Wer die Künstlerin Katja Holtz trifft, wird sofort von ihrer Ausstrahlung in Bann gezogen. Vor zehn Jahren ist die heute 42-Jährige mit ihrem Mann nach New York ausgewandert. Die USA waren ihr davor nicht fremd, die Tochter deutscher Eltern ist in Connecticut aufgewachsen und als Kind nach Frankfurt gezogen. Jetzt lebt sie mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern, Flynn (6) und Otis (2), in einer 95 Quadratmeter großen 5-Zimmer-Wohnung in Clinton Hill in Brooklyn. Sie selbst beschreibt sich als „urbane Landschaftsmalerin“ – als Inspiration für ihre Arbeiten dienen architektonische Überbleibsel der modernen Gesellschaft: von Street Art bis Graffiti. Wir sprechen mit ihr über das Leben und Arbeiten im Big Apple, ihre Zeit als Inneneinrichterin und Ladenbesitzerin, künstlerische Krisen und tägliche Mantras.
Katja Holtz: Ich wollte immer in New York leben, da ich schon während meiner eigenen Kindheit viel Zeit hier verbracht habe. Ich wollte immer irgendwann hierher zurückgekommen. Wir sind dann relativ spontan her gezogen. New York ist ein bisschen Kampf, aber auch eine wahnsinnig inspirierende Stadt mit tollen Menschen. New York macht wirklich Spaß! Ich habe Angst, irgendwo anders leben zu müssen (lacht). Die Stadt gibt so viel Input und Inspiration, das entschuldigt vieles. Jeder, der hier ist, möchte wirklich hier sein. Die Menschen, die ich hier kenne, sind wahnsinnig kreativ und interessant. Dadurch sieht man über vieles hinweg.
Kein Kindergeld, kein bezahlter Mutterschaftsurlaub und kein günstiger Kita Platz für unter 4-Jährige – es ist definitiv eine Herausforderung als junge Familie in New York zu leben.
Brooklyn brauche ich, weil ich Kinder habe. Es ist sehr viel entspannter als in Manhattan. Clinton Hill ist sehr familienlastig und es gibt schöne Spielplätze. Der Prospect Park um die Ecke ist auch toll. Die Jungs fahren hier gern Fahrrad.
Ich greife das Urbane, was ich jeden Tag sehe, in meiner Arbeit auf.
Angefangen hat das mit 19 Jahren. Malen war immer meine Leidenschaft, aber ich hätte es nicht als Beruf gewählt. Dazu hatte ich nicht das Selbstbewusstsein. Das hat sich erst während meines Studiums in England entwickelt.
Ich habe erst einen „Foundation Kurs“ in England belegt, da kann man alles ausprobieren: Fotografie, Grafikdesign, Malerei. Nachdem ich den Malerei-Kurs gemacht habe, wollte ich nichts Anderes mehr machen. Ich habe einen wahnsinnig tollen Tutor kennengelernt, der mich bestärkt hat, bei der Malerei zu bleiben.
Innendekoration hat mir schon immer Spaß gemacht, deswegen habe ich einen Laden in Frankfurt aufgemacht. Meine Mutter hatte schon immer verschiedene Ladengeschäfte in Frankfurt. Seit ich klein bin, habe ich in den Läden gearbeitet und auch die Schaufenster dekoriert.
Mit dem Laden konnte ich mich beiden Feldern widmen: Ich habe alle vier Monate junge Künstler ausgestellt. Der Laden diente als Einnahmequelle. Es war ein Concept-Store mit vielen jungen neuen Labels. Schnickschnack war immer meine Leidenschaft. Ich habe nach Jungdesignern gesucht und so junge Kreative zusammengebracht. Die Hälfte der Woche habe ich versucht, im Atelier zu sein. Der Laden war zweistöckig und im oberen Stockwerk habe ich gemalt. Ich bin aber beim Malen eher ein Messy und das passte nicht gut mit den teuren Objekten unten im Verkauf zusammen.
Es ist ähnlich wie das Malen: Man hat einen Raum, Formen und Farben und versucht, diese harmonisch zusammenzufügen. Es geht um den gestalterischen Moment. Ich möchte das Beste aus dem Raum herausholen. Ich bin ein total visueller Mensch.
Inzwischen habe ich gelernt, dass in der Kunst Krisen meistens Bedingungen für einen Neuanfang sind.
Ich war an einen Punkt, an dem der Laden gut lief, aber ich musste mich entscheiden, ob ich das wirklich zu 100 Prozent machen will. Halbe Sachen sind schwierig für mich und um den Laden wirklich zum Laufen zu bringen, hätte ich mich dem voll widmen müssen. Ich war unsicher. Meine Mutter ist eigentlich immer die Rationale und sagt: Katja, mach was Ordentliches! Es war ganz süß, als sie sagte: Geh in die Kunst!
Seit dem Sommer 2018 geht mein Kleinster endlich in die Kita. Ich dachte, ich stürze mich gleich wieder voll in die Arbeit, ich hatte dann aber doch eine kleine künstlerische Identitätskrise.
Der einzige Weg dort wieder rauszukommen, war, weiter zu malen – auch wenn ich die meisten Bilder immer wieder verworfen und von neuem übermalt habe. Inzwischen habe ich gelernt, dass in der Kunst Krisen meistens Bedingungen für einen Neuanfang sind. Man muss sie sich zunutze machen und durch sie hindurch arbeiten.
Von zu Hause zu arbeiten erschwert die ganze Sache, weil der unerledigte Haushalt schwer auf dem Gewissen lastet. Wenn ich aber den Schritt in mein Atelier geschafft habe, lasse ich alles andere hinter mir und bin so fokussiert aufs Malen, dass die Zeit wie im Flug vergeht. Im Herbst ziehe ich endlich wieder in ein Loft-Atelier – dann wird sich meine Malerei auch wieder verändern.
Ich würde es als eine urbane Pop-Art beschreiben.
Mich interessiert der urbane Zerfall. Während des Studiums dachte ich, meine Bilder seien rebellisch und provokant. Irgendwann hatte ich einen großen Zuspruch von verschiedenen Leuten und merkte, dass meine Bilder eher positiv und poppig sind. Sie verkörpern eine dekorative Ästhetik und sprechen eine große Masse an. Mit dem Bewusstsein konnte ich mich schließlich anfreunden.
Klar! In der Unizeit wollte ich den Zerfall und das eher Unbehagliche der Stadt in meinen Bildern thematisieren. Aber ich habe dann gemerkt, dass meine Bilder eher etwas Schönes verkörpern. Es ist gut so wie es ist. Ich bin Ästhetikerin und weniger Konzeptkünstlerin, bei dem das Konzept wichtiger ist als die Präsentation. Mein Stil hat sich mit der Zeit verfestigt.
Die maroden Ecken der Stadt. Das sind Details wie verschiedene Layer von Postern an einer Wand, die verrotten und runterkommen. Das Unperfekte kann ästhetisch so schön sein, wenn man beispielsweise ein Foto nur von einem Ausschnitt macht. Tags, die oft als Schmierereien abgetan werden, sind oftmals wahnsinnig schöne Kompositionen, die sich in eine Wand oder in ein Farbspiel eingliedern. Ich gehe mit offenen Augen durch New York.
Zur Zeit ist mein Atelier in unserem Gästezimmer und auf dem Dach unseres Hauses.
Ein urbanes Umfeld hilft sehr. Ich habe eine Zeit lang in den komischsten Ateliers in Frankfurt gearbeitet – vom alten Hausmeisterhäuschen über den Hof der ehemaligen Polizeistation bis hin zu Räumen in Bahnhofsnähe. Ich habe aber auch in einer leer stehenden Wohnung auf der Fressgasse oder in dunklen Kellerräumen gemalt. Es muss nicht immer das perfekte Umfeld sein. Hauptsache, ich mache. In Brooklyn hatte ich ein tolles Atelier in Bushwick, später in Williamsburg und zur Zeit ist mein Atelier in unserem Gästezimmer und auf dem Dach unseres Hauses. Hier male ich mit Ölfarben, die mit Wasser mischbar sind.
Ich bin nicht so die Netzwerkerin, obwohl es hier so leicht ist. Smalltalk habe ich in New York durch die US-amerikanische Art gelernt. Mit anderen Künstlern komme ich am meisten über Instagram ins Gespräch. Dort herrscht eine Freundlichkeit und man trifft viele Künstler auf der Plattform. Mit einem Künstler, den ich über Instagram kennengelernt habe, werde ich jetzt eine Kollaboration machen.
Ich gehe gern auf Vernissagen in Chelsea, hier ist die Dichte an Galerien am größten. Zum Entspannen fahre ich gern Skateboard. Im Sommer fahre ich zum Rockaway Beach. Hier habe ich letzten Sommer am meisten Kraft getankt. Vielleicht bleiben wir den nächsten Sommer komplett am Rockaway. Mit den Kids gehe ich gern in den Washington Square Park. Das ist wie ein kleiner Jahrmarkt, mit Musik und Künstlern. Wenn ich ein Manhattan-Bedürfnis habe, fahre ich da hin.
Es ist komisch, weil es hier soviel gibt und Manhattan soviel anbietet, aber ich gehe hier sehr viel seltener shoppen als in anderen Städten. Das große Angebot, die vielen großen Geschäfte und Menschenmengen machen mich kirre.
In Williamsburg gibt es tolle kleine Läden. Junk Shops und Vintage-Läden. Wenn ich Läden toll finde, gehe ich immer wieder hin.
Mit Kindern ist mir das wichtiger geworden. Ich versuche auf Plastiktüten zu verzichten und viel zu recyceln. Das sind kleine Dinge, die ganz leicht zu ändern sind. Ich koche viel zu Hause für die Kinder. Lebensmittel kaufe ich auf dem Markt ein. Es gibt so viele schöne Märkte hier! Kinderkleidung tausche ich viel mit Freunden. Ich muss eigentlich nie etwas kaufen.
Eigentlich mein Tutor, den ich in England kennengelernt habe. Durch ihn bin ich zur Malerei gekommen. Vorher hatte ich nicht das Gefühl, ich hätte ein mega Talent. Aber er hat mir gezeigt, dass es darum gar nicht geht. Es gibt vielleicht Leute, die sind tausendmal talentierter als ich, aber die gehen nicht so eine graden Weg. Ich bin bei der Malerei geblieben und es hat auch nichts mit Talent zu tun, wenn du dich ausdrücken willst. Talent kann dich auch hindern. Je besser deine Skills, desto mehr kann dich das hindern, dich frei auszudrücken. Durch ihn habe ich gelernt, dass ich den Weg gehen kann und ich bin ihn dann gegangen.
Mein Traum ist es, eine Galerie zu finden, sodass ich mich nicht mehr selbst um den Verkauf der Bilder kümmern muss. Es ist schön, wenn man sich nur um den kreativen Kram kümmern kann.
Manchmal sucht man Dinge zu intensiv und verpasst dadurch vielleicht bestimmte Sachen.
Ich bin sehr positiv und eine Optimistin. Es funktioniert irgendwie immer alles. Letzten Sommer hatten wir beispielsweise keine Schule für Flynn, einen Abend vor der Einschulung kam dann der Anruf, dass es doch bei unserer favorisierten Schule geklappt hat. Ich bin entspannt und lasse Dinge auf mich zukommen, anstatt mich verrückt zu machen. Ich bin nicht passiv, aber auch nicht der aktivste Mensch. Manchmal sucht man Dinge zu intensiv und verpasst dadurch vielleicht bestimmte Sachen.
Ich glaube an Karma! Neulich habe ich einen Laptop und ein Handy gefunden, beides zurückgegeben und warte nun darauf, was mir Positives widerfährt.
Frankfurt nicht, aber Berlin oder Köln könnte ich mir gut vorstellen.
Fotos: Sophia Lukasch
Layout: Kaja Paradiek