
Seit #MeToo ist viel passiert. Immer mehr Frauen* übernehmen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft Führungspositionen, aber haben sich auch die Grundregeln der Macht geändert? In ihrem neuen Buch "Weibliche Macht neu denken", erschienen bei "Hanser Berlin", schreibt die Autorin Eva Thöne wie wir weg von Einzelkämpfer-Egos und patriarchalen Hierarchien kommen, hin zu kollektiver Gestaltung, Verantwortung und neuen Formen von Einfluss.
Im Interview spricht sie darüber, warum Frauen* sich in klassischen Machtstrukturen oft fremd fühlen, was „weibliche Macht“ wirklich bedeuten kann – und weshalb es höchste Zeit ist, das Spiel nicht länger mitzuspielen, sondern die Regeln zu verändern. Am Ende des Artikels habt ihr die Möglichkeit, das Buch von Eva Thöne zu gewinnen!
"Wir haben es verpasst, die Grundregeln der Macht wirklich neu zu schreiben."
femtastics: Liebe Eva, warum ein Buch über weibliche Macht?
Eva Thöne: Weil in den Jahren nach der #MeToo-Feminismuswelle zwar immer mehr Frauen* in Machtpositionen gekommen sind in Unternehmen, Politik und Gesellschaft – aber viele von ihnen sich dort trotzdem noch nicht wohlfühlen und sich sogar schnell wieder verabschieden.
Es gibt eine Situation, die wohl jede Frau* kennt, egal, ob sie Chefin ist oder nicht: Auch wenn heute oft nicht mehr nur eine Frau* im Raum ist, dominieren in Job-Meetings meistens die Männer*, ihre Redebeiträge werden ernster genommen, sie prägen Entscheidungen. Dieses Schweigen der Frauen* zeigt exemplarisch: Wir haben es verpasst, die Grundregeln der Macht wirklich neu zu schreiben. Diese Grundregeln belohnen zum Beispiel genialen Erfindergeist, Charisma, starkes Selbstbewusstsein – es sind seit der Antike männlich konnotierte Eigenschaften, die Coachings und Ratgeber Frauen* bis heute gerne antrainieren wollen, die aber im Widerspruch zu klassischen Weiblichkeitsvorstellungen stehen, die uns gleichzeitig prägen. Und warum muss man den Frauen* überhaupt was antrainieren, warum genügen sie nicht?
"Damit Macht integrativer – und so auch weiblicher – funktioniert, müssen wir sie entpersonalisieren und Verantwortung wichtiger nehmen als Anführertum."
Was ist “weibliche” Macht bzw. wie unterscheidet sie sich von traditionellen, patriarchalen Machtkonzepten?
Das ist eine große Frage. Was ist Macht überhaupt? Darüber gibt es zig kluge Bücher, und wenn man sie liest, ist man klüger, kann aber immer noch keine klare Antwort geben. Fangen wir mal konkret an. Unser Machtbegriff im Alltag ist nicht neutral, auch wenn wir ihn meistens nicht hinterfragen. Wir denken Macht hier stark von der Einzelperson aus, die sich in einer umkämpften Hierarchie kraft ihrer besonderen Eigenschaften gegen alle anderen durchsetzt und andere führt. Deshalb lassen wir uns zum Beispiel bis heute oft von Heldenerzählungen blenden, die fast immer nur für Männer* greifen.
Donald Trump zum Beispiel funktionierte in seinen Wahlkämpfen genau nach diesem Muster: Er räumt im Alleingang den Laden auf. Damit Macht integrativer – und so auch weiblicher – funktioniert, müssen wir sie entpersonalisieren und Verantwortung wichtiger nehmen als Anführertum. Macht ist dann auch kein Besitz mehr, den Einzelne im Kampf anhäufen und verteidigen, sondern ein sinnhaftes Gestalten der Welt, das im besten Fall abseits von Konkurrenzdenken funktioniert. Positiver Nebeneffekt: Dann werden auch keine irren Typen mehr an die Weltspitze gewählt.
"Die Mutter im Job wird es nur in Ausnahmesituationen an die Spitze schaffen, zum Beispiel dann, wenn eine Firma sehr tief im Dreck steckt. Sie darf als Trümmerfrau ran, wenn es die Männer* verbockt haben."
Streben Frauen* ebenso nach Macht wie Männer*? Soziologisch wurde viel analysiert, warum Männer* im Patriarchat mehr Anerkennung oder Bestätigung in der Karriere suchen, und Frauen* mehr in Äußerlichkeiten oder darin, gemocht zu werden.
Ja. Manche Frauen* streben nach Macht und manche Männer* tun das nicht. Im Moment sind Frauen* für ihr Machtstreben aber noch oft auf soziale Rollen angewiesen, die ihnen Gestaltungsräume eröffnen, aber sie gleichzeitig klein halten. Ein Beispiel ist die Rolle der sorgenden Mutter. Denn unsichtbare Care-Arbeit übernehmen Frauen* auch im Job. Eine Studie hat zum Beispiel gezeigt, dass Studierende mit Problemen eher zu weiblichen Lehrkräften kommen und sich mehr Verständnis von ihnen erwarten, etwa bei Verlängerung von Abgabefristen.
Und Studien zeigen auch, dass Frauen* die Übernahme solcher Care-Aufgaben als etwas werten, dass ihnen natürlich liegt, während Männer* es als Arbeit ansehen.
Das zeigt die Zweischneidigkeit der Mutterrolle: Die Mutter besitzt in unserer Gesellschaft einerseits viel Macht und genießt Respekt, aber gleichzeitig wird ihre Macht auch in Schranken gewiesen: Ihr Kümmern wird nicht entlohnt, außerdem wird ihr oft eine Selbstaufgabe zugeschrieben, aber kein eigenes kreatives Schaffen – was sie disqualifiziert für viele Führungspositionen ganz oben an der Spitze. Die Mutter im Job wird es nur in Ausnahmesituationen an die Spitze schaffen, zum Beispiel dann, wenn eine Firma sehr tief im Dreck steckt. Sie darf als Trümmerfrau ran, wenn es die Männer* verbockt haben. Und natürlich ist der Job gerade dann besonders schwierig.
Haben Frauen* die Definition von “Macht” verändert?
Einerseits ja, andererseits nein – auf individueller Ebene haben Ausnahmefrauen durch die Geschichte durch immer wieder neue Machtstile gelebt. Bis heute sind zum Beispiel viele Frauen* fasziniert von Angela Merkel, weil ihr zurückgenommenes, uneitles Auftreten so gar nicht zum Alpha-Gehabe des Berliner Politikbetriebs passte – aber hat sie strukturell die Gesetze der Macht neu geschrieben? Zwei von männlichen Spitzenpolitikern dominierte Bundeswahlkämpfe und zwei Kanzler später bin ich sicher: Nein – das kann eine Frau* allein auch gar nicht, selbst, wenn sie Kanzlerin ist.
Wahrscheinlicher ist, dass sich Merkel unter anderem auch so lange an der Macht hielt, weil sie diese nur selten strukturell herausforderte. Sie handelte ja oft nicht ideell-, sondern kompromissgetrieben. Sie ist – genau wie schon Kleopatra oder die englische Königin Elizabeth I. – eine mächtige Ausnahmefrau in der Menschheitsgeschichte.
"Wir sollten mehr für Dinge und Projekte brennen, und weniger für Hierarchien und Status. Das kann uns auch souveräner machen."
Wie kann “Macht” funktionieren, ohne andere zu unterdrücken oder zu kontrollieren? Wann ist “Macht” positiv?
Wir haben per se ein negatives Bild von Macht, das stimmt: Wir denken an Machiavelli, an Menschen, die über Leichen gehen für den eigenen Vorteil. Gleichzeitig gehen wir davon aus, dass Macht begehrenswert ist, dass alle danach streben. Man kann auch einfach sagen: Wir denken an "Game of Thrones“.
Versteht man Macht aber nicht als knappes Gut, um das Menschen konkurrieren, sondern neutraler als Lebensphase, die kommt und geht, kann man mit Macht viel gelassener umgehen. Und dann wird Macht auch positiver. Ich plädiere für eine sachbezogene Leidenschaft: Wir sollten mehr für Dinge und Projekte brennen, und weniger für Hierarchien und Status. Das kann uns auch souveräner machen. Unser bisheriger Machtbegriff ist persönlich angelegt, was auch bedeutet, dass wir kränkbar sind, wenn wir zum Beispiel die erhoffte Beförderung nicht bekommen. Wenn wir hier umlenken und uns auf Probleme und Themen konzentrieren und weniger auf Menschen, werden wir weniger neurotisch im Macht-Game.
"Die Frage ist, ob die mächtige Frau*, wie sie heute oft gewünscht ist, wirklich so viel Macht hat – oder ob sie nur danach aussieht."
Wenn sich Macht mit Führungspositionen gleichsetzen lässt, dann sind Frauen* noch immer weniger mächtig als Männer*. Das Statistische Bundesamt sagt: “Nur knapp jede dritte Führungskraft (29,1 %) war 2024 weiblich. Dieser Anteil veränderte sich seit 2012, dem Zeitpunkt der Einführung der aktuellen Klassifikation, nur wenig.” Dabei haben Frauen* keine schlechtere Ausbildung als Männer* (Zitat Statistisches Bundesamt: in akademischen Berufen “lag der Frauenanteil 2024 bei 50,2 %. Anders als bei den Führungskräften hat sich der Anteil von Frauen* in akademischen Berufen seit den 1990er-Jahren deutlich erhöht.”). Da stellt sich immer wieder die Frage nach den Ursachen. Wie bewertest du diese?
Zwei Gedanken: Zum einen glaube ich, dass Bildungsabschlüsse für Frauen* besonders attraktiv sind, weil sie damit etwas Handfestes vorzeigen können, beweisen können, dass sie qualifiziert sind. Denn auf bestimmte Qualitäten, die in Job-Hierarchien eine Rolle spielen – eben Charisma, großes Selbstbewusstsein usw. usf. – können sie ja weniger zugreifen. Und sie können auch allein durch ihr Frausein nicht Teil einer Bro Culture werden, in der informelle Beziehungen zwischen Männern* Karrieren mitbestimmen.
Zum anderen lässt sich aber Weiblichkeit auch nicht über Macht konsolidieren, Männlichkeit aber schon. Deshalb ist es plausibel, dass Frauen* nicht nach der Macht in Wirtschaft, Gesellschaft und Öffentlichkeit streben. Chefinnen fühlen sich oft zerrissen zwischen Rollen, Chefs tun das nicht, sie ziehen Selbstbestätigung aus ihrer Position.
Was hält Frauen* davon ab, sich die Macht einfach zu nehmen?
Mittlerweile sind Frauen* ja gewollt in Machtpositionen –viele Firmen können es sich nicht mehr leisten, mal wieder ein PR-Foto der Vorstandsetage zu veröffentlichen, auf dem nur Männer* in Anzügen zu sehen sind. Und ja, es gibt auch Quoten. Aber die Frage ist, ob die mächtige Frau*, wie sie heute oft gewünscht ist, wirklich so viel Macht hat – oder ob sie nur danach aussieht.
In den vergangenen Jahren war zum Beispiel die empowerte Frau* sehr präsent, vor allem im Wirtschaftsbereich: Sie ist superselbstbewusst, und wenn sie den Raum betritt, ownt sie ihn, zeigt sich auf „Instagram“ strahlend und inspiriert andere. Das ist einerseits super, weil das immer noch ungewöhnlich ist, andererseits ist Sichtbarkeit nicht gleichzusetzen mit Macht. Sie kann sogar ein Nachteil sein, weil sie Frauen* unter Umständen auf ihr Äußeres reduziert. Und: Oft geht es hier um eine sehr schmale, individualisierte und wenig politische Idee von Macht. Die Einzelne muss sich nur anstrengen – dann sprengt sie jede gläserne Decke. Und wenn sie es nicht schafft? Dann muss sie keine Revolution starten, sondern weiter an sich arbeiten.
"Warum müssen sich Frauen an männlich gemachte Spielregeln anpassen, wenn sie eine Führungsrolle übernehmen wollen?"
Du selbst arbeitest in einer Führungsposition. Fühlst du dich mächtig?
Tagesformabhängig. Derzeit arbeite ich als Ressortleiterin in einer mittleren Managementposition, ich muss Erwartungen meiner Chef*innen erfüllen und gleichzeitig mit dem Team arbeiten. Am selbstwirksamsten sind auf jeden Fall nicht die Momente, in denen es um Macht über andere Menschen geht, sondern solche, in denen ich gemeinsam mit anderen kreativ arbeite: den Kulturteil zusammenstelle, brainstorme, Ideen anschiebe. Aber auch das ist Macht, denkt man Macht als Gestaltung und nicht als Unterwerfung in Hierarchien.
Es gibt immer wieder die Kritik, dass Frauen* in Machtpositionen zu wenig merkbare Veränderungen bringen, weil sie nach den gleichen Spielregeln wie männliche Führungskräfte spielen würden. Ist diese Kritik berechtigt?
2015 kam eine Studie der Uni Hohenheim zu dem Schluss, dass die wenigen Frauen* in Führungsetagen genauso machtbewusst, dominant und gewissenlos seien wie die Männer*, dass es also keinen „weicheren“, weiblichen Führungsstil gebe. Klingt nach super Führungspersonal! Scherz.
Ich kann mir vorstellen, dass sich diese Eigenschaften heute zumindest teilweise geändert haben, weil Anforderungen an Chef*innen in vielen Unternehmen und Organisationen mittlerweile andere sind. Der autoritäre oder jähzornige Führungsstil, bei dem ein einzelner Chef Leute fertigmacht, ist ja zum Beispiel heute gottseidank oft ein Problem, keine Regel. Auf jeden Fall ist es aber falsch, den Frauen* und ihrem Verhalten die Schuld zuzuschieben. Die richtige Frage wäre eine andere: Warum müssen sich Frauen an männlich gemachte Spielregeln anpassen, wenn sie eine Führungsrolle übernehmen wollen?
Was willst Du den Leser*innen Deines Buchs mitgeben bzw. was sollen sie aus Deinem Buch mitnehmen?
Dass es nicht an ihnen liegt, wenn sie sich in Firmenmeetings mal wieder fremd fühlen – nicht sie sind am falschen Ort, der Ort ist falsch strukturiert. Deshalb haben sie keinen Grund, an sich zweifeln. Und dass sie sich klarmachen, dass Macht anders aussehen kann, als wir oft denken. Macht findet nicht nur dort statt, wo wichtige Männer mit anderen Männern reden, Macht lässt sich auch nicht nur über Follower*innen-Zahlen oder Karrieresprünge messen. Die Welt wird zum Beispiel auch dort gestaltet, wo wir oft nicht hinschauen, etwa in zivilgesellschaftlichen oder politischen Bewegungen, in die man sich nachhaltig als eine Stimme von vielen einbringt.

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Foto/Collage: Asja Caspari, "Canva"
– Werbung: In Zusammenarbeit mit "Hanser Berlin" –