Das Berliner Restaurant „Tim Raue“ wurde dieses Jahr erneut als einziges deutsches Restaurant auf die Liste der „50 besten Restaurants der Welt“ gewählt. Verantwortlich dafür ist, neben Koch Tim Raue und seinem Team, Eigentümerin und Geschäftsführerin Marie-Anne Raue. Gemeinsam mit Tim Raue, mit dem sie bis 2016 verheiratet war, eröffnete die gebürtige Berlinerin 2010 das Gourmetrestaurant, das seitdem mit zwei Michelin Sternen und 19,5 Gault&Millau Punkten ausgezeichnet wurde. Wie sorgt sie dafür, das Restaurant erfolgreich und dauerhaft relevant zu machen? Wie sieht ihr Arbeitsalltag aus und in welchen Restaurants isst sie selbst gerne? Darüber haben wir mit Marie-Anne in ihrem Restaurant und Office gesprochen.
Marie-Anne Raue: Aufmerksamkeit, ein gutes Gespür für die unterschiedlichsten Situationen, eine gute Kommunikationsfähigkeit und Selbstbewusstsein.
Mein Arbeitstag beginnt gegen 10 Uhr morgens, wenn ich zu Hause die ersten E-Mails bearbeite. Zwischen 11 und 12 Uhr komme ich dann ins Restaurant, in dem ich zuerst einen Rundgang mache, und spreche kurz mit den Mitarbeitern, die schon da sind. Dann geht es ins Büro, um Rechnungen zu prüfen, Verträge vorzubereiten oder ausführlichere Mitarbeitergespräche zu führen.
Es kommt auch immer auf den Wochentag an. Da wir freitags und samstags auch zum Lunch geöffnet haben, befasse ich mich an diesen Tagen mittags direkt mit dem Service und bearbeite dann erst nachmittags die Bürogeschichten. In der Regel geht es abends auch in den Service, um Gäste zu begrüßen, die Mitarbeiter zu motivieren und zu unterstützen. An diesen Tagen bin ich gegen 22 Uhr zu Hause.
Sehr viel Fleiß, Mut zum Nischenprodukt und viel Öffentlichkeitsarbeit spielen eine wichtige Rolle. Dann natürlich Tims einzigartiger Kochstil, gepaart mit der hohen Qualität unserer Produkte und nicht zuletzt die angenehm entspannte Atmosphäre des Restaurants, die unsere Mitarbeiter durch ihren Charme und Freude kreieren.
Wir versuchen uns treu zu bleiben und uns nicht zu verbiegen. Wir sind wie wir sind: voller Leidenschaft und Passion für unser Restaurantkonzept. Außerdem versuchen wir Gäste aus aller Welt immer wieder für unsere Idee des Gastgebens, des besonderen Food-Konzepts in Kombination mit dem individuellen Interieur zu begeistern.
Ja und Nein. Natürlich spielen Trends in der Gastronomie eine große Rolle, sie sind wichtig, weil sie dem Gast auch Abwechslung bringen. Tim und ich berücksichtigen allerdings keine Trends bei unserer Arbeit, hören vielmehr auf unser Bauchgefühl und kreieren wahrscheinlich genau dadurch selbst welche. Ich habe zum Beispiel schon sehr früh erkannt, dass ein steifer Service mit der Hand hinter dem Rücken verschränkt letztlich nicht die Zukunft sein kann und habe damit begonnen diese veralteten Muster wegzulassen und mich auf Herzlichkeit und Kommunikation mit dem Gast auf Augenhöhe zu konzentrieren. In den ersten Jahren bin ich dafür sehr kritisiert und auch ab und zu beleidigt worden von Gästen, die es nicht verstehen wollten. Aber ich habe an dem Konzept festgehalten und heute gehört es in den modernen Restaurants zum guten Ton.
Wir versuchen uns treu zu bleiben und uns nicht zu verbiegen.
Es ist eine tolle Art der Anerkennung, auch für die harte Arbeit, die das beinhaltet. Natürlich ist es auch eine großartige Wertschätzung für die harte Arbeit unserer fleißigen Mitarbeiter, die das Konzept mittragen und jeden Restaurantöffnungstag an unsere Gäste weitergeben. Diese positive und zahlreiche Resonanz ehrt und freut uns dementsprechend alle. Aber für mich persönlich ist die größte Anerkennung, wenn ich bei Gästen am Tisch stehe, die leeren Teller abräume und in die leuchtenden Augen und strahlenden Gesichter sehe. Dann geht mir richtig das Herz auf und ich freue mich, dass ich meine Berufung zum Beruf machen durfte.
Weil es allgemein auch nur wenige Köchinnen gibt und das kommt daher, dass nur wenige Frauen die Ausbildung machen. Um in der Gastronomie Karriere zu machen, muss man sehr viel Zeit investieren, sein Privatleben fürs erste in den Hintergrund stellen und am besten ständig in der Welt herumreisen und essen gehen, um zu schmecken, was in der Welt passiert. Das ist zeit- wie auch kostenintensiv und lässt oft eine Familienplanung in den Hintergrund rücken. Es ist meiner Meinung nach eine schwierigere Branche für Familien und insbesondere für Frauen. Wir geben uns als Arbeitgeber extra Mühe Familien zu fördern, so haben wir an den meisten Feiertagen geschlossen und zwei feste Ruhetage in der Woche. Das muss die Gesellschaft auch mal nachziehen, beispielsweise mehr Kindergärten mit alternativen Öffnungszeiten schaffen.
Natürlich spielen Trends in der Gastronomie eine große Rolle, sie sind wichtig, weil sie dem Gast auch Abwechslung bringen. Tim und ich berücksichtigen allerdings keine Trends bei unserer Arbeit, hören vielmehr auf unser Bauchgefühl und kreieren wahrscheinlich genau dadurch selbst welche.
Zu meiner Zeit gab es zwar viele weibliche Servicemitarbeiter, aber wenige, die Karriere gemacht haben. Es gab wenige Restaurantleiterinnen und wenige Sommelieren. Bis zu einem bestimmten Punkt in meiner Karriere hatte es für mich keine Rolle gespielt, dass ich eine Frau bin. Erst als ich angefangen habe, in Hotels zu arbeiten und alle meine Vorgesetzten Männer waren, die mich per Schulterschluss ausgegrenzt haben und die auch teilweise versucht haben, mich in meiner Kompetenz zu beschneiden, habe ich begriffen, dass ich das so nicht akzeptieren kann. Daraufhin habe ich Tim vorgeschlagen, dass wir uns selbstständig machen. Und das war die beste Entscheidung meines Lebens.
Es geht darum, sich Zeit zu nehmen für Gespräche, neue Bekanntschaften zu machen, Erfahrungen zu teilen und zuzuhören.
Weil wir das zu selten machen. Uns Zeit nehmen für Gespräche, für unsere Belange, Wünsche und Ideen. Es sind schon wunderbare neue Freundschaften und auch neue Geschäftsbeziehungen aus diesen Lunches entstanden …
Es ist meiner Meinung nach eine schwierigere Branche für Familien und insbesondere für Frauen.
Bei uns ist das Publikum auf jeden Fall internationaler geworden, denn die Menschen reisen um die ganze Welt, um bei uns zu essen. Das ist natürlich ein großes Kompliment. Dabei sind sie vor allem sehr interessiert an der Materie, kochen selbst gern, trinken gern Wein und erfreuen sich an neuen Geschmackserlebnissen – und das in fast allen Altersklassen.
Das ist schon lange nicht mehr so, aber natürlich gibt es noch diese Art von Restaurants und das ist auch gut so, denn auch Traditionen sollen und müssen weiter existieren dürfen. Ansonsten würde es ja keine Restaurants mehr geben, in denen man klassische Terrinen oder einfach ein tolles Stück Fisch mit einer perfekten Beurre Blanc genießen kann.
Bei uns ist das Publikum auf jeden Fall internationaler geworden, denn die Menschen reisen um die ganze Welt, um bei uns zu essen.
Ich bin ein sehr großer Fan von unserem Hauschampagner L’Étoile de Berru aus 2010, den unser Chef Sommelier André Macionga zusammen mit dem Champagnerhaus Adam Mereaux kreiert hat. Der Champagner hat eine intensive und volle Textur, genau wie ich es liebe und duftet ganz wunderbar nach Pampelmuse, Safran und Zitrusfrüchten. Bei den Speisen natürlich unsere Signature Dishes wie der Wasabi Kaisergranat mit Mango, Karotte und Ingwer oder unser Zander mit Sojasauce, Lauch und Ingwer. Im Moment haben es mir besonders unsere Erbsen Dim Sum mit grünem Curry und Cocos angetan. Da schmelze ich immer dahin, wenn ich sie esse!
Zur Zeit gehe ich sehr gerne ins „Mine Restaurant“ in der Meineke Straße in Berlin, da das Essen einfach hervorragend ist und die Mitarbeiter und der Chef zauberhaft sind. Zudem sagt mir das Interieur Design sehr zu und das ist mir persönlich auch sehr wichtig. Ansonsten gehe ich sehr gerne ins „Cordo“ Restaurant der Großen Hamburger Straße, in dem Küchenchef Yannick Stockhausen hinter dem Herd steht und seine Gäste begeistert. Viel zu selten schaffe ich es ins „Tulus Lotrek“ – auch ein Restaurant mit absolutem Nischenkonzept, sehr individuell und einfach unglaublich begeisternd.
Ich möchte unbedingt ins „Mirazur“ in Menton, der Nummer 1 der 50 Best Restaurant Liste.
Rudi-Dutschke-Str. 26, Berlin
Fotos: Sophia Lukasch
Layout: Kaja Paradiek
2 Kommentare
Sehr geehrte Frau Raue,
im zibb habe ich Sie erleben dürfen. Ihre Art und Ihre Anliegen haben mir sehr gut gefallen. Sie wollen Frauen ermutigen, in der Gastronomie Karriere zu machen? Ermöglichen Sie Ihnen z.B. in einem neuen Restaurant, Beruf aug hohem Niveau und Kinder zu vereinbaren.
Vorschlag: 4 Köchinnen mit Potential und Kindern übernehmen jeweils für eine Woche im Monat. Die 4 dürfen unterschiedliche Konzepte entwickeln, aber naja „kundenverträglich“. Werden im Konzept des Restaurants vorgestellt.
4 Wochen bleiben über für illustre Köchinnen, die als Gäste aufmerksam machen.
Herzliche Grüße
Christina