*innen Geld damit verdienen wollen, desto teurer werden Immobilien und Mieten. Nach Zahlen des „ifo-Instituts“ sind die Neuvertragsmieten in den sieben größten deutschen Städten seit 2013 um rund 75 Prozent gestiegen. Die Löhne tun das nicht.

Kannst du ein paar Kennzahlen nennen, die die Lage greifbar machen?

Ja: Knapp 53 Prozent aller Deutschen leben zur Miete.
Jeder dritte Mieterhaushalt ist durch Wohnkosten überlastet.
Etwa jeder vierte rutscht deshalb in Armut.
Und ohnehin schon arme Haushalte geben im Schnitt 50 Prozent ihres Einkommens für Miete aus.

"Es ist eine Umverteilung von unten nach oben."

Du beschreibst im Buch diese enorme Machtverschiebung zwischen Vermietenden und Mietenden. Wie sieht die aus?

Im Großen und Ganzen herrscht da ein extremes Ungleichgewicht. Mietende sind von Vermietenden abhängig und die wiederum verdienen damit Geld. Da ist ein gewisses Verantwortungsbewusstsein und Professionalität extrem wichtig – allerdings darf in Deutschland jeder Hans und Franz hobbymäßig über das Grundbedürfnis anderer Leute verfügen. Und es geht bergab. Das ist gut zu beobachten an den vielen Möchtegern-Immo-König*innen auf Social Media. Die wollen aus ihren Mietwohnungen so viel Gewinn rausquetschen, dass sie nicht mehr arbeiten müssen. Da stehen die eigenen Interessen über allem.

Ein riesiger Teil der Gewinne kommt aus Mieten, die Menschen zahlen müssen, um überhaupt ein Dach über dem Kopf zu haben. Es ist eine Umverteilung von unten nach oben.

Wenn wir uns da noch einmal die Konzerne etwas genauer anschauen, sehen wir, dass die vier größten deutschen Immobilienkonzerne laut Finanzwende 2023 eine Abschöpfungsquote von 41 Prozent hatten. Das heißt, dass die Konzerne pro Euro gezahlter Miete 41 Cent Gewinn einsacken konnten. Let that sink in.

Und die Politik schreitet nicht ein.

Exakt. Seit 1990 ist zum Beispiel die Zahl der Sozialwohnungen von drei Millionen auf eine Million gesunken. Das ist pures politisches Versagen. Die Wohnungsgemeinnützigkeit hätte helfen können, wurde aber abgeschafft und kommt jetzt nur in einer Light-Version zurück.

"Wir haben kein Angebot-Nachfrage-Problem, sondern ein Preisproblem. Es gibt Wohnraum. Er ist nur zu teuer, weil Vermietende ihn so teuer machen können."

Trotzdem spielt Wohnpolitik im Wahlkampf immer wieder eine Rolle. Ist das ernst gemeint – oder nur ein Hebel für Stimmen?

Das Thema eignet sich hervorragend für Wahlkampfbilder und zwar für alle politischen Lager. Olaf Scholz hat das Thema zum Beispiel groß gespielt. Passiert ist in seiner Amtszeit aber wenig. Die Linke hat das Thema im letzten Wahlkampf stark in den Fokus gerückt und hat damit großen Erfolg gehabt. Das ist übrigens kein deutsches Phänomen, sondern Wohnraum als Wahlkampfthema konnten wir gerade auch sehr erfolgreich in den Niederlanden und bei den Wahlen in New York beobachten.

Rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien nutzen das Thema auch, aber anders. Sie behaupten, Migrantinnen und Migranten „nähmen den Wohnraum weg“. Das ist schlicht falsch. Wir haben kein Angebot-Nachfrage-Problem, sondern ein Preisproblem. Es gibt Wohnraum. Er ist nur zu teuer, weil Vermietende ihn so teuer machen können.

Was braucht es politisch, um die Lage wirklich zu verändern?

Wir brauchen Vermietende, die nicht ausschließlich gewinnorientiert agieren. Gemeinwohl muss eine Rolle spielen. Aktuell können sich aber diejenigen mit dem meisten Kapital am stärksten durchsetzen.

Politisch heißt das: Gewinne begrenzen, Investor*innen abschrecken, die nur Geld vermehren wollen, und Mietpreise regulieren – aber bitte wirksam. Die Mietpreisbremse ist ein Schweizer Käse mit riesigen Schlupflöchern. Seit zehn Jahren sehen wir, dass sie so gut wie gar nichts bringt. Es ist fast zynisch, dass sie verlängert wurde.

Außerdem wäre es sinnvoll, wenn die Kommunen wieder stärkeren Einfluss auf ihren Grund und Boden erlangen, um die absurden Preisentwicklungen im Keim zu ersticken.

"Es scheitert nicht daran, dass Wohnungssuchende etwas falsch machen würden, sondern am Wohnungsmarkt."

Hat Deutschland eher ein Umsetzungs- oder ein Ideenproblem?

An Ideen mangelt es jedenfalls nicht. Wir haben tolle Beispiele im eigenen Land. Ulm etwa betreibt eine Bodenpolitik, die klar anerkennt, dass Wohnen an Boden, auf dem gebaut werden kann, gebunden ist. Und Boden ist begrenzt. Die Stadt hält große Teile davon selbst. Wer kommunalen Boden in Ulm kauft und ihn dann nicht zweckgemäß nutzt, muss ihn später zum gleichen Preis an die Stadt zurückverkaufen.

Doch dafür müsste der Staat Boden, den er über Jahren verramscht hat, heute zu den aktuellen Marktpreisen zurückkaufen. Das ist teuer – es sei denn, man würde vergesellschaften.

Du bekommst viele Zuschriften von Menschen, die keine passende Wohnung finden. Was sagen sie?

Das sind oft ganz private Geschichten. Zum Beispiel von einem Paar, das eigentlich ein Kind haben möchte, aber in einer Ein- oder Zwei-Zimmer-Wohnung feststeckt. Oft werde ich dann auch nach Tipps gefragt, aber da muss ich klar sagen: Ich gebe keine Tipps. Wenn man nicht gerade eine Wohnung zu vergeben hat, ist es sinnlos zu erklären, wie man eine findet. Die Leute wissen das längst. Es scheitert nicht daran, dass Wohnungssuchende etwas falsch machen würden, sondern am Wohnungsmarkt.

Wichtiger ist, Räume zu schaffen, in denen man über diese Frustration sprechen kann. Und einen Blick auf Projekte zu werfen, die wirklich etwas bewegen. Und die gibt es durchaus.

"Wenn Menschen Angst um ihr Zuhause haben müssen und von Vermietenden ausgenommen werden wie Weihnachtsgänse, schadet das unserer Demokratie."

Zum Beispiel?

Zum Beispiel der CDU-Bürgermeister in Landau. Der geht sehr hart gegen Leerstand vor. Oder in Köln, da erwarb der Verein „Auftrag Südstadt“ ein zum Verkauf stehendes Haus über eine Genossenschaft, um es vor Spekulation zu schützen und bezahlbaren Wohnraum zu sichern. Auch der Enteignungsentscheid in Berlin ist so ein Beispiel. Es gibt viele Versuche, etwas positiv zu verändern.

Aber wenn die Bundespolitik nicht endlich ernsthaft einschreitet, ist das ein Kampf gegen Windmühlen.

Wie hältst du durch, in diesem Kampf gegen Windmühlen?

Ich bin Journalistin. Ich kämpfe nicht, ich kläre auf. Und ich merke bei jeder Kommentarspalte, jedem Leserbrief: Die Immobilienlobby dominiert die Deutungshoheit. Das motiviert mich, weiterzumachen und sauber zu informieren.

Du hast das letzte Wort:

Wenn Menschen Angst um ihr Zuhause haben müssen und von Vermietenden ausgenommen werden wie Weihnachtsgänse, schadet das unserer Demokratie.

Interview: Sarah Kessler
Foto: Luisa Hoeppner