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Feminismus

Performative Males: Scheinfeministen oder Scheindebatte?

20. September 2025

geschrieben von Gastautor*in

Sarah Kessler über Performative Males

Matcha Latte, Jutebeutel, bell hooks unterm Arm – und plötzlich ist er da: der „Performative Male“. Auf Social Media wird er gefeiert, verspottet und in Memes verewigt. Männer*, die mit feministischen Codes spielen, ohne die Praxis dahinter ernst zu nehmen, sind keine neue Erscheinung – aber gerade wieder hoch im Kurs.

Was auf den ersten Blick lustig wirkt, wirft bei genauerem Hinsehen wichtige Fragen auf: Wo endet ironische Pose und wo beginnt politische Praxis? Und vor allem: Wem nützt es eigentlich, wenn wir uns in endlosen Debatten über lackierte Fingernägel verlieren, während antifeministische Bewegungen weltweit an Einfluss gewinnen? Ein Kommentar von Sarah Kessler.

"Die Grundmechanik ist immer dieselbe: Auch bei den „Performative Males“ geht es wieder um Pose statt Praxis."

Alles sorgfältig kuratiert für den richtigen Auftritt

Die Codes sind schnell erzählt: Matcha Latte, Jutebeutel, ein Buch von der feministischen Ikone bell hooks unter dem Arm. Dazu Kabelkopfhörer und schwarz lackierte Fingernägel. Der „Performative Male“ ist das neue Meme der Stunde. Auf Social Media werden damit Männer* beschrieben, die sich mit Symbolen des Feminismus schmücken – und zwar nicht aus Überzeugung, sondern vor allem, um bei progressiven Frauen* Eindruck zu schinden. Ein Softboi in Neuauflage, ein Fuckboy im feministischen Kostüm.

In Berlin, Jakarta und Seattle traten sie jüngst sogar in „Performative Male Contests“ gegeneinander an. Dort wird der Schein-Feminist nicht nur parodiert, sondern auch bloßgestellt. Denn eines ist ihm so sicher wie der kunstvoll drapierte Blumenstrauß im Jutebeutel: Er wird nicht als Verbündeter verstanden, sondern als Blender.

Neu ist die Debatte nicht

Alle paar Jahre feiert sie ein Comeback. Eine der letzten prominenten Runden drehte sich um Sebastian Tigges, den damaligen Partner von Marie Nasemann, der seine lackierten Fingernägel auf „Instagram“ als „feministische Praxis“ bezeichnete. Natürlich ist es das nicht, wenn Männer* in Großstädten mit Symbolen spielen, die feministisch anmuten (und nebenbei damit noch ihre persönliche Marke schmücken, Kapitalismus und Patriarchat waren ja eh schon immer best friends).

Auf dem Land mag das übrigens schon wieder ganz anders sein, Stichwort Sehgewohnheiten. Die Grundmechanik ist immer dieselbe: Auch bei den „Performative Males“ geht es wieder um Pose statt Praxis. Wir kennen die Argumente dagegen, und an alle Frauen*, die mit ihrem Spott nun meine for-you-page fluten: Ihr habt ja Recht. Oder? Oder?

Der Begriff „performativ“ hat seinen festen Platz in den Gender Studies. Judith Butler war Anfang der 1990er-Jahre eine der ersten, die Geschlecht nicht als naturgegeben, sondern als soziale Konstruktion beschrieben hat. Als etwas, das erst durch die ständige Wiederholung von Symbolen und Handlungen plausibel wird. Inzwischen ist diese Sichtweise zum Fundament der Gender Studies geworden, auch wenn Butler selbst kontrovers diskutiert wird, insbesondere seit ihren umstrittenen Äußerungen zum Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023.

"Nicht jeder, der mit schwarzen Nails und bell hooks Buch herumläuft, verfolgt eine perfide Dating-Strategie."

Pinkwashing at its best?

Der „Performative Male“ ist die ironische Popversion dieser Theorie. Klar: Männer*, die feministische Codes bewusst als Masche einsetzen, instrumentalisieren eine Bewegung, das ist pinkwashing at its best. Aber nicht jeder, der mit schwarzen Nails und bell hooks Buch herumläuft, verfolgt eine perfide Dating-Strategie (Und falls einer dieser Sorte mitliest: Lieber Pick-up-Artist, fühl dich bitte nicht angesprochen, für dich gilt das Folgende selbstredend nicht).

"Haben wir denn in Zeiten, in denen Antifeministen jeden Tag mehr Land gewinnen, nichts Besseres zu tun, als über die Frage zu diskutieren, wer sich die Fingernägel lackieren darf und wer nicht?"

Warum die Debatte antifeministischen Kräften in die Hände spielt

Warum mich diese Debatte also nervt: Ja, haben wir denn in Zeiten, in denen Antifeministen jeden Tag mehr Land gewinnen, nichts Besseres zu tun, als über die Frage zu diskutieren, wer sich die Fingernägel lackieren darf und wer nicht? Wenn im Feuilleton nun zu lesen ist: „Wenn ein Mann überzeugt von sich selbst behauptet, ein Feminist zu sein – rennt!“ (Stern) oder „Typen, die in der Öffentlichkeit lesen, waren schon immer meine Feinde“ (taz), dann spielt das am Ende antifeministischen Kräften in die Hände. Denn sie nähren den Eindruck, Feminismus richte sich grundsätzlich gegen Männer*. Führen wir gerade also eine Scheindebatte über Scheinfeministen?

Ja. Weil sie die falschen Gegner groß macht und uns von den tatsächlichen Kämpfen abhält. Und das, während in Deutschland eine rechtsextreme Partei in den Umfragen gleichauf mit der CDU bei 26 Prozent liegt, während feministische Errungenschaften unter Druck geraten, führen Trends wie der „Performative Male“ eine Nebenauseinandersetzung. Sie lenken Aufmerksamkeit auf die richtige Maniküre, während Kräfte, die Gleichstellung und Vielfalt offen zurückdrängen wollen, längst das Fundament der Gesellschaft verschieben.

Männer*, die Feminismus nur vortäuschen, sind ein Problem. Aber entscheidend ist, dass wir uns von solchen Posen nicht auseinander dividieren lassen.

Text: Sarah Kessler
Foto/Collage: Julia Löhning, "Canva"