Vintagemöbel sind gefragter denn je. Seit knapp einem halben Jahr betreibt Linda Käckermann, 30, das Vintage Design Studio „Ain’t No Trash“ in Hamburg-Niendorf und trifft damit genau den Zeitgeist. Hier verkauft sie eine fein kuratierte Auswahl an Vintagemöbeln und Accessoires, die Designerstücke sind oder an diese erinnern. Und will damit vor allem eins: Geschichten aus der Vergangenheit weitererzählen. Dafür ist sie jede Woche mit ihrem Transporter unterwegs, um vergessene Schätze aufzustöbern, samstags öffnet sie – wenn nicht gerade Lockdown ist – die Türen ihres Studios. Als wir sie und ihre Lebensgefährtin Lina dort besuchen, steht ein rundes Chromregal in der Mitte des Raums, schräg gegenüber lehnt ein schneeweißes Ledersofa an der Wand, entworfen 1974 von Burkhard Vogtherr für Rosenthal. Am anderen Ende des Studios stapeln sich bunte Kartellhocker übereinander. Dazwischen Vasen, Obstschalen und jede Menge Spiegel. Linda bespielt ihr Studio wie einen wechselnden Ausstellungsraum, sodass es bei jedem Besuch etwas Neues zu entdecken gibt. Im Interview erzählt sie von der spontanen Gründung, von gemeisterten Herausforderungen, sie verrät, wo sie die Möbel findet und, warum sie in Konkurrenz Inspiration findet.
Linda Käckermann: Die Idee kam mir relativ spontan letztes Jahr. Meine Lebensgefährtin Lina und ich sind von Berlin nach Hamburg gezogen. Als wir unsere Wohnung ausgeräumt haben, ist mir aufgefallen, dass kein einziges Möbelstück neu gekauft worden ist. Wir haben alles von Secondhandläden und Flohmärkten zusammengetragen. Dazu kamen noch Erbstücke, Geschirr von unseren Großeltern und kleine Accessoires, die Erinnerungen hervorrufen. Den Gedanken mit Altem zu leben, finde ich sehr schön. Er ist der Ursprung von „Ain’t No Trash“.
Nur weil Möbel alt sind, sind sie kein Müll. Mir ist es wichtig, ihre Geschichten weiter zu erzählen.
Die letzten Jahre hat in der Gesellschaft ein großer Wandel stattgefunden. Umweltbewusstsein und ein nachhaltiger Lifestyle haben sich zu einem Trend entwickelt. Genau dafür steht „Ain’t No Trash“. Nachhaltigkeit kombiniert mit tollem Design und der nötigen Wertschätzung. Nur weil Möbel alt sind, sind sie kein Müll. Mir ist es wichtig, ihre Geschichten weiter zu erzählen. Ich habe dazu eine Rechnung aufgestellt: Ein Küchentisch, der 1965 produziert wurde, ist mittlerweile 55 Jahre alt. Er hat 20.075 Tage hinter sich. Stand er in einem Zweipersonenhaushalt, wurden über 40.000 Tassen Kaffee daran getrunken. So wird aus einem Kaffeefleck eine Geschichte. Ich ernähre mich von solchen Geschichten und die sind hier ausreichend vorhanden.
Ich hatte in dem ganzen Pandemie-Wahnsinn eine Aufgabe, die mich komplett erfüllt hat.
Das ging Schlag auf Schlag! Ich habe Ende August 2020 gegründet, zwei Monate lang Möbel gesammelt, das Studio renoviert und im November 2020 Eröffnung gefeiert. Das war toll! Ich hatte in dem ganzen Pandemie-Wahnsinn eine Aufgabe, die mich komplett erfüllt hat.
Der Stillstand hat mir noch mal einen Push gegeben. Im Alltag bleiben Ideen doch länger in der Schublade liegen. Durch Corona habe ich sie direkt angepackt. Außerdem haben sich in dieser Zeit alle viel mehr und ganz anders mit dem eigenen Zuhause beschäftigt. Auf einmal war es der einzige Ort, an dem man Zeit verbringen konnte. Das ändert die Ansichten. Finde ich mein Zuhause noch inspirierend? Kann ich mir das 24/7 angucken? Oder habe ich mal Bock auf etwas Neues?
Der Gedanke, alte Möbel nicht einfach auf den Sperrmüll zugeben, sondern ihnen ein Weiterleben zu ermöglichen, hat für mich eine große Bedeutung.
Das ist ein Betriebsgeheimnis! (lacht) Ich fahre zu Haushaltsauflösungen. Parallel dazu habe ich mir ein Netzwerk aufgebaut. Von Montag bis Freitag düse ich mit meinem Transporter über die Autobahn, um Möbelstücke abzuholen. Ich hole jedes Teil selbst ab, egal wie weit ich fahren muss. Meine Freundin Lina ist meistens als Unterstützung dabei. Teilweise bekomme ich auch Anfragen. Das Palisander-Highboard kommt aus einem Haushalt, in dem die Mutter gerade verstorben ist. Die Familie war noch mitten im Trauerprozess, aber das Sideboard sollte unbedingt weiterleben. So kam es zu mir. Der Gedanke, alte Möbel nicht einfach auf den Sperrmüll zugeben, sondern ihnen ein Weiterleben zu ermöglichen, hat für mich eine große Bedeutung.
Ja, das ist es! Ich treffe bei den Auflösungen viele Leute aus meiner Generation. Sie haben das ganze Haus inklusive Möbel gekauft und wollen am liebsten morgen anfangen, alles rauszureißen. Ready, steady, go. Der Bezug zu den Möbeln fehlt vielen Menschen genauso wie die Zeit, sich Gedanken zu machen, was damit passieren könnte.
„Ain’t No Trash“ ist wie ein offline Pinterest-Moodboard. Hier soll jede*r inspiriert werden, etwas Neues auszuprobieren.
Nein. Ich kann ja nicht beeinflussen, was ich finde. Am liebsten würde ich gezielt nach Designerstücken suchen. Wenn ich einen Raum betrete, sehe ich auf den ersten Blick, was Potenzial hat – und was nicht. Pure Intuition. Das birgt natürlich ein gewisses Risiko. Jedes Möbelstück hat zwar seine Besonderheiten, spiegelt aber auch mich und meinen Stil wider. Ob das andere so fühlen, weiß ich nie.
Hier kommt alles zusammen: Space Age, Seventies, Retro, Bauhaus. Das Gefühl muss passen, nicht die Epoche. Jedes Stück hat seinen Charakter. Ich glaube, durch diese Bandbreite ist das Studio zu so einem inspirierenden Ort geworden. „Ain’t No Trash“ ist wie ein offline Pinterest-Moodboard. Hier soll jede*r inspiriert werden, etwas Neues auszuprobieren. Die Leute müssen nicht mal etwas kaufen – auch wenn das wirtschaftlich gesehen nicht das Beste für mich ist. Wenn jemand kommt, sich umschaut, nach Hause geht und die ganze Wohnung auf den Kopf stellt, ist das schon toll. Ich freue mich einfach, wenn die Kund*innen mein Studio mit viel Inspiration verlassen.
Es kommt gerade alles wieder. Die aktuelle Gucci-Kollektion ist Seventies pur und der „Wassily Chair“ das neue Must-have auf Instagram. Es ist fast so, als würde ich eine Zeitreise begehen. Es würde der Interior-Branche gut tun, einen Step zurückzumachen. Vor 50 Jahren haben sich die Leute viele Gedanken gemacht, um Möbel so langlebig wie möglich zu gestalten. Das existiert leider nicht mehr. Der Markt der Replikate ist explodiert. Die Materialien werden immer schlechter. Mit einer Ikea-Kommode kann man bestenfalls einmal umziehen. Beim zweiten Mal bricht schon das Hinterteil weg. Die Sachen hier kannst du mit auf eine Weltreise nehmen – und sie halten.
Flecken oder Macken sind für mich kein Ausschlusskriterium. Aber die Sachen dürfen nicht kaputt sein. Ich gehe nicht in den Prozess der Restaurierung. Ich putze, poliere und wenn ein Stuhl ein neues Polster braucht, gehe ich diesen Weg. Von einer Bank habe ich tagelang Kaugummi abgekratzt. Dahinter steckt eine lustige Geschichte: Sie stand Jahre auf dem Amt und musste ausrangiert werden, weil sie als Wurfgeschoss benutzt werden könnte. Die meisten Möbel, die ich abhole, sind in einem perfekten Zustand. Da bekomme ich richtig Gänsehaut! Ein Sideboard, das 50 Jahre an der selben Stelle stand und keinen Kratzer hat. Die einzige Spur, die es hinterlässt, ist die Farbveränderung an der Tapete.
Der Travertintisch ist einfach toll. Er wiegt über eine Tonne. Wir haben ihn kaum hier reinbekommen. Da haben wir wieder einmal gemerkt, dass es nicht auf die Muskelmasse ankommt, sondern vor allem auf die Technik.
Wir können alles wuppen. Das ist absolut keine Frage des Geschlechts.
Bei Haushaltsauflösungen sind meistens Männer involviert. Als Frau wird man von Grund auf unterschätzt. Aber davon lasse ich mich nicht einschüchtern. Manchmal kommt vor Ort das „männliche Helfersyndrom“, wie ich es liebevoll nenne, raus und auf einmal mühen sich vier Männer ab, einen Tisch in meinen Transporter zu hieven. Das sind herrliche Momente. Da stehe ich kopfschüttelnd im Hintergrund und lass sie einfach machen. Es ist eine reine Technikfrage. Aber manche haben das Bedürfnis, mir zu erklären, wie ich den Gurt schnüren muss, bekommen es aber selbst nicht beim dritten Anlauf hin. Wir können alles wuppen. Das ist absolut keine Frage des Geschlechts.
Irgendwie stand es schon immer auf der Liste der Möglichkeiten. Der Wunsch nach kreativer Freiheit ist tief in mir verwurzelt. Trotzdem war es letztes Jahr überhaupt nicht geplant. Zwischen dem ersten und zweiten Lockdown zu gründen, klingt mutig und verrückt. Mir war das zu diesem Zeitpunkt gar nicht bewusst. Es hat sich von Anfang an richtig angefühlt. Ich habe es nie hinterfragt. Klar kommen in jeder Gründungsphase Höhen und Tiefen, der Prozess ist anstrengend, aber ich bin meinem Gefühl gefolgt und es hat sich zu so etwas Schönem entwickelt.
Nach sechs Monaten Gründungszuschuss kann ich sagen: „Cool, es läuft.“
Ich habe den Gründerzuschuss beantragt – und kann das jedem empfehlen. Die sechs Monate haben sich wie eine Probezeit angefühlt. Ich hatte die nötige Sicherheit, konnte mich aber komplett entfalten. Und: Um den Zuschuss zu beantragen, musste ich mich nochmal intensiv mit den wirtschaftlichen Seiten einer Gründung auseinandersetzen, einen Business- und Finanzplan erstellen. Das hat mich unglaublich weit nach vorne gebracht.
Das ist es. Aber danach weiß man, dass man ein Unternehmen führen kann. Ich habe mir bewusst Zeit genommen, um zu checken: Hat meine Idee Hand und Fuß? Kann ich davon leben? Wenn man eine Idee hat, platzt man ja manchmal vor Adrenalin. Da kann man schon mal aus den Augen verlieren, ob sie weiterhin umsetzbar ist. Die ganzen Formalitäten haben mir gezeigt, dass eine Gründung mit meinen Voraussetzungen machbar ist. Nach sechs Monaten Gründungszuschuss kann ich sagen: „Cool, es läuft.“
Ich bin überzeugt, dass die aktuelle Pandemie auch Chancen mit sich bringt und viele Bereiche begünstigt. Hat man eine gute Idee, kann man auch während Corona gründen.
Für eine Gründung muss man wissen, welche Aufgabenbereiche anfallen, aber man muss sie nicht alle beherrschen. Wenn man nicht das Wissen oder die Energie hat, alles selber zu stemmen, holt man sich eben Hilfe. Einen Businessplan kann man mithilfe von Steuerberater*innen erstellen. Zu lernen, Sachen abzugeben ist ohnehin sehr wichtig. So bleibt die eigene Kreativität nicht auf der Strecke. Und – natürlich – mutig sein. Ich bin überzeugt, dass die aktuelle Pandemie auch Chancen mit sich bringt und viele Bereiche begünstigt. Hat man eine gute Idee, kann man auch während Corona gründen.
Puh, wo fängt man da an? Einen eigenen Laden zu führen, ist eine Herausforderung, weil man plötzlich sehr viel Verantwortung hat. Es hilft aber, von Anfang an den Druck rauszunehmen und alles nicht zu ernst zu sehen. Klar gibt es Punkte, an denen man nicht mehr kann oder Prozesse komplett von vorne kennenlernen muss. Aber: Ein eigener Laden, eine Gründung muss trotz allem Stress auch Spaß machen. Wenn man gründet, macht man das aus einer Intention. Diese Leidenschaft darf nicht verloren gehen. Das ist die oberste Priorität.
Ich versuche, in der Konkurrenz Inspiration zu finden und freue mich über Kooperationsanfragen. Zusammen lässt sich viel mehr erreichen als alleine.
Man sollte sich bewusst machen, wie viel Arbeit in einer Gründung steckt, dass man viel Zeit investieren muss und, dass es enorm viel Konkurrenz gibt. Gefühlt ploppen jeden Tag neue Händler auf. Ich versuche, in der Konkurrenz Inspiration zu finden und freue mich über Kooperationsanfragen. Zusammen lässt sich viel mehr erreichen als alleine. Theoretisch könnte morgen direkt nebenan ein Laden mit einem ähnlichen Konzept entstehen. Dann würden wir einen Durchbruch schlagen und uns die Hand geben. Wichtig ist, sich treu zu bleiben. Sich nicht beeinflussen zu lassen. Sonst wird man verrückt. Ich bin authentisch, transparent – und eine Frau.
Adresse: Adlerhorst 18, 22459 Hamburg
2 Kommentare
Hallo, ich hab nur 1 Klappstuhl Anonima. Wieviel kostet einer second hand ?