Was werden wir morgen essen? Welche Food-Trends werden besonders wichtig? Welches sind die heißesten, neuen Restaurants? Und welche Köche oder Köchinnen starten gerade richtig durch? Susanna Maria Glitscher ist in der Food- und Gastronomie-Szene immer am Puls der Zeit. Als Senior-Projektmanagerin bei der Berlin Food Week, einem einwöchigen Event rund um Kulinarik in Berlin, muss sie die Food-Trends von morgen kennen, Poke von Ceviche und Quitten von Birnen unterscheiden können. Susanna hat Kulturwissenschaften studiert und hatte schon immer ein Interesse für Essen und Gastronomie. Wir besuchen die 31-Jährige in ihrer Berliner Wohnung und statten mir ihr zusammen dem neu eröffneten Restaurant BRLO Brwhouse, das gleich mehrere aktuelle Food-Trends vereint, einen Besuch ab. Ein Nachmittag mit sehr viel leckerem Essen!
femtastics: Wir haben uns bei Hubert Burda Media kennengelernt. Du hast zunächst im Redaktionsbereich gearbeitet. Wie kamst du in die Food-Branche?
Susanna Maria Glitscher: Ja, das war mein Praktikum während des Studiums. Danach habe ich als freie Journalistin gearbeitet. Durch einen Job im Event-Management für ein Catering-Unternehmen bin ich in die Food-Branche gekommen. Das Interesse für Essen war schon immer da, wurde dadurch aber noch größer. Ich habe dann das Angebot bekommen, Kitchensurfing, die Plattform zum Köche Mieten, in Deutschland zu leiten. Damals war das Unternehmen relativ neu in Berlin. Ich war noch nicht mit meinem Studium fertig, aber habe gesehen, wie viele Kommilitonen verzweifelt auf Arbeitssuche im Kulturbereich waren – und ich wusste, dass ich nicht in den klassischen Museums- oder Galeriebetrieb wollte. Es hat sich dann als mein Traumjob herausgestellt und ich war echt glücklich!
Aber du hattest dich gar nicht aktiv auf den Job beworben?
Das Catering, für das ich gearbeitet hatte, war unter den ersten Köchen, die ein Profil bei Kitchensurfing hatten. Und darüber habe ich das Unternehmen kennengelernt.
Mittlerweile arbeitest du bei der Berlin Food Week. Die Events finden, anders als bei einer Messe, überall in der ganzen Stadt statt, richtig?
Genau. Wir haben Events in 50 Restaurants in ganz Berlin und zusätzlich gibt es ein Format wie einen Markt, wo man hingehen und Produzenten sowie Produkte kennenlernen kann, und abends gibt es Fine Dining-Events, bei denen Spitzenköche kochen. Alles steht jedem offen.
Wie können wir uns deinen Job als Senior-Projektmanagerin für die Berlin Food Week vorstellen?
Um es verständlich zu machen, sage ich oft, ich bin Kuratorin. Das ist auch die Verbindung zu meinem Studium. Ein Teil meiner Arbeit ist die Konzeption, also die Entwicklung der Programminhalte für die Berlin Food Week. Ein anderer Teil ist der Kontakt mit den Köchen, also sie anzusprechen und für die Berlin Food Week zu gewinnen.
Die Berlin Food Week findet einmal im Jahr statt – womit beschäftigst du dich den Rest des Jahres?
In den Monaten vor der Berlin Food Week machen wir Location Scouting, arbeiten Food-Trends aus, beobachten die Food-Szene und spannende Köche.
Dafür braucht es bestimmt eine sehr gute Vernetzung in der Food-Branche. Wie hast du die bekommen?
Das dauert eine Weile. Hinzu kommt, dass Köche spezielle Menschen sind (lacht). Besonders, wenn man von außen kommt und keine Branchenausbildung hat, muss man sich erst einmal beweisen. Aber dann sind Köche die herzlichsten Menschen überhaupt! Mein Netzwerk wächst permanent, ich arbeite die ganze Zeit daran. Dazu gehört, dass ich auf Events gehe und viele Restaurants besuche.
Ich gebe echt viel Geld für Essen aus! Für mich gehört zu meiner Arbeit dazu, dass ich auch für das Essen bezahle.
Gibst du wahnsinnig viel Geld dafür aus, essen zu gehen?
(lacht) Ja, ich gebe echt viel Geld für Essen aus! Für mich gehört zu meiner Arbeit dazu, dass ich auch für das Essen bezahle. Viele Leute denken immer, ich bekäme alles umsonst. Aber für mich gehört es zur Wertschätzung, nicht zu sagen, „Du weißt ja, wer ich bin!“, sondern ganz normal zu zahlen.
Zu deinem Job gehört auch die Recherche von Food-Trends. Wie gehst du da vor? Spielt es eine große Rolle, Restaurants auszuprobieren?
Ich beobachte viel – dadurch bekommt man einen guten Eindruck, ohne, dass man alles probieren muss. Aber, klar, wenn ein neues Restaurant aufmacht, muss ich da hin (lacht). Dann bin ich auch neugierig.
Welche Kanäle nutzt du zur Recherche?
Es gibt jedes Jahr den großen Food-Report von Hanni Rützler. Sie ist die bekannteste Foodtrend-Forscherin im deutschsprachigen Raum. Außerdem lese ich viele internationale Blogs. Gespräche mit Gastronomen und Köchen sind aber genauso wichtig. Viele Gastronomen gehen auf Reisen, machen Stationen in Shanghai, Paris oder an anderen Orten und lassen sich davon inspirieren, was andere Köche machen.
Reist du selbst auch für deine Arbeit?
Im August war ich in Mexiko, weil Mexiko letztes Jahr unser Partnerland war. Wir hatten das große Glück, dass die mexikanische Botschaft uns eingeladen hat, zu erleben, was das Land kulinarisch zu bieten hat. Wir waren eine Woche lang in Yucatán, das war mega schön! … Ich halte aber auch auf privaten Reisen immer die Augen offen.
Von Hamburg aus habe ich immer das Gefühl, dass neue internationale Food-Trends in der Hauptstadt schneller ankommen.
Das würde ich als Berliner auch so unterschreiben (lacht). Aber, im Ernst, ich finde, das sieht man zum Beispiel am Streetfood gut. Es gibt auch eine große Streetfood-Fraktion in Nürnberg, aber es ist schon so, dass Kavita Meelu den Trend in Deutschland mit ihrem „Streetfood Thursday“ in Berlin losgetreten hat und er von da in andere Städte geschwappt ist.
Bei all der Entwicklung und Dynamik in der Berliner Gastronomie: Gibt es hier noch Raum für Neues?
Es gibt immer noch so eine romantische Vorstellung von der Gastronomie: „Irgendwann mache ich mein eigenes Café oder meine eigene Bar auf“ … Viele Leute unterschätzen aber, was das im täglichen Business bedeutet. Statistisch machen rund die Hälfte aller Restaurants, die neu eröffnen, auch wieder zu. Und in Berlin ist die Bereitschaft nicht so hoch, viel Geld für Essen auszugeben …
Ist das so?
Klar, es gibt auch erfolgreiche höherpreisige Restaurants. Aber wenn man sich hier umschaut – wenn man beim Vietnamesen eine große Schale Reis mit Gemüse für 5 Euro bekommt und viele Leute das sehr lecker finden, dann ist der Schritt, irgendwohin zu gehen, wo man 50 bis 100 Euro pro Person zahlt, nicht so nah. Deshalb geht der Trend auch eher weg von Fine Dining Restaurants mit weißer Tischdecke hin zu Restaurants mit lockerer Atmosphäre und „sharing plates“.
Was ist denn in Berlin gerade total angesagt?
Ich denke, Superfoods verschwinden so langsam. Sie sind einfach nicht zu Ende gedacht: Wenn wir alle anfangen, Quinoa zu essen, ist das auch nicht gesünder. Quinoa wird hier nicht angebaut, es muss aus Peru oder sonstwo eingeflogen werden – und dabei gibt es genauso gesunde lokale Alternativen. Das Thema heimische Heilkräuter finde ich zum Beispiel viel interessanter. Ein Trend, der kommt, ist die Demokratisierung des Fine Dining, die ich gerade schon angesprochen habe. Die gehobene Küche öffnet sich, wird weniger elitär, Gerichte werden geteilt – nicht wie bei Tapas, wo man nur kleine Gerichte hat, sondern größere Portionen zum Teilen.
Wenn wir alle anfangen, Quinoa zu essen, ist das auch nicht gesünder. Quinoa wird hier nicht angebaut, es muss aus Peru oder sonstwo eingeflogen werden – und dabei gibt es genauso gesunde lokale Alternativen.
Welche Food-Trends sind außerdem wichtig?
Ernährung 2.0, die Frage, wie wir uns in der Zukunft ernähren – mit Algen, die hier angebaut werden, Insekten oder Labor-Burgern. Das dauert bestimmt noch eine Weile, bis das Thema in der breiten Masse ankommt, aber es ist sehr spannend. Alternative Getränkebegleitung zum Essen ist auch ein großer Trend. Also Alternativen zur Weinbegleitung wie Kombucha, Kefir oder Craft Beer. Hier fließt auch der Trend der Fermentierung mit ein.
Alternative Getränkebegleitung zum Essen ist ein großer Trend. Also Alternativen zur Weinbegleitung wie Kombucha, Kefir oder Craft Beer.
Also Biere oder andere Getränke, die Menüs begleiten? Stimmt, es wird Zeit, dass es Alternativen zu Wein gibt – auch alkoholfreie.
Ich glaube, das kommt langsam in der Gastronomie an. Ein anderer Trend ist „Vertical Farming“, also, dass Restaurants ihre eigenen Gemüsebeete in den Restaurants haben und ihr eigenes Gemüse anbauen. Auch der Kontakt zu den Produzenten wird enger: Gastronomen wollen wissen, wer ihre Zutaten herstellt. Generell wird Gemüse demnächst eine größere Rolle spielen.
In welchen Restaurants kann man diese Trends jetzt schon erleben?
Auf jeden Fall im einsunternull in Mitte. Sie fahren raus in Kleingärten und ernten das Obst und Gemüse, das nicht geerntet werden konnte, und machen diese Zutaten dann ein. Außerdem stellen sie ihren eigenen Kefir und Kombucha her und bieten das als Getränkebegleitung an. Sie haben dafür jetzt einen Stern bekommen. Außerdem ist das BRLO Brwhouse sehr spannend, wo wir gleich noch hinfahren. Sie greifen viele aktuelle Food-Trends auf, zum Beispiel Craft Beer Pairing, sie haben einen Vertical Farming-Bereich und bauen selbst Gemüse an, sie machen Sharing Plates und servieren auf handgemachter Keramik. Und das Gemüse ist der Hauptdarsteller. Wenn man Fleisch dazu bestellen möchte, muss man etwas mehr zahlen. Es geht auch darum, sich bewusst zu machen, dass Fleisch einen Wert hat.
Das Gemüse ist der Hauptdarsteller. Wenn man Fleisch dazu bestellen möchte, muss man etwas mehr zahlen. Es geht auch darum, sich bewusst zu machen, dass Fleisch einen Wert hat.
Und das Restaurant betreibt dein Freund?
Mein Freund, Ben Pommer, ist Geschäftsführer der Gastronomie. Die Biermarke BRLO hat ein Dreier-Team gegründet und sie brauen in Berlin.
Sind Food-Trends heute sehr globalisiert? Manchmal denke ich, dass es schade ist, dass man heutzutage überall alles bekommt – Beispiel Hipster-Frühstück: gefühlt gibt es fast überall auf der Welt das Gleiche …
Ich denke, das ist wie mit vielen Trends heutzutage: Alles hat sich durch die Globalisierung angenähert. … Was immer noch zu beobachten ist: Die Foodblogs in den USA sind Deutschland rund zwei Jahre voraus. Poke, Fischsalat aus Hawaii, zum Beispiel ist jetzt in New York und anderen US-Städten ein großer Trend, aber es wird noch dauern, bis es hier ankommt. Das ist immer der Kreislauf: Es gibt Restaurants in Los Angeles, New York oder London, die neue Trends setzen, Leute sehen das, Foodblogs greifen es auf und daraus entsteht ein globaler Trend.
Eigentlich ist es doch gerade bei Nahrungsmitteln total sinnvoll, sich auf Regionales zu konzentrieren.
Deshalb gibt es auch die Gegenbewegung, die sich „Brutal Lokal“ nennt: Alles, was in den Restaurants verarbeitet wird, kommt von hier und der Fokus wird oft auf ein einziges Produkt gelegt. Das kann auch nur eine Karotte sein, aber die ist so gut und man weiß genau, wo sie gewachsen ist und kennt den Bauern.
Wie im Nobelhart und Schmutzig.
Genau, die sind sozusagen die Vorreiter von „Brutal Lokal“. Ich finde die Bewegung gut, um den direkten Kontakt mit den Lebensmitteln und Produzenten wieder zu schärfen.
Beschäftigst du dich auch in deiner Freizeit mit Ernährung und Essen – gerade, wenn dein Freund Gastronom ist?
Eigentlich dauernd. Manchmal fragen mich Leute: „Wie hältst du das aus, den ganzen Tag guckst du dir Fotos von Essen an, ich hätte nur Hunger!“ (lacht). Ich kann das gut ausblenden. Und ich sehe mir nicht nur Food-Fotos auf Instagram an, sondern lese auch viel, sowohl Kochbücher als auch theoretische Bücher über Essen und Ernährung, mich interessiert auch die Kulturgeschichte des Essens.
Wir sind gespannt, was du als Nächstes entdeckst – und natürlich auf die Berlin Food Week! Vielen Dank, Susanna!
Die nächste Berlin Food Week findet im Oktober 2017 statt
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